C. Bala: Konservatismus, Judaismus, Zionismus

Titel
Konservatismus, Judaismus, Zionismus. "Kulturkrieg" in der US-Diaspora


Autor(en)
Bala, Christian
Erschienen
Baden-Baden 2006: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
387 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Brauch, Universität Potsdam

Verschwörungstheorien sind schnell in der Luft, wenn der Einfluss jüdischer Konservativer in den USA diskutiert wird. Ob im Golfkrieg von 1991, im aktuellen Irakkrieg oder im Kontext der Diskussion der angeblichen "Allmacht" der Israel-Lobby: immer wieder verbinden sich die Worte "jüdisch" und "konservativ" zu einer brisanten Mischung, die nicht selten mit antisemitischen Beigaben angereichert wird. Der Titel von Christian Balas Dissertation "Konservatismus, Judaismus, Zionismus" evoziert genau diesen Komplex – jedoch um ihn aus dieser politisierten Atmosphäre herauszuholen und als umfassendes Phänomen des jüdischen Konservatismus zu beschreiben. Ihn beschäftigen die Gründe für die Entstehung des jüdisch konservativen Lagers im Allgemeinen und des "Kulturkrieges" im Besonderen, der zwischen konservativen und liberalen Juden in den USA seit Anfang der 1990er-Jahre besonders heftig tobt. Am Anfang steht dabei die Annahme, dass dieses Phänomen Wandlungsprozessen wie der Säkularisierung, Assimilierung und dem Wertewandel geschuldet ist und natürlich auch der Veränderung im Verhältnis zwischen US-Diaspora und Israel. Vor dem Hintergrund einer auch global veränderten politischen Großwetterlage nach dem Ende des Kalten Krieges untersucht er die sich aus diesen Wandlungsprozessen ergebenden "Konfliktfelder des Kulturkrieges" (S. 20).

Vorangestellt ist dem Hauptteil eine lesenswerte historische Einführung, in der Bala die Entwicklung der politischen Präferenzen der jüdischen Diaspora seit dem 17. Jahrhundert zusammenfasst und das weit verzweigte konservative Lager vorstellt: von AIPAC über die Orthodox Union, bis hin zu kleinen Gruppierungen wie der Jewish Action Alliance, die 1992 als Reaktion auf antisemitische Ausschreitungen in Crown Heights gegründet wurde. Was alle diese konservativen Gruppierungen eint, ist die Überzeugung, dass es die liberale Integrationsutopie ist, die für Assimilation und die grassierende Aufgabe jüdischer Identität verantwortlich zeichnet. Darüber vertreten jüdische Konservative die Auffassung, dass der Liberalismus als Instrument jüdischer Politik versagt hat, und er weder geeignet war und ist, die Juden vor ihren Feinden zu schützen, noch totalitäre Regime zu verhindern (S. 78). Gespeist aus den jüdischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts erfährt die anti-totalitäre Lesart auf diesem Wege eine Renaissance, prominent formuliert von dem Doyen jüdischer Neocons, Norman Podhoretz. In seiner historischen Zählweise erscheint der Kampf gegen die totalitäre Gefahr des "Islamofaschismus" bereits als "Vierter" Weltkrieg – nach dem Zweiten Weltkrieg gegen den Nationalsozialismus und dem Dritten gegen den Sowjet-Kommunismus (S. 197). Wichtige Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, wie die von Podhoretz inspirierte Rede George W. Bushs vom drohenden "Dritten Weltkrieg" oder auch die breite Debatte des Berichts von John Mearsheimer und Stephen Walt zum Einfluss der "Israel-Lobby", bekommen durch Balas konsequente Fokussierung auf die übergeordneten Konfliktfelder eine aufschlussreiche zeitgeschichtliche Kontextualisierung.1

Mit nüchternem Blick und sicherem Urteilsvermögen prüft Bala Klischees, wie zum Beispiel jenes, "dass die USA stets einseitig zugunsten des Staates Israel Partei" ergriffen habe (S. 265). In der Tat war das israelisch-amerikanische Verhältnis nie einfach nur unkritisch prozionistisch oder proisraelisch im Sinne der jeweils herrschenden Regierungspolitik. Persönlichkeiten wie Außenminister John Foster Dulles, Richard Nixon; ja selbst Ronald Reagan und George H. W. Bush hatten je ihre eigenen Gründe, amerikanische Interessen gegen israelische abzuwägen. Verstimmungen und Krisen bestimmten zwar nie die allgemeine Rhetorik, aber es gab sie immer wieder. Eine Krise wie die Enttarnung des Spions Jonathan Pollard, der als Mitarbeiter des U.S. Naval Intelligence Service geheime Informationen an Israel weitergegeben hatte und 1985 vom FBI festgenommen wurde, kann dabei als aussagekräftiger Gradmesser für das Dreiecksverhältnis zwischen der jüdischen US-Diaspora, den USA und Israel dienen. In einem Klima, in dem der Vorwurf "doppelter Loyalität" im Raume schwebte, stellte sich die jüdische Gemeinschaft klar gegen Pollard – und fing sich von israelischer Seite den Vorwurf der "Diaspora-Mentalität" ein (S. 296). Einzelne jüdische Organisationen plädierten später für eine Begnadigung Pollards, doch selbst unter Clinton, der den Fall prüfen wollte, kam es nicht dazu.

