I. Eschebach (Hrsg.): Ravensbrück. Der Zellenbau

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Titel
Ravensbrück. Der Zellenbau. Geschichte und Gedenken. Begleitband zur Ausstellung


Herausgeber
Eschebach, Insa
Reihe
Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten 18
Erschienen
Berlin 2008: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
189 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Juliane Brauer, Büro für Geschichte, Potsdam

„Auf dem Boden der Zelle war Eis. Ununterbrochen bewegte ich mich, um nicht zu erfrieren. [...] Die Schürze hatte ich abgenommen und wickelte sie für eine Weile um die nackten Arme. Hin und wieder setzte ich mich auf den eiskalten Tisch, zog die Füße hoch, wickelte sie in die Schürze und versuchte, das Kleid über die Knie zu ziehen. Alles tat weh.“ (S. 30) So schildert Maria Kuhn-Wiedmaier rückblickend ihre Haft im so genannten Bunker des Konzentrationslagers Ravensbrück. Diese Erinnerung steht stellvertretend für die meist unbekannten Häftlingsfrauen, die im Lagergefängnis des KZ Ravensbrück bestraft, geschlagen, gefoltert und zu Tode gequält wurden und deren Zahl heute nicht mehr ermittelt werden kann.

In ihrer doppelten Funktionszuschreibung als Lagergefängnisse zum Vollzug von Lagerstrafen und als Sondergefängnisse der Gestapo für prominente Gefangene waren die Zellenbauten der Konzentrationslager eigens eingezäunte Gebäudekomplexe. In den Häftlingsberichten stehen die „Bunker“, wie sie von den Gefangenen genannt wurden, synonym für Terror, Willkür, Grausamkeit und Rechtlosigkeit. Nur wenige Menschen überlebten die in den Zellenbauten vollstreckten Lagerstrafen, und noch weniger von ihnen berichteten darüber. So ist das historisch gesicherte Wissen über die Vorgänge in den Lagergefängnissen rar und beschränkt sich weitgehend auf prominente Sondergefangene der Gestapo.

Heute gestaltet es sich schwierig, eine Geschichte der Bunker mit ihren mehrfachen Funktionen zu dokumentieren und auf Grundlage historischen Wissens angemessen derjenigen zu gedenken, die in den Zellenbauten der Konzentrationslager litten.1 Der vorliegende Begleitband zur am 20. August 2006 eröffneten Ausstellung „Ravensbrück. Der Zellenbau“ stellt sich explizit diesen beiden Herausforderungen: „Geschichte und Gedenken“ heißt es programmatisch im Untertitel. Dem so formulierten Ziel wird der Band nur teilweise gerecht. Zu wenig ist tatsächlich über konkrete Lebensgeschichten zu erfahren. Aber die Beiträge können die bisher kaum erforschte Geschichte der Zellenbauten in wichtigen Grundzügen erhellen. Darüber hinaus vermag der Band einen Beitrag zur Debatte um die Historisierung von Gedenken zu leisten.

Der Band ist durchgängig zweisprachig angelegt (Deutsch/Englisch) und besteht inhaltlich aus zwei Hauptteilen. Den ersten Teil bilden Beiträge von Alyn Beßmann und Andreas Ehresmann, die sich aus unterschiedlicher Perspektive der Geschichte des „Bunkers“ in Ravensbrück annähern. Der zweite Teil dokumentiert die 18 nationalen Gedenkräume und den internationalen Gedenkraum im ehemaligen Zellenbau. Eingeführt wird dieser Teil durch einen Problemaufriss von Insa Eschebach. Zur aktuellen Ausstellung findet der Leser dagegen kaum Informationen. So handelt es sich nicht um einen Ausstellungskatalog, sondern um vertiefende Informationen zur Präsentation vor Ort.

Der Aufsatz von Beßmann versucht auf knappem Raum die vielfältigen Aspekte der Geschichte des Zellenbaus anzureißen: Geschichte des Gebäudes, Haftalltag, Sondergefängnis der Gestapo, SS-Angehörige als Wachpersonal und als Arrestanten sowie die Zeit nach der Befreiung. Gerade weil die historische Beschäftigung mit dem Zellenbau erst am Anfang steht und an einigen Stellen mehr Fragen als Antworten zu formulieren sind, hätte sich ein umfangreicherer Beitrag an dieser Stelle durchaus gelohnt. Zu bemängeln ist zudem die begriffliche Unschärfe, die sich durch den ganzen Band zieht: „Bunker“, „Zellenbau“, „Lagergefängnis“ und „Arrestgebäude“ werden synonym genutzt, ohne spezifische historische beziehungsweise neuere Verwendungen zu kennzeichnen.

