: "... eines deutschen akademischen Grades unwürdig". Die Entziehung des Doktortitels an der Philipps-Universität Marburg 1933-1945. Marburg 2002 : Philipps-Universität Marburg, ISBN 978-3-8185-0367-3 87 S.

Henne, Thomas (Hrsg.): Die Aberkennung von Doktorgraden an der Juristenfakultät der Universität Leipzig 1933-1945. . Leipzig 2007 : Leipziger Universitätsverlag, ISBN 978-3-86583-194-1 126 S. € 22,00

: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus. München 2007 : Herbert Utz Verlag, ISBN 978-3-8316-0691-7 410 S. € 59,00

: Die bürokratische Verfolgung. Doktorgradentziehungen an der Universität Gießen 1933-1945 im Kontext der nationalsozialistischen Verfolgungspolitk. Gießen 2006 : Focus Verlag, ISBN 978-3-88349-513-2 156 S. € 15.00

Szöllözi-Janze, Margit; Freitäger, Andreas (Hrsg.): Doktorgrad entzogen!. Aberkennungen akademischer Titel an der Universität Köln 1933 bis 1945. Nürmbrecht 2005 : Kirsch-Verlag, ISBN 978-3-933586-42-1 132 S. € 12.00

: ... des Tragens eines deutschen akademischen Grades unwürdig. Die Entziehung von Doktortiteln an der Georg-August-Universität Göttingen im "Dritten Reich". Göttingen 2006 : Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, ISBN 978-3-930457-67-0 104 S. € 8,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulf Morgenstern, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Durch die fortschreitende Erforschung immer detaillierterer gesellschaftlicher und politischer Teilbereiche des Dritten Reichs fällt auch in zunehmendem Maße Licht auf einige alles andere als randständige Phänomene des noch immer nicht „ausgeforschten“ Nationalsozialismus. Nicht so sehr durch die viel zitierte Öffnung ostdeutscher und osteuropäischer Archive als vielmehr durch eine Verschiebung der Forschungsperspektive rückt, als ein Beispiel für diesen Trend, die „lautlose Repressalie“ der Doktorgradentziehungen großen Stils in den Blickpunkt wissenschaftshistorischer und Biographie-orientierter Zeitgeschichte, wobei nicht zuletzt eine Reihe von Universitätsjubiläen eine Beschäftigung mit dem unrühmlichen Thema notwendig erscheinen ließ. Einen weiteren Impuls gab das seit Mitte der 1990er-Jahre von verschiedenen Seiten betriebene Bemühen, die letzten noch lebenden Opfergruppen des Nationalsozialismus zu entschädigen. Zahlreiche seitdem publizierte Arbeiten unterschiedlichen Anspruchs und Umfangs widmen sich dem Teildiskriminierungsaspekt der politisch und rassisch motivierten Depromotionen 1, andere Projekte zu diesem Thema haben noch keinen publizistischen Abschluss gefunden.2

