Titel
American Creation. Triumphs and Tragedies at the Founding of the Republic


Autor(en)
Ellis, Joseph J.
Erschienen
New York 2007: Knopf Publishing
Anzahl Seiten
283 S.
Preis
$ 26.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wollschläger, Deutsche Nationalbibliothek

Joseph Ellis ist einer der produktivsten US-amerikanischen Historiker zum Bereich der Gründerzeit der Vereinigten Staaten. Als Ford Foundation Professor für Geschichte am Mount Holyoke College in South Hadley, Massachusetts (USA) hat er sowohl eine Reihe von Einzelbiographien zu den ersten amerikanischen Präsidenten vorgelegt (namentlich Washington, Adams und Jefferson), als auch die Gründergeneration der jungen Nation als solche in prägnanten Vergleichsstudien untersucht 1. Dabei gelingt es Ellis in jedem seiner Werke – und das neueste stellt darin keine Ausnahme dar –, eine gleichzeitig präzise und wissenschaftlich sehr umfassend referenzierende Darstellung mit einem sehr lesbaren Erzählstil zu verbinden. „[A] narrative is the highest form of historical analysis“, beschreibt Ellis selbst seine Vorgehensweise (Vorwort, S. X). Daraus ergibt sich fast folgerichtig eine erneut sehr lesenswerte Studie.

In „American Creation“ (Die Schöpfung Amerikas) beschreibt Ellis eine Auswahl von Ereignissen beziehungsweise Abläufen, die seiner Ansicht nach die Gründungszeit der USA wesentlich geprägt und die Grundlage für alle weiteren Entwicklungen gelegt haben. Die Auswahl dieser Ereignisse ist dabei (fast) nicht überraschend. Es handelt sich um das Jahr 1775/76 („The Year“), das Winterlager von Valley Forge 1777/78 („The Winter“), die Verfassungsdebatte von 1786-88 („The Argument“), den Grundlagenvertrag mit den amerikanischen Ureinwohnern von 1789/90 („The Treaty“), die Herausbildung des Systems politischer Parteien zwischen 1790 und 1796 („The Conspiracy“) sowie den Erwerb des französischen Louisiana-Territoriums 1803 („The Purchase“). Das Lager von Valley Forge und die Verfassungsdebatte dürften die bekanntesten und meist-diskutierten Ereignisse sein, der Vertrag mit den Ureinwohnern 2 dagegen die vielleicht unerwartetste Diskussion. 1776, das erste Jahr der amerikanischen Unabhängigkeit (welches für Ellis eigentlich 15 Monate umfasst, von April 1775 bis Juli 1776), ist auch in von anderen Historikern in letzter Zeit recht prägnant als kleine, aber entscheidende Epoche innerhalb einer Epoche charakterisiert worden 3. Die sechs Kapitel stecken zusammengenommen nach Ellis’ Auffassung gleichzeitig die Gründerzeit der USA ab, nämlich die 28 Jahre zwischen 1775 und 1803.

Ausgangspunkt für die Analyse ist der von Ellis geäußerte Verdacht, dass eine gewisse Mystifizierung der amerikanischen Gründerväter bei der Frage, was sie erreicht und wie sie es erreicht hatten, das Spektrum der entscheidenden Punkte nur teilweise abdecken kann. Die Frage „How did it happen?“ könne nur durch eine Kombination der Fragestellungen „How did they do it?“ und „What did they fail to do?“ umfassend beantwortet werden, wobei „they“ die Gründerväter meint (S. 7, 10). Hierin findet sich auch die Begründung für den von Ellis gewählten Untertitel seines Werkes („Triumphs and Tragedies …“), der die Gründungsepoche der USA als eine Geschichte sowohl der Tragödie als auch des Triumphes versteht. Ellis möchte als Ergebnis der Diskussion über die Quellen und Ursachen der amerikanischen Staatsgründung damit keineswegs den bedeutenden politischen Triumph in Abrede stellen, sondern die Diskussion als solche fortschreiben und erweitern, indem die tragische Dimension der Gründerzeit eingeschlossen wird. Ein Teil des Triumphes sei gerade gewesen, dass auch die Unmöglichkeit, bestimmte Fragen zu lösen, in Kauf genommen wurde und dass zuweilen auch die Entscheidung getroffen wurde, eine Lösung zu vermeiden.

