Prince, Sue Ann (Hrsg.): The Princess & The Patriot. Ekaterina Dashkova, Benjamin Franklin, and the Age of Enlightenment. Philadelphia, PA 2006 : American Philosophical Society, ISBN 0-871-69961-3 129 S. $ 24,00

: Mémoires und Mon Histoire. Zarin Katharina die Große und Fürstin Katharina R. Daschkowa in ihren Autobiographien. Berlin 2007 : Frank & Timme, ISBN 978-3-865-96121-1 380 S. € 39,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Winkler, Lehrstuhl Geschichte Osteuropas, Humboldt-Universität zu Berlin

"The Princess and the Patriot” wurde als Begleitband zu einer Ausstellung am Museum of the American Philosophical Society in Philadelphia herausgegeben – diese Ausstellung wiederum war gedacht als „a major contribution to the Society's celebration of the 300th anniversary of the birth of its founder, Benjamin Franklin” (S. ix). Nach der Lektüre des Buchtitels und dieser Einleitung überrascht der Blick auf das Inhaltsverzeichnis, denn von der vermuteten Symmetrie von Amerika und Russland, konkretisiert in den Persönlichkeiten Franklins und Daschkowas, ist dort nicht mehr viel zu finden: Sieben von acht Artikeln beschäftigen sich fast ausschließlich mit Jekaterina Daschkowa, nur eine Autorin schreibt über Franklin – kaum mehr als eine Nacherzählung der Biographie des amerikanischen Aufklärers. Dies ist leider nicht das Einzige an diesem Band, das undurchdacht und unfertig wirkt.

Michael Gordins Aufsatz über Daschkowas Tätigkeit an der russischen Akademie der Wissenschaften beginnt mit plakativen Kontrasten, die im Buch wieder und wieder auftauchen und wie recht billige Verkaufsrhetorik wirken: Daschkowa war eine Karrierefrau in einem von Männern beherrschten Land, sie dachte aufgeklärt in dieser Bastion der Sklaverei und Unfreiheit – sie erscheint als große Ausnahme und als Rätsel der Geschichte. Ebenso schnell wie Daschkowa aber ihre Skrupel überwand, als „unwürdige“ Frau das Amt des Direktoren der Akademie zu übernehmen, überwindet auch Gordin erfreulicherweise die holzschnittartigen Anfangsschwierigkeiten seines Artikels. Sein Text über „Princess Dashkova, the Academy of Sciences, and the Taming of Natural Philosophy“ wird dann tatsächlich zum stärksten Beitrag dieses Bandes. Er entwickelt die These, dass Daschkowas Amtsführung die Aufklärungsepoche der Wissenschaften zu einem Ende brachte und Russlands Forscher in das 19. Jahrhundert führte: ein Jahrhundert der Professionalisierung und Nationalisierung der Wissenschaften. Gordins Bild von der harmonisch-internationalen république des lettres mag etwas naiv erscheinen, dennoch ist die Beschreibung von der Akademie, die das internationale Prestige Russlands als Nation der Wissenschaften fördern sollte, anregend und überzeugend.

Michelle Lamarche Marrese hat, dies steht zu vermuten, entschieden, für diesen Band nicht gerade einen ihrer stärksten Texte herauszugeben. Der Beitrag über „Princess Dashkova and the Defence of Serfdom“ ist eine Zusammenstellung von Thesen aus Marreses hervorragendem Buch über Frauen als Gutsbesitzerinnen im russischen 18. Jahrhundert und etwas redundanten, wenig überraschenden Überlegungen zu Daschkowas Haltung zur Leibeigenschaft. Die Autorin geht von dem altbekannten Problem aus, dass aufgeklärte Geister – in Russland wie in Amerika – von Freiheit sprachen, aber gleichzeitig von der Arbeit ihrer Sklaven bzw. Leibeigenen lebten. Wieder und wieder wünscht sich der Leser, sie möge den so nahe liegenden Schritt endlich machen und diesen scheinbaren Widerspruch auflösen: denn natürlich ist „Freiheit“ nicht absolut, sondern stets auf eine bestimmte Gruppe von Nutznießern – die sozial oder qua Geschlecht, Alter oder ethnischer Zugehörigkeit bestimmt sein kann – zugeschnitten. Und natürlich ist es kein Widerspruch zur Aufklärung, sondern eine Konsequenz ihres Entwicklungs-, Erziehungs- und Bildungsgedankens, wenn Bauern als „noch nicht reif genug“ für die Freiheit betrachtet werden. Doch weit gefehlt. Marrese hält an der These vom Paradox fest und resümiert: „Dashkova epitomized the incongruities of her era“. (S. 35) So bleibt nur abzuwarten, welche Ergebnisse Marrese längerfristig in ihrem Buchprojekt zu Daschkowa vorlegen wird.