Auf den ersten Blick erscheint die Aberkennung eines an einer deutschen Universität erworbenen Doktortitels im Kontext der bis zur massenweisen physischen Extermination gehenden Verfolgungen von Opfergruppen durch den NS-Staat als das kleinere Übel, im Falle der zahlreichen Ausgebürgerten und Emigranten gar als eine im Ausland kaum beachtete ‚Bagatelle‘. Wie sehr dieses Urteil täuscht, zeigt sich bei genauerer Betrachtung. Denn über die an ihrer zeitgenössischen Wirkung orientierten Motive für die zuletzt systematischen Depromotionen ist eine durch die nun für einige Universitäten vorliegenden empirischen Grundlagen erst möglich gewordene Diskussion in Gang gekommen. Als deren vorläufiges Ergebnis kann festgehalten werden, dass der NS-Staat die Herabsetzung von prominenten, ins Ausland gegangenen Wissenschaftlern zwar gern betrieb und mit propagandistischen Paukenschlägen begleitete, um das Renommee und die Ehrenhaftigkeit der Emigranten im Ausland in Zweifel zu ziehen. In diesem Antrieb lag aber nur der Nebeneffekt einer Generalverfolgung, die sich gegen eine zahlenmäßig ungleich größere Akademikergruppe im Inland richtete: die hier verbliebenen, zunächst nicht an Emigration denkenden, rassisch und/oder politisch unliebsamen Doktoren in den so genannten freien Berufen. Jüdische, homosexuelle, ehemals kommunistisch, sozialdemokratisch oder prominent pazifistische Ärzte, Rechtsanwälte, Publizisten, Naturwissenschaftler oder Unternehmer aller Art wurden so relativ unspektakulär Opfer des totalitären Systems, das nach einer seiner zentralen politischen und rassischen Doktrin nicht zur durch Exklusion definierten Volksgemeinschaft gehörenden Bürgern die Lebensgrundlage entziehen wollte, und dies im Falle einer großen Zahl der mehr als 2000 zwangsweise Depromovierten wohl auch erreichte.

Peter Chroust stellt in seiner an erster Stelle zu nennenden Studie über die Entziehung von Doktorgraden an der vergleichsweise kleinen nordhessischen Universität Gießen schon in der Einleitung fest, dass die nationalsozialistische Gesetzgebung den Verfolgern vermittels der Sanktionierung der Aberkennung erworbener akademischer Grade eine „lautlose […] Repressalie“ (S. 7) geschaffen hatte. Rassisch oder politisch Verfolgte sahen ihre soziale Demontage neben Berufsverboten und dem Ausschluss aus Berufsverbänden, Reise- und Publikationsverboten oder der Aberkennung von Pensionsansprüchen auf ein weiteres persönliches Feld ausgeweitet. Die Maßnahme traf als „Nebenstrafe“ aber auch Graduierte, die nicht unter den quantitativ am stärksten verfolgten „Gegnergruppen“ des Dritten Reichs standen. Fast immer durch Denunziation in die Mühlen der Strafverfolgung geratenen Homosexuellen, Ärzten, denen Abtreibungen nachgewiesen werden konnten, oder Hörern von „Feindsendern“ wurde in tausenden Fällen als Begleitstrafe zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auch der Doktorgrad entzogen. Diese beiden Opfergruppen unterscheidet Chroust in seinen statistischen Erhebungen akribisch.

Ebenso detailliert analysiert der Frankfurter Historiker die juristische Genese der Verfolgung, die er in ihrem Entwicklungsgang von ersten Erlassen auf Landesebene in der zweiten Jahreshälfte 1933 bis zur letztlichen Verabschiedung eines Reichsgesetzes im Jahre 1939 nachzeichnet, dem allerdings in Folge der zahlreichen Ausbürgerungen des Jahres 1938 schon eine regelrechte Entzugswelle vorausgegangen war. Nach theoretisch kategorisierenden Überlegungen zu wissenschaftlichen, sozialen, materiellen und politisch-psychologischen Motiven und Effekten der Doktorgradentziehung besteht der Hauptteil der Arbeit Chrousts in Biogrammen zu den 47 ermittelten Giessener Fällen. Darüber hinaus hat der Autor deutschlandweit recherchiert und mit Ausnahme von Königsberg und Breslau eine quantitative Aufstellung aller im Nationalsozialismus erfolgten Doktorgradentziehungen erstellt, die auch die österreichischen Hochschulen berücksichtigt, die erwartungsgemäß nach dem Anschluss des Landes 1938 sprunghaft aufholten. Dabei schwanken die Zahlen von Universität zu Universität auffallend, was sich jedoch nicht allein aus einem unterschiedlich hohen Verfolgungsdruck erklären lässt, sondern auch im divergierenden lokalen Forschungsstand und mit dem teilweise beträchtlichen Aktenverlust begründet ist. Dass etwa das kleine Erlangen mit 163 von Chroust nachgewiesenen Fällen noch vor dem als besonders „jüdisch“ geltenden Frankfurt am Main mit 114 Depromotionen und der deutlich größeren Universität Berlin („mind.“ 53 Fälle) gelegen haben soll, ist nicht auszuschließen. Im Einzelnen ließe es sich aber nur durch einen oder mehrere besonders hart zur Sache gehende NS-treue Amtsträger in Universität oder Ministerium erklären, wie sie sich etwa in Bonn in Person des tiefbraunen Germanisten Karl Justus Obenauer, dem treibenden Keil der Aberkennung des Ehrendoktortitels für Thomas Mann 3, oder in dem für die Universität Leipzig zuständigen sächsischen Gauleiter Martin Mutschmann finden lassen. Letzterer antizipierte die Berliner NS-Rassegesetzgebung sogar durch eigene Dresdner Zwangsmaßnahmen.4

