K. Maase (Hrsg.): Die Schönheiten des Populären

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Titel
Die Schönheiten des Populären. Ästhetische Erfahrung der Gegenwart


Herausgeber
Maase, Kaspar
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Campus Verlag
Anzahl Seiten
310 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Árpád von Klimo, History Department, University of Pittsburgh

Ästhetische Erfahrungen interessierten die Geschichtswissenschaft, besonders bei der Untersuchung des 20. Jahrhunderts, bisher wenig. Zudem stehen in den seltenen zeithistorischen Analysen ästhetischer Phänomene, wie etwa den Inszenierungen der Macht in totalitären Diktaturen, zumeist die Intentionen, Pläne und Handlungen der Künstler und Auftraggeber (etwa Riefenstahl und Goebbels) im Vordergrund. Kaum wird dagegen die sehr viel schwieriger zu untersuchenden Frage nach der Wirkung gestellt, wenn man von einer auf schriftliche Quellen zurückgreifenden Rezeptionsgeschichte einmal absieht. Auf der anderen Seite haben Soziologen oder Philosophen wie Rüdiger Bubner schon vor Jahrzehnten eine „Ästhetisierung der Lebenswelt“ konstatiert, die nach Gernot Böhme als entscheidendes Merkmal der spätkapitalistischen Wirtschaftsentwicklung anzusehen sei. Gemeinsam mit der Populärkultur beeinflusst Ästhetik demnach zunehmend nicht nur den Alltag, sondern auch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Damit wird Populärkultur als zentraler Bereich alltäglicher Erfahrung entdeckt, der sich nicht allein funktional erklären lässt, und als triviale, nur die Zeit „vertreibende“ Beschäftigung weitgehend ignoriert werden kann, sondern für immer mehr Menschen ein wichtiges Lebensziel beschreibt, nämlich: die Ästhetisierung und Verbesserung des eigenen Lebens. Wie kann aber dieser zentrale und zugleich sehr diffuse und schwer fassbare Aspekt modernen Lebens wissenschaftlich bearbeitbar gemacht werden?

Eine kritische Sichtung und Erörterung theoretischer und methodischer Ansätze und die Vorstellungen ausgewählter empirischer Studien im Feld der populären Ästhetik bietet ein von Kaspar Maase, dem Tübinger Pionier der Erforschung der Populärkultur, herausgegebener Band. „Die Schönheiten des Populären“ versammelt vierzehn sehr unterschiedliche Beiträge zu sehr unterschiedlichen Fragestellungen, Genres und Erfahrungen. Maase erläutert in der Einleitung, dass die „ästhetische Erfahrung der Gegenwart“ ein so weites Feld unterschiedlicher Praktiken, Perzeptionen, Erfahrungen und Objekten umfasst, dass eine übergreifende Definition und eine Differenzierung nach Objekten entscheidende Untersuchungsgebiete einfach ausblenden würde. Vielmehr solle nach den „Familienähnlichkeiten” (Wittgenstein) gefragt werden, die diese unterschiedlichen Gegenstände der Forschung miteinander verbinden. Alltagsrelevanter ästhetischer Genuss kann und sollte sowohl individuell, als auch sozial, als auch abhängig von Kontext, Assoziationsfeldern und Rezeptionsweisen untersucht werden, da sich nur so jeweils andere Dimensionen und Erscheinungsformen des komplexen Phänomens erschließen lassen.

Die ersten vier Beiträge beschäftigen sich kritisch mit bisher vorliegenden theoretischen und methodischen Ansätzen. Während Gernot Böhme eine makroökonomisch-philosophische Analyse der Ästhetisierung unternimmt, stellen die Literaturwissenschaftler Hans-Otto Hügel und Winfried Fluck zwei unterschiedliche Zugänge zum Lesen populärer Texte vor: Die Konsumenten von „Groschenromanen” verbinden ihre ästhetischen Genüsse mit Vorstellungen vom „gelingenden Leben” (Hügel), während die Produzenten sensationalistischer Texte im 19. Jahrhundert (etwa Kriminalromane oder Gruselgeschichten) Leser mit drastischen Schilderungen zum Genuss „intensiver somatischen Betroffenheit” verhelfen und damit Erfolg haben. Zugleich wird damit allmählich das Feld ästhetischen Genusses erweitert, das von der Spannung zwischen Hoch- und Populärkultur und von den damit verbundenen unterschiedlichen Erlebnisweisen profitiert, die nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich zunehmend miteinander in Beziehung treten, wie dies Susan Sonntag mit „Camp” (1964) erstmals entdeckt und thematisiert hat. 1

Der Hauptteil des Bandes besteht aus acht Beiträgen, die der ästhetischen Erfahrung in Bezug auf einzelne Genres aus dem Bereich Bild und Musik nachgehen. Hierzu nur einige Beispiele: Susanne Binas-Preisendörfer erläutert wie der Begriff „Sound“ wichtige, aber von der Musikwissenschaft bisher ausgeblendete ästhetische Dimensionen des Musikkonsums eröffnet. „Sound“ umfasst etwa den weiten, nicht auf Notenblättern gebannten atmosphärischen, assoziativen und kontextuellen Erfahrungsraum von Musik, der bei Popmusik ebenso wichtig sein kann wie bei klassischer Musik, wenn diese alltagsästhetisch (beim Joggen oder Bügeln) konsumiert wird. Mohini Krischke-Ramaswamy beschreibt am Beispiel von Neil-Diamond-Fans, wie bei diesen ästhetische und funktionelle Rezeptionserfahrungen ineinander übergehen, wie die Musik sowohl oberflächlich konsumiert, als auch reflektiert zur Deutung des eigenen Lebens benutzt werden kann.

Wie Maase in seiner Einleitung zu recht betont, spielt die Einbeziehung des Körpers bei fast allen Genres und Erfahrungen der Alltagsästhetik eine prominente Rolle: Der sensuelle und damit auch körperliche Genuss beim Schauen, Hören, Lesen, Fühlen oder gemeinschaftlichen Erleben von Erzeugnissen populärer Kultur trägt unmittelbar zum „gelingenden Leben“ bei. Daher ist es folgerichtig, dass zwei Beiträge zur Körperlichkeit populärer Ästhetik, nämlich zu ästhetischen Erfahrungen in Sport und Sexualität, den Band abschließen. Ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen und Konzepten der einzelnen Autorinnen und Autoren des Bandes, ein ausführliches Literatur- sowie ein Namensverzeichnis erhöhen zusätzlich die Nutzbarkeit dieses ausgezeichneten Sammelbandes. Das Buch eignet sich, trotz der unterschiedlichen Qualität der Einzelbeiträge, hervorragend als Einstieg für die weitere Erkundung der unterschiedlichen Aspekte ästhetischer Erfahrung, der sich in Zukunft auch die Zeitgeschichtsforschung nicht verschließen können wird.

Anmerkung:
1 Susan Sontag, Notes on “Camp”, Against Interpretation, London, 1966, S. 275–292; als Volltext abrufbar unter: <http://interglacial.com/~sburke/pub/prose/Susan_Sontag-_Notes_on_Camp.html> (24.07.09).

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