: Die Deutschen und der Holocaust. Was niemand wissen wollte, aber jeder wissen konnte. Berlin 2007 : Propyläen Verlag, ISBN 978-3-549-07315-5 891 S. € 29,90

: Der Holocaust als offenes Geheimnis. Die Deutschen, die NS-Führung und die Alliierten. München 2006 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-54978-6 156 S. € 18,90

: „Davon haben wir nichts gewußt!“. Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-1945. Berlin 2006 : Siedler Verlag, ISBN 978-3-88680-843-4 448 S. € 24,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Wildt, Hamburger Institut für Sozialforschung

Was wussten die Deutschen vom Holocaust? In dieser Frage stecken bereits drei schwierig zu bestimmende Variablen. Wer sind die Deutschen? Um welches Wissen handelt es sich? Was ist der Holocaust?

Den Holocaust zu definieren, scheint die einfachste Aufgabe zu sein: der nationalsozialistische Massenmord an den europäischen Juden. Aber dieser Mord fand an verschiedenen Orten statt, zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Menschen mit verschiedenen Tötungspraktiken. Den Zusammenhang zwischen diesen Geschehen stellte unzweifelhaft die Vernichtungspolitik der NS-Führung her, aber ließ sich diese Verbindung als eine systematische, gegen alle europäischen Juden gerichtete Mordpolitik auch „von unten“ erkennen? Wenn deutsche Soldaten im Osten die Erschießung von Juden mit ansahen oder sogar an ihnen beteiligt waren, wussten sie zweifelsohne von ungeheuerlichen Kriegsverbrechen. Aber war das ein Wissen über den Holocaust?

Und schließlich: Wer sind die Deutschen? Alle, die auf dem Territorium des Deutschen Reiches leben? Oder diejenigen, die die deutsche Reichsangehörigkeit besaßen? Dann würde man sich allerdings die Kriterien der Nürnberger Gesetze zu eigen machen und die jüdischen Deutschen bereits ausschließen. Oder all diejenigen, die sich als „deutsch“ verstanden haben? Dann wiederum gehörten die weitaus meisten der deutschen Juden dazu, aber auch die große Zahl von Volksdeutschen, die außerhalb des Deutschen Reiches lebten. Selbst wenn man sich unbestimmt auf die deutsche Bevölkerung bezieht, bleibt die methodische Frage bestehen, wie sich verlässliche Aussagen zumindest für Teile der Bevölkerung gewinnen lassen.

Dieses Problem betrifft in erster Linie die Quellen. Zur Verfügung stehen neben öffentlichen Quellen wie Zeitungen, Zeitschriften oder Radiosendungen und privaten Überlieferungen wie Tagebüchern oder Briefen vor allem die Stimmungs- und Lageberichte von Bürgermeistern, Landräten, Regierungspräsidenten und der Polizei sowie von NSDAP-Gliederungen wie dem Sicherheitsdienst der SS (SD), aber auch von oppositionellen Organisationen wie die bekannten „Deutschland-Berichte“ des Vorstands der Sozialdemokratischen Partei im Prager Exil. Diesen Dokumenten hat Peter Longerich in seinem Buch ein ausführliches quellenkritisches Kapitel gewidmet, in dem er auf die vielfältige Bearbeitung dieser Berichte hinweist, die nicht wie moderne Meinungsumfragen die unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der deutschen Bevölkerung wiedergaben, sondern selbst Teil politischer Strategie derjenigen waren, die sie verfassten.1

Longerich nimmt damit den ‚linguistic turn‘ ernst und versucht nicht, Textquellen als authentische Beschreibung einer „darunter“ oder „dahinter“ liegenden Wirklichkeit zu interpretieren, begreift sie vielmehr als sprachliches Konstrukt, das seinerseits Wirklichkeit konstruiert. Longerich zieht daraus für seine Darstellung eine wichtige methodologische Konsequenz: Demnach vermitteln diese Berichte kein objektives Bild von „der“ Meinung „der“ Deutschen, sondern waren selbst Bestandteil eines politischen Prozesses, eine solche „Volksmeinung“ herzustellen. Sein Buch ist – entgegen dem irreführenden Titel – keine Untersuchung, was „die Deutschen“ gewusst haben, vielmehr eine moderne Studie zur nationalsozialistischen Propaganda als Politik „von oben“, um eine spezifische antisemitische Öffentlichkeit zu formen. Die Bevölkerung erscheint in Longerichs Buch bloß als reagierender Adressat dieser Politik, nicht als eigenständig handelnder Akteur.