Eine Einzeluntersuchung zu einer Hochschule, die sich durch den Ehrgeiz einzelner Nationalsozialisten besonders mit Depromotionen hervortat, liegt seit 2007 mit Stefanie Harreckers bei Hans Günter Hockerts in München entstandener Dissertation vor. Bei rund 200 eingeleiteten Aberkennungsverfahren zeichnet auch sie in Biogrammen insgesamt 183 individuelle Fälle eines Doktorgradentzugs nach und geht dabei – wenn nachweisbar – auf die Rolle des in SD und SS tätigen Münchner Dekans und späteren Rektors, des Philologen Walther Wüst, ein. Diesem biographischen Hauptteil des Buches sind sechs analytische Kapitel vorangestellt, in denen die Autorin u.a. die konkreten Verordnungen als Grundlage der Doktorgradentziehungen untersucht oder sich dem praktischen Ablauf widmet, bei dem zwar besonders der Rektor Wüst eine treibende Rolle spielte, wie an anderen Universitäten aber auch jeweils mehrköpfige Ausschüsse beteiligt waren.

Gesondert betrachtet Harrecker zu Recht den Umgang mit den zu unterscheidenden akademischen Ehrentiteln (Ehrendoktorate und akademische Ehrenbürgerschaften) und deren Aberkennung. Hierbei fällt auf, dass nur zweimal eine Ehrenbürgerwürde aberkannt wurde, und Ehrendoktorgradentziehungen in München überhaupt nicht stattfanden. Als instrumentalisiertes Gegenteil zum Entzug von Graden wird in diesem Abschnitt die politisch motivierte Verleihung von Ehrendoktoraten untersucht. Beredte Beispiele sind etwa der NS-treue Benediktiner (sic!) Alban Schachleitner, der Präsident der „Akademie für Deutsches Recht“ Hans Frank oder der im Nationalsozialismus wohlgelittene schwedische Erfolgsautor Sven Hedin.

Subtilen Mechanismen der Kollaboration spürt Harrecker in dem Kapitel „Behinderung von Promotionen“ nach, das in gleichem Maße unrühmliche, wenn auch nicht direkt justitiable NS-Verstrickungen Münchner Professoren beschreibt, wie die weit in die Frühzeit der Bundesrepublik hineinreichende Darstellung über die Verdrängung der Vorgänge und die nur zögerliche Rehabilitierung. Gerade in diesem zeitlichen Ausgreifen, das auch die Aberkennung von in der NS-Zeit erworbenen Titeln aufgrund später nachgewiesener NS-Verbrechen der Promovenden einschließt, liegt der über den üblichen Zwölfjahresfokus hinausgehende Verdienst der Arbeit.

