K. Ehling: Untersuchungen zur Geschichte der späten Seleukiden

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Titel
Untersuchungen zur Geschichte der späten Seleukiden (164 - 63 v.Chr.). Vom Tode des Antiochos IV. bis zur Einrichtung der Provinz Syria unter Pompeius


Autor(en)
Ehling, Kay
Reihe
Historia Einzelschriften 196
Erschienen
Stuttgart 2008: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
306 S.
Preis
€ 72,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gustav Adolf Lehmann, Althistorisches Seminar, Universität Göttingen

Kay Ehling hat mit diesem Buch eine seit längerem bestehende Lücke unter den aktuellen historischen Darstellungen zur politischen Geschichte des Hellenismus geschlossen. Diese Lücke wurde um so schmerzlicher empfunden, als für die Geschichte der Ptolemäer-Dynastie nach der (primär aus ägyptologischer Perspektive verfassten) Studie von G. Hölbl (1994) und dem Werk von W. Huß (2001) imposante und für längere Zeit gültige Gesamtdarstellungen vorliegen, die zwar allen Erfordernissen historischer Sachkritik und Quellenkunde entsprechen, in denen jedoch die Geschichte der Krise und Auflösung des Seleukidenreiches immer nur ausschnittsweise und, bei aller Bemühung um kritische Distanz, primär aus „ptolemäischer Perspektive“ behandelt und gewürdigt werden konnte. Selbst das scharfsinnige und stets um Quellennähe bemühte Werk von Édouard Will bietet zu diesem komplexen historischen Geschehen (vor allem nach der Katastrophe Antiochos’ VII. gegen die Parther 129 v.Chr.) nicht viel mehr als knappe Verlaufsskizzen, ohne, im Hinblick auf die Probleme und inhaltlichen Widersprüche in unseren Quellenzeugnissen, zu eigenständigen Lösungsvorschlägen zu gelangen.

Ehlings Werk erweist sich als ein systematisch angelegtes, gleichzeitig jedoch in allen Bereichen unmittelbar aus den Quellen erarbeitetes Handbuch zur Geschichte des späten Seleukidenreiches, vom Todesjahr des noch immer machtvollen und bedeutenden Herrschers Antiochos’ IV. 164 v.Chr. (während eines großen „Anabasis“-Zuges in die „Oberen Satrapien“ im iranischen Raum) bis zur Errichtung der römischen Provinz Syria durch Cn. Pompeius 63 v.Chr. Nach einem knappen Überblick über den Stand der neueren Forschungsdiskussion, an der sich Ehling persönlich seit anderthalb Jahrzehnten mit wichtigen Beiträgen beteiligt hat, werden dem Leser bereits die Grundfragen der historischen Forschung und Urteilsbildung vor Augen geführt und weiterführende Perspektiven aus den in die Darstellung einbezogenen Untersuchungen eröffnet (S. 23f.). Es geht Ehling nicht nur um (erhebliche) Korrekturen an der bisher gültigen (bzw. resignierend als widersprüchlich hingenommenen) historischen Chronologie, sondern auch um ein tieferes Verständnis für die immer wieder in die Geschicke des Seleukidenreiches eingreifenden Interventionen der Ptolemäer-Dynastie; auch die von Ehling durchwegs als destruktiv eingeschätzte Politik des römischen Senates wird als letztlich ausschlaggebender Faktor im Prozess des Niedergangs und der Auflösung des Seleukidenreiches herausgestellt.

Einen wichtigen Ertrag seiner numismatisch-historischen Untersuchungen sieht Ehling ferner in dem von ihm geführten Nachweis, dass in den Beständen an städtischen und königlichen Münzemissionen (von Ost-Kilikien bis nach Phönikien hinab) seit der Mitte des 2. Jh. v.Chr. in wachsendem Maße Bildtypen von indigenen Gottheiten begegnen (S. 25). Man wird aus diesem Befund – wahrscheinlich auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die man zuvor in Judäa (seit 168/7 v.Chr.) machen musste – auf einen allmählichen Wandel im Umgang der Seleukidenkönige mit den einheimischen Bevölkerungen schließen dürfen. Daneben geben die Münzbilder jedoch auch zu erkennen, dass selbst die späten Seleukidenherrscher sich vornehmlich auf ihre dynastische Legitimität beriefen und für sich persönlich das Vorbild ihrer gottköniglichen Ahnen (prógonoi) reklamiert haben. Aber auch das Phänomen einer demonstrativen imitatio Alexandri als Mittel der Herrschaftslegitimation (bei den „legitimen“ Seleukiden wie bei den „Gegenkönigen“ Alexander I. und II. sowie dem „Heerkönig“ Tryphon und sogar noch bei dem letzten Seleukidenherrscher Antiochos XIII.) ist von Ehling in allen Aspekten aufmerksam registriert und historisch ausgewertet worden.

An die „Einleitung“ schließt sich eine sorgfältige Quellenkunde als erster Werkteil an (I. Kapitel, S. 29-109): Zunächst werden alle einschlägigen (griechischen und lateinischen) historisch-literarischen und chronographischen Werke mit einer knapp orientierenden Würdigung vorgestellt – von Polybios und den Makkabäer-Büchern über Flavius Josephus und die auf Poseidonios basierende historiographische Tradition bis zur Chronik des Porphyrios sowie zu Justin, Synkellos und schließlich Johannes Zonaras. Es liegt auf der Hand, dass sich in einer so weitläufigen (aber hilfreichen) Übersicht einige Versehen und Bagatellfehler eingeschlichen haben, die bei einer 2. Auflage beseitigt werden sollten (aber hier nicht auszubreiten sind). Zu den historiographischen Quellen merkt Ehling zu Recht an, dass sich durch das Übergewicht der jüdischen Autoren generell eine perspektivische Verengung im Bild der Geschichte des späten Seleukidenreiches ergeben hat. Jedenfalls waren die Auseinandersetzungen in und um Judäa für die Seleukidenkönige bis in die 120er-Jahre hinein immer nur ein Teilbereich ihrer politisch-militärischen Aufgaben und Probleme; dem modernen Historiker wird es freilich kaum gelingen, diese Einseitigkeit in unserer Quellenlage ausreichend zu kompensieren.

