B. Dorfer: Die Lebensreise der Martha Tausk

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Titel
Die Lebensreise der Martha Tausk. Sozialdemokratie und Frauenrechte im Brennpunkt


Autor(en)
Dorfer, Brigitte
Erschienen
Innsbruck 2007: StudienVerlag
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele-Maria Schorn-Stein, Rüsselsheim

In den letzten Jahren hat sich die Geschichtswissenschaft, im konkreten Fall die österreichische, verstärkt mit der Rolle der Frau im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auseinandergesetzt.1 Hinzuzufügen ist allerdings, dass die Hinwendung zur Frauengeschichte in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern, wie etwa Deutschland, relativ spät erfolgt ist.

Die Grazerin Brigitte Dorfer greift mit ihrer Biografie „Die Lebensreise der Martha Tausk. Sozialdemokratie und Frauenrechte im Brennpunkt“ diesen Faden auf, indem sie sich in ihrem Werk intensiv mit der österreichischen Frauenbewegung am Beispiel Martha Tausks beschäftigt. Daher ist dieses Werk in der Forschungslandschaft zur österreichischen Frauenbewegung bzw. Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie anzusiedeln. Dorfer unternimmt mit dieser Biografie den Versuch, die Rolle der Frau in der österreichischen Arbeiterbewegung zu ergründen, was bisher noch keiner anderen Autorin gelungen ist, geht es doch konkret um das Beispiel einer Politikerin, die mit dieser Bewegung eng verbunden war und bislang nicht in das Licht der Öffentlichkeit gerückt worden ist. Dorfer zählt neben Brigitta Zaar oder Brigitte Mazohl-Wallnig zu den ausgewiesenen Kennerinnen der Geschichte der österreichischen Frauenbewegung, was den Leser neugierig auf die Person Martha Tausk macht.

Was war nun die Intention von Dorfers Studie? Die Antwort darauf findet der Leser im Nachwort (S. 139f.): Der Autorin ging es darum, eine Frau wie Martha Tausk, die im Gegensatz zu Frauenrechtlerinnen wie Adelheid Popp oder anderen zeitgenössischen Politikerinnen weniger bekannt ist, aus der Vergessenheit zu holen, an sie zu erinnern und sie einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen (S. 140). Es geht daher auch um die Frage, warum es bisher versäumt wurde, die Geschichte dieser ungewöhnlichen Frau bekannt zu machen (S. 139). Dorfer fragt sich, und dies zu Recht, ob die Ursache dafür Desinteresse ist, das ungnädige Vergessen jener, die sich nicht daran erinnern wollen, dass es Werte gegeben hat, für die Tausk mit scharfem Verstand und ausgeprägter Analysefähigkeit ihr Leben lang eingestanden ist. Mit Unterstützung noch lebender Nachfahren von Martha Tausk und intensiven Recherchen im International Institute of Social History in Amsterdam zeichnet Dorfer den Lebensweg dieser außergewöhnlichen Frau nach.

In dem 144 Seiten starken Werk schildert die Autorin die einzelnen Lebensstationen der Martha Tausk. Biografien dieses Umfangs sind im Vergleich zu Lebensbeschreibungen anderer berühmter Persönlichkeiten eher selten, dennoch hat die Knappheit dieses Textes etwas Positives, erleichtert sie doch auch dem Nichtfachpublikum das Verständnis beim Lesen der einzelnen Kapitel. Dorfer gelingt es anhand dieser Vorgehensweise, das Wesentliche auf den Punkt zu bringen, nicht abzuschweifen, die wichtigsten Stationen im Leben der Martha Tausk zu benennen.

Das sieben Kapitel umfassende Werk beschreibt den politischen und privaten Werdegang von Martha Tausk, wobei die Kapitel vier und sieben einen besonderen Stellenwert innerhalb dieser Biografie einnehmen. In Kapitel vier „Die Politikerin – Ein Stück Freiheit“ wird der Höhepunkt im politischen Leben der Martha Tausk geschildert, gelingt es ihr doch im Alter von 38 Jahren als erste Frau in Österreich als Abgeordnete in einen Landtag (jenen des Bundeslandes Steiermark) einzuziehen, um sich dort verstärkt für die Rechte der Frauen einzusetzen; ein zentralen Anliegen ihres sozialdemokratischen Engagements (S. 58). Neben der österreichischen Frauenrechtsbewegung war die internationale Zusammenarbeit eines ihrer Hauptanliegen. Im letzten Kapitel „Ein neues Leben beginnt“ gelingt es Dorfer auf sehr anschauliche Art die Darstellung der Lebensreise der Martha Tausk abzurunden (S. 101–127).

