Cover
Titel
Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror. Medien, Macht und Geschlechterverhältnisse


Herausgeber
Hentschel, Linda
Erschienen
Berlin 2008: b_books
Anzahl Seiten
235 S., 120 SW-Abb.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Klein, Euroculture, Georg-August-Universität Göttingen

An Literatur über Medienpolitik in Kriegs- und Krisenzeiten besteht kein Mangel. Doch eine Verbindung mit der Frage nach Geschlechterverhältnissen ist selten, wie Linda Hentschel in ihrem Vorwort zu Recht anmerkt (S. 16f.). Ihr Sammelband bietet dazu einige sehr unterschiedliche Zugriffe, welche die Leser, so Hentschel weiter, nach Belieben zusammenfügen können (S. 24). Diesem Hinweis folgend, versucht diese Besprechung eine thematische Verknüpfung.

Silke Wenk fragt in ihrem Beitrag danach, wie Bilder im Rahmen einer „visuellen Politik“ nicht nur gezeigt und in bestimmte Bedeutungszusammenhänge gestellt werden, sondern wie zugleich „auch spezifische (Un)Sichtbarkeiten produziert“ werden (S. 32). Wenk verfolgt dies anhand der Bilderpolitik zur Begründung des amerikanischen Afghanistan-Kriegs. Dort habe die Sicherung einer Geschlechterordnung der „Wiederherstellung eines aus den Fugen geratenen Systems“ gedient (S. 35). Anhand des Schleiers macht die Autorin deutlich, welche Implikationen die Positionierung gegen „den Anderen“ in ihrer Geschlechterdifferenz hatte: Weil in den USA und Europa darauf verwiesen wurde, dass Frauen ihre Schleier nach dem Krieg abnehmen durften, erschien der Kampf weißer Befreier gegen die ebenfalls männlichen Unterdrücker afghanischer Frauen retrospektiv auch moralisch legitimiert. Die Autorin betont die Weiterungen dieser Positionierung: Mithilfe einer solchen Logik ließen sich, so Wenk, nicht nur Nationen, sondern „eine neue Ordnung der Welt fundieren“ (S. 44). Damit wird die Bedeutung offensichtlich, die eine solche „visuelle Politik“ auch langfristig zur Kriegsbegründung haben kann. Das Gefangenenlager in Abu Ghraib ist laut Wenk mit Folter und Misshandlungen nur ein weiterer Beleg dafür, dass „den Anderen“ der Status des Männlichen verweigert werde (S. 45).

Mit dem Folterskandal von Abu Ghraib setzt sich auch die Herausgeberin in ihrem eigenen Beitrag auseinander. Linda Hentschel zeigt, wie die ausgemachte Geschlechterdifferenz genutzt wird, um die einzige weithin bekannte Täterin Lyndie England als weibliche Ausnahme in einem ansonsten männlich konnotierten Militär hinzustellen (S. 192). An England lässt sich der Skandal somit festmachen, ohne ihn als systematische oder auch nur geplante und weiterreichende Politik zu verstehen. Im massenmedialen Umgang mit den entsprechenden Bildern etwa in Modezeitschriften erweist sich für die Autorin folglich keineswegs eine Schutzfunktion der Medien. Vielmehr betrachtet Hentschel diese als eine „Regierungstechnologie“, durch welche die unterworfenen Subjekte in einer Kette von Risiken und deren Abwendung vorgeblich geschützt werden (S. 190). Die Autorin bezieht sich hier überzeugend auf Foucaults Konzept der „Gouvernementalität“, in dem Medien eigentlich nur in einer Fußnote erwähnt werden.1

Hentschel lässt offen, ob die Bilder aus Abu Ghraib selbst Teil der Folter sind (S. 193). Judith Butler bejaht diese Frage wenigstens insofern, als sie anmerkt, durch solche Bilder werde „der Akt der Folter in seiner beweisbaren Form“ konstruiert (S. 214). Butler weist darauf hin, dass diese Fotos für die Soldaten Teil der Dokumentation ihres Alltags waren. Die Debatte um das Pornografische an ihnen habe jedoch politische Reaktionen eher verhindert. Butlers Text ist auch eine Auseinandersetzung mit Susan Sontags letztem zu Lebzeiten veröffentlichten Buch „Das Leiden anderer betrachten“ (München 2003), das insgesamt häufiger Referenzpunkt in diesem Sammelband ist. Butler schreibt gegen Sontags These an, Bilder bedeuteten an und für sich nichts, sondern bedürften stets einer Einordnung durch Bildlegende oder Text. Dagegen vertritt Butler die Sicht, ein Foto interpretiere selbst und sogar gewaltsam, sei somit „Bestandteil der aktiven, staatlich erzwungenen Interpretation des Krieges“ (S. 207). Am Beispiel der Fotos aus Abu Ghraib zeigt sie, wie das Menschliche und Unmenschliche konstruiert und die Rezeption somit bereits im Vorfeld jeder Textinformation gesteuert wird.

Mit Blick auf US-amerikanische Gefangenenlager und etwa das australische Flüchtlingslager Woomera spricht Nicholas Mirzoeff in seinem etwas umständlich gehaltenen Beitrag gar von einem „Empire der Lager“. Der Autor sieht sie als Bestandteile eines „Panoptikons unserer Zeit“, als Modell für eine globale Kultur, in der die Bewegungsfreiheit für das Finanzkapital gelte, den Menschen aber verweigert werde (S. 123). Es zeige sich eine neue Realität von Überwachung innerhalb geschlossener Grenzen.

