S. Burghartz; Ch. Hämmerle: Soldaten

Titel
Soldaten. L`Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, Jg. 12


Herausgeber
Burghartz, Susanna; Hämmerle, Christa
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 18,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Latzel, Bielefeld

Wenn nach Paul Veyne die charakteristische Anstrengung der Historie und gleichzeitig ihr Reiz darin bestehen, „sich über das zu wundern, was sich von selbst versteht“, dann kann am Reiz einer Geschichtsschreibung, die sich dem Verhältnis von Geschlechterkonstruktionen und Militär widmet, kein Zweifel bestehen. Wer diesen Reiz empfinden und dabei auch noch neue Erkenntnisse gewinnen will, sollte in das Heft der Zeitschrift „L`Homme“ mit dem Themenschwerpunkt „Soldaten“ blicken, in dem nach der symbolischen Verknüpfung von Militär bzw. Krieg und Geschlecht gefragt wird. Das Heft bewegt sich damit in einem seit den 1990er Jahren zusehends Konturen gewinnenden Forschungsfeld, auf dem kritische Militärgeschichte und Geschlechtergeschichte zusammenfinden.

Direkt dem Themenschwerpunkt gelten vier Aufsätze von Sandra Maß, Siegfried Mattl/Noora Sotaniemi, Martin Scheutz und Christine Eifler, auf die ich unten näher eingehen will. Diese Beiträge werden (mehr als) ergänzt durch zwei konzise Überblicke über den Forschungsbereich Militär/Krieg und Geschlecht, der in den englischsprachigen Ländern mittlerweile als vergleichsweise etabliert gelten kann. Im deutschsprachigen Raum bietet sich dagegen ein anderes Bild, wie die Bilanzen von zwei Protagonistinnen dieser Forschung zeigen: Die Militärsoziologin Ruth Seifert nennt in ihrer Skizze „’Militär und Geschlecht’ in den deutschen Sozialwissenschaften“ die „Lage der militärbezogenen Sozialforschung in Deutschland“ im internationalen Vergleich „desolater denn je“ (S. 135), während die Historikerin Karen Hagemann das Verhältnis von Militär- und Geschlechterforschung in der Geschichtswissenschaft angesichts der in den 1990er Jahren zu verzeichnenden Fortschritte verhalten positiv beurteilt; „mehr als das Entree“ sei freilich bislang nicht erreicht (S. 149).

Nahe am Themenschwerpunkt liegen schließlich der Beitrag von Elizabeth Harvey („’Man muß bloß einen unerschütterlichen Willen haben…’. Deutsche Kindergärtnerinnen und der nationalsozialistische ‚Volkstumskampf’ im ‚Distrikt Galizien’, 1941-1944“) sowie ein Gespräch zwischen der Soziolinguistin Ruth Wodak mit der Autorin und Filmemacherin Ruth Beckermann über deren Film „Jenseits des Krieges“, der 1995 in der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehmacht 1941-1944“ in Wien gedreht wurde.

