die Sprache Deutsch

Veranstalter
Deutsches Historisches Museum Berlin <http://www.dhm.de/ausstellungen/sprache-deutsch/index.html> (12344)
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12344
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.01.2009 - 03.05.2009

Publikation(en)

Anderlik, Heidemarie; Kaiser, Katja; Deutsches Historisches Museum Berlin (Hrsg.): die Sprache Deutsch. . Dresden 2009 : Sandstein Verlag, ISBN 978-3-940319-57-9 384 S. € 48,00 (Museumsausgabe: € 25,00)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Kiewitz, Max-Planck-Gesellschaft, Berlin

„Kindergarten“ und „Schadenfreude“ sind nur zwei deutsche Wörter von vielen, die international Verbreitung gefunden haben. In der Türkei weiß jeder Deutsch sprechende Gast, was auf den Teller kommt, wenn er ein „Shnitzil“ bestellt, und wer in Brasilien Durst auf ein Bier hat, bestellt einen „Chopp“. Dass das Deutsche trotz der im Zuge der Globalisierung immer stärker werdenden sprachlichen Anglisierung weiterhin Bedeutung hat, möchten zwei Ausstellungen zeigen, die in Kooperation mit dem Goethe-Institut entstanden sind. Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn konzentriert sich in der Ausstellung „man spricht Deutsch“ (12. Dezember 2008 – 3. Mai 2009) auf die deutsche Gegenwartssprache.1 Deren historische Entwicklung als Kulturgut zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin (DHM), dessen Schau im Fokus dieser Rezension steht.

Auf rund 400 qm Ausstellungsfläche entfalten die Kuratorinnen Heidemarie Anderlik und Katja Kaiser ein Panorama von der karolingischen Zeit bis in die Gegenwart. Den breitesten Raum nimmt die Darstellung der Literatur- und Schriftsprache ein; daneben stehen Themen der Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Die Leser- und Rezeptionsforschung bleibt ausgeblendet. Wie es dem Ansatz des DHM entspricht, konzentriert sich die Ausstellung auf einen reichhaltigen Fundus von teils hochkarätigen Objekten, die zeigen, dass Sprachgeschichte ein essentieller Teil deutscher Kulturgeschichte ist. Damit setzt die Ausstellung einen klaren Akzent auf die schriftlich fixierte Sprache. Der Audioguide ergänzt dies durch Hörbeispiele mit gelesenen Texten sowie mit Tonschleifen zu Bildschirminstallationen.

Der Besucher betritt die Ausstellung durch die Hörinstallation eines Sprachtunnels, in dem Zitate und Lautfolgen aus unterschiedlichen modernen Sprachen erklingen. Die erste Station „Sprache und Spracherwerb“ bietet einen linguistischen Zugang, Sprache zu beschreiben und zu analysieren, räumt ihm aber nur wenig Fläche ein. Die Leitobjekte dieser Station – Wachsmodelle der Sprechorgane und eine Haube zur Messung der Hirnströme – veranschaulichen jedoch auf ebenso einfache wie intelligente Weise die selten miteinander verknüpften anatomischen Grundlagen der menschlichen Sprechfähigkeit. Informationen zu Grammatik und Phonetik der Weltsprachen und das weite Thema des kindlichen Spracherwerbs sind leider nur an PC-Stationen abrufbar.

Mit dem zweiten, ungleich größeren Abschnitt „Sprachgeschichte“ eröffnen die Kuratorinnen den historischen Teil der Ausstellung. Im Zentrum stehen bekannte Höhepunkte der mittelalterlichen Sprachüberlieferung, darunter der Hundeshagensche Kodex des Nibelungenliedes oder das „Tristan“-Epos Gottfrieds von Straßburg. Die selten zu sehende Abrogans-Handschrift ist das erste Buch in deutscher Sprache; es ist um das Jahr 790 entstanden. Als Wörterbuch dokumentiert es, dass Sprachpflege und -theorie eine Wurzel der deutschen Sprachkultur sind.