Ellis bemüht dazu einmal nicht die Sklavenfrage, sondern behandelt den 1790 geschlossenen Vertrag mit den so genannten „Six Nations“. Obwohl der Vertrag mit der Cree-Nation als solcher schließlich zustande kam und mit großem Pomp unterzeichnet wurde, zeigte er praktisch keine Wirkung. Innerhalb der nächsten 50 Jahre verschwanden die Cree-Indianer als Nation und nahezu als Volksgruppe. Washington befand sich dadurch in derselben Situation wie der englische König Georg III., welcher 1763 das Land westlich der Appalachen zum unverletzlichen Indianergebiet erklärt hatte. Beide Male blieb die Unverletzlichkeit der Indianergebiete Fiktion, die weißen Siedler nahmen ungehindert das Land in Besitz. Nur eine resolute und umfassende Durchsetzung exekutiver Macht – die Washington als Präsident hätte einfordern müssen – hätte eine dauerhafte und wirksame Politik zur Indianerunterstützung gewährleisten können. Hier aber überwog die Ansicht, eine solche geradezu als Machtusurpation anzusehende Bündelung ausführender Gewalt als Verletzung der gerade errungenen republikanischen Prinzipien zu betrachten. Die politischen Institutionen, die im 20. Jahrhundert dazu beitrugen, die Emanzipation anderer Volksgruppen durchzusetzen, waren damals erst im Entstehen; ein übergeordnetes Prinzip von Autorität lag völlig außerhalb der Regierungsgewalt und deren Institutionen. In diesem Sinne war, so Ellis’ Folgerung, „Indian removal … the inevitable consequence of unbridled democracy in action“ (S. 164).

Ellis benennt fünf Haupterfolge der Gründerzeit: Der erste erfolgreiche Gewinn eines Krieges um koloniale Unabhängigkeit, das erstmalige Errichten einer Republik in Nationengröße, die Aufrichtung des ersten durchgängig sekulären Staates, die Schöpfung mehrstufiger und sich überlappender Quellen von Autorität sowie die Entwicklung politischer Parteien als institutionalisierte Kanäle für eine andauernde politische Debatte. Eine durchaus zufällige Grundvoraussetzung für viele dieser Entwicklungen war der verfügbare Raum, die geographische Lage abseits aller etablierten Nationalstaaten und die Weite des amerikanischen Territoriums. Ellis fügt nun dieser Voraussetzung eine weitere, aber eine bewusst erzeugte Voraussetzung hinzu, die erst in Kombination mit dem Raum die Nachhaltigkeit der oben genannten Erfolge gewährleistete: „Perhaps the most creative act … was to make time as well as space an indispensable ally“; was bedeutet, als Ergebnis das Gründungsmoment immerwährend in die Zukunft auszudehnen (S. 243). Damit waren am Ende der amerikanischen Gründerzeit beides, die wegweisenden Errungenschaften, aber auch die dauerhaften bzw. langlebigen Versäumnisse, fest etabliert.

Ellis Studie hat unzweifelhaft ihren Platz in der Historiographie zur Gründungsgeschichte der amerikanischen Nation, und sein Ansatz verdient berücksichtigt zu werden. Allerdings, und das ist dem Autor durchaus bewusst, bieten die gewählten Beispiele nur einen Ausschnitt, noch dazu eine interpretierende Auswahl. Zudem sind, hinsichtlich ihrer Gewichtung, vielleicht nicht alle dieser sechs Fallbeispiele absolut gleichwertig. Daher ist die vorliegende Studie eher ein Anfang, ein Zugang zu einer Betrachtungsweise, mit der man die bereits vorliegenden Untersuchungen zu dieser Epoche betrachten muss. Damit ist „American Creation“ kaum als Einstiegslektüre zur amerikanischen Gründerzeit geeignet, sondern setzt ein umfassendes Grundwissen zu Epoche, Personen und zentralen Entwicklungssträngen voraus.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu insbesondere seine preisgekrönte Studie: Founding brothers. The Revolutionary Generation, New York (Knopf) 2000. Dt. Ausgabe u.d.T.: Sie schufen Amerika. Die Gründergeneration von John Adams bis George Washington, München (Beck) 2002.
2 In der amerikanischen Historiographie hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Native Americans“ (Ureinwohner) als mehr oder weniger unbelastete Bezeichnung gegenüber den „Indianern“ durchgesetzt.
3 Vgl. hierzu etwa David McCullough, 1776. America and Britain at War, New York (Simon + Schuster), 2005.

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