J. Golinski: British Weather and the Climate of Enlightenment

Cover
Titel
British Weather and the Climate of Enlightenment.


Autor(en)
Golinski, Jan
Erschienen
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Altmann, Langenargen

Der Klimawandel beherrscht die Schlagzeilen. Das neue Jahrhundert hat sein master narrative offenbar bereits gefunden. Die Hiobsbotschaften über schmelzende Polkappen, ertrinkende Eisbären und untergehende Küstenstriche reißen nicht ab. Als Rache der Natur an der an hybrider Selbstüberschätzung krankenden Menschheit versuchen die einen, den steigenden Durchschnittstemperaturen einen metaphysischen Anstrich zu verleihen. Andere hingegen deuten auf neue Geschäftsfelder, die den Standort Deutschland zu vitalisieren versprechen. Kurzum: Man spricht über das Wetter, aus dessen Kapriolen auf nichts weniger als die Zukunft des Planeten geschlossen werden soll. Zugespitzt ließe sich orakeln: Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über das Wetter fast eine Verharmlosung ist, wenn es nicht im selben Atemzug das Schicksal der Menschheit traktiert?

Jan Golinski hat eine Studie vorgelegt, die vergleichbare Phänomene untersucht, diese allerdings am Ende der Frühen Neuzeit lokalisiert. Im 18. Jahrhundert änderte sich nämlich in Großbritannien die Einstellung gegenüber dem Wetter. Golinski zeichnet diese Wandlungen nach und nutzt sie zugleich als Sonde, um das Klima der Aufklärung zu analysieren. Was die Britinnen und Briten seinerzeit über das Wetter dachten, liefert, so Golinski, einen „index of the often conflicting tendencies of cultural change“ (S. 5). Denn einerseits belegt der im 18. Jahrhundert grassierende Kult um möglichst präzise Wetterbeobachtungen und -aufzeichnungen das aufklärerische Streben nach einer Beherrschung der Natur, das freilich den von Foucault herauspräparierten Zwang zur forcierten Selbstdisziplinierung mit einschließt. Andererseits stellten sich die meisten Wetterforscher der Aufklärung noch ganz in den Dienst einer höheren Sache, insofern die aus minutiöser Beobachtung gewonnenen Einsichten in die Naturgesetze letztlich deren Schöpfer preisen sollten. Hinzu kam, dass jene, die sich damit brüsteten, eine exakte Wissenschaft vom Wetter an die Stelle blanken Aberglaubens treten zu lassen, nach ausgiebiger Forschung mitunter kleinlaut einräumen mussten, dass der Volksmund mit seinen Wetteraphorismen oft „a core of truth“ (S. 98) traf. Immerhin veränderte sich die zeitliche Dimension des Wetters im Laufe des 18. Jahrhunderts doch merklich: Hatte es mit seinen unberechenbaren Konjunkturen bis dahin eher zum Pol des kairos tendiert und mithin den Fluss der Zeit bisweilen jählings unterbrochen, fügte es sich nun dem kontinuierlich-linearen Verlauf des chronos ein, wurde also nachgerade zu einem Phänomen, mit dem man rechnen konnte.

Wie kein zweites Messinstrument eroberte das Barometer im 18. Jahrhundert die britischen Haushalte. Die materielle Kultur erwies sich hier als Katalysator für den Umbruch im Bewusstsein des Fortschritts. Der irische Meteorologe Richard Kirwan verstieg sich damals gar zu der apodiktischen Aussage, dass sich die Überlegenheit Europas in der Welt zuvörderst dem Barometer verdanke. Ironischerweise, so Golinski, reichte die Bewunderung, die dem Barometer entgegengebracht wurde, nahe an den von den Aufklärern inkriminierten Tatbestand des Aberglaubens heran. Dabei fungierte das Barometer nicht allein als Messinstrument für die Wechselfälle des Wetters. Als „symbol of intellectual refinement” (S. 127) spiegelte es auch Befindlichkeiten wider, die das fortschrittsfromme 18. Jahrhundert eigentlich im Innern des Menschen verortete, so jedoch ihren Ursprung unversehens wieder am Himmel fanden. An der Frage, wie viel an Sensibilität man atmosphärischen Umtrieben zuschreiben dürfe, entzündete sich ein regelrechter Kulturkampf. Samuel Johnson witterte hinter den verschiedenen Formen der atmospheric susceptibility einen eklatanten Verlust mentaler Autonomie, der den Preis darstelle, den man bezahlen müsse, wenn man der Verweichlichung im Zeichen allgemeiner gesellschaftlicher Korruption nachgebe. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts avancierte atmospheric reform indes zu einem Vorläufer all jener Projekte, welche die menschenfeindlichen Auswüchse der Industrialisierung sozialpolitisch einzuhegen versuchen. Adam Walker, rühriger Rektor aus Manchester, zog Parallelen zwischen Kampagnen für aerial improvement und dem aufgeklärten Kampf für ein repräsentatives politisches System.

Im britischen Diskurs über das Wetter hatte sich früh der Topos von der klimatischen Sonderstellung der Inselnation herauskristallisiert. Der stete Wechsel der Jahreszeiten fördere, so die weit verbreitete Ansicht, die Neigung der Briten zum Kompromiss und zur Unabhängigkeit. Montesquieu hatte die vielleicht prominenteste Völkertypologie entlang klimatischer Spezifika vorgelegt. Und der Arzt John Arbuthnot hielt es für nicht unwahrscheinlich, dass die linguistische Vielfalt Europas auf die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen zurückzuführen sei. So sehr diese Stereotypie aufklärerischem Denken zu widersprechen scheint, so progressiv nimmt sie sich im Vergleich zu jenem Ideologem pseudowissenschaftlicher Provenienz aus, das sich im 19. Jahrhundert zu unrühmlicher Popularität aufschwang: dem Rassismus. Denn wo der Klimadiskurs die „plasticity of human character“ (S. 183) voraussetzte, kaprizierten sich rassistische Theorien auf festgefügte Identitäten.

Jan Golinskis Kulturgeschichte der Naturwissenschaften bestätigt, was die Forschung über die Aufklärung seit langem in immer neuen Spiegelungen ans Tageslicht bringt: die Ambivalenz einer Entwicklung zwischen den hehren Ansprüchen moderner Wissenschaften und den durchaus nicht schlichtweg unvernünftigen Beharrungskräften der Popularkultur. Am Beispiel des Wetters gelingt Golinski eine eindrückliche, wenn auch bisweilen etwas kleinschrittige Fallstudie über die Ablösung von Deutungsmustern, die dem Lackmustest empirischer Wissenschaftlichkeit nicht länger standhielten.

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