Kaufhold, K. / Reininghaus, W. (Hg.), Stadt und Handwerk

Cover
Titel
Stadt und Handwerk in Mittelalter und Früher Neuzeit.


Herausgeber
Kaufhold, Karl Heinrich; Reininghaus, Wilfried
Reihe
Städteforschung A 54
Erschienen
Köln u.a. 2000: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
X + 312 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Doris Bulach, Historisches Institut der Universität Greifswald

Erwartet man bei dem Titel ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Aufsätzen zum Mittelalter und der frühen Neuzeit, so wird man schon beim Blick in das Inhaltsverzeichnis enttäuscht. Abgesehen von M. Diefenbacher behandeln die Autorinnen und Autoren – neben kurzen Rückgriffen ins Mittelalter – die Zeit vom 16.-19. Jahrhundert. Darin spiegelt sich nach Kaufhold der allgemeine Forschungsstand der Niederlande, Österreichs, Schwedens und Deutschlands zum Thema Stadt und Handwerk wider. Die insgesamt zwölf in diesem Band versammelten Aufsätze gehen auf Vorträge der Frühjahrstagung des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster aus dem Jahre 1999 unter der Leitung der Herausgeber zurück.

In seinem einleitenden Überblicksartikel (Stadt und Handwerk. Eine Einführung in Forschungsprobleme und Forschungsfragen), der gleichzeitig wegweisend für die weitere Beschäftigung mit dem Thema Handwerk ist, stellt Wilfried Reininghaus zutreffend fest, dass „ein Forschungsprojekt wie das Handwerk nachgerade die Überschreitung scheinbar festzementierter Epochengrenzen [verlangt]“ (1). Für den vorliegenden Band hätte man sich gerade dafür mehr Beispiele gewünscht. Die von Reininghaus mitinitiierte Tagung setzt dennoch forschungsgeschichtlich Zeichen: Das Thema Handwerk liegt, im Gegensatz zu vielen europäischen Nachbarländern, in Deutschland (nach einem Boom in den 80er Jahren) heute größtenteils außerhalb des historischen Forschungsinteresses.

Reinhold Reith überprüft in seinem Beitrag „Technische Innovation im Handwerk der frühen Neuzeit? Traditionen, Probleme und Perspektiven der Forschung“ kritisch die in der älteren Forschung einhellige Meinung, dass das Handwerk seit der frühen Neuzeit technischen Innovationen negativ gegenüberstand. Um diese einseitige Sicht zu relativieren, dekonstruiert Reith wirkungsvoll zwei Topoi der älteren Forschung: die sogenannte Thorner Zunftordnung aus dem Jahr 1523, der bisher eine „Kronzeugenfunktion“ (28) für die Technikfeindlichkeit der Zünfte zukam, und die Ablehnung der Bandmühle im 17. Jahrhundert durch die Zünfte. Betrachtet man beide Beispiele näher, so lässt sich ihre Beweisfunktion für eine Fortschrittsfeindlichkeit des Handwerks nicht länger halten. Oft standen nicht die Zünfte Neuerungen entgegen, sondern neben der Überschätzung bestimmter technischer Innovationen durch die Forschung sprachen außer ökonomischen oft auch technische Argumente gegen die Einführung von Erfindungen. Viele Innovationen im Handwerk gingen, wie die Erfindung des Schraubstockes Anfang des 16. Jahrhunderts, geräuschlos und ohne erkennbare Widerstände der Handwerker vor sich – Erfindungen, auf die sowohl Arbeitserfahrung als auch die Gesellenmigration und hohe Qualitätsansprüche einen nicht zu unterschätzenden Einfluss hatten.

Diesen beiden grundlegenden Aufsätzen folgen zehn Einzelstudien, die das Handwerk in verschiedenen Städten und Regionen beleuchten. Karin Keller (Kleinstadt und Handwerk. Strukturen und Entwicklungstendenzen im 18. Jahrhundert) untersucht in ihrer von Statistiken etwas überlasteten Arbeit das Handwerk kursächsischer Kleinstädte anhand von zwei „prästatistischen Quellen“ (63) um 1800. Sie ordnet dabei die Städte, zu denen die Quellen statistische Angaben erlauben, drei methodisch fragwürdigen Großgruppen unter: Ackerbürger-, Berg- und Exportgewerbestädte. Exemplarisch wird jeweils eine Stadt aus den oben genannten Gruppen nach verschiedenen Kriterien untersucht: Schildau, Aue und Frohburg, denen ohne weitere Erklärung der Amtssitz Delitzsch zur Seite gestellt wird. In diesen Städten (mit graduellen Unterschieden zwischen Ackerbürger- und Exportgewerbestadt) stellt Keller für den Untersuchungszeitraum insgesamt zahlreiche Ähnlichkeiten fest, sowohl was Berufsstruktur, Zunftorganisation, Produktionsumfang als auch Marktbeziehungen betrifft.

