Titel
Repräsentative Bauwerke im westslawischen Gebiet vom 8. - 13. Jahrhundert n. Chr.. Tempel, umzäunte Kultplätze, Kulthallen, Fürstenhallen, Paläste


Autor(en)
Wesuls, Maik
Reihe
Studien zur Archäologie Europas 1
Erschienen
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Brather, Universität Freiburg

Hinter dem sperrigen Titel des schmalen Bandes verbergen sich zwei unterschiedlich angelegte und strukturierte Teile: ein Rückblick auf die historisch-archäologische Suche nach slawischen, heidnischen Tempeln bis 1945 und eine kritische Analyse aller von der Nachkriegsarchäologie als „repräsentative Bauwerke“ unterschiedlicher Art angesehenen Befunde, wobei Kirchen nicht berücksichtigt werden. Wie beide Partien zusammenhängen, wird nicht weiter erläutert.

Unter dem Stichwort „slawische Tempelortfrage“ handelt Maik Wesuls die Suche danach ab, wo Rethra und Vineta gelegen haben könnten. Für beide Orte sind „heidnische Tempel“ bei Adam von Bremen, Helmold von Bosau, Herbord, Saxo Grammaticus und Thietmar von Merseburg genannt. Für Rethra, „das zentrale Heiligtum“ der Lutizen, drehte sich die Diskussion mehr als 100 Jahre um die berühmten „Prillwitzer Idole“, die erst zu Rudolf Virchows Zeiten endgültig als Fälschungen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erkannt wurden. Ihre Anfertigung hatte als Argument für die Lokalisierung Rethras dienen sollen. Für die Vineta-Forschung wird lediglich Carl Schuchhardt angeführt, der zunächst in Arkona grub und dort den bei Saxo Grammaticus erwähnten Tempel ebenso gefunden zu haben glaubte wie Rethra auf dem Schlossberg von Feldberg bei Neustrelitz. Schuchhardt vermutete Vineta zunächst unter Wasser nördlich von Usedom, bevor auch er auf die Wollin-These einschwenkte und die dortigen Ausgrabungen anregte. Man wird dem Berliner Archäologen kaum gerecht, wenn man ihm Anbiederung an die Nazis vorwirft (S. 55); immerhin gab es auf sein Betreiben hin entscheidende moderne Ausgrabungen an slawischen Burgwällen oder in Wollin in den 1930er-Jahren.

Dass die angestrengte Suche nach den frühmittelalterlichen „Tempeln“ manchen Irrweg ging, überrascht nicht. Die sich erst allmählich entwickelnde prähistorische Archäologie musste einerseits eine Methodik entwickeln, um die Sachquellen im Boden angemessen untersuchen und auswerten zu können. Andererseits schien gerade die Überprüfung von Angaben aus schriftlichen Quellen die historische Relevanz des Faches belegen zu können, auch wenn man heute zu recht die Eigenständigkeit und Perspektivenunterschiede zwischen schriftlichen und archäologischen Quellen hervorhebt. Und schließlich lassen sich – aufgrund des lokalpatriotischen Hintergrunds der Altertumsvereine – gleiche Entwicklungen und Missgriffe der Prähistorie (und anderer historischer Disziplinen) in anderen Regionen und Zeiten feststellen. Die vom Autor konstatierte enge Verbindung zwischen Burgwallforschung und Tempelsuche ist auch darauf zurückzuführen, dass manche „Forscher“ Burgwälle lange Zeit für heidnische (Sonnen-) Heiligtümer hielten.1

Im zweiten Teil durchmustert Wesuls archäologische Befunde, die von der Forschung nach 1945 als herausragende kultische oder profane Bauten angesehen wurden: „Tempel“ und „Kulthallen“, „Fürstenhallen“ und „Paläste“. Zur Bewertung wird ein „Arbeitsschema“ präsentiert, das folgende Kriterien aufstellt:
a) für repräsentative Bauten: Zentralort, besondere Lage, Separierung, Größe, Bauweise, Aufwand und Funde;
b) für Tempel (anhand der schriftlichen Berichte): Bauschmuck, Statuen, Textilien, Waffen, Schatz, Kultgegenstände, Pferde-, Tier- und Menschenknochen.

Allein die archäologischen Kennzeichen helfen weiter. Fast alle unter b) aufgelisteten Besonderheiten lassen sich entweder praktisch nicht verifizieren oder sind mehrdeutig in der Interpretation. Sämtliche Knochen können immer auch Küchenabfall bzw. Siedlungsbestattungen darstellen, sofern nicht besondere Kennzeichen anderes vermuten lassen, und die Ausstattung ist – abgesehen von erst noch zu identifizierenden „Kultgegenständen“ – auch für herausgehobene profane Bauten „typisch“, sofern sie nicht mit der Aufgabe der Gebäude entfernt wurden und dann nicht mehr beurteilt werden können. An diesem heuristischen Dilemma kommt auch Wesuls nicht vorbei. „Heiligtümer“ sind für prähistorische Gesellschaften immer schwer zu fassen; ihr Charakteristikum scheint geradezu in ihrer Unscheinbarkeit zu liegen. Auch an historisch bekannten Tempelorten wie Arkona, Wollin oder Stettin konnte bisher kein großer Kultbau nachgewiesen werden, was den Vergleich mit einschlägigen Textüberlieferungen verhindert. Deren Fremdbeschreibungen gilt es außerdem kritisch zu lesen, um „realistische“ Informationen zu Bauten und Nutzungen von Topoi und Tendenz zu trennen.2

