Titel
Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozeß. Staatsbildung und innere Sicherheit in Preußen, England und Amerika 1700-1914


Autor(en)
Knöbl, Wolfgang
Erschienen
Frankfurt am Main 1998: Campus Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 51,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Ralf Pröve, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften

Thema der Berliner soziologischen Dissertation ist die Entstehung und Entwicklung von Polizeiorganisationen im Staatsbildungs- und Modernisierungsprozeß des 18. und langen 19. Jahrhunderts. Es geht Knöbl, der in der anglo-amerikanischen Tradition der Historischen Soziologie steht, darum, die Durchsetzung staatlichen Gewaltmonopols nachzuzeichnen, indem er die Ausdifferenzierung von Militär und Polizei sowie die Schnelligkeit, Ursache und die Faktoren der Ersetzung des Militärs durch die Polizei betrachtet. Angestrebt wird jedoch nicht nur eine organisationsgeschichtliche Studie, sondern auch, die Rolle und Bedeutung der Polizei im Kontext von Herrschaft zu beschreiben.

Die Studie will keine neuen Fakten über die Polizei präsentieren und auch dem "Spezialhistoriker" wenig Neues bieten. Statt dessen hofft Knöbl, durch den langen Untersuchungszeitraum von 200 Jahren und vor allem durch den vergleichenden Aspekt "neue Einsichten in den langen und verschlungenen Prozeß der Entwicklung von Herrschaft" zu gewinnen (S. 14). Dieser vergleichende Aspekt wird durch die Untersuchungsfälle Preußen, USA und England erreicht - eine geschickte Auswahl, steht doch dem Ensemble höchst unterschiedlicher gesellschaftlicher wie verfassungspolitischer Grundstrukturen in den Ländern eine auffallende zeitliche Parallele des Aufbaus moderner Polizei im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts gegenüber. Diese merkwürdig anmutende Koinzidenz führe zu der Frage, so Knöbl, ob die Tatsache der fast gleichzeitigen Polizeientstehung Anzeichen für eine zunehmende Homogenisierung staatlicher Herrschaft über Ländergrenzen hinweg sei oder ob nicht vielmehr der Auf- und Ausbau der Polizei weiterhin den zum Teil sehr verschiedenen Traditionen und Machtverhältnissen in den jeweiligen Ländern gefolgt sei.

Der Aufbau des Bandes ist programmatisch angelegt. Die ersten Kapitel sind jeweils einführenden theoretischen und methodologischen Abschnitten gewidmet. Hierzu zählt zunächst eine theoretische Erörterung des staatlichen Gewaltmonopols, die mit der gesellschaftstheoretischen Diskussion verknüpft wird. Daran schließt sich ein Einblick in Theorie und Methode der historischen Makrosoziologie an. Die drei wichtigsten Ansätze und theoretischen Perspektiven in der polizeibezogenen Herrschaftssoziologie (der herrschaftstheoretische, der konflikttheoretische und der modernisierungstheoretische Ansatz) werden im folgenden Abschnitt kritisch auf ihre Brauchbarkeit hin beleuchtet. Den Abschluß markieren Vergleichsperspektiven und Untersuchungsdesign.

Der Hauptteil ist chronologisch-geographisch gegliedert. Die drei nach Zeitperioden unterteilten Abschnitte - "Ordnungswahrung im vorindustriellen Zeitalter" (1700 - ca. 1780), "Staat und innere Sicherheit im Industrialisierungsprozeß" (ca. 1780 - ca. 1880) und "Innere Sicherheit in der Klassengesellschaft" (ca. 1880-1914) - werden jeweils länderspezifisch abgehandelt. Eine längeres Resümee bildet den Schluß.