Elke Schlenkrich und Helmut Bräuer (Armut, Verarmung und ihre öffentliche Wahrnehmung. Das sächsische Handwerk des ausgehenden 17. und 18. Jahrhunderts) versuchen den Einfluss der zahlreichen Not- und Krisenzeiten dieser Zeit auf das sächsische Handwerk nachzuzeichnen. Einer Definition von Armut und der Erklärung ihrer Vorgehensweise folgen verschiedene statistische Angaben zur Verarmung im für diese Region so entscheidenden Tuchgewerbe, der Verarmungstendenzen im Nahrungshandwerk zur Seite gestellt werden. Anschließend arbeiten sie anhand von sächsischen Beispielen überzeugend acht Indikatoren heraus, an denen diese Verarmung gemessen werden kann.

Der Artikel von Markus A. Denzel widmet sich dem „Professionistenwesen altbayerischer Städte im ausgehenden alten Reich und in der Montgelaszeit (1771-1812)“. Der Untersuchung liegen drei umfangreiche Statistiken zur altbayerischen Bevölkerung und dem Gewerbe aus der Zeit 1771/81, 1809/10 und 1811/12 zugrunde. Anhand dieser Statistiken untersucht Denzel nach methodischen Vorüberlegungen in größeren ober- und niederbayerischen Städten u.a. die Zusammensetzung der Handwerker, die Handwerkerdichte und den Anteil der Handwerker, die für Luxusbedürfnisse arbeiteten. Die Handwerkerdichte war generell in kleineren Städten größer und nahm in der Zeit um 1809/12 tendenziell ab. Der Anteil des Luxushandwerks am Gesamthandwerk war wie zu erwarten in der Residenzstadt München am bedeutendsten.

Ähnliche Statistiken aus der Zeit um 1800 wie für Altbayern liegen auch für den norddeutschen Raum vor und bilden die Voraussetzungen für die Arbeit von Kersten Krüger (Das Gewerbe in Altona und Kiel 1803, Rostock und Wismar 1819). Krüger war bemüht, seine Ergebnisse mit denjenigen von Denzel vergleichbar zu machen und kommt dabei für den norddeutschen Raum zu ganz ähnlichen Ergebnissen.

Den Untersuchungen einzelner deutscher Regionen folgt der Beitrag von Dag Lindström zu „Stadt und Handwerk in Schweden“, vornehmlich im 17./18. Jahrhundert. Generell war die Anzahl der Handwerker in den (von Stockholm abgesehen) zumeist kleinen Städten Schwedens, die zudem ausschließlich für den lokalen Markt produzierten, gering. Somit wird erklärbar, dass die Bildung von Zünften in den meisten Städten erst seit dem 17. Jahrhundert festzustellen ist. Die enorme Konkurrenz des starken Landhandwerks wurde erst durch die umfassende königliche Handwerkspolitik im 17. Jahrhundert massiv reduziert, die zum Erlass einer Generalzunftordnung für Schweden im Jahre 1720 führte.

Diesen Ergebnissen folgen Beiträge zu vier recht unterschiedlichen europäischen Städten: Wien, die „Kaiserstadt“ (304), Nürnberg als „Hochburg des Exportgewerbes“ (304), Münster als Textilgewerbestadt und die Mittelstadt ’s-Hertogenbosch in den Niederlanden. Josef Ehmer skizziert „Wien und seine Handwerker im 18. Jahrhundert“, wobei deutlich wird, dass Handwerk und Kleingewerbe dort die „Hauptträger des städtischen Wirtschaftswachstums im 18. Jahrhundert“ waren (197). Er weist nach, dass der Großteil der Wiener Handwerker dieser Zeit aus Bayern, Schwaben, Württemberg, Baden und der Rheinpfalz eingewandert war, nur 24 Prozent stammten aus Wien selbst. Dazu kam ein großer Anteil an italienischen Handwerkern, vor allem in den verschiedenen Baugewerben. Wie die Zünfte, in denen aber weniger als ein Drittel der Handwerker organisiert war, die verschiedenen Ethnien integrierten oder ausgrenzten, untersucht Ehmer in einem weiteren Kapitel. Gründe sowie Art und Weise der enormen Einflussnahme des Staates im 18. Jahrhundert auf das österreichische Zunftwesen bildet den Abschluss dieses überzeugenden Beitrags.