Frank Bajohr und Dieter Pohl betonen ebenfalls in ihrer Einleitung, dass das Wissen der Deutschen nicht im Mittelpunkt ihrer Beiträge stehe. Sie fragen nicht nach Haltungen, sondern nach Handlungen. Mit diesem praxeologischen Ausweg, bei dem erkennbar die Arbeiten von Alf Lüdtke Pate standen, geraten Konsens, Beteiligung, Mittäterschaft und Nutznießertum ebenso in den Blick wie Indifferenz, Abwendung, Ablehnung antisemitischer Politik und Verweigerung.2

Bernward Dörner dagegen will durch eine umfassende Auswertung ganz unterschiedlicher zeitgenössischer Quellen auf andere Weise das Problem lösen und durch quellenkritische Prüfung, durch einen „ständigen Abgleich der gewonnenen Erkenntnisse mit Informationen aus anderen Quellen“ (S. 17) zu zuverlässigen Antworten gelangen. Neben NS-Lageberichten, Verwaltungsakten oder Zeitungsartikeln stützt er sich zusätzlich auf Ermittlungsakten zu Fällen so genannter „Heimtücke“, worunter der NS-Staat kritische oder gar oppositionelle Meinungsäußerungen verstand.3 Außerdem bezieht Dörner Tagebücher und Briefe in seine Untersuchung mit ein, die er insgesamt räumlich auf das Reichsgebiet, zeitlich auf die Jahre zwischen 1941 bis 1945 beschränkt.

Im ersten Teil seines Buches behandelt Dörner die Hindernisse wie Möglichkeiten der Wahrnehmung des Genozids. Geheimhaltung, die Beschränkung des Täterkreises, die meist vorhandene Distanz zu den Tatorten, die Beispiellosigkeit der Taten sowie das Tempo der Tatausführung hätten es zwar erschwert, den genozidalen Charakter des Geschehens zu erkennen. Dennoch habe es zahlreiche Möglichkeiten gegeben, um den systematischen Massenmord erkennen zu können, was Dörner mit einer Fülle von Zitaten vor allem für die Judenerschießungen in den besetzten Ostgebieten belegt. Nun ist in der Forschung mittlerweile unbestritten, dass ebenso wie die Angehörigen von SS und Polizei auch die Beamten der Besatzungsverwaltung sowie Wehrmachtssoldaten von der Ermordung der sowjetischen Juden durchaus Kenntnisse besaßen, wenn sie nicht sogar selbst daran beteiligt waren, und Berichte darüber durch die Besuche in der Heimat auch in die Familien in Deutschland gelangten. Aber konnte man von diesem Wissen um ungeheuerliche Verbrechen im Osten ohne weiteres auf die Systematik eines europäischen Völkermords schließen?

Dörner führt daher zusätzlich eine Vielzahl öffentlicher Äußerungen von NS-Führern an, in denen den Juden der Tod angedroht wurde, und kommt zu der Schlussfolgerung, „dass die deutsche Bevölkerung in allen Regionen spätestens seit Beginn der Katyn-Kampagne im April/Mai 1943 allein schon aufgrund der Lektüre der lokalen oder regionalen Tageszeitungen vom Tod der im deutschen Herrschaftsbereich befindlicher Juden gewusst haben muss“ (S. 193). Auch wenn „die einzelnen Hinweise auf den Judenmord für sich nicht zwingend“ gewesen seien, hätten doch „die synergetische Wirkung der unterschiedlichen Quellen“ (ebd.) keine Zweifel am Schicksal der Juden zugelassen.