Welche produktiven Fragestellungen, Aufschlüsse und Erkenntnisse bieten die vier zentralen Aufsätze des Heftes? Über Männer und Frauen zu schreiben heißt bekanntlich noch nicht, über Männer a l s Männer und über Frauen a l s Frauen zu schreiben, anders gesagt: Geschlechtergeschichte wird erst dann zur Perspektive auf ihren jeweiligen Gegenstand, wenn die Frage nach den Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit die Untersuchung nicht nur etikettiert, sondern wirklich strukturiert. Dies scheint mir in den einzelnen Beiträgen zum Teil weniger, zum Teil höchst überzeugend gelungen.
Der Aufsatz von Martin Scheutz („’…im Rauben und Saufen allzu gierig’. Soldatenbilder in ausgewählten Selbstzeugnissen katholischer Geistlicher aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges“) scheint mir unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive am wenigsten ertragreich zu sein. Scheutz’ Auswertung von Aufzeichnungen neun männlicher und weiblicher Klosterinsassen über ihre Kriegserfahrungen schließt sich jüngeren militärgeschichtlichen Versuchen an, das stereotype Bild vom Soldaten des Dreißigjährigen Krieges als Plünderer, Vergewaltiger und Mordbrenner zu differenzieren. Der zeitgenössische Blick auf die Soldaten kannte, wie Scheutz zeigt, durchaus Abstufungen in deren Wahrnehmung entlang der Trennungslinien von Freund und Feind, Konfession oder militärischem Rang, die teilweise positive Erwartungshaltungen erlaubten, durch die konkreten Erfahrungen jedoch immer wieder konterkariert wurden, so daß schließlich das Bild von der disziplinlosen, alkoholisierten, gewalttätigen Soldateska eher bestärkt wurde. Die von Scheutz ebenfalls gestellte (und aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive erst wirklich interessante) Frage nach Veränderungen in den „Geschlechterrollen“ (S. 54) als Folge der Konfrontation von klösterlicher Welt und Krieg wird dagegen eher akzidentell behandelt. Die Feststellung, daß - im Gegensatz zur ausführlicheren Schilderung von Gewaltexzessen gegen Männer - die physische und sexuelle Gewalt gegen Frauen in den Schriften der Geistlichen allenfalls kursorisch thematisiert wurde, leitet über zu Beispielen für einen „Rollenwechsel in Kriegszeiten“ (S. 70): So konnten Nonnen nach dem Vorbild „jungfräuliche“ Städte verteidigender Frauen zur bewaffneten Notwehr gegen soldatische Eindringlinge greifen, und auch männliche Geistliche schritten hin und wieder zur Tat.

Daraus jedoch zu bilanzieren, daß der Krieg „männliche wie weibliche Geistliche vor die Notwendigkeit (stellte), ihre Rollenbilder zu überdenken und in kritischen Situationen den Umständen gemäß neu zu definieren“ (S. 72), ist mir viel zu weit gegriffen. Diese Überinterpretation einer ungewöhnlichen Praxis ist freilich im Begriff der „Geschlechterrolle“ bereits angelegt. Gisela Bock hat schon 1983 betont, daß dieser Begriff ad acta gelegt werden sollte, da die soziale Zuschreibung „Geschlecht“ erheblich „tiefgreifender, weniger austauschbar und weniger wandlungsfähig“ ist, als es der soziologische Rollenbegriff impliziert. 1 Ferner: Die Argumentation setzt voraus, was dem Text leider fehlt, nämlich eine Einbettung in die zeitgenössischen Zuschreibungen, denen entsprechend sich Äbte und Äbtissinnen, Mönche und Nonnen üblicherweise zu verhalten hatten (etwa: Überschritt eine kämpfende Nonne ihre „Rolle“ als Geistliche oder ihre „Rolle“ als Frau? Und was hätten diese von ihr jeweils verlangt?), also eine genauere Bestimmung der Bedeutung von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ sowie des relativen Gewichts solcher Geschlechtskategorien im Zusammenhang mit sozial bzw. ständisch gebundenen Kategorien (die sich etwa vermischten, wenn Äbtissinnen als Grundherrinnen auftraten). Erst damit könnte wirklich von einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive die Rede sein, die aufschließende Kraft gewinnt.