Ehresmann vertieft die Geschichte des Zellenbaus aus bautypologischer Perspektive. Interessant ist der Hinweis darauf, dass im Vergleich mit anderen Lagergefängnissen die Ausstattung einiger Zellen in Ravensbrück mit Zentralheizung und Wasserklosett einmalig ist. Ob dies nun dem Umstand geschuldet war, dass es sich um ein Frauenkonzentrationslager handelte, wie Insa Eschebach im Vorwort überlegt (S. 10), oder diese Zellen für die Sonderhäftlinge der Politischen Abteilung gedacht waren (darunter auch SS-Angehörige selbst), kann nach jetzigem Stand der Forschung nicht eindeutig beantwortet werden. Die bauhistorische Perspektive ermöglicht es aber, bestimmte Charakteristika des Ravensbrücker Zellenbaus zu erkennen. So war dieser nur mit einer ein Meter hohen Mauer umgeben, auf der sich ein weißer Holzzaun befand. Diese Anlage bot weder Sichtschutz noch konnte sie ernsthaft verhindern, dass Arrestanten über den Zaun ins Barackenlager flüchten konnten. Ganz anders präsentiert sich hingegen die Maueranlage um den Zellenbau in Sachsenhausen. Das T-förmige Gebäude war mitsamt eines eigenen Hofs zum übrigen Barackenlager mit einer circa 2,50 m hohen Mauer abgegrenzt. Zusätzlich sorgten Stacheldraht und ein eigens gesichertes Tor dafür, dass das Gebäude bereits äußerlich als selbstständiges Gefängnis erkennbar war.

Der zweite und umfangreichere Teil des Bandes dokumentiert mit Fotos sowie kurzen Texten zur Entstehung und Wirkung die nationalen Gedenkräume im Zellenbau, die im Zuge der Eröffnung der Gedenkstätte am 12. September 1959 und in den folgenden Jahren zum Teil von den Überlebendengemeinschaften selbst, zum Teil von Mitarbeitern der Gedenkstätte eingerichtet worden waren. In den Jahren 1986 bis 1989 erfolgte eine Umgestaltung der 18 nationalen Gedenkräume und 1990 eine Modifikation des internationalen Gedenkraumes in die heute noch zu besichtigende Form. Wie mühevoll die Diskussion darüber war, wie mit dem Erbe der Gedenkstätten aus der DDR-Zeit umzugehen sei, erwähnt Insa Eschebach nur am Rande. Die Entscheidung für die Beibehaltung der nationalen Gedenkräume in Ravensbrück weckt die Neugierde auf eine Geschichte der Debatten, die in den Gremien der 1993 gegründeten Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten geführt wurden.2 Ob die Kommentierung der Gedenkräume mit knappen Texten zu ihrer Entstehung ausreicht, um dem interessierten Besucher tatsächlich einen kritischen Umgang mit diesen Relikten historischer Erinnerungskultur zu ermöglichen, wird sich erweisen müssen. So wird in den Gedenkräumen die Geschichte des nationalen politischen Widerstandskampfes der jeweiligen Häftlingsgruppe dargestellt. Offensichtliches Ziel war die Vermittlung der zu DDR-Zeiten gesellschaftlich verbindlichen Werte. Vor diesem Hintergrund fehlen die Häftlingsfrauen, die aus sozialen oder religiösen Gründen verhaftet worden waren. Eschebach verweist zu Recht auf die Chancen, die sich aus der Konservierung und Kommentierung früherer Geschichtsbilder ergeben: Vergangenheit wird nicht nur dargestellt, sondern ihr Gebrauch und ihre ständige Wiederverwendung sollen transparent bleiben. Dabei kann die neue Ausstellung im Ravensbrücker Zellenbau ein Lehrbeispiel für die politische Dimension von Gedenken sein.

Der Begleitband allein überzeugt noch nicht. So erfährt man zwar, welche neuen Fragen an nationales Gedenken heute formuliert werden sollten. Leider wird im Band aber nicht thematisiert, was die Gedenkstätte in der jetzigen Ausstellung zum Zellenbau der alten Nationenausstellung entgegengesetzt hat. Das Buch informiert, dokumentiert und problematisiert, verrät jedoch nicht zu viel über das eigentlich Neue der Ausstellung. Beim Lesen ergeben sich viele Fragen, die sich wohl nur durch einen Besuch der Ausstellung klären lassen. Positiv gewendet: Das Buch macht Erkundungen vor Ort nicht überflüssig und aus dem Leser einen potenziellen Besucher.

Anmerkungen:
1 In den Gedenkstätten Dachau und Sachsenhausen gibt es neuere Ausstellungen in den Zellenbauten zu deren Geschichte. Publikationen dazu sind bisher nicht erschienen.
2 In der Gedenkstätte Sachsenhausen entschied man sich gegen die Beibehaltung und Kommentierung der 1961 entstandenen DDR-Ausstellung im Lagermuseum. Erst kürzlich wurde am selben Ort, in der Häftlingsküche, eine neue Dauerausstellung eröffnet, die anhand von 51 zentralen Ereignissen aus der Geschichte des Lagers Sachsenhausen einen Überblick geben soll. Eingehende Hinweise und Interpretationen zu den Debatten der 1990er-Jahre finden sich bei Haustein, Petra, Geschichte im Dissens. Die Auseinandersetzungen um die Gedenkstätte Sachsenhausen nach dem Ende der DDR, Leipzig 2006 (rezensiert von Gabriele Hammermann: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-3-193>).