Ebenso wie Longerich stellt Dörner ausführlich die Informationen vor, die ausländische Sender über den nationalsozialistischen Judenmord verbreiteten. So fand die Deportation der deutschen Juden in den westlichen Medien ein breites Echo, und über die Massenerschießungen in den besetzten sowjetischen Gebieten war in britischen Tageszeitungen schon im Herbst 1941 zu lesen. Mitte 1942 verdichteten sich in den amerikanischen und britischen Zeitungen wie auch Radiosendern die Berichte über das millionenfache Morden der Nationalsozialisten. Doch muss wiederum erstens offen bleiben, wie viele Deutsche diese Sendungen trotz Verbot hörten und zweitens, wie viele ihnen Glauben schenkten oder sie nicht vielmehr als feindliche Gräuelpropaganda abtaten.

Kommunikationstheoretisch formuliert, ebnet Dörner, indem er die Veröffentlichung von Todesdrohungen gegen Juden mit dem Wissen um den tatsächlichen Massenmord gleichsetzt, die Differenzen zwischen Sender, Empfänger und Botschaften ein und macht sich damit die Antwort leichter als sie ist. Denn nur unter der – nicht zu belegenden – Annahme, dass die Leser die Aussagen von NS-Führern für Fakten und nicht für bloßes Gerede gehalten haben, könnte man behaupten, dass die Lektüre Wissen generiert habe. Es gibt durchaus Fälle wie den in allen drei Büchern erscheinende Techniker Karl Dürkefelden aus Celle, der sich 1942/43 beharrlich und eigensinnig aus allen ihm zur Verfügung stehenden Quellen, vor allem aus BBC-Sendungen, ein realistisches Bild vom Krieg und den Massenverbrechen gemacht hat. Wer etwas wissen wollte, konnte sich durchaus die nötigen Informationen beschaffen. Aber die Option des Wissens heißt noch nicht, dass die Möglichkeit dazu genutzt worden ist. Wissen können und wissen wollen sind unterschiedliche Bereiche, die im Untertitel von Dörners Buch zwar formuliert, aber im Buch selbst nicht mehr analytisch differenziert werden.

Anders geht Dieter Pohl der Frage nach dem Verhältnis von NS-Regime und internationalem Bekanntwerden der Verbrechen nach. Auf einer eingeschränkten und daher überschaubaren Materialbasis untersucht er, wie empfindlich die nationalsozialistische Spitze in Berlin die unerwünschte ausländische Berichterstattung über ihre antisemitische Politik wahrnahm und hoffte, dass der Krieg endlich die internationale Aufmerksamkeit ablenken würde. Doch Verbrechen von einer solchen Dimension, so Pohls Analyse, konnten in der internationalen Medienlandschaft dieser Zeit nicht mehr verheimlicht werden. Beirren ließ sich die deutsche Führung in ihrer Vernichtungspolitik deswegen nicht, versuchte aber, mit Gegenpropaganda, nicht zuletzt mit der Katyn-Kampagne, darauf zu reagieren. Während Pohl zeigt, wie man mit einer klar definierten Fragestellung und eingegrenzter Quellenbasis zu wissenschaftlich validen Aussagen gelangen kann, muss in Dörners enorm ausgeweitetem Blick auf „die“ Deutschen das methodische Problem der Quellen ungelöst bleiben. Seine Schlussfolgerungen sind allenfalls begründete Vermutungen, keine durch das empirische Material bewiesenen Induktionsschlüsse.

Dörners Methode bleibt sich stets ähnlich: Er breitet eine Fülle von Zitaten aus unterschiedlichsten Quellen aus und schließt von diesen auf ein allgemeines Wissen über den Holocaust. Da jedoch diese Materialien trotz ihrer zum Teil eindrücklichen Aussagen stets partikulare Dokumente bleiben, deren Repräsentativität nicht zu ermitteln ist, flüchtet sich Dörner in vage Mengenangaben, spricht von „vielen“, „zahlreichen“, „allermeisten“ oder verwendet ein einzelnes Zitat als Beleg für eine allgemeine Aussage: „Wie viele Deutsche den Gedanken der physischen Vernichtung bereits verinnerlicht hatten, verrät die offen ausgesprochene Empfehlung eines NSDAP-Kreisleiters vom Juni 1941 […]“ (S. 422); „Wie sehr sich die Bevölkerung mit dem grausigen Schicksal der Juden beschäftigte, zeigt sich auch in zahlreichen anderen Briefen an verschiedene Behörden […]“ (S. 435); „Wie viele Deutsche dieses Verbrechen beschäftigte, lässt folgende Erklärung in einer Gestapovernehmung erahnen [...]“ (S. 347).

