H. Volger (Hrsg.): Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen

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Titel
Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen.


Herausgeber
Volger, Helmut
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
576 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ruth Langer, Berlin

„Sind die UN-Strukturen überhaupt noch zukunftsfähig?“ fragt Helmut Volger auf dem Buchrücken seines 2007 erschienen Sammelbandes „Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen“. Zu diesem Thema diskutieren siebzehn Autoren (zum Teil mit mehreren Beiträgen), die allesamt ausgewiesene UN-Kenner/innen sind. Dies spiegelt sich auch in ihren Aufsätzen wieder, die durchgehend gut recherchiert sind und von langjähriger Erfahrung entweder als Mitarbeiter/in, Berater/in oder Analyst/in des UN-Systems zeugen. In den vier Kapiteln erhält man einen umfassenden Einblick in die verschiedenen Prozesse und Einflüsse, die die UN-Strukturen entstehen ließen und sie bis heute prägen. Dabei wird deutlich, dass viele der Probleme mit denen sich die UN konfrontiert sehen, ihre Ursachen in historisch gewachsenen Macht- und Interessenskonflikten haben.

Das erste Kapitel „Grundlagen der Vereinten Nationen“ umfasst knapp 100 Seiten und setzt sich aus drei Beiträgen, vom Herausgeber selbst, von Eckart Klein und von Markus Pallek, zusammen. Hier geht es vor allem um die „ethischen Grundlagen“, die „Entwicklung des Völkerrechts“ sowie die „Charta“ der UN. In diesem Eröffnungskapitel wird bereits deutlich in welchem Spannungsverhältnis sich die folgenden Argumentation bewegen werden: Es wird immer wieder versucht, das ‚Eigenleben’ der UN gegen die Machtspiele ihrer Mitgliedsländer abzugrenzen, und somit zu einer eigenständigen Struktur, einem eigenständigen ‚Objekt’ der Analyse zu gelangen. Jedoch zeigt sich schnell, dass dies ein unrealistisches Unterfangen ist. Allein schon bei der Entstehung der UN, erst recht in deren Weiterentwicklung und nun auch während der Reformdebatte, kommen nationalstaatliche Präferenzen deutlich zum Tragen. Auf diese Einflüsse wird aber in Kapitel 2 und 3 noch näher eingegangen, weshalb ich an dieser Stelle stattdessen noch kurz die tatsächlich ‚eigenständigen’ Errungenschaften der UNO erwähnen möchte.

So weist Klein zum Beispiel auf die entscheidende Rolle der UN bei der „Entwicklung der Rechte des Menschen auf universeller Ebene“ hin. Er kommt zu dem Schluss, dass „[d]ie unmittelbare Involvierung von Organen der Vereinten Nationen, die Bereitstellung ihrer Faszilitäten, der politische, vom nationalen Eigeninteresse abstrahierte Druck der Organisation als solcher […] zweifellos entscheidende Voraussetzungen für den Erfolg all dieser Normierungsbemühungen gewesen [ist]“ (S. 36). Auch wird erwähnt, wie die kontinuierliche Arbeit der UN dazu geführt hat, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker, welches in der Deklaration über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker vom 14. Dezember 1960 festgeschrieben wurde, von einem politischen Prinzip zu einem rechtlich bindenden Prinzip entwickelt wurde (S. 43). Man kann jedoch bei all diesen Beispielen herauslesen, dass der Erfolg dieser Bemühungen maßgeblich vom politisch-historischen Kontext abhängig war und ist.

Die Kapitel zu „Arbeitsgebieten der Vereinten Nationen“ 1 und zur „Funktionsweise der Vereinten Nationen“ 2 umfassen jeweils knapp 150 Seiten. Gerade in dem Beitrag von Adolf von Wagner zum Thema „Abrüstung“ offenbart sich jedoch, dass die UN in ihren einzelnen Arbeitsgebieten oftmals nur so stark sein können, wie ihre Mitglieder es zulassen wollen. Das hängt damit zusammen, dass die Generalversammlung, also das Organ, in dem alle UN-Mitglieder vertreten sind, keine exekutiven Befugnisse hat, sondern nur Empfehlungen und Ratschläge aussprechen kann. Der Sicherheitsrat, welcher als Exekutivorgan der UN fungiert, hätte mit seinen fünfzehn Mitgliedern zwar die Befugnis rechtlich bindende Resolutionen zu erlassen, wird aber in der Praxis von den fünf ständigen Mitgliedern und deren Vetorecht dominiert. Dies wiederum erschwert das Finden von gemeinsamen Lösungen, die dann von allen mitgetragen werden – insbesondere bei sicherheitspolitisch brisanten Themen. Der konkrete Erfolg von Verhandlungen über Abrüstungsfragen ist daher in bi- oder kleineren multilateralen Gruppen größer (S. 102).