Wie Stefanie Harrecker, die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Universitätsarchiv München war, hat auch der Autor eines Sammelbandes zur Aberkennung von juristischen Doktorgraden an der Universität Leipzig einen arbeitstechnischen Heimvorteil. Jens Blecher, seinerseits Mitarbeiter im Universitätsarchiv Leipzig und Autor einer leider nicht gedruckt vorliegenden Dissertation zur Geschichte des Leipziger Promotionsrechts in toto, widmet sich in einem von Thomas Henne herausgegebenen Band dem Leipziger juristischen Promotionswesen.5 Er liefert hier aber nur den formaljuristischen und akademisch-prozeduralen Rahmen für die Untersuchung der 73 Fälle von Aberkennungen von Doktorgraden durch die Leipziger Juristenfakultät in der Zeit des Dritten Reichs. Die Erfassung und Bearbeitung dieser Depromotionen gelang unter der Leitung Thomas Hennes während einer Leipziger Lehrstuhlvertretung ungewöhnlich rasch. Dies ist umso erfreulicher, als es sich bei der Juristenfakultät in der Stadt des Reichsgerichts um eine durch Kriegsverlust überlieferungsarme und somit kaum untersuchte Fakultät der zeitgenössisch drittgrößten deutschen Universität handelt, für deren historische Erschließung hier in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten wird.

In seinem einleitenden Beitrag stellt Henne zutreffend heraus, dass dies angesichts der großen Namen des Fachs in der Zeit des Dritten Reichs erstaunt. Zeitweise hatten neben Ernst Rudolf Huber, Franz Wieacker und Friedrich Schaffstein dort mit Hans Gerber, Georg Dahm und Karl Michaelis später in der Bundesrepublik führende Professoren Lehrstühle inne, die für die innerfachliche Anziehungskraft Leipzigs im Nationalsozialismus sprechen. Und dass diese sich nicht aus dem Ruf Leipzigs als einer politischen Oase speiste, erhellt einerseits aus der exklusiven politischen Anbindung der Lehrkräfte, von denen mehrere 1940 auf der Wunschliste des Reichserziehungsministeriums für die nach dem Sieg über Frankreich in Wiederbegründung begriffene Reichsuniversität Straßburg standen. Andererseits spricht die Zahl von 73 Aberkennungen von Doktorgraden unter den Dekanaten der Genannten für die NS-Nähe der Fakultät (bei bisher „nur“ 174 nachgewiesenen Aberkennungsfällen an der gesamten Universität), wobei jedoch nicht verschwiegen werden darf, dass Leipzig mit seinen seit dem Kaiserreich traditionell hohen juristischen Promotionszahlen rein quantitativ auch besonders viele potentielle Verfahren ermöglichte.

Es macht sich bei Hennes Text wohltuend bemerkbar, dass hier ein Rechtshistoriker die Dinge überblickt und sie, freilich auch nicht frei von moralischen Wertungen, auf einen juristischen Boden stellt. Wenn Chroust für Giessen die Unterscheidung zwischen rassisch und politisch (also ex post übereinstimmend zu Unrecht) Verfolgten einerseits und im Sinne der seinerzeit geltenden Strafgesetze schuldig Gewordenen (also ex post mindestens latent zu Recht Verurteilten) andererseits als normativ haltbar aufrecht erhält, dringt Henne tiefer in die Materie ein und verweist auf die im Dritten Reichs nicht aufzulösende Verquickung tradierter rechtsstaatlicher und nationalsozialistischer Rechtsvorstellungen und -anwendungen. Es erscheint ihm daher ratsamer, primär „auf den Unrechtscharakter der […] Depromotionsverfahren abzustellen“, um in der Einzelfallprüfung „das unterschiedliche Maß an Unrecht zu betonen“ (S. 22), denen sich die Betroffenen ausgesetzt sahen. Diese generelle Unrechtsannahme bestätigt sich – der Rezensent ist sich auch seiner eigenen moralischen Wertung durchaus bewusst – in einer von Ralf Oberndörfer en passant in diesen Band eingestreuten Feststellung. Danach richteten sich die mehr als 2000 reichsweiten Aberkennungsverfahren der Jahre 1933 bis 1945 nur gegen Lebende, da die Maßnahme nicht posthum intendiert gewesen sei. Der aggressive Charakter dieser aktiven Schädigung von unliebsamen Zeitgenossen überwog demnach also sowohl bei politisch-rassischen als auch bei strafrechtlichen Ausgangspunkten von Depromotionen deutlich den akademischen Selbstkontrollmechanismus der Abstrafung von „Unwürdigkeit“. Diese kann übrigens – hier wird kaum jemand die gesetzlichen Bestimmungen der heutigen Bundesrepublik grundlegend in Frage stellen, außer bei Plagiaten auch „bei schweren Straftaten nach der Promotion“ (S. 23) noch immer wirksam werden, und wurde zuletzt im bekannten Fall „Schneider/Schwerte“ angewendet wurde.