In quantitativer Hinsicht stellen die zitierten Äußerungen, so räumt Dörner ein, gemessen an den ungezählten Sprechakten nur einen winzigen Ausschnitt dar. Dennoch dürfe ihre Aussagekraft nicht unterschätzt werden. „Analysiert man die Aussagen zur Ermordung der Juden als Spuren der subjektiven Seite des Genozids, so zeigt sich, dass die noch erhaltenen Akten (als Zufallsauswahl zeitgenössischer Äußerungen) die gesellschaftliche Wahrnehmung der Vernichtungspolitik widerspiegeln“ (S. 360). An diesem methodischen Fehlschluss scheitert das Buch schließlich. Die überlieferten Quellen heterogenster Art zu einer repräsentativen Zufallsauswahl der Sprechakte aller Deutschen zu erklären, kann wissenschaftlich nicht überzeugen. Die unterschiedlichen Quellen können selbstverständlich nicht in eins gesetzt werden, sondern bedürfen der kritischen Analyse innerhalb ihrer Textsorte und ihres Kontextes. Weil Dörner die drei eingangs genannten Variablen seiner Untersuchung: „Deutsche“, „Wissen“ und „Holocaust“ nicht präzise definiert, kann er sich aus der selbst aufgestellten methodologischen Falle nicht mehr befreien, vielmehr gerät er immer tiefer in sie hinein.

Im zweiten Teil seines Buches, in der er Phasen des gesellschaftlichen Wahrnehmungs- und Reaktionsprozesses unterscheidet, konstatiert er nicht nur, dass die Hinweise auf den Völkermord immer deutlicher geworden seien, so dass er als Genozid seit der Jahreswende 1942/43 vielen zur Gewissheit geworden sei. Spätestens seit Mitte 1943 sei das Wissen über die systematische Ermordung der Juden so verbreitet gewesen, dass „viele Deutsche den Tod der Deportierten und der osteuropäischen Juden als Tatsache annahmen und alle es hätten tun müssen“ (S. 483). Zwar hätten keineswegs alle Deutschen den Massenmord gebilligt, aber „in ihrer überwältigenden Mehrheit wagten die Deutschen keinen Widerstand gegen das mittlerweile immer unbeliebtere NS-Regime“, zum Teil aus Angst vor dem Terror, zum Teil aus Furcht vor der Rache der Alliierten. „Deshalb entschlossen sie sich nach der Devise 'Genießt den Krieg, der Frieden wird schrecklich' kollektiv zum Durchhalten.“ (ebd.) Dörners von Anfang an entdifferenzierte Argumentation treibt ihn zum Schluss in eine unhaltbare Stilisierung „der“ Deutschen als homogenen Kollektivakteur, die sich trotz ihres Wissens um die Verbrechen einmütig entschieden hätten, nicht zu revoltieren, sondern loyal zu bleiben.

Auch Frank Bajohr und Dieter Pohl entgehen dem methodischen Problem der Partikularität der Quellen nicht, nur begegnen sie ihm auf eine andere Weise. Zum einen konzentrieren sie sich auf die gesellschaftliche Praxis, und zum anderen formulieren sie statt weitreichender Thesen eher konzeptionelle Überlegungen zum Wissen der Deutschen. Dass die Judenverfolgung zum Beispiel ein reichhaltiges Feld bot, um selbstsüchtige Interessen zu verfolgen, sich zu bereichern, gegen missliebige Konkurrenten, Nachbarn, Vorgesetzte vorzugehen, ist ein eminent wichtiger Punkt, da mit ihm das Verhältnis von Emotionen wie Habgier und Wissen thematisiert wird. Während Dörner die überlieferten Äußerungen über die alliierten Bombenangriffe als „Strafgericht“ für die Gräueltaten an den Juden nur als Ausdruck der Furcht vor alliierter Rache deutet, weist Bajohr auf eine unterschwellige Aufrechnungsstrategie hin, die sich in der Verknüpfung von Bombenkrieg und Holocaust offenbart.4 Diese Gefühlsmelange aus Bestrafungserwartungen, Vergeltungsängsten und schlechtem Gewissen markiere, so Bajohr, einerseits das Ende des volksgemeinschaftlichen Konsenses in der Judenverfolgung und auch eine implizite Distanz zum NS-Regime. Andererseits trete damit schon die Schuldabwehr zu Tage und ließ in der Aufrechnung der Opfer den herrschenden Grundton der Nachkriegsauseinandersetzung anklingen.

