R. Haensch u.a. (Hrsg.): Herrschen und Verwalten

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Titel
Herrschen und Verwalten. Der Alltag der römischen Administration in der Hohen Kaiserzeit


Herausgeber
Haensch, Rudolf; Heinrichs, Johannes
Reihe
Kölner historische Abhandlungen 46
Erschienen
Köln u.a. 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
XIV, 466 S., XXIV Taf.
Preis
€ 69,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Körner, Historisches Institut, Universität Bern

Anfang des 3. Jahrhunderts n.Chr. erhielt der Statthalter der Provinz Ägypten innerhalb von zweieinhalb Tagen 1804 Bittschriften aus der Bevölkerung (P. Yale I 61). Diese Tatsache verdeutlicht, dass die Verwaltung des Reichs mit einem enormen Aufwand verbunden war, so dass sich die Frage stellt, wie im Alltag damit umgegangen wurde. Zum anderen zeigt sich am Medium, dem wir die Information verdanken, dass zahlreiche Papyrusfunde unser Bild der Verwaltung des Imperium Romanum fortlaufend erweitern und ergänzen. Dieser Thematik widmet sich der Band, der aus einem Kolloquium zu Ehren von Werner Eck entstanden ist. Er ist Ausdruck der langjährigen Forschungsbemühungen um die Frage nach dem Funktionieren des Römischen Reichs (S. IX–XIV). Der gesamte Band ist in fünf Teile gegliedert: die Rolle des Kaisers im Alltag der Verwaltung (S. 19–116), administrative Fragen zu Rom und Italien (S. 117–159), die Bedeutung des Heeres (S. 160–194), die Verwaltung in den Provinzen, unterteilt nach allgemeinen Fragen (S. 195–305) und einzelnen Provinzen (S. 306–437) und einen kurzen Ausblick auf die Spätantike (S. 438–446).

Als begriffliche Grundlage des gesamten Bandes dient der Aufsatz von Karl-Joachim Hölkeskamp (S. 1–18). Zu Recht warnt Hölkeskamp davor, nach übergreifenden Konzepten zu suchen. Bereits in der Entstehung des Imperiums existierte kein „Masterplan“ (S. 1) für die Verwaltung des eroberten Gebiets, sondern es wurden situativ Lösungen gesucht. In dieser flexiblen Anpassungsfähigkeit dürfte auch ein Grund für die Stabilität der Herrschaft gelegen haben. Eine eigentliche Rationalisierung der Provinzialverwaltung ist auch nicht für Augustus feststellbar.1 Der erste Prinzeps brachte allerdings verschiedene Prozesse in Gang, die auf eine Veränderung der Verwaltung im Vergleich zur Republik hinwirkten: (1) Die senatorische Reichselite wandelte sich von einer kompetitiven Klasse hin zu einer Verwaltungselite im Dienste des Kaisers, mithin zu einer Funktionselite. (2) Der Ritterstand übernahm nun ebenfalls Funktionen in der Reichsverwaltung. (3) Eine vertikale Integration ist insofern feststellbar, als zunehmend Mitglieder lokaler und regionaler Eliten in den Reichsdienst übernommen wurden. (4) Insgesamt nehmen die Verwaltungsorgane zu. (5) Bei allen allgemeinen Aussagen bleiben enorme regionale Unterschiede im gewaltigen Imperium bestehen. So schwankte die Verwaltung zwischen „punktueller Intervention“ (S. 11) und stärkerer administrativer Durchdringung.

Henner von Hesberg geht am Beispiel von Bilddenkmälern aus trajanischer Zeit der Frage nach, inwieweit Bilder den administrativen Alltag wiedergeben (S. 19–30). Eine wesentliche methodische Einschränkung besteht darin, dass Bilder jeweils nur wiedergeben, was die Auftraggeber wahrgenommen wissen wollten. Doch darüber hinaus kommt von Hesberg zum Ergebnis, dass zumindest in den kaiserlichen Darstellungen der Alltag kein Thema ist, da durch die Anwesenheit des Kaisers jede Situation zwangsläufig einen außergewöhnlichen Charakter annehmen musste. „Über die Bilder erfahren wir also nicht, wie der Alltag war, sondern wie er nach den Wünschen der Auftraggeber sein sollte. Aus dieser Logik heraus versinnbildlichen die Elemente aus dem Alltag gerade das Nichtalltägliche.“ (S. 30) Michel Christol geht den Anfängen und der Struktur des consilium des Kaisers nach (S. 31–59), Silvio Panciera befasst sich mit der Entstehung der Bürokratie am Kaiserhof, insbesondere mit den officiales Augustorum, vor allem den kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen (S. 60–79). Johannes Heinrichs zeigt durch eine detaillierte, quellenkritisch vorbildliche Untersuchung literarischer, juristischer und numismatischer Zeugnisse auf, dass Münzverbote aus politischen Gründen – zum Beispiel aufgrund von damnatio memoriae – nicht nachweisbar, ja sogar höchst unwahrscheinlich sind (S. 80–116).