Es werden noch eine Reihe weiterer wichtiger Probleme des UN-Systems angesprochen, wie zum Beispiel die Hegemonialstellung Amerikas, die die Souveränität der UN gerade in der jüngsten Regierungsphase immer wieder in Frage gestellt haben (S. 112, S.126). Oder der oftmals nicht-bindende oder nur schwer zu überprüfende Status von UN-Resolutionen (S. 119). Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass die UN sich auf eine veraltete Friedenphilosophie stützen, welche von einem staatlichen Gewaltmonopol ausgeht. Die konfliktreichen Auseinandersetzungen der Gegenwart sind jedoch von anderen Merkmalen geprägt (S. 122), im Zuge derer sich auch das Mandat der UN ‚Blauhelme’ anpassen muss(te). Die Friedenssicherung ist zu einer immer wichtigeren Frage der UN geworden, allerdings beobachtet Manfred Eisele, dass der Sicherheitsrat die Frage einer möglichen Intervention zumeist „recht zurückhaltend“ beurteilt, um keine möglichen „Präzedenzfälle“ zu schaffen (S. 151). Dies ist meiner Meinung nach ein sehr kritischer Punkt, in dem sich die gesamte Ambivalenz der UN als bewaffneter Akteur widerspiegelt und der deshalb ausführlicherer Diskussion bedarf. Norman Weiß greift dieses Thema in seinem Kapitel zum „Menschrechtsschutz“ noch einmal auf und macht deutlich, dass die „oftmals auf den Fuß folgenden neuen Menschenrechtsverletzungen“ nach einer militärischen Intervention nicht unterschlagen werden dürfen (S. 186).

Das Kapitel zu „Strukturproblemen der Vereinten Nationen und Reformkonzepte“ greift viele der in den vorhergehenden Kapiteln genannten Probleme wieder auf und erläutert an Hand derer, wo die strukturellen Schwächen (oder auch Stärken) der UN liegen. Allerdings liest sich dieser Abschnitt eher wie eine Wiederholung, da kaum wirklich neue Aspekte aufgegriffen werden. Einzig die Auseinandersetzung mit der internen und externen Kontrolle (Karl Th. Paschke), sowie mit der konkreten Finanzpolitik der UNO und ihren angegliederten Organen (Klaus Hüfner) eröffnet neue Einsichten. Jedoch wird auch hier wieder deutlich, was schon in vorherigen Beiträgen angeklungen ist: Dass die USA nicht nur politisch einen ernormen Einfluss auf die Arbeit der UN nehmen können, beziehungsweise sich ihrem Einfluss einfacher entziehen können als andere Mitgliedsländer, sondern dass sie ihre Forderungen und Präferenzen auch mit dem „ökonomischen Hebel“ durchzusetzen versuchen (S. 428).

Unter diesem Gesichtspunkt finde ich Volgers Schlussfolgerung, dass die UNO wohl keine „großen Reformen“ braucht, fragwürdig (S. 571). Sein Argument, dass sie diese ja „in ihrer mehr als sechzigjähreigen Geschichte [auch] nicht durchsetzen konnte“ klingt in diesem Zusammenhang auch eher schwach und wenig überzeugend. Sein Gegenvorschlag, „es [sei] besser […], eine so wichtige und komplexe Organisation wie die Vereinten Nationen ständig pragmatisch an Veränderungen anzupassen“ (ibid.), mag zwar aus Sicht eines langjährigen Mitarbeiters plausibel erscheinen, hilft aber nicht die offensichtlichen, und auch immer wieder in dem Buch erwähnten, Ungleichbehandlungen der verschiedenen Mitgliedsstaaten zu überwinden. Diese Haltung drückt auch aus, dass Volger keine substantielle Kritik an dem System der UN zulässt. Dabei sollte man durchaus hinterfragen dürfen, ob eine internationale Organisation, die sich zum einen auf ein Webersches Staatsverständnis beruft, aber auf der anderen Seite mit autokratischen Herrschaftssystemen kooperiert, heute noch zeitgemäß ist.

Zwar sind die ‚Grundlagen und Strukturen’ in diesem Sammelband ausführlich und eindringlich erläutert worden. Jedoch hätte ich mir von einem Buch, welches dazu beitragen möchte, „das Verständnis für die Bedeutung und die Arbeitsweise der Vereinten Nationen zu vertiefen“ (Vorwort), eine konsequent-kritischere Auseinandersetzung mit seinen Auswirkungen erhofft. Insgesamt bietet der Sammelband aber einen guten Einblick in die Funktionsweise des UN-Systems.

Anmerkungen:
1 Mit Beiträgen von Adolf von Wagner, Manfred Eisele, Norman Weiß, Jürgen Maier, Thomas Fues und Stephan Klingebiel.
2 Mit Beiträgen von Karl Th. Paschke, Jochen Prantl, Brigitte Hamm, Thomas Fitschen, Axel Wüstenhagen und Helmut Volger.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/