Vor allem findet sich ein Gedanke, der auf die Frage, was die Deutschen vom Holocaust wussten, eine interessante Antwort skizziert. Bajohr weist auf die jüngere Forschung hin, die entgegen der älteren Sicht auf den Holocaust als eine geschlossene, hermetische und stringent verlaufene Mordentwicklung das Geschehen nunmehr als eine sich über mehrere Jahre hinziehende Abfolge von Massakern und Mordaktionen interpretiert. Dieser Prozess folgt keineswegs wie früher angenommen einer einzigen Intention, einem Masterplan oder dem Vernichtungswillen einzelner, sondern wurde von Disparität, Diskontinuität, Situativität, ja selbst Kontingenz bestimmt. Legt man dieses komplexe Bild zugrunde, dann stellt sich die Aufgabe in der Tat anders. Es gilt dann nicht mehr, aus der partikularen Überlieferung auf ein allgemeines Wissen über „den“ Holocaust zu schließen. Stattdessen ließe sich gerade in der Heterogenität der Quellen die Disparität des Geschehens erkennen. Die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Quellen bildeten in dieser Perspektive nicht die erkennbare Spitze eines homogenen Wissens über einen homogenen Gegenstand, sondern wären als Aussagen über die jeweiligen Mordphasen, Radikalisierungsdynamiken, regionalen Entwicklungen, situativen Bedingungen und separaten Öffentlichkeiten wie Kommunikationsnetze ernst zu nehmen.

Was wussten die Deutschen vom Holocaust? Peter Longerich diskutiert auf methodisch anspruchsvollem Niveau die Quellen und entwirft eine moderne Geschichte einer „von oben“ formierten, nationalsozialistischen Öffentlichkeit, in der allerdings die Bevölkerung nur als reagierender Adressat, nicht als eigener Akteur erscheint. Bernward Dörner hat mit Akribie und Energie eine Vielzahl von eindrucksvollen Quellen zusammengetragen und ausgebreitet, scheitert jedoch an einem Mangel an methodischer Reflektion. Auch bei Frank Bajohr und Dieter Pohl bleibt die Frage, was die Deutschen vom Holocaust wussten, letztlich offen. Aber ihr Vorschlag, sich auf gesellschaftliche Praxis, auf Handlungen, nicht auf Haltungen zu konzentrieren, entgeht methodischen Fallstricken und führt auf anregende Weise zu dem produktiven Ausweg, die Frage anders zu stellen.

Anmerkungen:
1 Siehe auch die Rezension des Buches in H-Soz-u-Kult von Bernward Dörner, der allerdings die quellenkritischen Argumente Longerichs für überzogen hält, in: H-Soz-u-Kult vom 14. Juni 2006: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-2-189>.
2 Siehe neben dem Aufsatzband: Lüdtke, Alf, Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993, vor allem den von Lüdtke herausgegebenen Band: Herrschaft als soziale Praxis, Göttingen 1991.
3 Schon in seiner Dissertation hat sich Bernward Dörner mit den „Heimtücke“-Fällen befasst, vgl. ders., „Heimtücke“. Das Gesetz als Waffe. Kontrolle, Abschreckung und Verfolgung in Deutschland 1933-1945, Paderborn u.a. 1998.
4 Siehe dazu bereits Frank Bajohr, Über die Entwicklung eines schlechten Gewissens. Die deutsche Bevölkerung und die Deportationen 1941-1945, in: Die Deportationen der Juden aus Deutschland. Pläne – Praxis – Reaktionen 1938-1945 (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 20), Göttingen 2004, S. 180-195.

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