Der Erste Weltkrieg in der Erinnerungskultur

: Rituale machen Räume. Zum kollektiven Gedenken der Schlacht von Verdun und der Landung in der Normandie. Bielefeld 2007 : Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis, ISBN 978-3-89942-750-9 350 S. € 33,80

Korte, Barbara; Paletschek, Sylvia; Hochbruck, Wolfgang (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg in der populären Erinnerungskultur. . Essen 2008 : Klartext Verlag, ISBN 978-3-89861-727-7 222 S. € 24,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger Haude, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

In Neukonzeptionen von Museen, in Fernsehdokumentationen und in der (populär)historischen Buchproduktion erlebt die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, in den letzten Jahren so etwas wie einen Boom. Schon 2004, zum 90. Jahrestag des Kriegsbeginns, diagnostizierte Aribert Reimann eine „publizistische Großoffensive“1; diese scheint bis heute anzuhalten. Thematisiert wird nicht mehr nur das historische Ereignis selbst, sondern ebenso die Geschichte des Erinnerns daran. Zwei neuere Veröffentlichungen, die dieser Perspektive folgen, werden hier vorgestellt.

Die Geografin Sandra Petermann hat für ihre Dissertation zum „kollektiven Gedenken“ zwei Fallbeispiele und historische Räume gewählt, die – zumal aus französischer Sicht – paradigmatisch für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg stehen. Zum einen ist dies die Region um Verdun, den „wichtigste[n] Gedenkort der Neuen Geschichte Frankreichs“ (S. 90), wo 1916 hunderttausende Soldaten beider Seiten als Menschenmaterial im Stellungskrieg „verheizt“ wurden. Das andere Fallbeispiel ist die Normandie, wo die Alliierten am „D-Day“ im Juni 1944 landeten. Unter anderem gestützt auf Interviews mit Besuchern der Gedenkorte rekonstruiert Petermann die Geschichte des Gedenkens in diesen Regionen. Sie gibt einen Überblick zu den architektonischen und kalendarischen Instrumenten, die das kollektive Erinnern strukturieren. Zudem analysiert sie unterschiedliche Akteursgruppen, deren Gewicht sich im Zeitablauf verschiebt – besonders durch das Ableben der Veteranen mit ihren persönlichen Gedenkinteressen.

Wenn sich das Gedenken sowohl in Verdun als auch in der Normandie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von einer Heldenverehrung zunehmend zu einer Friedensmahnung gewandelt hat, hängt dies freilich weniger mit demographischen Wandlungsprozessen zusammen als mit Veränderungen in der politischen Großwetterlage – namentlich mit der westeuropäischen Integration. Aus dem Zusammenspiel wachsender zeitlicher Distanz einerseits und der geopolitischen Entwicklung andererseits ergeben sich für die Zeit nach 1945 idealtypische Phasen wechselnder Gedenk-Motivationen, nämlich „das trauernd-erinnernde, das national-patriotische, das versöhnend-vereinigende und das historisch-pädagogische Gedenken“ (S. 310).

Das berühmte Foto von 1984, auf dem François Mitterrand und Helmut Kohl am Beinhaus von Douaumont (Verdun) händehaltend der Toten beider Weltkriege gedenken, ist emblematisch für solche Wandlungsprozesse. Gerade staatliche Akzentsetzungen an den jeweiligen runden Gedenktagen zeigen übrigens, dass die Erinnerungsorte der Weltkriege mit fast beliebigen Bedeutungen aufgeladen werden können, wenn die Tagespolitik dies erfordert. Dienten die Feierlichkeiten in Verdun um 1960 weithin der Legitimation der französischen Kriegführung in Algerien (S. 158), so versicherte 2004 George W. Bush an den Landungsstränden der Normandie, „dass der Geist von 1944 die Soldaten in den Irak getragen“ habe, „um eine Nation – ebenso wie knapp 60 Jahre zuvor – von der Tyrannei zu befreien“ (Paraphrase der Autorin, S. 269).