Die übrigen Kapitel schildern den nicht immer einfachen Weg einer Frau, die bereits in jungen Jahren durch das sozialdemokratische Elternhaus geprägt, immer auf der Suche nach politischer Erfüllung war und sie letzten Endes auch gefunden hat. Kennzeichnend für das Leben der Martha Tausk waren einerseits die häufigen Ortswechsel, von Wien, ihrer Heimatstadt, über Zagreb, wo sie mit ihrer Familie lebte, nach Graz, wo sie den Höhepunkt ihrer politischen Laufbahn erlebte, schließlich über Brasilien in die Niederlande, wo sie ihren Lebensabend bei ihrem ältesten Sohn beschloss. Prägend für die starke Persönlichkeit der Martha Tausk – und dies stellt Dorfer in eindruckvoller Art und Weise dar – waren vor allem die negativen persönlichen Erfahrungen, die sie in ihrer Ehe mit dem späteren Psychoanalytiker Victor Tausk machte, von dem sie sich später scheiden ließ. Diese negativen Erfahrungen bewogen Martha Tausk auch dazu, keine weitere Ehe einzugehen (S. 26).

Auf politischer Ebene hatte Martha Tausk viele Weggefährten: Dorfer nennt unter anderem ihre engste Vertraute Zofka Kveder oder auch Friedrich Adler, die sie in ihrem Kampf für die Rechte der Frau unterstützten. Dennoch, und das fügt Dorfer in ihrem Werk an, stieß dieses Engagement auch im eigenen Lager nicht immer auf Begeisterung, sei es bei der Frauenbewegung in Österreich oder auch während der Zeit, als Martha Tausk als Herausgeberin der Zeitschrift „Frauenrechte für Schweizer Arbeiterinnen“ mit ihren politischen Texten für manche Kritik sorgte.

Die Lebensreise der Martha Tausk ist in ihrer Gesamtheit ein wissenschaftlich fundiertes Werk, das dennoch einige minimale Schwächen aufweist: Zum einen fällt dem Leser auf, dass es Dorfer an einigen Stellen verabsäumt, näher auf einzelne wichtige politische Weggefährten einzugehen, etwa auf den Sozialdemokraten Otto Bauer (S. 40).2 Ein weiterer sehr wichtiger Punkt betrifft die Anmerkungen, die sich im hinteren Teil des Werks befinden, was ein flüssiges Lesen des Textes nicht gerade erleichtert, handelt es sich doch dabei um sehr prägnante Verweise auf die benutzten Quellen, die für das Verständnis der Darlegungen von nicht unerheblicher Bedeutung sind.

Dorfer kommt in ihrer sehr persönlichen Darstellung der sozialdemokratischen Politikerin Martha Tausk zu dem Schluss, dass es schon sehr viel früher eine solche Biografie hätte geben sollen. Diese Frau, der es in erster Linie um die Rechte der Frau in der Politik und auch im alltäglichen Leben ging, aus der Vergessenheit zu holen, ist Dorfer gelungen. Die Autorin zeichnet das Porträt einer Frau, die trotz mancher Tiefen in ihrem Leben Mut gezeigt hat, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln alte Traditionen – was die Frau und auch die Familie anbelangte – aufzubrechen. Lange musste die Wissenschaft auf eine Biografie über diese außergewöhnliche Politikerin warten, die es durchaus verdient in einem Atemzug mit Zofka Kveder, Adelheid Popp und vielen anderen herausragenden Frauenrechtlerinnen genannt zu werden.

„Die Lebensreise der Martha Tausk“ ist ein beeindruckendes Buch, das vor allem auch Wissenschaftlerinnen Mut machen sollte, bislang unerwähnte, unentdeckte Persönlichkeiten der Frauenbewegung zu porträtieren.

Anmerkungen:
1 Zum allgemeinen Verständnis siehe hierzu: Mazohl-Wallnig, Brigitte (Hrsg.), Bürgerliche Frauenkultur im 19. Jahrhundert, Wien u.a. 1995.
2 Otto Bauer zählt zu den bedeutendsten Politikern der österreichischen Sozialdemokratie, der später unter anderem das Linzer Programm der Sozialdemokratischen Partei Österreichs von 1926 entscheidend mitgeprägt hat.

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