Marcus C. Levitts Beitrag „Virtue Must Advertise: Self-Presentation in Princess Dashkova's Memoirs“ ist ambivalent: Einerseits häuft der Autor Erkenntnisse an, die jedem oberflächlichen Leser bereits beim ersten Überfliegen der Erinnerungen Daschkowas klar sind: ihre Selbstdarstellung als gebildete, selbstlos-bescheidene und vor allem tugendhafte Frau. Andererseits werden hier gewagte Thesen ohne Nachweise in den Raum gestellt: so die Aussage, Daschkowa habe sich als „Great Man“ dargestellt (Wo? Ein Zitat fehlt) und die nicht nachvollziehbare Behauptung, ihr Selbstverständnis sei von einem starken Geschlechtergegensatz bestimmt gewesen: „As the label indicates, the serious public role she chose to emulate was culturally gendered as male; indeed, the classical Roman heritage that was one of its main sources preserved a direct etymological linkage between the male (vir) and virtue (virtus) itself.” (S. 42) Diese Behauptung wird weder an Daschkowas Memoiren deutlich gemacht noch in der russischen Kultur des 18. Jahrhunderts verortet; die sprachhistorische Herleitung wird weder mit russischen noch französischen – der Sprache Daschkowas – Belegen nachgewiesen. An anderen Stellen bleibt Levitt ärgerlich vage und zeigt damit die Unfertigkeit seiner Gedanken: so wenn er Daschkowas Charakter küchenpsychologisch mit der Tatsache erklärt, dass sie ihre Mutter bereits sehr früh verloren habe (S. 42), kontextlos Elemente des russisch-orthodoxen Weltverständnisses einbringt (S. 43) oder Daschkowa andeutungsweise Ansprüche auf politische Macht, ja die Ablösung Katharinas II., unterstellt (S. 45).

In den folgenden so genannten „Documentary Essays“ präsentieren Alexander Woronzoff-Dashkoff und Elena Igorevna Stolbova Materialsammlungen über Daschkowas Bibliothek beziehungsweise ihre Portraits. Über reine Aufzählungen kommt keiner von ihnen dabei hinaus; es handelt sich ganz offenbar um Vorarbeiten zu späteren Projekten, die im Grunde nicht druckreif sind. Anthony Cross stellt die interessante Frage nach der philosophisch-politischen Bedeutung russischer und europäischer Anglomanie des 18. Jahrhunderts. Er präsentiert Daschkowas Liebe zu England und Schottland als einen roten Faden in ihrem Leben. Doch auch er geht leider auf die wirklich interessanten Fragen nicht ein, nämlich die Vorstellungen von Freiheit und Adelskultur, die sich hinter der Bewunderung Englands – und der damit zumindest implizit einhergehenden Ablehnung französischer Radikalität – verbergen. Svetlana Romanovna Dolgovas Artikel schließlich sei in seiner Banalität charakterisiert durch die Wiedergabe des letzten Satzes: „it appears that Dashkova was admired by her family and her compatriots for her strong intellect and abilities, but it is also clear that her complex, impassioned, volatile, and uncompromising character often resulted in troubled relationships.“ (S. 86)

Insgesamt verpasst dieser Band leider gleich mehrere große Chancen. Die Frage, warum es sinnvoll sei, sich mit Daschkowa zu beschäftigen, wird entweder gar nicht beantwortet und mit der reinen Sammlung von Informationen umgangen, oder das Problem wird durch Übertreibungen und Klischees einem vermuteten Publikumsgeschmack angepasst: Daschkowa, die Ausnahmefrau im rückständig-autokratischen Russland. Angesichts des kleinen Booms, den die Person Daschkowas in der Forschung zur Zeit erlebt (sowohl Marrese als auch Woronzoff-Dashkoff arbeiten an Büchern über sie), wäre eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit der Legitimation historiographischen Interesses an ihr durchaus angebracht gewesen.