Petermann stellt die Gedenkorte, Akteursgruppen und Zeremonien sowie ihre Wandlungsprozesse ausführlich dar. Was den Wert ihrer Studie aber stark beeinträchtigt, ist die durchgehende Verwendung der Zitate von Interview-Partnern ohne Nachweise, so dass man meistens im Unklaren bleibt, wer spricht – ob ein Veteran, ein Politiker oder ein Tourist, ob ein Franzose, eine Amerikanerin oder ein Deutscher usw. Der vielversprechende Ansatz, die Motivation des Schlachtfeldbesuchs bei den Besuchern selbst zu erheben, wird dadurch entwertet.

Petermann stellt ihren Fallstudien eine ausführliche Diskussion des Forschungsstands hinsichtlich ihrer zentralen Kategorien „Ritual“ und „Raum“ voran. Ihre Ausführungen liefern einen brauchbaren Überblick zu diesen beiden Theoriefeldern. Aber eine zentrale (und für Petermanns Vorhaben entscheidende) Funktion von Ritualen, nämlich die Vergegenwärtigung, bleibt überraschenderweise ausgeblendet. Sie kommt lediglich in einem eigens entworfenen Typus des „historischen Rituals“ zu ihrem Recht, der neben die Typen des „politischen“ und des „sakralen“ Rituals gestellt wird. Diese Typologie raumbildender Rituale leuchtet nicht ein: Wie die kommemorative Funktion bei „politischen“ und „sakralen“ Ritualen vernachlässigt wird, so erscheinen „sakrale“ und „historische“ Rituale als unpolitisch, und auch das konstitutive Moment der Sakralisierung bei politischen Ritualen wird zu wenig berücksichtigt. Wenn Petermann später überrascht eine „Vermischung von Politik und Glauben“ konstatiert (S. 167), so rührt die Überraschung eben daher, dass beide Sphären vorher künstlich voneinander getrennt wurden.

Diesen Ritualtypen und den korrespondierenden Räumen, die auf die beiden Fallstudien schematisch appliziert werden, sollen spezielle Wissensarten entsprechen, die je eigene Formen des Gedenkens generieren; Petermann bezeichnet sie als „Ideologie“, „Glaube“ und „Wissen“. Damit wird insinuiert, es könne ein ideologiefreies Wissen geben, das sich zum Beispiel in Museen und Re-Enactments einstelle. Den Teilnehmern von historisierenden Militärcamps in der Normandie bescheinigt Petermann sogar, diese wollten nicht „Krieg spielen“, sondern „die Geschichte lebendig präsentieren und dadurch einen Beitrag leisten, Kriege in Zukunft zu verhindern“ (S. 288). Skepsis dürfte hier angebracht sein, wie schon ein flüchtiger Blick in die Internetforen der Szene zeigt.

Re-Enactments im engeren Sinne, als „Extrem-Kampfsportart“, typologisch von der Living History als einem „museumspädagogischen Mittel“ und von der experimentellen Archäologie als einer „Form der Grundlagenforschung“ zu unterscheiden, ist ein anregender Vorschlag Wolfgang Hochbrucks in dem zweiten hier zu besprechenden Band. Barbara Korte, Sylvia Paletschek und Hochbruck selbst sind die Herausgeber des Bandes „Der Erste Weltkrieg in der populären Erinnerungskultur“, der 13 Einzelbeiträge zu unterschiedlichen Erinnerungsmedien versammelt. Das weit gespannte Spektrum ist dabei in drei Abteilungen gegliedert. Die erste befasst sich mit der offiziellen ‚Möblierung’ des Erinnerungsraums durch Museen und Denkmäler. Peter Londey und Nigel Steel vergleichen die Geschichte des Londoner Imperial War Museum und des Australian War Memorial in Canberra, die bei vergleichbarer Entstehungsgeschichte unterschiedliche Erinnerungslogiken verkörpern: Während sich das Londoner Museum als klassisches Ausstellungshaus etablierte, wurde sein australisches Pendant architektonisch als Denkmal mit Ewiger Flamme und Säulengängen mit den Namen der australischen Gefallenen gestaltet. Dass das australische Museum sich im Wesentlichen privater Sammeltätigkeit verdankt, hat sein deutsches Gegenstück in der Stuttgarter „Weltkriegsbücherei“, deren Geschichte von 1915 bis 1944 Gerhard Hirschfeld vorstellt. Die Sammlungen von Kriegspublizistik fungierten in der Weimarer Republik als Instrument zur Leugnung deutscher Kriegsschuld, und im NS-Staat diente das aus der Sammlung hervorgegangene Museum „bereits der Legitimation eines kommenden Krieges“ (S. 55). Diesem fielen dann große Teile der Bestände zum Opfer; die Reste gingen 1948 in die Stuttgarter „Bibliothek für Zeitgeschichte“ ein.

