Titel
Slawen und Deutsche im Hochmittelalter östlich der Elbe. Archäologisch-historische Studien zur Siedlungsentwicklung


Autor(en)
Henker, Jens; Schöfbeck, Tilo; Weiß, Uwe
Reihe
Studien zur Archäologie Europas
Erschienen
Anzahl Seiten
366 S.
Preis
€81,00
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Sabine Altmann, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Universität Leipzig

Mit den Transformationsprozessen des Hochmittelalters wurde die slawische Bevölkerung östlich der Elbe zu einem bedeutenden Bestandteil der deutschen Geschichte, eine Tatsache, die wenig im öffentlichen Geschichtsbewusstsein verankert ist. Nichtsdestotrotz wurden die damit verbundenen strukturellen und herrschaftlichen Veränderungen innerhalb der Germania Slavica, bei denen die slawische Bevölkerung eine nicht unwesentliche Rolle spielte, bereits seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts von namhaften Mediävisten als ein wesentlicher Bestandteil dieser Transformationsprozesse verstanden. Dem Landesausbau in den ursprünglich slawisch besiedelten Gebieten, der vor allem mit der Übernahme westlicher Wirtschafts- und Rechtsformen verbunden ist, kommt dabei eine besondere Aufmerksamkeit zu. Mit Band 8 der „Studien zur Archäologie Europas“ des Habelt-Verlages Bonn liegen nun drei Magisterarbeiten vor, die am Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte der Humboldt-Universität Berlin entstanden sind und als archäologisch-historische Studien einen Beitrag zu dieser Geschichte der Siedlungsentwicklung bieten. Unter Anwendung unterschiedlicher Methoden werden dabei drei Regionen innerhalb der Germania Slavica untersucht.

Den ersten Teil des Bandes bildet die Arbeit von Jens Henker, dessen Forschungen sich auf die Veränderungen einer slawischen Siedlungslandschaft im ländlichen Raum der beiden heutigen Landkreise Barnim und Märkisch-Oderland konzentrieren, der im Laufe des 13. Jahrhunderts in den Herrschaftsbereich der Askanier integriert wurde.1

Den Einfluss auf die slawische Siedlung untersucht Henker anhand der Analyse von Siedlungsverlagerung und Siedlungskonstanz sowie der Dorf- und Flurstrukturen einzelner Siedlungen. Auf diese Weise nähert sich Henker einem Vorgang, der wenig Niederschlag in den schriftlichen Quellen fand, trotzdem er das Bild der Siedlungslandschaft bis heute geprägt hat. Der Untersuchung werden die wichtigsten Methoden der Dorfkernarchäologie zugrunde gelegt und archäologische, schriftliche und onomastische Quellen sowie die Orts- und Flurformen ausgewertet, wobei Henker der kritischen Einschätzung der Aussagefähigkeit der einzelnen Quellen mit großer Sorgfalt begegnet (S. 18-25). Anschließend an eine Darstellung der spätslawischen Besiedlung (S. 26-27), der eine detaillierte Aufnahme aller slawischen Funde zugrunde liegt (Katalog S. 93-138 darin enthalten auch die spätmittelalterlichen Funde), widmet er sich der Genese der einzelnen Dörfer (S. 33-46). Mittels der sicheren Anwendung seiner eingangs erläuterten Methode gelingt es Henker, ein sehr detailliertes, aber auch differenziertes Bild über die Umstrukturierungen der Siedlungslandschaft zu entwerfen. Dies wird besonders bei der Betrachtung der Dörfer mit einer slawischen Vorbesiedlung deutlich. Eine ethnische Interpretation von einzelnen Quellen (S. 21-23, 24, 59-66) lehnt Henker ab und kann dies eindrücklich belegen (S. 33-46, S. 59-66, S. 60 Tabelle 4, S. 61 Tabelle 5, S. 66 Tabelle 7). Angenehmerweise strapaziert er auch die Aussagefähigkeit der archäologischen Quellen nicht über, wenn es beispielsweise um den konkreten Anteil der Slawen am hochmittelalterlichen Landesausbau geht. Trotzdem kann er mithilfe des gesamten Methodenspektrums der Dorfkernarchäologie den Anteil der slawischen Bevölkerung am hochmittelalterlichen Landesausbau im Barnim und im nördlichen Teil des Landes Lebus höher einschätzen, als das in der älteren Forschung angenommen wurde (S. 68, 70).

Mit einem Raum in seinen historischen Grenzen befasst sich die Magisterarbeit von Tilo Schöfbeck. Ausgehend von der Annahme, dass für die mittelalterlichen Vogteigrenzen die spätslawische Landesgliederung von entscheidender Bedeutung gewesen sei, widmet er sich der mittelalterlichen Vogtei Sternberg. Diese gehörte zum Einflussgebiet der obodritischen Fürsten und gelangte seit der Mitte des 12. Jahrhunderts in den Machtbereich deutscher Territorialherren. Seine Arbeit basiert hauptsächlich auf der Auswertung schriftlicher und archäologischer Quellen. Da keine direkte Grenzbeschreibung dieser mittelalterlichen Vogtei überliefert ist, bietet die detaillierte Rekonstruktion der Grenzen aus den urkundlichen Erwähnungen heraus einen wesentlichen Bestandteil der Studie (S. 149-156). Verdeutlichen diese Darstellungen vor allem die Möglichkeiten der Auswertung diplomatischer Quellen, zeigen sie gleichzeitig den großen Interpretationsspielraum. Schöfbeck gelingt es jedoch, seine Überlegungen fundiert und nachvollziehbar zu gestalten und als Grundlage weiterer Diskussionen anzubieten.