Auch im Beitrag von Siegfried Mattl und Noora Sotaniemi („’Kameradschaft’. Funktion und Entwicklung eines Dispositivs im Nachkriegsösterreich“) liefert die geschlechtergeschichtliche Perspektive noch nicht wirklich die Grundlage der Argumentation, sondern hier dominiert die Frage nach dem Verhältnis von traumatischer Erfahrung und Erinnerung. Dieser im Zusammenhang mit Kriegerfahrungen zweifellos zentralen Frage wird anhand der Untersuchung von zehn Erinnerungsinterviews mit ehemaligen österreichischen Teilnehmern am Krieg der Wehrmacht in Finnland nachgegangen. Die Interviews werden befragt auf die Wahrnehmung des fremden, bedrohlichen Landes und seiner Bevölkerung, das Verhältnis zu den finnischen Soldaten (zunächst „Waffenbrüder“, ab 1944 Gegner), deren Einzelkämpfertaktik den Veteranen als „indianisch“ galt, sowie zu den finnischen Frauen-Hilfskompanien, deren kämpferisches Selbstbewusstsein die Soldaten höchst irritierend fanden, beides für Mattl/ Sotaniemi Hinweise auf deren „spezifisch virile Ideologie“ (S. 41). In den Erinnerungen, so eine zentrale These, finden traumatische Kriegserlebnisse keinen Ort, das „Körpergedächtnis“ (S. 34), in denen diese aufbewahrt wurden, wird darin gebannt. Diese nach Sinnstiftung verlangende Leerstelle wurde vor allem mit einem Konzept von „Kameradschaft“ aufgefüllt, das auf literarische Traditionen zurückgreifen sowie nach dem Krieg politisch und im Rahmen des „Geschlechterkrieges“ (S. 50) funktionalisiert werden konnte. So aufschlussreich diese Überlegungen über Trauma und Gedächtnis auch sind: Auch hier wird die geschlechtergeschichtliche Perspektive nicht wirklich entfaltet. Was die „Virilität“ ausmacht, speziell vor dem Hintergrund der Traumatisierung, die in den Ausführungen ebenfalls kaum Gesicht gewinnt, bleibt solange unterbestimmt, wie das Verhältnis von Männlichkeit und (körperlicher wie seelischer) Verletzbarkeit nicht näher konzipiert wird.

Wie das geschehen kann, wird von Sandra Maß („Das Trauma des weißen Mannes. Afrikanische Kolonialsoldaten in propagandistischen Texten, 1914-1923“) beeindruckend demonstriert. Ihrer Analyse der deutschen Propaganda gegen den französischen Einsatz afrikanischer Kolonialsoldaten im Ersten Weltkrieg und während der Rheinlandbesetzung liegt eine originelle Fragestellung zugrunde: Sie erweitert herkömmliche politik- und sozialgeschichtliche sowie neuere diskurstheoretische Zugänge zur Propaganda um die Frage nach den „Konstitutionsbedingungen von Propaganda und Subjekt“ (S. 13) und liest die Propagandatexte als „Heilungsversuche“, d.h. als Versuche, die Verheerungen der Kampfhandlungen des Krieges, „die psychische(n) und physische(n) Fragmentierungen des Männerkörpers zu thematisieren, ohne direkt von den Traumata sprechen zu müssen“ (S. 15). Die hegemonialen Männlichkeitskonstrukte vom abenteuerlichen Kämpfer oder vom sauberen Technokraten im Ersten Weltkrieg widersprachen diametral den Erlebnissen von Verletzbarkeit und Zerbrechlichkeit, von Schmerz und Angst, die nach Sinn schrieen. Die Propaganda trat an, diesen Sinn zu liefern, nämlich sowohl den zerstückelten weißen Soldatenkörper, der die Illusion männlicher Unverletzbarkeit ad absurdum führte, wie auch die Legitimität des Krieges zu retten, indem sie die afrikanischen Soldaten als die eigentlichen Verstümmler von Verwundeten und Schänder von Leichen darstellte. Nicht die grausame Waffenwirkung des Krieges zerstückelte die weißen Körper, sondern „schwarze Barbaren“, die den deutschen Soldaten damit Opfertod und Ehre nahmen.

Auch bei der Analyse der Propaganda zur Rheinlandbesetzung erweitert Maß den Blick, indem sie nicht nach dem bislang oft hergestellten Zusammenhang zwischen Frauenkörper und „Volkskörper“, sondern zwischen diesem und dem Männerkörper fragt. Die drohende Verletzung wurde nunmehr propagandistisch vom Männerkörper auf den „Volkskörper“ übertragen. Die afrikanischen Besatzungssoldaten galten als sexualpathologische „Fremdkörper“, die den weißen Rassenkörper, vermittelt über die Bedrohung der weißen Frauenkörper, bedrohen, zersetzen, infizieren und damit die Männerkörper zum Schutz beider herausfordern. Die Propaganda gegen die „schwarze Schmach“ wird erneut zum Heilungsversuch, zum Versuch, durch Wiedererlangen der politischen Souveränität den „Volkskörper“ wieder zusammenzusetzen. Durch ihre Verknüpfung von Männlichkeit, Körper, „Volkskörper“ und Verletzbarkeit eröffnet Maß eine Fülle von weiterführenden Perspektiven zur Untersuchung des Zusammenhangs von Geschlechterkonstruktionen und Traumatisierung, die nicht zuletzt für die Frage nach der Bedeutung dieses Verhältnisses für die erneute paradoxe Suche nach „Heilung“ im Zweiten Weltkrieg fruchtbar gemacht werden können.