Wie bei der Schilderung dieser Episode öffnet Bala dankenswerter Weise immer wieder den Horizont über seinen eigentlichen Untersuchungsraum (1990-2004), so dass auch große Zusammenhänge im historischen Kontext erkennbar werden. Einen Höhepunkt des Buches bietet das Kapitel zur Krise der Diaspora und zum Wandel jüdischer Identitäten (Kapitel 3.3), in dem konservative Antworten auf Prozesse der Säkularisierung und Assimilierung im Zentrum stehen und u.a. die Rolle des Holocausts und Israels für das Selbstbild amerikanischer Juden analysiert wird. Das breite Spektrum der zitierten Literatur ermöglicht hier wie auch in anderen Kapiteln einen hervorragenden Einblick in jüdisch-konservative Identitätsentwürfe und Programmatik. Insgesamt gilt, dass die Studie immer dort am stärksten ist, wo der um sozialempirisches Zahlenwerk und lange indirekte Zitate kreisende Bericht in den Hintergrund rückt, um einer Deutungsgeschichte Platz zu machen, in der die intellektuellen und politischen Agenden des jüdischen Konservatismus erkennbar werden. Das gelingt nicht immer.

Bei all der zitierten Literaturfülle bleibt der Eindruck zurück, dass die Wurzeln des jüdischen Konservatismus wohl hier und da angedeutet, zu selten aber tiefer analysiert werden. Das liegt nicht zuletzt an der unnötig engen Begriffsbildung. Mit Samuel Huntington definiert Bala den Konservatismus kurzum als "Widerstand gegen Wandel". Mit diesem Kunstgriff kann er alle Reaktionen auf die großen religiösen und politischen Wandlungsprozesse als "konservativ" etikettieren. Dieser Zugang ist nicht falsch, aber er "beweist" auch nicht bzw. nur sehr unbefriedigend, dass diese Reaktionen zum Kulturkrieg führen mussten, wie Bala am Schluss der Arbeit in einem Duktus unterstellt, als habe er eine mathematische Aufgabe gelöst: "Der konservative Kulturkrieg in der jüdischen Diaspora resultiert aus sozialen und politischen Wandlungsprozessen, welche die jüdische Gemeinschaft der USA erfasst haben. Diese Annahme wurde durch die vorliegende Untersuchung bewiesen." (S. 343)

Hier führt sich der professionelle Hang des Sozialwissenschaftlers zu Stringenz und Systematik bei der Betrachtung zeitgeschichtlicher Zusammenhänge in der Tat ad absurdum. Das gilt auch für die Formulierung der Hypothesen, die er als Quintessenz aus seiner Untersuchung künftigen Forschungen der Diaspora Studies zur Verfügung stellen möchte. Dass die politischen Präferenzen einer Diaspora nicht unmittelbar aus der "ethno-nationalen Identität" abzuleiten sind, sondern von den "konkreten Interessen" als "Resultat der Rahmenbedingungen" abhängen2, dürfte sich von selbst verstehen und kaum zu wesentlich neuen Forschungsansätzen führen.

An einem Beispiel – dem Phänomen jüdisch-amerikanischer Einflussnahme auf die Debattenkultur in Israel – sei zum Schluss gezeigt, wie der Erklärungsansatz über Huntingtons "Widerstand gegen Wandel" einem etwas tiefer gehenden Verständnis des jüdischen Konservatismus im Wege steht. Detailreich schildert Bala, wie sich jüdische Konservative aus den USA im Verbund mit dem nationalen Lager in Israel für den Erhalt der jüdischen Identität des Staates einsetzen und sich gegen postzionistische Tendenzen äußern. Intellektuelle wie Yoram Hazony, Meyrav Wurmser, Ruth Wisse, Paul Eidelberg oder Irving Kristol argumentieren in der Tat auf der Seite rechtszionistischer Israelis und diagnostizieren auch für die Diaspora den Verlust des zionistischen Konsens (S. 175). Was bei Bala nicht in den Blick kommt: Sie tun dies nicht allein in Reaktion auf postzionistische Herausforderungen oder in Reaktion auf den von ihnen verhassten Friedensprozess.

