V. Groebner u.a. (Hrsg.): Kriegswirtschaft und Wirtschaftskriege

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Titel
Kriegswirtschaft und Wirtschaftskriege. Économie de guerre et guerres économiques


Herausgeber
Groebner, Valentin; Guex, Sébastien; Tanner, Jakob
Reihe
Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 23
Erschienen
Zürich 2008: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 35,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcel Boldorf, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der Sammelband hat seinen Schwerpunkt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das heißt dem Zeitalter der „totalen Kriege“. Auffallend ist in dem Werk, dass die französischen Texte die zeithistorischen Themen abdecken, während alle drei Beträge über die Vormoderne auf Deutsch sind. Beiträge zum 19. Jahrhundert, der Brücke zwischen den beiden Perioden, fehlen hingegen. Ferner liegt der geographische Schwerpunkt eindeutig auf der Schweiz, die in vielerlei Hinsicht als „kriegsverschont“ (S. 15) gelten kann. Für das Mittelalter galt dies noch weniger, als sich die Eidgenossenschaft durch eine besondere innovative Kriegsführung auszeichnete. Aber in dieser Zeit begann sie mit dem Ausbau ihres Status der Neutralität, einem strategischen Element, das fortan erfolgreich eingesetzt wurde.

Im ersten Teil schreiben Wolfgang Kaiser über die Gewaltökonomie im Mittelmeerraum der frühen Neuzeit, Michael Jucker zu Plünderungen im spätmittelalterlichen Krieg und Nathalie Büsser zur kriegswirtschaftlichen Tätigkeit eines Zuger Militärunternehmers. Im Mittelpunkt steht das Beutemachen als prägendes Element der wirtschaftlichen Kriegsführung. Kaiser fügt in seinem Betrachtungsgebiet Untersuchungen zum Menschenhandel hinzu. Jucker lenkt die Aufmerksamkeit auf die Symbolik mancher Beutestücke, z.B. der Fahnen, die als Triumphzeichen für militärischen Sieg galten. Büsser qualifiziert ihren Protagonisten Beat Jakob II als Kriegsprofiteur, der sich die Chancen, die die Kriegswirtschaft ihm bot, geschickt zu Nutze machte.

Nachdem Betrachtungen zum 19. Jahrhundert leider entfallen, leitet ein methodisch orientierter Beitrag von Gerald Feldman die Abhandlungen zum 20. Jahrhundert ein. Als wirtschaftliche Probleme neutraler Staaten hebt er durch die Kriege verursachte Handelsunterbrechungen und Importsubstitutionen hervor. Hinsichtlich des totalen Krieges macht er deutlich, dass für Unternehmen durchaus Handlungsspielräume existierten, insbesondere wenn sie sich für die Kollaboration entschieden. Hierbei knüpft er an neuere Forschungen an, die aus der Feder und unter der Anleitung von Christoph Buchheim entstanden. An einige dieser Punkte schließen die Beiträge von Martin Lüpold zur Behauptung der Schweizer Wirtschaft in den beiden Weltkriegen, von Christof Dejung zur Firma Gebrüder Volkart und von Pierre-Yves Donzé zur Uhrenindustrie in La-Chaux-de-Fonds an. Lüpold sieht die Schweiz in einem „Kampf gegen die Überfremdungsgefahr“, der mit Mitteln des Aktienrechts ausgefochten wurde. Die geglückte Abwehr ausländischer Kapitalübernahmen führte zur Herausbildung eines engen Insiderkreises Schweizer Unternehmer. Dejung arbeitet unternehmensgeschichtlich heraus, dass die Gebrüder Volkart trotz widriger Umstände des Welthandels eine global ausgerichtete Strategie erfolgreich umsetzten. Donzé zeigt für sein Beispiel der Uhren produzierenden Betriebe, dass sie die Chancen, die die Rüstungsnachfrage bot, zu nutzen wussten. Es erfolgten sogar Betriebsneugründungen in größerer Zahl.

Im dritten Teil steht die Steuer-, Zoll- und Sozialpolitik der Zwischenkriegszeit auf dem Prüfstein. Cédric Humair widmet sich den soziopolitischen Auseinandersetzungen um die Schweizer Zollpolitik 1919 bis 1923 und Monique Ceni den Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Steuerpolitik von der Krise der 1930er-Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Beitrag von Michel Fior zur „Sozialisierung des Marktes nach dem Ersten Weltkrieg“ geht auf unterschiedliche Formen des Korporatismus im internationalen Kontext ein. Er argumentiert, dass der Krieg zur Implementierung neuer Instrumente der Marktregulierung führte und erhellt dadurch z.B., wie Handelsbarrieren zwischen Staaten, hier als „bilateraler Korporatismus“ bezeichnet, die allgemeine Wachstumsschwäche in der Zwischenkriegszeit erklären. Abschließend vergleicht Christian Koller die Streikbewegungen in der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft (SIG) Neuhausen (1916–1918) mit denen in der Zürcher Munitionsfirma Bührle (1940).

Unter der Überschrift „Strategische Interdependenzen zwischen Staat und Wirtschaft“ wendet sich das vierte Kapitel dem Zweiten Weltkrieg sowie seinen Folgen zu. Malik Mazbouri und Marc Perrenoud untersuchen den Nutzen, den die Schweizer Banken als Mittler zwischen den rivalisierenden Mächten in beiden Weltkriegen zu ziehen wussten. Dario Gerardi geht auf den Schweizer Beitrag zur italienischen Kriegswirtschaft ein (1936–1943). Im Gegenzug stellt er heraus, dass die Alpenrepublik zugleich 80 Prozent ihrer Überseeimporte, vor allem Getreide, Fette, Zucker und Öle, über italienische Häfen, insbesondere Genua, bezog. Komplementär betrachtet Gilles Forster den Ausbau des Transportsektors während des Zweiten Weltkriegs, insbesondere der Eisenbahn, und verweist auf die Strategie zur Verteidigung der Schweizer Position auf der europäischen Landkarte. Olivier Longchamp führt in die Debatte um die Tilgung der Schweizer Staatsschulden nach 1945 ein. Er betrachtet den Diskurs als Abwehrkampf und als Legitimation für den Erhalt eines niedrigen Steuerniveaus zugunsten der etablierten Gesellschaftsschichten.

Die Beiträge des facettenreichen Sammelbandes setzen sich vor allem in ihren Zusammenfassungen immer wieder konstruktiv mit dem von den Herausgebern eingeführten Begriffspaar „Kriegswirtschaft“ und „Wirtschaftskrieg“ auseinander. Der erste dieser Leitbegriffe bezieht sich auf die Maßnahmen, die der wirtschaftlichen Behauptung in den jeweiligen Kriegssituationen dienten. Weniger Beachtung findet hingegen der zweite Begriff der Wirtschaftskriegsführung, das heißt die ergriffenen wirtschaftlichen Sanktionen gegen militärische Gegner zur Unterstützung der Kriegsziele. Dies hängt mit der Fixierung auf Fallbeispiele aus der Schweiz zusammen, denn das Land nahm ja an keinem der kriegerischen Konflikte des 20. Jahrhunderts aktiv teil. Die überwiegende Zahl der Beiträge zum Ersten und Zweiten Weltkrieg lassen sich gewinnbringend aufeinander beziehen, während die Beiträge zur Vormoderne wegen der Ausklammerung des 19. Jahrhunderts etwas isoliert dastehen. Da der Band in vielerlei Hinsicht methodische Anstöße zu geben vermag, ist er nicht nur für Wissenschaftler mit einem ausgeprägten Interesse an der Schweizer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu empfehlen.