Mit der Sprachrevolution, die Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern auslöste, gelangt der Besucher in die Frühe Neuzeit. Breiten Raum nimmt hier die Darstellung der Sprachgesellschaften ein, allen voran der „Fruchtbringenden Gesellschaft“. Susanne Ruccius’ Kunstinstallation zum Thema ist als Objekt zwar eindrucksvoll, erscheint angesichts der eher knapp bemessenen Ausstellungsfläche aber verzichtbar. Die Künstlerin konserviert die Mitgliederliste der Gesellschaft als Ansammlung von Glasflaschen, die Pflanzenteile einschließen. Es sind Kräuter, deren Namen die Mitglieder als Pseudonyme wählten.

Im Verhältnis zur Gesamtfläche ebenfalls etwas zu groß geraten ist das Lese- und Hörkabinett, das im Zentrum der Ausstellung das Thema „Dichtkunst und Sprachkunst“ vorstellt. Die außen angebrachten Vitrinen folgen mit Autographen von Rilke, Döblin, Goethe und Brecht dem Kanon der deutschen Literaturgeschichte. Das Wechselspiel zwischen poetischer und gesprochener Sprache können sie aber leider nicht illustrieren. Das gelingt besser bei abseitigeren Texten, wie dem Manuskript von Robert Gernhardts launigem, die dilettantische Aussprache eines deutschen Frankreichtouristen parodierendem Gedicht „Auch ich war in Parih“. Wie Dichter sprachliche Standards beeinflussen und Worten Flügel verleihen, zeigen die Beispiele indes nicht. Und die sprachgeschichtlich ebenso tiefgreifenden wie folgenreichen Jahre des „Dritten Reichs“ sind mit Blick auf einen „Volksempfänger“, Goebbels’ Sportpalastrede und Thomas Manns Radioansprache „Deutsche Hörer!“ leider nur sehr kurz gestreift. Über Victor Klemperers unter Lebensgefahr zu Papier gebrachte Analyse der „Lingua Tertii Imperii“ gibt jedoch der Katalog Auskunft.

Wie maßgeblich die Sprache des Theaters auf die Alltagssprache wirkte, zeigt die Sprachreform des Kaiserreichs. Sie vereinheitlichte nicht nur die orthographischen Regeln, sondern auch die gesprochene Sprache. Eine großzügig eingerichtete Raumvitrine „Deutschstunde“ birgt Theodor Siebs Lehrbuch „Die deutsche Bühnensprache“, dessen phonetische Regeln ab 1901 für die Hochsprache galten. Ergänzend hätte man sich eine Klanginstallation gewünscht. Dass die zeitgenössische Technik ein besonderes Augenmerk auf die Aufzeichnung und Wiedergabe gesprochener Sprache richtete, belegen die Kuratorinnen in der daneben liegenden Vitrine mit Phonograph und Reis-Telephon.

Der Blick in die Sprachwerkstatt der Übersetzerin gibt dann ein Beispiel für das Eindringen der deutschen Literatursprache in das Alltagsdeutsch von Kindern und Jugendlichen. Es illustriert überdies gekonnt, wie Sprache kulturelle Identitätstraditionen behaupten und mit neuen Inhalten anreichern kann. Gezeigt werden Schreibmaschine, Zeilenzähler und die Leselupe von Erika Fuchs, die in den 1950er-Jahren die Sprechblasen in Walt Disneys Donald-Duck-Comics mit geistreichen, Alltags- und Literatursprache gekonnt mischenden deutschen Übersetzungen füllte. Als Anleihe an „Wilhelm Tell“ ließ sie dort Tick, Trick und Track schwören: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern.“

Die Ausstellungsmacherinnen stützen mit diesem Beispiel die These, dass mit der Nachkriegszeit eine eigene Epoche der deutschen Sprachgeschichte angebrochen sei. Das Spätneuhochdeutsch umfasst einerseits eine weithin verbreitete Standardsprache, andererseits gleichberechtigt zahlreiche Varianten, unter denen Soziolekte (Sprachvarianten bestimmter sozialer Gruppen) eine Spielart sind. Ein eigenes Kapitel ist die Ausdifferenzierung des Deutschen in eine ostdeutsche Variante, die auch hier mit dem beliebten Beispiel „Goldbroiler“ belegt wird, und in eine westdeutsche, anglo-amerikanisch beeinflusste Ausprägung.

