A. Kohnle, F. Engehausen (Hg.): Zwischen Wissenschaft

Cover
Titel
Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag


Herausgeber
Kohnle, Armin; Engehausen, Frank
Erschienen
Stuttgart 2001: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
XVI, 605 S.
Preis
€ 101,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annett Moses, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universität Tübingen

Die zum 65. Geburtstag des Heidelberger Historikers Eike Wolgast vorgelegte Festschrift „Zwischen Wissenschaft und Politik“ ist ein voluminöses Werk von 600 Seiten mit insgesamt 34 Aufsätzen. Mit der Universitätsgeschichte konzentrieren die beiden Herausgeber Armin Kohnle und Frank Engehausen die Beiträge der Autoren um ein gemeinsames Leitthema, das auch im wissenschaftlichen Werk von Eike Wolgast eine zentrale Rolle spielt. Diese Vorgehensweise bietet den Vorteil, die bisweilen bei Jubiläumswerken festzustellende Heterogenität der Beiträge vermieden zu haben. Ein nicht zu verkennender Nachteil ist allerdings, dass man hierdurch – wie die Herausgeber zu Recht unterstreichen – der Breite der fachlichen Interessen des Jubilars kaum gerecht werden kann. 1 Trotz einer zunehmenden Spezialisierung in der Geschichtswissenschaft hat Professor Wolgast über die Epochengrenzen von Früher Neuzeit, Neuerer und Neuester Geschichte hinweg das 16. bis 20. Jahrhundert im europäischen Rahmen durchgängig in der Lehre behandelt.

Auf der Grundlage der thematischen Beschränkung auf die Universitätsgeschichte werden die Epochengrenzen überschritten, indem die 34 Aufsätze die Geschichte der deutschen und teilweise auch der europäischen Universitäten vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart in Spezialstudien und in übergreifenden universitätsgeschichtlichen Fragestellungen rekonstruieren. Hierbei resultieren die Schwerpunkte aus den Forschungsinteressen der Beiträger, sind aber zugleich kongruent mit den universitätshistorischen Forschungen Eike Wolgasts: die Universitätsgeschichte des Reformationszeitalters, die Rolle der Intellektuellen in der Politik des 20. Jahrhunderts und die Geschichte der Heidelberger Ruperto-Carola.