Michael Peachin (S. 117–125) untersucht „die vielfältigen Praktiken, durch die die Römer sich gegenseitig beleidigten, beschimpften, kränkten, schmähten, misshandelten, ja […] erniedrigten“ (S. 118) am Beispiel der Verwaltung. Offensichtlich spielten physische und verbale Misshandlungen eine große Rolle in Senatssitzungen, Prozessen, bei der Strafvollstreckung und prägten somit den Alltag der römischen Verwaltung. Der Beitrag von John Scheid (S. 126–144) widmet sich den religiösen Funktionen römischer Amtsträger. Er zeigt auf, dass die Durchführung religiöser Handlungen, aber auch die sakrale Rechtsprechung in den Händen der Magistrate und nicht der Priester lag. So dürften Darstellungen von Augustus, verhüllt mit einer Toga, den Kaiser weniger in seiner Funktion als pontifex maximus, sondern eher als Magistrat mit imperium zeigen: „Il ne s’agit donc pas de représentations d’Auguste ou de l’empereur en tant que grand pontife, mais en tant qu’il est investi de l’imperium et qu’il agit religieusement à ce titre. […] Autrement dit, à Rome, administrer le religieux, c’était tout simplement gouverner“ (S. 144). Elio Lo Cascio befasst sich mit der Rolle der vici und regiones in der Verwaltung der Stadt Rom (S. 145–159).

Zwei Beiträge sind der Bedeutung des Militärs gewidmet: Peter Weiß schlägt aufgrund eines neugefundenen Militärdiploms eine Neudatierung des Konsulats von L. Neratius Proculus und damit der Anfänge des Partherkriegs unter Marc Aurel vor (S. 160–172). Michael A. Speidel gelingt es in seinem Beitrag (S. 173–194) anhand von verschiedenen Formularen aufzuzeigen, dass die Truppenverwaltung „in ihrer täglichen Praxis von reichsweit und über die Jahrhunderte gültigen Vorgaben gekennzeichnet war“ (S. 193). In der Verwaltung verbinden sich „weit entfernte Grenzprovinzen durch Heeresurkunden, die während beinahe der gesamten Hohen Kaiserzeit nach einheitlichen und sich kaum wandelnden Richtlinien ausgefertigt wurden“ (S. 190). Michael Zahrnt (S. 195–212) vertritt die Hypothese, dass die von Hadrian geprägten Provinzmünzen nicht nur zur Erinnerung an die Reisen des Kaisers gedient hätten, sondern auch die Förderung, die dieser einzelnen Provinzen hatte zukommen lassen, kommemorieren sollten. Rudolf Haenschs Beitrag (S. 213–233) befasst sich mit den unter dem Begriff apokrimata überlieferten Entscheidungen des Septimius Severus aus Ägypten. Haensch vertritt die Auffassung, dass es sich beim Begriff apokrima nicht um einen terminus technicus handelt. Vielmehr dürften die Provinzialen versucht haben, durch die Bezeichnung apokrima, „Antwort“, ein persönliches Gespräch und damit einen engeren Kontakt zwischen dem Kaiser und dem Bittsteller zu suggerieren.

Der Beitrag von Hannah M. Cotton (S. 234–255) geht der Frage nach, ob es eine dem heutigen Internationalen Privatrecht vergleichbare Einrichtung im Römischen Reich gab, also ein Instrument für Rechtsfälle zwischen römischen Bürgern und Peregrinen. Ausgehend von Galsterers Überlegungen 2, dass die Römer ihr Rechtssystem anderen eigentlich nicht oktroyierten, kommt Cotton zum Ergebnis, dass „the principle seems certainly to have been recognised and acted upon that measures have to be invented and used when a foreign element enters into a legal conflict“ (S. 255). Richard Talbert untersucht das Itinerarium Antonini unter dem Aspekt der Frage des Verfassers, seiner Quellen und seines Zielpublikums (S. 256–270). Er stellt die Hypothese auf, das Itinerarium gehe zurück auf konkrete Reisen, die Beamte oder Soldaten gemacht hätten: „The individuals are perhaps most likely to have been officials or soldiers, men dispatched on duties that involved a tour of cities, or a round of forts or the like, who thereafter submitted their itinerary to some headquarters office in order to document their absence or to claim expenses, or both“ (S. 264). Dort habe wohl auch der Kompilator des Itinerarium gearbeitet, der aus persönlichem Interesse heraus diese Reiseberichte zusammengefasst habe. „The collection was in any case not a finished product, but open-ended, a work still in formation, which he might be able to supplement and improve from time to time in the future“ (S. 264f.). Der Kompilator habe wohl nicht der Oberschicht angehört und auch nicht über höhere Bildung verfügt; er könnte beneficiarius oder centurio gewesen sein. Ségolène Demougin zeichnet die Laufbahn eines Procurators nach, von seiner Ernennung über seine Alltagsgeschäfte bis zum Ausscheiden aus der Position (S. 271–288). Dirk Erkelenz untersucht die Frage, inwieweit ritterliche Offiziere auch im Bereich der Ziviladministration eingesetzt wurden (S. 289–305).