Die von der „Weltkriegsbücherei“ gepflegte „Kriegsunschuldlegende“ (S. 51) fungierte in der Weimarer Republik als integratives Element. Christian Saehrendt zeigt in seinem Beitrag über Berliner Kriegerdenkmäler, dass es ein solches Integrationsmittel auf dem Sektor der Gedenkarchitektur nicht gab. Stattdessen schufen sich die verschiedenen politischen Lager ihre je eigene Gedenkkultur. Dass es dabei, wie im Krieg selbst, um eine Behauptung bzw. Eroberung von Räumen ging, ist schon im Titel „Der Stellungskrieg der Denkmäler“ gut eingefangen. Saehrendt schließt mit einem Ausblick auf die heutige Denkmalpolitik in der deutschen Hauptstadt, die den Fokus von der Heldenverehrung auf das Opfergedenken umgelenkt hat.

Gegenwärtige Gedenkkultur ist auch das Thema des Beitrags von Gerd Krumeich, und zwar mit Blick auf die museale Präsentation des Ersten Weltkriegs. Krumeich gehört selbst zum Planungsteam des 1992 eröffneten Historial de la Grande Guerre in Péronne an der Somme; und er schreibt merklich pro domo. Aber der Ansatz des von einem internationalen Historikerteam konzipierten Museums ist tatsächlich innovativ: die Geschichte einerseits aus dem Blickwinkel einer „Alltagskultur des Kriegs“ zu rekonstruieren (S. 62), andererseits die divergierenden nationalen Sichtweisen auf diesen Krieg nicht zu harmonisieren, sondern nebeneinander zu stellen. Krumeich wendet sich mit Recht gegen die Mode, die Museumsbesucher mit einer synästhetischen „Beeindruckungs-Methode“ zu einem emotionalen „Nacherleben“ des Kriegs zu bringen (S. 66): Diese Versuche würden bereits an der Medien-Routine des Publikums scheitern.

Um literarische Verarbeitungen des Ersten Weltkriegs geht es in der zweiten Sektion des Bandes. Hier stellt Thomas F. Schneider Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“ als – international so rezipiertes – „virtuelles Denkmal des unbekannten Soldaten“ vor, ein „Kulturen übergreifendes Paradigma der Schrecken des Frontkrieges“ (S. 89). Obwohl seit der Erstpublikation von 1929 als paradigmatisches Antikriegsbuch wahrgenommen, erstreckte sich seine vieldeutige Lesbarkeit auch auf „bellizistische Kontexte“ (S. 96), wie die propagandistische Zurichtung der oscarprämierten Verfilmung von 1930 im Rahmen des Koreakriegs der 1950er-Jahre belegt.

Comics als einem hybriden Medium von bildender Kunst und Literatur widmet sich Hans Grote, der die Darstellung des deutschen „Jagdflieger-Asses“ Manfred von Richthofen, des „Roten Barons“, in diesem Medium untersucht. Die verschiedenen Rezeptionen in Comic-Heften seit etwa 1965 dienen Grote als Beleg dafür, dass in der visuellen Kultur „Kriegsgeschehen nur mehr in gebrochener Darstellung thematisierbar“ sei (S. 115): entweder durch die seelische Zerrissenheit des Helden oder durch eine Problematisierung der Modalitäten historischer Darstellung selbst. Die Klischeehaftigkeit, die dem Medium lange attestiert zu werden pflegte, wird damit erneut bestritten. Zumindest für das früheste Beispiel, den DC-Comic „Enemy Ace“ von Joe Kubert (1965), ist hier aber Skepsis angebracht: Der Mythos der individualistischen „Ritterlichkeit“ der Jagdflieger wird darin ebenso bedient wie das Männlichkeitsbild des mit seiner Maschine zu einer Einheit verwachsenen Piloten. Es ist das Gegenparadigma zu Remarques Erzählung vom anonymen Sterben in den Schützengräben. Weitere Aufsätze beschäftigen sich mit der Darstellung des Ersten Weltkriegs in englischen Kriminalromanen (Barbara Korte) sowie in australischen Kinder- und Jugendbüchern (Christina Spittel).