Biographische Darstellungen zu allen 73 nachgewiesenen Fällen konnten wohl durch die Kürze der Entstehungszeit des Buches nicht recherchiert werden, weshalb der Leser auf den prosopographisch subsumierenden Aufsatz Oberndörfers sowie auf sieben Einzelporträts angewiesen bleibt. Anders als bei Harrecker fehlt dem Band auch eine systematische Untersuchung zum Umgang mit den Aberkennungen in der Nachkriegszeit. Dass darin ein lohnendes, wenn auch quellenmäßig nur äußerst schwierig zu leistendes Desiderat liegt, braucht angesichts der Neigung der stalinisierten Universität der 1950er-Jahre nicht eigens betont zu werden, die ihrerseits ebenfalls wenig zimperlich bei der Diskreditierung „imperialistischer“ und „faschistischer“ ehemaliger Promovenden durch die Aberkennung deren akademischer Grade vorging.

Mit Pioniereifer legten auch die Kölner Neuzeithistorikerin Margit Szöllözi-Janze und ein motiviertes Hauptseminar in nur einem Semester eine Darstellung zu Aberkennungsverfahren von Doktorgraden im Dritten Reich vor. 70 Fälle ermittelte die Gruppe für die gesamte Universität Köln. In zahlreichen, auch kleineren Beiträgen entwerfen Studenten nach einer allgemeinen Einleitung ein kleinteiliges Mosaik zu generellen Mechanismen und Kölner Spezialitäten. Unter ihnen findet sich auch der unerwartet zum Schmunzeln verleitende Fall des italienischen faschistischen Spitzenpolitikers und Politikwissenschaftlers Giuseppe Bottai, dessen Wechsel ins Lager der Mussolini-Gegner im Juli 1943 von den deutschen Wächtern der reinen totalitären Lehre nicht unbemerkt blieb und ihm prompt die Aberkennung seines erst fünf Jahre alten Kölner Ehrendoktors einbrachte.

Überhaupt liegt der Vorzug des Bandes in dem biographischen Teil, zumal zu zwölf „Einzelschicksalen“. Neben dem Sozialwissenschaftler Ossip K. Flechtheim und dem Juristen und Literaturwissenschaftler Hans Mayer werden hier auch weniger bekannte Promovenden der 1933 erst ein reichliches Jahrzehnt alten städtischen Universität in Erinnerung gerufen. Dies gilt etwa für Lotte Schlesinger, deren Dissertation über jüdische Zeitungen in der Weimarer Republik von Martin Spahn ungeachtet ihrer jüdischen Herkunft betreut wurde. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Arbeit trat im April 1937 jedoch ein Ministerialerlass in Kraft, der die Promotion von „Nichtariern“ ausschloss, wodurch sich das nationalsozialistische Interesse auf die sich gegen diese Maßnahme wehrende Schlesinger richtete. Die Gestapo beschlagnahmte die eingereichten Exemplare und leitete sie an Walter Franks „Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschland“ weiter, wo man sich ebenfalls mit „wissenschaftlicher Judenforschung“ befasste. Erst 1946 wurde der nach England Emigrierten ihr Doktordiplom zugesandt.