Interessant wäre angesichts der Entstehungsgeschichte des Bandes auch eine engere Anbindung an Konzeption und Inhalte der Ausstellung im Museum of the American Philosophical Society gewesen – die Frage nach der Verbindung von Ausstellungsobjekten und Geschichtsschreibung. Vermutlich sollten die „Documentary Essays“ etwas in dieser Richtung leisten, doch bleiben alle Autoren zu sehr an der Oberfläche ihres Themas.

Die reizvolle Gelegenheit einer auch nur halbwegs systematischen Gegenüberstellung Russlands und Amerikas in einer Kontakt- und/oder Vergleichsgeschichte hat die Herausgeberin ebenfalls verpasst. Der Band bleibt hier sogar hinter dem Forschungsstand zurück, wenn er wiederholt die Rhetorik vom rückständigen Russland bemüht.
Ebenso verhält es sich mit der Frage nach der Besonderheit Daschkowas in Bezug auf ihr Geschlecht. Gern repetieren die Autoren die Tatsache, dass eine Frau zur Direktorin der Akademie der Wissenschaften und zu einer wichtigen Person im öffentlichen Leben Russlands wurde – und das „in a land of pious Orthodoxy and conservatism“. Dass Daschkowa am Ende eines Jahrhunderts lebte, in dem vier Frauen auf dem russischen Herrscherthron saßen, wird nicht erwähnt, ebenso wenig werden ihre Memoiren in irgendeiner Weise mit den recht zahlreichen Schriften anderer Frauen der Jahrhundertwende verglichen. Das Gender-Problem wird von den Autoren weit stärker gewertet als von den Zeitgenossen. Stellvertretend dafür steht die Betonung von Daschkowas Auftritt in Männerkleidung beim Coup des Jahres 1762 und ihre Ablehnung des Direktorenpostens mit dem Argument, sie sei als Frau ungeeignet. Beide Stellen sind in den Memoiren selbst weit weniger präsent als in ihrer Analyse.

Dieses Grundproblem, die axiomatische Überbewertung des Genderparadigmas, bestimmt auch eine neue Monographie zu Daschkowa und Katharina der Großen. Alina Chernova konstruiert in ihrer bei Frank und Timme herausgegebenen Leipziger Dissertation mit schon beeindruckender Hartnäckigkeit den Rahmen einer Frauengeschichte – ohne deren Legitimität mit Quellenzitaten oder -interpretationen wirklich belegen zu können. Allein die Tatsache, dass es um Frauen geht, rechtfertigt die ständige Betonung eines geschlechtsbezogenen Verhaltens und Selbstverständnisses nicht. „Weibliche Selbstbewusstwerdung“, „Destruktion der Weiblichkeit“, „Demontage des Männerbildes“ – nichts von diesen Etiketten ist in den Quellen oder auch in Chernovas eigenem Text wirklich wiederzufinden. Wenn es ausreicht, dass zwei Frauen befreundet waren und später persönliche Schwierigkeiten miteinander hatten, um von „Frauenfreundschaft“ und „Frauenfeindschaft“ zu sprechen, so wird diese Form von „Frauengeschichte“ letztlich zur Banalität.

Chernova erzählt schlussendlich eine Emanzipationsgeschichte. Diese These bleibt etwas verschämt und versteckt – wohl deshalb, weil sie in den Quellen keine Basis findet. Sie ist vielmehr einem überkommenen Bild von Frauengeschichte entsprungen, die einmal als Öffnung der Geschichtsschreibung gedacht war, leider aber allzu häufig neue Scheuklappen schafft.

Chernova ist Slawistin, ihre Dissertation ist jedoch in weiten Zügen eher im geschichtswissenschaftlichen, genauer gesagt kulturhistorischen, Bereich angesiedelt. Am stärksten ist der eher slawistische Teil des Projektes, die editionskritische Aufarbeitung verschiedener Manuskripte der Memoiren Daschkowas und Katharinas II. Die Darstellung und Systematisierung der zahlreichen Textredaktionen wird für zukünftige Forschung sicher von Nutzen sein.