Ausgehend von einer 19-seitigen Reportage der „Rocky Mountain News“ im November 2005 analysiert Tom Holert überzeugend, wie hier geschlechtliche Rollenmuster zur Legitimation kriegerischen Handelns genutzt werden. Die genannte Reportage zeigt eine schwangere Frau, deren Mann im Irakkrieg umgekommen ist, zeigt die Witwe vor dem Sarg ihres Mannes campierend, neben dem Sarg stehend und über ihn gebeugt. Die Verbindung von Mutterbauch und Sarg ist für Holert die Versinnbildlichung einer Opfermythologie. Die Trauer wird sichtbar und liefert die Begründung für die Sicherheitsideologie der Regierung Bush. Der Versuch, Frau und Kind zu schützen, steht dabei jedoch gegen die behauptete Notwendigkeit, Kinder „im Interesse der nationalen Sicherheit in den Krieg ziehen zu lassen“ (S. 167). Das Geschlechterverhältnis, folgert Holert mit Blick auf die Fotoreportage, bleibe dem konservativen Rollenverständnis sowie einer „Ästhetik des Nationalen“ verpflichtet; es erfahre nur eine „ästhetische Aktualisierung“ (S. 178).

Godehard Janzing beschäftigt sich mit der Frage, wie der Soldatenkörper selbst der Stabilisierung hegemonialer Männlichkeit dient. Anhand zweier Gemälde veranschaulicht er, wie Soldaten dargestellt werden, die sich einer vollständigen Niederlage gegenübersehen: in Jacques-Louis Davids „Leonidas bei den Thermopylen“ (1799–1814) und Franz Eichhorsts „Erinnerung an Stalingrad“ (1943). Am Beispiel des erstgenannten Bildes zeigt Janzing, wie der Soldatenkörper die militärische Aufgabe vollständig verinnerlicht zu haben scheint und als „Opferleib“ stilisiert wird (S. 147). Auch Eichhorsts Gemälde macht durch das „Motiv des gebrochenen, aber in stoischer Ruhe seinem Schicksal entgegenblickenden Soldaten“ aus der Belagerung von Stalingrad eine Defensivschlacht und verklärt die Niederlage zu einem „moralischen Sieg“. Letzte Mobilmachung und Entschuldungsdiskurs griffen hier also ineinander, so Janzing (S. 153).

Welche Rolle Zeichnungen und Gemälde für den Ersten Weltkrieg und die deutsche Revolution von 1918/19 spielten, fragt Kathrin Hoffmann-Curtius in ihrem Beitrag über Bilder der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts. Sie zeichnet nach, wie Schaulust und Emotionen der Betrachter in der Bildpolitik bedient wurden, um insbesondere den Mord an Luxemburg allegorisch zu überhöhen und politisch zu nutzen.

Michaela Wünsch demonstriert in ihrem Text über Gewalt im Horrorfilm die Vielfalt und die politischen Bezüge dieses Genres. In George Romeros „Night of the Living Dead“ (USA 1968) kann, wie die Autorin zeigt, die Bedrohung von außen nicht durch ein Sicherheitsversprechen des Staates oder ersatzweise einer Bürgerwehr gekontert werden. Vielmehr werde in der Abschottung das Scheitern des Familienzusammenhalts sichtbar und wirke die Gewalt nun nach innen. Im 1978 entstandenen Nachfolger „Dawn of the dead“ macht Wünsch nun weiter die Verbindung von Medienmacht und Polizeigewalt gegen irrational agierende Zombies aus. Diese Untoten symbolisieren für die Autorin einen „nicht integrierbaren Überschuss“ und die Einforderung nicht beglichener Schuld aus der Zeit des Vietnamkriegs (S. 110). Wünschs Text ist anregend, jedoch oftmals redundant. Auch wirkt hier, wie in Hendrik Blumentraths Text, die Verbindung zu den sonstigen Themen des Sammelbands nicht immer überzeugend. Blumentrath lässt sich unnötig auf ein kriegerisches Vokabular ein, um „zweierlei Schlachtfelder“ zu vergleichen: Er stellt 1901 gezeigte Darstellungen des britischen Kampfes in den Kolonien gegen das „statistische Schlachtfeld“ bei der Volkszählung in England zehn Jahre später (S. 54). Am Beispiel einer Ausstellung in der Londoner Royal Academy zeichnet der Autor nach, dass „Andere“ in der als terra incognita begriffenen Welt nicht vorkommen. Blumentrath verweist auf die umgekehrte Entwicklung in Großbritannien, wo durch eine Volkszählung versucht wurde, ein möglichst genaues Bild der Bevölkerung zu gewinnen, um sie schließlich auch in der Geschlechterdifferenz zwischen Männern und nicht-wahlberechtigten Frauen wieder zusammenzufügen (S. 67f.).

Bei der Vorstellung und Verknüpfung der Themen ist ein starker Gegenwartsbezug des Bandes deutlich geworden. Die meisten Beiträge sind kultur- und medienwissenschaftlich ausgerichtet, doch bietet „Bilderpolitik“ auch für Historiker eine vielschichtige und anregende Lektüre. Denn obwohl nicht alle Beiträge von gleich guter Qualität sind, gelingt die anvisierte Erweiterung des Untersuchungsfeldes von Medien und Medienpolitik um die Frage nach der Bedeutung von Geschlechterverhältnissen insgesamt überzeugend.

Anmerkung:
1 Foucault, Michel, Geschichte der Gouvernementalität II: Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collège de France 1978–1979, Frankfurt am Main 2004, S. 41.