Michael Diefenbacher (Massenproduktion und Spezialisierung. Das Handwerk in der Reichsstadt Nürnberg) richtet als einziger Autor des Bandes sein Interesse auf das Mittelalter. Die außergewöhnlich gute Quellenlage erlaubt ihm, neben statistischen Angaben zu den Einwohnern auch Aussagen zum Anteil der Handwerker in Nürnberg und ihren charakteristischen Gewerbegruppen seit dem 14. Jahrhundert zu treffen. Nach dem Verbot von Zünften in Nürnberg durch Karl IV. 1349 regelte seit 1470 das dem Rat unterstellte Rugamt alle das Handwerk betreffenden Fragen; bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit blieben die Handwerker ohne Selbstverwaltungsmöglichkeiten und politischen Einfluss. Trotzdem verfügte die Stadt über ein leistungsfähiges und differenziertes Handwerk, dem von der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis ins 17. Jahrhundert hinein teils mehr als fünfzig Prozent der Stadtbevölkerung angehörte.

Von Münster aus wurden seit dem 15. Jahrhundert Leinenstoffe auf allen wichtigen europäischen Märkten verhandelt. Welchen Ursprung diese in Münster an der städtischen, sogenannten Legge besiegelten Stoffe jedoch hatten, untersucht Christof Jeggle für das 17. Jahrhundert in seinem Beitrag „Leinenherstellung in Münster. Nebenerwerb und organisiertes Handwerk“. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass ein Großteil des Leinens aus der ländlichen Produktion und aus städtischem Nebenerwerb stammte. Um dieser Konkurrenz Herr zu werden, bemühten sich die wenigen in Münster eingebürgerten Leineweber Anfang des 17. Jahrhunderts um die Gründung einer vom Rat geförderten Bruderschaft. Auch diese späte Maßnahme bewahrte weder Rat noch Leineweber vor dem Bedeutungsschwund der Stadt für den Leinenhandel seit dem 17. Jahrhundert.

„Arme und reiche Handwerker in ’s-Hertogenbosch am Ende des 18. Jahrhunderts“ behandelt Maarten Prak. Nach einem kurzen Überblick über die französische, niederländische und belgische Handwerksforschung versucht er anhand zweier Steuerregister aus der Zeit um 1775 die Wohlstandsunterschiede einzelner Gewerbe in der niederländischen Stadt ’s-Hertogenbosch/Den Bosch herauszuarbeiten. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass im für den lokalen Markt produzierenden Handwerk zünftisch organisierte Kleinbetriebe dominierten, in denen der Wohlstand relativ gleichmäßig verteilt war, während im Exportgewerbe (Tuchhandwerk) die kaum in Zünften organisierten Großbetriebe überwogen, in denen zudem eine starke soziale Polarisierung feststellbar ist.

Anschließend widmet Reinhard Spree (Handwerker und kommunale Krankenhäuser im 19. Jahrhundert) sein erstes Kapitel der Entstehung und Entwicklung von Krankenhäusern seit dem 18. Jahrhundert. Anhand von Arbeiten zur sozialen Zusammensetzung von Patienten in kommunalen Krankenhäusern verschiedener deutscher Städte kommt Spree zu dem Schluss, dass ihr Großteil im 19. Jahrhundert aus jungen, ledigen Männern der arbeitenden Unterschicht (Handwerksgesellen und Dienstboten) bestand, die die Krankenhäuser hauptsächlich wegen Hautkrankheiten, vor allem wegen der Krätze aufsuchten. Neben den Krankenhäusern entstanden spezielle Gesellenkrankenhäuser, deren Betrieb gerade in Süddeutschland zum großen Teil durch Pflichtbeiträge in eine „Krankenkasse“ gewährleistet wurde, während in Norddeutschland meist die kommunale Armenfürsorge für den Aufenthalt aufkam.

Der insgesamt sehr aufschlussreiche und für die weitere Beschäftigung mit dem Thema wegweisende Band wird abgerundet durch eine sehr gute thematische Zusammenfassung der Beiträge durch Karl Heinrich Kaufhold.

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