Die dritte Abteilung, „Bewegte Geschichte“, beginnt mit Wolfgang Hochbrucks Erörterungen zu Living History und Re-Enactment. Hochbruck zeigt, dass alle Versuche zum Scheitern verurteilt sind, in der Vergegenwärtigung von Kriegsereignissen „Authentizität“ zu erzeugen. Als Inszenierungen historiographischer Darstellungen des Geschehenen seien sie „bereits zweite Ableitungen der Ereignisse“ (S. 160). Hochbruck trifft sich daher auch mit Krumeich in der Ablehnung effektvoll-synästhetischer und zugleich unterkomplexer Inszenierungen etwa im Museum von Ypern sowie im Plädoyer für eine „intelligent-distanzierte Gesamtschau“ wie im Historial von Peronne (S. 167).

Horst Tonn resümiert die Spielfilmproduktion in den USA im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg. Anhand des 1916 entstandenen Streifens „Civilization“ ist zu lernen, dass die Manipulation an Filmen mit dem Ergebnis ideologisch diametraler Varianten bereits im Ersten Weltkrieg selbst üblich war. Neben der Remarque-Verfilmung tauchen auch die „Jagdflieger-Asse“ – im Genre der Fliegerfilme – wieder auf. Hier wird die „Zerrüttung der Wahrnehmung“ durch den modernen Krieg (Virilio) durch „vertraute Wahrnehmungs- und Deutungsmuster normalisiert“ (S. 170): Das Innovative der vertikalen Topik und der Geschwindigkeit bemäntelt tradierte Männlichkeits-Stereotype (S. 175). Tonn argumentiert, eine dichotome Typisierung der Kriegsfilme in pazifistische und bellizistische Streifen sei nicht möglich; am Ende bleibe die „Rezeptionsarbeit des einzelnen Zuschauers“ ausschlaggebend (S. 180).

Im Mittelpunkt von Matthias Steinles Untersuchung französischer und deutscher TV-Dokumentationen steht die binationale Koproduktion „La Grande Guerre – 1914-1918 – Der Erste Weltkrieg“, die 1964 zum 50. Jahrestag des Kriegsbeginns in beiden Ländern gleichzeitig ausgestrahlt wurde; ein „Paradebeispiel“ einer „histoire croisée“ (S. 185). Der Erfolg dieser Produktion auf beiden Seiten der Grenze gelang aber nur, indem Fragen nach den Ursachen und Folgen des Kriegs zugunsten einer Betonung der Sinnlosigkeit des Waffengangs ausgeblendet wurden. Diese Produktion markiert eine erste Hinwendung akademischer Historiker zu dem vorher suspekten Medium des Fernsehens. „Authentizität“ war aber auch hier nur fiktiv zu haben – umso mehr, als etliche der „dokumentarischen“ Filmszenen Spielfilmen entnommen waren (S. 195).

Susanne Brandt untersucht die Schlachtfelder selbst als „populäre Massenmedien“ (S. 203). Ihre Ausführungen zum Schlachtfeldtourismus der Zwischenkriegszeit – nach Krumeichs Museums-Text der zweite thematische Berührungspunkt mit Petermanns Buch – bestechen durch die Berücksichtigung von Reiseführern, die noch während der Kampfhandlungen auf beiden Seiten erschienen, sowie von entlegeneren Texten Remarques, welche die Motivik des Schlachtfeldtourismus erhellen helfen. Auch Brandt resümiert, dass heute ein europäischer Sinnlosigkeits-Diskurs die nationalen Heroismus-Diskurse abgelöst habe; anders als Petermann kontrastiert sie dies ausdrücklich mit der Gedächtniskultur an den Landungsstränden der Normandie (S. 211).