Nicht minder beeindruckend schließlich der Aufsatz von Christine Eifler („Bewaffnet und geschminkt: Zur sozialen und kulturellen Konstruktion des weiblichen Soldaten in Russland und den USA“): Sie fragt nach den Auswirkungen der zunehmenden Einbeziehung von Frauen ins Militär für die Konstruktion der Geschlechterdifferenz. Der Fluchtpunkt ihrer Argumentation ist die „institutionelle Verknüpfung von Männlichkeit und Gewalt“ (S. 76), die historisch mit der Einführung der Wehrpflicht gekoppelt war und nun mit jeder zusätzlichen Soldatin stärker infrage gestellt wird. Von besonderer Bedeutung ist die damit verbundene allmähliche Auflösung dichotomischer Zuordnungen von „männlicher“ Verletzungsmacht (eine Zuschreibung, die so einlinig freilich, wie Sandra Maß zeigte, nicht funktioniert) und „weiblicher“ Verletzungsoffenheit, die weit über das Militär hinaus einen zentralen Bestandteil der Konstruktion von Geschlechterdifferenz und von Geschlechterhierarchien ausmachen. Es gelingt Eifler überzeugend, sowohl theoretisch wie auch empirisch am Beispiel Rußlands und der USA den heftigen Widerstand (bis hin zur sexuellen Gewalt) in den Streitkräften gegen die Integration von Frauen aus der Bedrohung dieser Geschlechterhierarchien begreiflich zu machen, wobei sie historisch bis zum Zweiten Weltkrieg zurückblickt. Ungeachtet der erheblichen Unterschiede zwischen beiden Ländern zeigt sich, daß trotz aller Professionalisierungstendenzen sowohl in der politischen Öffentlichkeit wie im Militär über Geschlechterzuordnungen vermittelte Ausschlußstrategien weiterhin greifen und daß sich die Machtbeziehungen innerhalb des Militärs nicht verändert haben.

Abschließend noch eine Bemerkung zum (auch von mir) gern verwendeten Begriff der „Konstruktion“. Dem unbedingt lesenswerten Beitrag von Elizabeth Harvey über die deutschen Kindergärtnerinnen im „Distrikt Galizien“ kann man neben vielem anderen, insbesondere über die Frage der weiblichen „Mittäterschaft“ im rassistischen Vernichtungskrieg, auch die folgende Episode entnehmen: „Neulich“, so heißt es im „Monatsbericht“ einer Kindergartenleiterin an die Distriktreferentin in Lemberg vom Januar 1944, „hatten wir einen netten Vorfall im Kindergarten. Wir haben zwei Sorten Löffel, Aluminium von der Dienststelle und Messing aus Judenbeständen. Da sitzen wir alle am Tisch, haben die Suppe im Teller und auch schon das Tischlied gesungen. Unser kl. Alexander 3 Jahre alt rührt weder Löffel noch Suppe an, da sag ich, Alexander mußt schön essen. Da sagt er: Ich möchte einen Deutschland-Löffel - damit meinte er den blanken Aluminium-Löffel“ (S. 122). Diese Episode mag daran erinnern, daß wir es bei der „Konstruktion“ (keineswegs nur) von Geschlechterverhältnissen nicht nur, wie oft nahegelegt wird, mit Diskursen zu tun haben, sondern mit (auf den ersten Blick oft unscheinbaren) Praxisformen, deren sinnliche Grundlage, für die hier der schimmernde Löffel steht, zwar oft nur schwer in den Quellen greifbar ist, aber nicht hinter der Rede von „Diskursen“ verschwinden sollte.

Anmerkung:
1 Gisela Bock, Historische Frauenforschung: Fragestellungen und Perspektiven, in: Karin Hausen (Hg.), Frauen suchen ihre Geschichte, München 1983, S. 22-60, Zitat S. 39.

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