Mit der Beschreibung der Burgen und Siedlungen der Sternberger Siedlungskammer zeichnet er die slawische Besiedlung nach, wobei die Einordnung der älteren Frühdatierungen entsprechend neuerer Untersuchungsergebnisse eine wichtige Ergänzung darstellt (S. 157-167). Die detaillierten Schilderungen der Vorgänge in den slawischen Siedlungskammern, die mit dem Ausbau des Landes einhergingen, sind ein wichtiger Beitrag zum Verständnis dieses Prozesses, an dem auch der einheimische Adel beteiligt war (S. 168-175, 184). Einen erweiterten Blick auf den hochmittelalterlichen Landesausbau ermöglicht die Rekonstruktion des mittelalterlichen Pfarreinetzes, wobei die dendrochronologische Datierung einiger Kirchenbauten einen grundlegenden Beitrag zur Bestimmung des Einsetzens des Prozesses darstellt (S. 176-180). Nach Schöfbecks Analysen knüpfte die Kirchenorganisation in der Anfangszeit an slawische Siedlungszentren an (S. 179). Sollten sich diese Annahmen trotz der teilweise erfolgten ethnischen Interpretation von Einzelquellen bestätigen (S. 174, 178, 183), würde das ähnlich wie es Uwe Weiß in der dritten und letzten in diesem Band vereinten Arbeit zeigen kann, den teilweise vorhandenen Einfluss der slawischen Landesgliederung auf hochmittelalterliche Strukturen verdeutlichen.

Als Otto I. dem Bistum Havelberg 946 den Zehnten in einigen slawischen Provinzen östlich der Elbe verlieh, wird dabei auch die provincia der Müritzer erwähnt,2 die sich wahrscheinlich weitestgehend im heutigen Müritzgebiet erstreckte und ebenfalls zum Einflussgebiet der obodritischen Fürsten gehörte. Dieser Raum, der seit dem 12. Jahrhundert auch in den Machtbereich deutscher Territorialfürsten gelangte, ist Gegenstand der Untersuchungen von Uwe Weiß. Zwar interessiert auch er sich für die Beziehungen zwischen slawischer Siedlung und hochmittelalterlichem Landesausbau, doch liegen Schwerpunkt und Verdienst seiner Untersuchungen eindeutig in der Erforschung der slawischen Siedlungsstrukturen. Er nähert sich seiner Fragestellung mittels der Auswertung archäologischer, onomastischer und schriftlicher Quellen und nutzt dazu die kartographisch-komparative Methode. Anhand der Kartierung von Fundstellen, landschaftsgliedernden Merkmalen und auch von schriftlichen Grenzbeschreibungen ist es ihm im ersten Teil der Arbeit möglich, einzelne Siedlungsgebiete, die er teilweise mit den überlieferten slawischen Stammesnamen in verschiedenen Zeitstufen verknüpft, herauszuarbeiten und damit auch die Gliederung der slawischen Besiedlung zu veranschaulichen (S. 245-265). Allein die Katalogisierung der archäologischen Quellen (S. 318-366), wie auch diejenige in den Arbeiten von Schöfbeck und Henker, bedeuten eine notwendige Aktualisierung eines teilweise 30 Jahre alten Forschungsstandes und eine Fortführung der Arbeiten, die einst durch eine intensive Bodendenkmalpflege geleistet wurden (S. 231-233 Abb. 2-4).3 Auch die Erstellung des Ortsnamenkataloges bietet eine Grundlage für weitere Forschungen (S. 296-317). Doch besticht die Arbeit von Uwe Weiß, ebenso wie diejenige Henkers, vor allem durch die hervorragenden Karten, wobei ein Blick auf die entsprechenden Legenden die differenzierte und wohl überlegte Basis der Analysen verdeutlicht.

In einem logisch arrangierten Auswertungsteil stellt Weiß seine Detailstudien in einen komparatistischen Zusammenhang und zeichnet damit ein Besiedlungsbild für den gesamten Untersuchungsraum (S. 266-287). Den Einfluss der slawischen Siedlung vermag Weiß mittels der Deckungsgleichheit einiger slawischer Siedlungskammern mit den hochmittelalterlichen terrae, die ab dem 12. Jahrhundert in den Quellen auftauchen, nachzuweisen (S. 283, 284 Abb. 39) – Strukturen, die aber bereits während des Fortschreitens des hochmittelalterlichen Landesausbaus überformt werden (S. 284).

Die drei Untersuchungen zeigen auf hervorragende Weise, wie es durch die Anwendung unterschiedlicher Methoden möglich wird, einen Teil der mittelalterlichen Geschichte nachzuzeichnen und den Einfluss der slawischen Siedlung in seinen unterschiedlichen Ausprägungen auf diesen Prozess herauszustellen. Alle drei Arbeiten stellen einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der slawischen Besiedlung und des hochmittelalterlichen Landesausbaus dar und machen deutlich, welchen Anteil die Siedlungsarchäologie zum Verständnis dieses Transformationsprozesses in Mitteleuropa beitragen kann. Die in einigen Details auch voneinander abweichenden Teilergebnisse, die freilich nicht die Gesamtaussagen in Frage stellen, sollten dabei als Diskussionsgrundlage und Anregung für weitere Untersuchungen auch anderer Regionen dieser Art verstanden werden.

Anmerkungen:
1 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass mit der Bezeichnung Land Lebus im Mittelalter ein Territorium umschrieben wurde, das viel weiter nach Süden ausgriff und dessen Siedlungen in die Untersuchung Henkers nicht einbezogen wurden.
2 Mecklenburgisches Urkundenbuch Band 1, Schwerin 1863, Nr. 14.
3 Joachim Herrmann / Peter Donat (Hrsg.), Corpus archäologischer Quellen zur Frühgeschichte auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik (7. bis 12. Jahrhundert), 1.-3. Lieferung, Berlin 1973/1979.

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