Anthony Birley kann anhand eines Täfelchens aus Vindolanda verdeutlichen, dass T. Haterius Nepos bereits vor 105 n.Chr. und nicht erst 110–112 seinen census in Britannien durchgeführt haben muss (S. 306–324). Géza Alföldys Beitrag zur Verwaltung der hispanischen Provinzen (S. 325–356) basiert auf den Erkenntnissen seines Standardwerks von 1969 3, das hier zum Teil aufgrund von epigraphischen Neufunden aktualisiert wird. Der Aufsatz von Armin Stylow befasst sich mit einem epigraphisch belegten neuen Gesetzestext aus der Provinz Baetica (S. 357–365). Stephen Mitchells Beitrag (S. 366–377) verweist auf die geplante Neuedition der Inschriften aus Ancyra. Große Bedeutung für die Vermittlung römischer Autorität kam in dieser Stadt dem Tempel des Augustus und der Roma zu, wie überhaupt der Kaiserkult eine wichtige Rolle bei der Einbindung der ländlichen Bevölkerung in den wenig urbanisierten Gebieten Anatoliens spielte. Peter Eich befasst sich mit der Verwaltung des römischen Ägyptens (S. 378–399). Die Forschung der letzten dreißig Jahre hat gezeigt, dass es sich bei Ägypten nicht, wie lange Zeit angenommen, um „Privatbesitz des Kaisers“ handelte; der Rechtsstatus Ägyptens dürfte nicht von dem anderer römischer Provinzen differiert haben. Nach Eich bestanden im Bereich der Provinzverwaltung dennoch gewisse Unterschiede zu anderen Provinzen. So bleibt bemerkenswert, dass Ägypten einem ritterlichen Statthalter unterstellt und Senatoren der Zutritt verwehrt wurde. Überzeugend erklärt Eich die Besonderheit der Verwaltung Ägyptens aus der patrimonialstaatlichen Herrschaftsausübung: das Land werde beherrscht, „als ob es Privatbesitz wäre“ (S. 398). Problematischer sind Eichs Überlegungen zu einer intensiveren Schriftlichkeit in der Verwaltung Ägyptens als in anderen Provinzen: Angesichts der unterschiedlichen Quellenüberlieferungen verbieten sich hier irgendwelche Schlussfolgerungen (wie Eich selbst einräumen muss, S. 393). Silvia Strassi untersucht die Formel hoi ek tou Kaisareiou (S. 400–426), während Klaus Maresch sich mit der Einführung der Pagusordnung in der Provinz Ägypten in der Tetrarchie beschäftigt (S. 427–437).

Den Abschluss bietet Fergus Millars Ausblick in die Spätantike (S. 438–446), der aufzeigt, inwieweit die prosopographische Methode für die Erforschung von Verwaltung durch den Wandel in der epigraphischen Praxis mit dem Verzicht auf Cursus-Inschriften erschwert wird. Dafür begegnet uns in den spätantiken Inschriften „eine Flut von Schmeicheleien und Rechtfertigungen, die die Ideologie und die Selbstdarstellung des Systems enthüllen“ (S. 444). Als teilweise weniger geglückt ist die thematische Einteilung des Bandes zu bezeichnen: Peachins Artikel hat nichts mit „Rom und Italien“ zu tun: Die von ihm gewählten Quellen weisen in die Provinzen. Zahrnts Beitrag über Hadrians Provinzmünzen verrät nichts über den „administrativen Alltag in den Provinzen“. Auch ist der Bezug mancher Beiträge zum übergeordneten Thema der Alltagsgeschichte der Verwaltung kaum gegeben. So ergibt sich als übergeordnete Klammer wohl doch eher die Person des Geehrten, Werner Eck, auf dessen Forschungen immer wieder Bezug genommen wird.

Insgesamt bieten die verschiedenen Beiträge zum Teil äußerst interessante Einblicke in die Verwaltungspraxis des Römischen Reiches und stellen eine reichhaltige Materialsammlung zu verschiedenen Aspekten dar. Die umfangreichen Indices (S. 447–465) erleichtern die systematische Arbeit mit dem Band.

Anmerkungen:
1 Vgl. Eck, Werner, Augustus’ administrative Reformen: Pragmatismus oder systematisches Handeln (1986), in: ders., Die Verwaltung des Römischen Reiches in der Hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 1, Basel 1995, S. 101 und passim.
2 Galsterer, Hartmut, Roman Law in the Provinces: Some Problems of Transmission, in: Crawford, Michael (Hrsg.), L’Impero Romano e le Strutture Economiche e Sociali delle Province, Como 1986, S. 13–27, hier S. 23.
3 Alföldy, Géza, Fasti Hispanienses, Wiesbaden 1969.

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