Alle Beiträge sind überaus informativ und lesenswert, zahlreiche sind im Feld der Universitätsgeschichtsschreibung forschungsrelevant und bieten neue Aspekte, einige sind von sehr persönlichen Eindrücken geprägt; im Rahmen einer relativ kurz zu haltenden Rezension ist es gleichsam ein Unterfangen der Unmöglichkeit, jedem Aufsatz gerecht zu werden. Das Augenmerk aller Beiträge richtet sich im weitesten Sinne auf die Darlegung des Spannungsfeldes zwischen universitärem Autonomieanspruch und obrigkeitlichem bzw. staatlichem Regulierungswillen. Immer wieder finden sich neben den ausschließlich der Geschichte der Ruperto-Carola gewidmeten Untersuchungen Schnittstellen zu dieser Universität, wie auch im ersten Beitrag des Heidelberger Mediävisten Jürgen Miethke, der die Bedeutung päpstlicher Universitätsgründungsprivilegien für die Einrichtung eines Studium generale untersucht. Er zeigt am Beispiel verschiedener europäischer Hochschulen, dass ein päpstliches Privileg allein für eine Gründung nicht ausreichend und auch nicht unbedingt erforderlich war. Vielmehr handelte es sich hier zunächst um „autoritative Identifikationen“, welche der zu gründenden Institution lediglich ihre Eignung für den künftigen Zweck zuerkannten. Die sich anschließenden Untersuchungen zur Frühen Neuzeit von Albrecht Luttenberger, Luise Schorn-Schütte und Manfred Rudersdorf verdeutlichen am Beispiel Bayerns, Sachsens und Württembergs, dass die Landesherren die Universitäten gezielt eingesetzt haben, um die Integration ihrer Territorien voranzutreiben. Neben diesen regionalgeschichtlichen Untersuchungsansätzen stehen generalisierende Darstellungen. Der Tübinger Historiker Anton Schindling analysiert unter der Überschrift „Vom Humanismus zur Aufklärung“ die Bildungsreformen im Reich der Frühen Neuzeit. Er kommt zu dem Schluss, die Frühe Neuzeit müsse trotz aller strukturellen Unterschiede in der Territorialisierung und der Konfessionalisierung bildungshistorisch als Einheit betrachtet werden, denn tief greifende geistesgeschichtliche Zäsuren finden sich erst nach 1800 (S. 24f.). Diese These wird in dem Beitrag von Notker Hammerstein über den Aufstieg der Philosophischen Fakultät gestützt. Der Aufsatz von Heribert Smolinsky ist der Freiburger Theologenfakultät im ausgehenden 18. Jahrhundert gewidmet und bildet den Übergang zu den nachfolgenden Aufsätzen zur Universitätsgeschichte der neuen und neuesten Zeit. Christoph Berger Waldenegg untersucht den Einfluss der in der Wiener Akademischen Legion organisierten Studentenschaft auf die Verfassungskämpfe in der 1848er Revolution anhand einer Analyse der Ministerratsprotokolle. Das Verhältnis zwischen Landesherr und Universitäten steht im Zentrum des Aufsatzes von Hansmartin Schwarzmeier, der für die beiden badischen Universitäten und für das Karlsruher Polytechnikum einen Abbau traditioneller Korporationsrechte zugunsten eines neuen Status als „Landesuniversität" (S. 157) nachweist. Der Kölner Historiker Hans-Peter Ullmann stellt generelle Überlegungen zu den Finanzen der deutschen Universitäten des 19. Jahrhunderts bis zur Zäsur 1914 an, wobei er bemängeln muss, dass eine umfassende Erforschung der Universitätsfinanzen im 19. Jahrhundert noch ein ausgesprochenes Desiderat darstellt. Im Anschluss berichtet Bernd Braun über die Parteihochschule der SPD in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Clemens Zimmermann gibt interessante Einblicke in die Filmwissenschaft als propagandistisches Instrument des Nationalsozialismus. Klaus Hildebrand erörtert in einem Forschungsüberblick die Grundlinien nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik. Es folgt ein sehr persönlich gehaltener kritischer Bericht des ehemaligen Rektors der Universität Adolf Laufs über die studentische Protestbewegung des Jahres 1968, der mit dem Titel „Bild eines Zeitgenossen von der anderen Seite“ überschrieben ist. Evyatar Friesel gibt schließlich einen Einblick in verschiedene Schwerpunkte jüdischer Studien an deutschen Universitäten.

Eine weitere Abteilung der Monographie ist mit der Überschrift „Außenbeziehungen" versehen. Anhand der Auswertung eines Reiseberichts von Victor Cousins - einem
prominenten Repräsentanten der geistigen und politischen Elite der französischen Julimonarchie - stellt der Heidelberger Historiker Werner Giesselmann die Frage, ob die deutsche Universität als Modell für eine umfassende Bildungsreform in rankreich in Erwägung gezogen wurde. Einige der von Cousins dargelegten Reformvorschläge gingen direkt in das Volksschulgesetz des Jahres 1833 ein, seine Reformüberlegungen im Bereich der Hochschulen wurden jedoch nur sehr partiell umgesetzt. Weit stärkere Wirkung entfaltete Cousins Berichterstattung auf der Ebene des öffentlichen Diskurses, der sich – gefördert durch die Übersetzung seines „Rapport sur l’instruction publique“ – in anderen europäischen Ländern fortsetzte. Giuseppe Giarrizzo geht auf die Rolle der deutschen Universitäten als bevorzugte Beobachtungsstätte Europas, und im speziellen Italiens ein. Martin Schwarz Lausten widmet sich der Beziehung Dänemarks zur Universität Wittenberg in der Reformationszeit. Schließlich zeichnet Diether Raff die Entstehung der Partnerschaft zwischen den Universitäten Heidelberg und Montpellier nach.

In einem weiteren Unterabschnitt finden sich verschiedene biographische Beiträge zusammengestellt. Michael Graetz erläutert die Vorschläge des jüdischen Akademikers A. Fischhof zur Lösung des österreichisch-ungarischen Nationalitätenkonflikts in der 1848er Revolution. Helmut Neuhaus schreibt über den Historiker Karl Hegel; Gottfried Niedhart referiert über Gustav Mayers am politisch motivierten Widerstand gescheiterte Habilitation in Berlin (1917/18). Hermann Jakobs zeichnet detailliert den Kampf Eugen Rosenstocks um die Anerkennung der Frankfurter Akademie der Arbeit nach; Wolfgang Petke untersucht den Lebensweg des Göttinger Mediävisten und Bibliothekars Alfred Hessel. Den Abschluss der biographischen Darstellungen bildet Hartmut Soells „Streiflicht zu Alfred Webers politisch-soziologischer Zeitdiagnose in der Weimarer Republik".