Zwei im Zusammenhang mit jeweiligen Ausstellungen zu Doktorgradaberkennungen an den Universitäten Marburg und Göttingen entstandene kleinere Publikationen wählen ebenfalls den illustrativen biographischen Zugriff zum Thema. Für die Philipps-Universität Marburg hat Margret Lemberg bereits 2002 die 46 Aberkennungen im Dritten Reich ermittelt und einzelne Beispiele genauer untersucht. Ein gesonderter Abschnitt zum „Umgang der Philipps-Universität Marburg mit Ehrentiteln“ zeigt die Tendenz, hier nur zögerlich Aberkennungen vorzunehmen, was sich mit den Ergebnissen Harreckers in München deckt. Anderseits wurde die Verleihung von Ehrendoktoraten klar nationalsozialistisch instrumentalisiert, da Titel nur noch mit Zustimmung des Länderministeriums vergeben wurden und auf diese Weise 1939 etwa der ehemalige Fregattenkapitän und Anführer des berüchtigten Studenten-Bataillons bei Mechterstädt in Thüringen von 1920, Bogislav von Selchow, zu einer Marburger Ehrensenatorenwürde kam.

Begleitend zu einer dokumentarischen Ausstellung über die Aberkennung von Doktorgraden an der Georg-August-Universität Göttingen im Herbst 2004 ist auch dort ein Band erschienen. Herausgegeben und im Wesentlichen erarbeitet von Kerstin Thieler enthält er ebenfalls Einzelbiogramme zu sieben der über 70 dortigen Depromovierten. Hier finden sich allerdings nur die prominentesten Opfer porträtiert, unter denen in Göttingen gleich zwei Nobelpreisträger, Ludwig Quidde und Max Born, zu finden sind. In seinem einleitenden Aufsatz geht der Neuzeithistoriker Bernd Weisbrod weit über das eigentliche Thema hinaus und liefert neben der Schilderung der Göttinger Aberkennungsvorgänge an sich auch eine bestechend klare Analyse des Einwirkens von NS-Herrschaftsmustern auf das alles andere als von der restlichen Gesellschaft entkoppelte Feld universitärer Selbstverwaltung. Seine knappe Deutung des Depromotionsunwesens als „legale Diskriminierung und universitäre Selbstmobilisierung“ ordnet die bereitwillig umgesetzten Schikanen in den Kreis anderer, den „Anschein von Normalität“ wahrender „alltägliche[r] Willkür“-Maßnahmen (S. 11) des NS-Staates ein, auf die auch Harrecker und Henne verweisen.

Bei allen Publikationen muss darauf hingewiesen werden, dass die angegebenen Aberkennungszahlen nur Näherungswerte sein können, da mit den teilweise gezielt vernichteten Akten noch weitere Fälle vergessen gemacht worden sein könnten. Selbst wenn, wie im Falle der Leipziger Philosophischen Fakultät, die alle (positiven) Promotionsverfahren verzeichnenden Promotionsbücher erhalten sind, gibt es trotz der bis zum Ende des Krieges feststellbaren Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparats keine Garantie dafür, dass dort nachträglich auch sämtliche Aberkennungen „eingestempelt“ worden sind und nicht doch einzelne vergessen wurden. Wer etwa in die Emigration ging, sich eine neue Existenz aufbaute und oftmals mit der alten Heimat brach, wendete sich nach dem Krieg nicht automatisch wieder nach Deutschland, um die Rücknahme von dort an ihm begangenem Unrecht zu veranlassen. Es ist anzunehmen, dass eine große Zahl von Ausgewanderten den Reichsanzeiger nicht eben zu ihrer täglichen Lektüre zählten und so überhaupt nicht von der Aberkennung des eigenen akademischen Grades erfuhren. Umso begrüßenswerter ist es, dass etliche deutsche Universitäten sich dieses Kapitels ihrer Geschichte angenommen haben, wenn auch zu fragen bleibt, weshalb das ehrende Gedenken erst im sechsten Nachkriegsjahrzehnt übergreifend einsetzt – mithin für nahezu alle Betroffenen zu spät.