Die Vorstellung der literarischen Quellen wird von Ehling durch einen Ausblick auf einige besonders aussagekräftige Inschriftentexte ergänzt. Daran schließt sich eine historisch sehr ergiebige Würdigung der numismatischen Zeugnisse an: Datierte königliche und städtische Münzemissionen werden von Ehling souverän als Arbeitsinstrument genutzt, um in der Chronologie und Ereignisgeschichte für die Seleukidenherrscher (und ihre Gegenspieler) zu neuen, gesicherteren Resultaten zu gelangen.

Der reiche Ertrag an Einzelergebnissen und Präzisierungen, den Ehling im eigentlichen Hauptteil seines Werkes (II. Kapitel, S. 111-277) erarbeitet hat und in strikt chronologischem Durchgang durch die Ereignisgeschichte vorstellt, kann hier schwerlich in seiner jeweiligen historischen Relevanz gewürdigt werden. Daher muss die Feststellung genügen, dass diese detaillierte Darstellung, in Verbindung mit umfassenden, kritischen Quellenanalysen, für lange Zeit Gültigkeit behalten wird: Niemand, der in diesem (nicht nur für die römische Ostpolitik des 2./1. Jh. v.Chr. sondern auch für den Aufstieg der jüdischen Hasmonäer-Dynastie und die Festigung des Partherreiches wichtigen) Abschnitt der hellenistischen Geschichte wissenschaftlich arbeiten möchte, wird das von Ehling vorgelegte Werk ignorieren können.

Abschließend sei lediglich noch ein kritischer Blick auf den „Epilog“ (S. 279-284, mit allgemeinen Überlegungen zum Niedergang und Zerfall des Seleukidenreiches) geworfen. Zwar hat sich Ehling in diesem Zusammenhang mit der wichtigen Studie von E.S. Gruen beschäftigt, er hält jedoch grundsätzlich an der Auffassung fest, dass der römischen Politik die Hauptverantwortung für die Krise und Katastrophe des Seleukidenreiches zuzuschreiben sei: Die vom Senat nach dem Frieden von Apameia 188 v.Chr. verordnete „Gleichgewichtslage“ in Kleinasien und im östlichen Mittelmeerraum habe die hellenistischen Monarchien dauerhaft daran gehindert, den gewohnten dynamisch-hegemonialen Wettstreit miteinander fortzusetzen; Rom habe die Könige gezwungen, „ihre militärischen und politischen Kräfte nicht mehr in der ihnen eigenen Weise expansiv nach außen [zu] entfalten. Diese schlugen statt dessen nun sozu-sagen ins Innere zurück und lösten Spannungen aus, die im Falle der Seleukiden zu innerdynastischen Konflikten führten, welche sich phasenweise zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen auswuchsen…“ (S. 282)

Hier soll nun nicht weiter darauf eingegangen werden, dass es unmittelbar vor der massiven römischen Intervention gegen Antiochos IV. an den Toren Alexandrias im Sommer 168 v.Chr. („Tag von Eleusis“) längst nicht mehr nur um territoriale Ansprüche und hegemoniale Rangfragen ging, sondern schlechthin um die Fortexistenz der Ptolemäer-Monarchie (wie schon zuvor in der Konstellation des makedonisch-seleukidischen „Raubvertrages“ von 203/2 v.Chr.). Auch soll nicht in Abrede gestellt werden, dass der römische Senat sich, zumindest auf der politisch-diplomatischen Ebene, gegenüber dem Seleukiden Demetrios I. (162 - 150 v.Chr.) nach dessen spektakulären Flucht aus seiner „Geiselhaft“ in Rom feindselig verhalten hat. Eine (dringend gebotene) Konsolidierung des Seleukidenreiches nach Osten hin – namentlich gegen die Parther in Medien / Hyrkanien oder gegen das indigene Fürstentum der frataraka-Dynastie in der Persis – ist jedoch von den Römern weder damals noch später behindert oder gar „verboten“ worden. So sind auch alle fatalen Entscheidungen Demetrios’ I. nach seiner erfolgreichen Machtergreifung in Syrien – von der grausamen Ermordung seines noch im Kindesalter befindlichen Neffen Antiochos V. (164-162 v.Chr.), mit der der unheilvolle Zwiespalt im Herrscherhaus erst begann, bis zu den misslungenen Interventionsversuchen in Kleinasien und Cypern nach 158 v.Chr. – in der ganz persönlichen Verantwortung dieses Königs getroffen worden. Auch in den Regierungsphasen seines Sohnes Demetrios’ II. (145 - 138 / 129 - 125 v.Chr.) liegen Versagen und Verhängnis nahe beieinander; die Fakten in der von Ehling so sorgfältig rekonstruierten Geschichte der späten Seleukiden sprechen hier meines Erachtens eine andere Sprache als das Resümee des Verfassers in seinem „Epilog“.

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