Auch die Beiträge zur Geschichte der Ruperto-Carola spannen mit der Studie von Ursula Machoczek über unterschiedliche Formen von Stipendienstiftungen und dem Beitrag von Volker Sellin über die Grundordnung der Universität aus dem Jahre 1969 den Bogen vom Mittelalter bis in die Moderne. Die Ausbildung der Theologen im ausgehenden 16. Jahrhundert steht im Zentrum des Beitrages von Robert Zepf, der eine starke Anziehungskraft der theologischen Fakultät auf reformierte Glaubensgenossen herausarbeitet. Armin Kohnle analysiert vor dem Hintergrund der Heidelberger Disputation über das Abendmahl von 1584 das Verhältnis zwischen Lutheranern und Reformierten in der Kurpfalz und gibt Einblicke in die Konfessionspolitik Johann Casimirs, der zu dieser Zeit als Vormund des minderjährigen Sohnes Ludwigs VI. fungierte. Frank Engehausen widmet sich den universitären Reichsgründungsfeiern. Ziel ist die Überprüfung der politischen Ausrichtung der Universität, die sich in der Weimarer Republik durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil republikanisch gesinnter Wissenschaftler auszeichnete.
Weitere Aufsätze untersuchen die Heidelberger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg (Folker Reichert), die Aberkennung der akademischen Titel im Nationalsozialismus (Werner Moritz) und die Beziehungen der aufstrebenden Industriestadt Mannheim zur Universität in der Nachbarstadt (Udo Wennemuth). Den Abschluss der Studien zur Heidelberger Universitätsgeschichte bildet der Beitrag des ehemaligen Rektors und Heidelberger Historikers Volker Sellin. Er analysiert die Auswirkungen der Grundordnung aus dem Jahre 1969, welche die universitäre Leitungsstruktur veränderte und eine Neugliederung der Fakultäten brachte. Nachdem er den Bogen zu den Ergebnissen der Novellierung des Hochschulgesetzes vom Jahre 1999 und zum Universitätsgesetz vom 1. Februar 2000 gespannt hat, zieht er im Hinblick auf die Autonomie der Institution Universität den ernüchternden Schluss: "Dreissig Jahre nach dieser Reform [der Grundordnung der Universität] wird deutlich, dass die damals vorgenommenen Veränderungen eine Periode einleiteten, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Gesetzgeber, nachdem er einmal begonnen hatte, in die Verfassung der Universitäten einzugreifen, zunehmend die Hemmungen verlor, solche Eingriffe aufgrund wirklicher oder vermeintlicher Bedürfnisse nach gerade gängigen Modellen zu wiederholen. Die Universität ist zum Experimentierfeld geworden." (S. 583) Den Abschluss der Festschrift für Eike Wolgast bildet eine Beschreibung der heutigen „Krise des Humanismus" durch den Heidelberger Philosophen Reiner Wiehl.

Die Fokussierung auf einen gemeinsamen thematischen Bezug mag bei der Zusammenstellung der Beiträge nicht einfach gewesen sein, hat sich aber in mehrfacher Hinsicht sehr gelohnt. Denn entstanden ist ein reichhaltiger Sammelband zur deutschen Universitätsgeschichte, der den Bogen vom Mittelalter bis zur Gegenwart spannt. Wer sich über die verschiedensten Aspekte des Spannungsfeldes zwischen universitärem Autonomieanspruch und staatlichem Regulierungswillen informieren möchte, ist mit der Lektüre der Festschrift für Eike Wolgast exzellent beraten.

Anmerkung:
1 Vgl. beispielsweise: Die Wahrnehmung des Dritten Reiches in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945/46), Heidelberg 2001. Reformierte Konfession und Politik im 16. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Kurpfalz im Reformationszeitalter, Heidelberg 1998. Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648, Stuttgart 1995. Thomas Müntzer. Ein Verstörer der Ungläubigen, Berlin 1988. Die Universität Heidelberg 1386-1986, Berlin, Heidelberg usw. 1986. Im Anhang der Festschrift findet sich ein umfängliches Verzeichnis der Schriften Eike Wolgasts, auf das an dieser Stelle verwiesen wird.

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