Der abschließende Blick auf die „Lebendige Sprache“ thematisiert unter anderem Werbe- und Jugendsprache als Beispiele für aktuelle sprachliche Varianten des Deutschen. Den Rückschluss, dass das Deutsche der Vergangenheit weniger heterogen war als dasjenige des 21. Jahrhunderts, sollte der Besucher – mit Blick auf die zahlreichen historischen Schriftzeugnisse – jedoch nicht ziehen. Die Hörstation mit Leseproben deutscher Texte aus historischen Sprachstufen vom Früh- bis zum Neuhochdeutsch ist in dieser Hinsicht irreführend, denn sie suggeriert eine phonetische Homogenität, die so erst mit einer vereinheitlichten Hochsprache entstand.

Die stark auf Objekte unterschiedlichster Materialität und Herkunft orientierte Ausstellung gewinnt durch die Gestaltung optische Einheitlichkeit; die Abgrenzung der einzelnen Stationen durch ein Farbleitsystem ist jedoch nicht immer klar erkennbar. Die Architektur lässt den Objekten aber genug Raum. Schwierig ist lediglich der Umgang mit den Autographen, die an manchen Stellen mit zu viel Abstand in Vitrinen platziert und dadurch, trotz der bemerkenswert guten Ausleuchtung, nicht überall gut sichtbar sind. Details kann ein interessierter Besucher jedoch im Katalog nachvollziehen. Mitunter bleibt die Gestaltung auch allzu zurückhaltend, denn abgesehen von Bildschirmstationen gibt es keine interaktiven Elemente. Die Frage, wie er seine eigene Sprache in den weiten Horizont des Deutschen einzuordnen hat, muss sich jeder Besucher beim Betrachten der Exponate selbst beantworten.

Wie von den Kuratorinnen angekündigt, liefert die Ausstellung einen Überblick und vermittelt Höhepunkte der deutschen Sprachgeschichte und Kultur. Aus der schier unüberschaubaren Breite des Themas und der vielfältigen wissenschaftlichen Zugänge zeigt die Ausstellung eine repräsentative Auswahl. Einem deutschen Publikum dürften viele Beispiele zwar gut bekannt sein, insbesondere jene aus dem literarischen Kanon. Hier hätte man sich eine stärkere analytische Vertiefung gewünscht. Im Hinblick auf ein internationales Publikum ist die Auswahl jedoch sehr gut begründet.2 Was die Schau in Detailaspekten an manchen Stellen vermissen lässt, liefern der schön gestaltete Katalog und das Rahmenprogramm nach. Das Symposium zu dem in der Öffentlichkeit selten erörterten Thema „Die deutsche Sprache in Lateinamerika“ am 30. März war dafür ein gutes Beispiel.

Das Goethe-Institut unterstützt das Vorhaben, ein „Haus der deutschen Sprache“ als permanentes Informations- und Ausstellungszentrum einzurichten. Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum vermittelt einen Eindruck vom Wert dieses Projekts. Sie zeigt, welches Potenzial eine solche Institution haben könnte.

Anmerkungen:
1 Siehe <http://www.hdg.de/index.php?id=4986&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=761&tx_ttnews[backPid]=1s[backPid]=1> (14.4.2009).
2 In modifizierter Form – gekoppelt an die Bonner Schau „man spricht Deutsch“ – wird die Ausstellung auch international wandern.

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