Das letzte Wort des Bandes hat Sylvia Paletschek, die sich mit dem „Weihnachtsfrieden“ von 1914 beschäftigt. Es ist der einzige Beitrag, der die medienbezogene Logik des Bandes durchbricht und ein Ereignis in allen seinen Rezeptionsformen in den Blick nimmt. Die Popularisierung dieses „Weihnachtsfriedens“ durch Spielfilm und Sachbuch nimmt Paletschek zum Anlass, für den gegenseitigen Austausch zwischen akademischer und populärer Geschichtsforschung zu plädieren (S. 219). Die spontane Verbrüderung einfacher Soldaten an der Westfront erscheint ihr als ein entstehender „europäischer Erinnerungsort“ (S. 216). Damit ist eine der größeren Linien des Bandes beschrieben: War der Weltkrieg im ersten Beitrag als „nationaler Erinnerungsort“ beschrieben worden (S. 27), so ist am Ende der Weg hin zu einer (mindestens) europäischen Identität durchschritten. Indes kann kaum von einer unilinearen Entwicklung der populären Erinnerungskultur die Rede sein, sondern es gibt nach wie vor unterschiedliche nationale Erinnerungstraditionen. Schon der Stellenwert dieses Krieges divergiert: Dass der „Great War“ in der Bevölkerung Großbritanniens mehr Opfer forderte als der Zweite Weltkrieg, erklärt sein stärkeres Gewicht im dortigen kulturellen Gedächtnis. Auch Fraktionierungen innerhalb einer nationalen Erinnerungslandschaft sind zu beachten (vgl. die „Fischer-Kontroverse“ in der Bundesrepublik der 1960er-Jahre).

Als Ertrag dieser Aufsatzsammlung lässt sich die Einsicht formulieren, dass im Laufe der Jahrzehnte Gewissheiten und Eindeutigkeiten in der Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs gleichsam verdampft sind. Eine „authentische“ Repräsentation der historischen Sachverhalte ist selbst beim besten Willen der erinnerungskulturellen Akteure unmöglich. Auch mit zeitgenössischen Präsentationstechniken (zum Beispiel im Museum) ist höchstens die „Illusion eines unverstellten Zugangs“ zu erzielen (Steinle, S. 195). An diesem Ergebnis würde sich wahrscheinlich wenig ändern, wenn die Lücken im Themenspektrum des Buches gefüllt würden, also etwa die Ostfront, die Isonzo-Front und Ostafrika berücksichtigt würden oder – was die Gedächtnismedien betrifft – die Malerei und die Musik.2 Vollständigkeit ist hier ohnehin kaum zu erzielen, und die Auswahl wirkt insgesamt überzeugend.

Eine thematische Beschränkung fällt aber unangenehm auf: Bei dem großen Gewicht, das die Zwischenkriegszeit erhält, hätte man eine stärkere Berücksichtigung der pazifistischen Bewegung erwartet. Vom Anti-Kriegsmuseum Ernst Friedrichs oder seinem schockierenden Bildband „Krieg dem Kriege!“3, der auch nach seiner Wiederentdeckung in den 1980er-Jahren sehr breit rezipiert wurde, erfahren wir nichts, ebensowenig von gleichsinnigen Bestrebungen der künstlerischen Avantgarde in der Weimarer Republik.4 Die Herausgeber sprechen jedoch von einem „pazifistisch orientierten Europa“ in unserer Gegenwart (S. 11) – angesichts des zunehmenden Engagements gerade auch des deutschen Staates in militärischen Auseinandersetzungen eine zumindest ungenaue Formulierung. Dem Anregungsreichtum des Bandes tut dies aber keinen Abbruch.

Anmerkungen:
1 Aribert Reimann, Der Erste Weltkrieg – Urkatastrophe oder Katalysator?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 54 (2004), Heft 29-30, S. 30-38, online unter URL: <http://www.bpb.de/files/P1QAW1.pdf> (7.11.2008).
2 Vgl. z.B. die Sammlung von Musikdateien auf <http://www.greatwar.nl/frames/default-music.html> (7.11.2008).
3 Ernst Friedrich, Krieg dem Kriege! Guerre à la Guerre! War against War! Oorlog aan den Oorlog! [1924], Frankfurt am Main 1980, 25. Aufl. 1994, München 2004.
4 Vgl. dazu: Gertrude Cepl-Kaufmann / Gerd Krumeich / Ulla Sommers (Hrsg.), Krieg und Utopie. Kunst, Literatur und Politik im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg, Essen 2006.