Die inhaltliche – kaum literatur- oder sprachwissenschaftlich orientierte – Analyse der Texte hingegen überzeugt leider nicht. Zu phrasenhaft sind die Aussagen: „Ichbewusstsein als Fraktur“ und „Illusion des Seins“ finden ebenso wenig eine inhaltliche Entsprechung in der Analyse wie das ständige „Sich-Einschreiben in Diskurse“ oder der redundante Hinweis auf die „soziale und existentielle Verfasstheit“ der Autorinnen.

Zu modernistisch sind auch Chernovas Annahmen, die ebenso von einem bestimmten geschlechtlichen Rollenverständnis ausgehen wie von der voraussetzungslosen Existenz eines Individuums. Ähnlich auch die grundlose Vermutung, die Krankheitsschilderungen in den Memoiren beider Frauen müssten die Zeitgenossen schockiert haben – zeitgenössische autobiographische Texte aber sind voll von recht detaillierten Beschreibungen über Hautausschlag, Erbrechen und Geburtsschmerzen. Ebenso greift es zu kurz, vom Begriff „zärtlich“ auf eine eindeutig erotische Komponente zu schließen; die Emotionalität und Komplexität aufgeklärter Freundschaftskultur werden ignoriert. Insgesamt ist die zentrale These von der neuen „weiblichen“ Intimität, die in Daschkowas und Katharinas Texten zu finden sei, hochproblematisch. Fraglos änderten sich Memoiren in dieser Zeit, und statt der traditionellen Dienstbiographie standen nun persönliches Erleben und Selbstbeschreiben im Vordergrund. Doch nichts weist darauf hin, dass dies eine spezifisch weibliche Entwicklung wäre. Vergleiche mit von Männern geschriebenen Biographien fehlen bezeichnenderweise in Chernovas Buch – sie hätten ihre These auch nicht gestützt, sondern vielmehr widerlegt.

Hinzu kommen leider noch ärgerliche sprachliche Schwächen. Von wissenschaftlicher Umständlichkeit über grammatikalische Fehler bis hin zu echten Stilblüten („ihr äußerliches Aussehen“, S. 337) ist alles dabei. Wieder einmal ein Zeichen dafür, dass auch wissenschaftliche Texte dringend gute Lektoren brauchen.

Beide Bände untersuchen Daschkowa (bzw. auch Katharina II.) in erster Linie als große Ausnahme: als Aufklärerin in einem rückständigen Land und vor allem als Frau in einer Männergesellschaft. Diese Frage bestimmt die (weitgehend längst bekannten) Antworten und versperrt neue Aspekte. So hätte beispielsweise eine stärker linguistisch orientierte Fragestellung, die insbesondere die sprachliche Situation der Parallelität von Russisch und Französisch mehr in den Vordergrund stellte, der Arbeit Chernovas sicher gut getan und die Chance auf mehr Originalität geboten. Andere interessante Fragen in Bezug auf Daschkowa ergeben sich aus ihren Reisen und dem Blick auf westeuropäische Länder. Chernova spricht tatsächlich interessante Fragen an, bleibt aber stets an der Oberfläche allgemein bekannter Forschungsergebnisse bzw. innerhalb des ihr von dem Geschlechterparadigma diktierten Rahmens. Wir neigen dazu, eine Frau in öffentlicher Position im 18. Jahrhundert als große Ausnahme und als Wegbereiterin der Emanzipation zu sehen. Doch Daschkowa und Katharina standen am Ende eines Jahrhunderts, in dem Frauen auf dem russischen Thron saßen, und am Beginn eines weiteren, in dem Frauen mehr und mehr in den Bereich von Familie und Haushalt gedrängt wurden. Die Bedeutung dieser Beobachtung verlangt noch nach eingehender Analyse. Die enttäuschenden Ergebnisse, die Untersuchungen im traditionellen Gender-Rahmen liefern, lassen ein Umdenken wünschenswert erscheinen.

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