Anmerkungen:
1 An neueren Arbeiten zu 15 der vor 1933 bestehenden 21 deutschen Hochschulen mit Promotionsrecht seien genannt: Borchard, Klaus (Hrsg.), Opfer nationalsozialistischen Unrechts an der Universität Bonn. Gedenkstunde anlässlich der 60. Wiederkehr der Reichspogromnacht. Bonn 1999; Happ, Sabine, Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung von akademischen Graden. Eine Auswertung der Rundschreiben deutscher Universitäten in der NS-Zeit, in: Dies.; Nonn, Ulrich (Hrsg.), Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich zum 65. Geburtstag. Berlin 2004, S. 283-296; Moritz, Werner, Die Aberkennung des Doktortitels an der Universität Heidelberg während der NS-Zeit, in: Kohnle, Armin; Engehausen, Frank (Hrsg.), Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast. Stuttgart 2001, S. 540-562; für Österreich stellvertretend Posch, Herbert; Stadler, Friedrich, (Hrsg.), „… eines akademischen Grades unwürdig.“ Nichtigerklärung von Aberkennungen akademischer Grade zur Zeit des Nationalsozialismus an der Universität Wien. Wien 2005.
2 In Vorbereitung befinden sich Arbeiten zu den Universitäten und Technischen Hochschulen (diese hatten seit Beginn der Weimarer Republik Promotionsrecht) Freiburg, Kiel, Dresden, Karlsruhe und Stuttgart. Auch Erlangen hat jüngst für seine Medizinische Fakultät eine Initiative ins Leben gerufen, deren Ergebnisse als Sonderband in der Reihe „Erlanger Forschungen“ veröffentlicht werden sollen (<http://www.startblatt.net/news/de/20080708234527392> (11.07.2008)). Über die Depromotionen an der Universität Tübingen informiert ein Hinweis auf deren Homepage (<http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pm/pm2003/pm703.html> (11.07.2008)).
3 Zur Universität Bonn vgl. Hübinger, Paul Egon, Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. Drei Kapitel deutscher Vergangenheit aus dem Leben des Dichters 1905-1955, München u.a. 1974; und zuletzt Forsbach, Ralf, „Des Tragens eines akademischen Grades unwürdig.“ Der Entzug von Doktorgraden während des Nationalsozialismus und die Rehabilitierung der Opfer am Beispiel der Universität Bonn, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 67 (2003), S. 284-299.
4 So Lambrecht, Ronald, Politische Entlassungen in der NS-Zeit. Vierundvierzig biographische Skizzen von Hochschullehrern der Universität Leipzig. Leipzig 2006, S. 23.
5 Blecher, Jens, Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht. Das Leipziger Promotionsrecht zwischen 1409 und 1945 als konstitutives und prägendes Element der akademischen Selbstverwaltung. Diss. phil. Halle-Wittenberg 2006 (<http:/sundoc.bibliothek.uni-halle.de/diss-online/06/06H046/of_index.htm> (11.07.2008)). Aus dem Kontext dieser Arbeit stammt auch eine weitere einschlägige Untersuchung Blechers: Akademische Graduierungen und deren Entzug im Dritten Reich und in der DDR. Untersuchungen am Beispiel der Universität Leipzig, in: Döring, Detlef (Hrsg.), Universitätsgeschichte als Landesgeschichte: Die Universität Leipzig in ihren territorialgeschichtlichen Bezügen. Leipzig 2007, S. 163-183. Über die Mitteilung der ermittelten Gesamtzahl von 174 Leipziger Depromotionen in den Jahren 1933-1945 und die Beschreibung der Entziehungsmechanismen kommt Blecher (Anm. 5, S. 288-296) in seiner thematisch freilich viel breiter angelegten Arbeit nicht hinaus.

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