Auch wenn die Ereignisse der letzten Jahre den Ton verschärft haben, so geht es hier doch um viel mehr – um ein Anliegen, das die israelischen Partner keineswegs in gleicher Weise betreiben: um die Neuformulierung des jüdischen Verhältnisses zu Macht und Politik, die ihre Inspiration aus der (Wieder-)Aneignung jüdischer Souveränität in Israel gewinnt. Jenseits der durch Emanzipation und Aufklärung propagierten Vorstellung, das Judentum sei allein eine Konfession, und jenseits des Glaubens, die politische Tradition der Juden sei mit der Zerstörung des Zweiten Tempels an ein Ende gekommen, wird mit viel Eifer eine jüdische Perspektive auf das Politische entwickelt. Für diese Mission steht beispielsweise das „Jerusalem Center for Public Affairs“, ein Thinktank amerikanischer Prägung, das bereits 1976 von Daniel Elazar gegründet wurde. Der aus den USA nach Israel eingewanderte Politikwissenschaftler hatte es sich zum Ziel gesetzt, in republikanischem Geist jüdisch politisches Denken wiederzubeleben.3 Viele andere konservative und durch die angelsächsische politische Theorie geprägte Köpfe tun es ihm, der als Pionier auf diesem Feld gilt, gleich. Da ist etwa das Jerusalemer „Shalem Center“ um Yoram Hazony, das sich der Erforschung und Verbreitung "jüdischen moralischen und politischen Denkens" verschrieben hat. Aus diesem Hause kommen zwei Zeitschriften, die für die Begründung eines jüdischen politischen Selbstverständnisses bedeutsam sind: das politische Magazin "Azure" (die hebräische Parallelausgabe heißt "Tchelet") und seit 2005 die ambitionierte Fachzeitschrift "Hebraic Political Studies", die sich die Erforschung jüdischer Wurzeln politischen Denkens zum Ziel gesetzt hat.4 Für eine ähnliche Kombination aus intellektuellem Anspruch und politischer jüdischer Mission steht auch Ruth Wisse, Professorin für Jiddisch und Vergleichende Literaturforschung in Harvard. In ihrem jüngsten Buch "Jews and Power" ruft sie dazu auf, den in der Diaspora kultivierten "moralischen Solipsismus" und die "Verehrung der Machtlosigkeit" zu überwinden, um im geschichtlichen Hier und Jetzt dem biblischen Auftrag zu folgen, ein "Königreich von Priestern und ein heiliges Volk" zu werden.5 All das legt nahe, dass sich der jüdische Konservatismus nicht in seiner rein reaktiven Funktion erschöpft, sondern als selbständiger Versuch ernst genommen werden muss, der jüdischen politischen Erfahrung eine politische ambitionierte und ideengeschichtlich argumentierende Deutung zu geben.

Jenseits dieses grundsätzlichen Einwandes kommt das Buch von Christian Bala aber gerade hierzulande, wo der jüdische Konservatismus schnell Befremden auslöst und die Pluralität jüdischer Politik kaum erahnt wird, zur rechten Zeit. Insgesamt ist ihm eine unaufgeregte und umfassende Darstellung des jüdischen Konservatismus gelungen, die dazu einlädt, neue Perspektiven auf den jüdischen Umgang mit Politik zu gewinnen – jenseits des Klischees vom immerwährend liberalen Diaspora-Judentum, aber auch jenseits des Klischees eines organisierten amerikanischen Judentums, das blind den Interessen Israels folgt.

Anmerkungen:
1 Podhoretz, Norman, The Case for Bombing Iran, in: Wall Street Journal, 30.5.2007, <http://www.opinionjournal.com/federation/feature/?id=110010139>.
2 Vollständig lautet die erste Hypothese: "Diasporen sind politisch heterogene Gebilde, deren Mitglieder unterschiedliche Lager und Strömungen präferieren. Aufgrund historisch-politischer Rahmenbedingungen können sich zeitlich begrenzt dominierende politische Präferenzen herausbilden. Eine unmittelbare Verbindung zwischen der ethno-nationalen Identität und den politischen Präferenzen besteht nicht, vielmehr beruhen sie auf den konkreten Interessen einer Diaspora, die das Resultat der Rahmenbedingungen und der aktuellen Situation sind" (S. 345).
3 Wegweisend für dieses Unterfangen ist bis heute Elazar, Daniel J., Kinship and Consent: The Jewish Political Tradition and Its Contemporary Uses, Washington (D.C.) 1983.
4 Homepage des Shalem Center, <http://www.shalem.org.il/about/>.
5 Wisse, Ruth R., Jews and Power, New York 2007, S. XII und 76.

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