Die Ergebnisse des Vergleichs fallen nicht sehr überraschend aus. In der vorindustriellen Phase habe es auf dem Lande in den drei Ländern zunächst wenig Unterschiede gegeben; es gab ähnliche Formen der Konfliktregelung und die Ordnungssicherung bewegte sich im traditionellen Rahmen. Die relativ wenigen Gewaltexzesse und Unruhen oder die geringe Kriminalitätsrate jener Zeit seien durch die paternalistischen Herrschaftsstrukturen im Keim erstickt worden. Die Unterschiede in den Städten fielen jedoch demgegenüber deutlicher aus; in Preußen habe das allgegenwärtige Militär für Ruhe und Ordnung gesorgt, in England und der Neuen Welt habe die Selbstverwaltungspraxis zu demokratischen Formen der Konfliktregulierung geführt. In der Übergangszeit hätten die unterschiedlichen Modernisierungswege immer deutlicher auseinanderklaffende Differenzierungen gezeitigt. Zwar sei es zum Aufbau moderner Polizeien gekommen (1829 in London, 1848 in Berlin, 1840er und 1850er Jahren in amerikanischen Städten), jedoch wären diese Exekutivorgane im Gegensatz zu Preußen demokratischer legitimiert und dezentral organisiert gewesen. Auch sei eine geheimpolizeiliche Ausspitzelung der Bevölkerung in England oder den USA nahezu unbekannt gewesen. Eine parallele Entwicklung in England und Preußen sei freilich die besondere Rolle der jeweiligen Hauptstadt gewesen; im Gegensatz dazu erhielt Washington D.C. keine gesonderte Polizeiregelung.

Im abschließenden Resümee kommt Knöbl zu dem Schluß, daß die Polizeientwicklung trotz einiger Parallelen in den drei Ländern den nationalen Traditionen verhaftet geblieben sei und es keine nationenübergreifende Industrialisierungsdynamik gegeben habe. Vielmehr habe es statt der Modernisierung "mehr Wege in die Moderne" (S. 359) gegeben, die durch bestimmte gegenläufige Entwicklungen auf ökonomischem, kulturellem und politischem Sektor festgelegt worden seien und zu "pfadabhängigen Entwicklungen" (S. 356) geführt hätten.

Zu loben ist die enorme Datenfülle, die Knöbl zusammengetragen hat, auch überzeugt die dichte Beschreibung der länderspezifischen Eigenarten. In der Perspektive des Historiker schleichen sich dennoch einige Bedenken ein. Sicherlich, der Vergleich auf Makroebene hat seine Reize. Ländertypische Entwicklungen können präziser erfaßt, nationale oder regionale Eigenheiten besser erkannt und insgesamt die großen Strukturen nachhaltiger beleuchtet werden. Wenn aber historische Sachverhalte so stark eingeebnet oder gegenläufige Entwicklungen ausgeblendet werden, um eine Vergleichbarkeit zu erzielen, ist dies nicht unproblematisch. Gerade die Interpretation Preußens als geschlossenem Militär- und Machtstaat, als steinerner Herrschaftsblock, gerät all zu sehr schematisch, bedient viel zu sehr eine Forschungsrichtung, die die Grenzen der staatlichen Gewalt und die langlebigen politischen Freiräume des "gemeinen Mannes" lange Zeit ignoriert hat. Gerade die sich in den letzten Jahren entwickelnde Stadt- und Bürgertumsgeschichte des ostelbischen Preußens hat überzeugend herausarbeiten können, daß an dem Bild des kujonierten, unterdrückten und politisch passiven Stadtbürgers im 18. und 19. Jahrhundert zu zweifeln ist; ebenso gelang es den Kommunen, sich unterhalb der normativen Ebene ein gerüttelt Mass an Eigenständigkeit und Selbständigkeit zu erarbeiten. 1

Anmerkungen:
1 Vgl. hier etwa die Arbeiten von Brigitte Meier. Zum Beispiel: Politisierung des Bürgers auf dem Wege der städtischen Selbstregierung, in: dies./Helga Schultz (Hgg): Die Wiederkehr des Stadtbürgers. Städtereformen im europäischen Vergleich 1750 bis 1850. Berlin 1994, S. 21-67; oder: Städtische Verwaltungsorgane in den brandenburgischen Klein- und Mit-telstädten des 18. Jahrhunderts, in: Wilfried Ehbrecht (Hrsg.): Verwaltung und Politik in Städten Mitteleuropas. Beiträge zu Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in altständischer Zeit, Köln 1994, S. 177-181.

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