Alle neueren Versuche, Rethra südlich von Neubrandenburg zu lokalisieren, haben nicht zum Erfolg geführt. Kaum besser sieht es für weitere vermutete „Kultstätten“ aus. Wesuls betrachtet lediglich zwei offene Kultplätze (Parchim-Löddigsee, Mikulčice) und zwei Tempel (Groß Raden, Wrocław) als belegt, wobei der Unterschied allein in der Überdachung liegt. Am Beispiel von Groß Raden verlässt Wesuls seine Vorsicht, wenn er aus einem „großen plattigen Stein“ im Inneren der Anlage einen „Fundamentstein für eine Firstsäule“ macht (S. 93), die abseits gefunden worden war und deren Funktion unsicher ist. Daraus eine weitere Unterlage zu rekonstruieren, die aufgrund von Störungen nicht mehr erhalten sei, und ein komplettes Walmdach vorauszusetzen, überzieht die Interpretationsmöglichkeiten. Ob die Anlage von Groß Raden überdacht war, wird deshalb weiterhin umstritten bleiben. Auch die übrigen Befunde sind nicht über jeden Zweifel erhaben: in Wrocław ließe sich ebenso wie für einen „Kultbau“ auch für ein herausgehobenes Profangebäude argumentieren, fehlt doch jedes eindeutige Indiz für eine sakrale Nutzung. In Parchim-Löddigsee ist der Befund spärlich, und warum sollte es sich in Mikulčice auf einem christlichen Friedhof nicht um eine Kirche handeln? Nicht behandelt werden „Altar“ und kultisch interpretierte Pferdeknochendepots von Starigard/Oldenburg.3

Dass alle herangezogenen Befunde in alphabetischer Reihenfolge der modernen Ortsnamen abgehandelt werden, ist überaus hinderlich (und nur im Katalog plausibel). Auf diese Weise werden geographische und zeitliche Zusammenhänge zerrissen, die zur historischen Beurteilung relevant sind. Das Vorkommen von Kirchen und Steinbauten hängt beispielsweise entscheidend davon ab. Bei den profanen Bauten werden Großmähren, Piastenreich, Přemyslidenherrschaft und Elbslawen – vom 9. bis 14. Jahrhundert – nicht weiter unterschieden (S. 150–151 Abb. 227–228). Wesuls trägt dennoch eine Reihe interessanter Beobachtungen zusammen (auch der Rezensent bleibt berechtigterweise nicht von Kritik verschont), verfährt aber wiederum unterschiedlich kritisch: Stará Kouřím wird detailliert diskutiert, Prag aber pauschal resümiert. Es zeichnet sich ab, dass es enge Beziehungen zwischen weltlicher und kirchlicher Repräsentation gab. In großmährischen und piastischen Zentren lagen „Fürstenhallen“ und „Kapellen“ oft dicht beieinander, doch wissen wir zu wenig über die seinerzeitigen Verhältnisse, um daraus eindeutig auf weltliche oder kirchliche „Besitzer“ der Repräsentationsbauten schließen zu können. Und was bedeutete es, wenn in Starigard/Oldenburg an der Stelle der „Fürstenhallen“ eine Kirche gebaut wurde?

Das ernüchternde Ergebnis überrascht nicht allzu sehr: Ungefähr die Hälfte der untersuchten Befunde können nicht länger als „repräsentatives Bauwerk“ gelten. Wie es zu den Überinterpretationen kommen konnte, erklärt Wesuls mit unzureichendem methodischen Problembewusstsein der Ausgräber (S. 154). Hätte Wesuls seine forschungsgeschichtlichen Betrachtungen für die Zeit nach 1945 fortgeführt, wären weitere Zusammenhänge deutlich geworden; was an einem Ort nachgewiesen schien, entdeckte man dann auch anderswo. Entscheidend dürfte letztlich das oben Gesagte sein – das Fehlen klarer Kriterien der Interpretation und unzureichende archäologisch-historische Einordnungen. Und hier kommt es auch auf präzise Begriffsverwendung an: Was unterscheidet einen „Fürstenpalast“ von einem „Herrenhaus“, und was bedeutet das für bauliche Kennzeichen? Was sollte man als „Kultplatz“ und welche Befunde als „Tempel“ bezeichnen? Wesuls scheint die Begriffe eher synonym zu verwenden.

Da es sich bei Wesuls’ Buch ursprünglich um eine Magisterarbeit handelt, sollten stilistische und formale Anfängerfehler nicht überbewertet werden; sie hätten aber für den Druck korrigiert gehört, schränken sie das Lesevergnügen doch spürbar ein. Störend sind neben den genannten inhaltlichen und methodischen Unzulänglichkeiten überflüssige Passagen zum Sinn archäologischer Forschung (S. 8), ohne weitere Erläuterung eingeführte Namen und Begriffe (S. 36: „Rudolf Virchow-Stiftung“; S. 44: „Wentzel-Heckmann-Stiftung“) und uneingelöste Ankündigungen (S. 7: „Forschungsgeschichte [...] ausführlich und kritisch dargestellt“) sowie zu kurz greifende Ansichten. Es gibt keinen Widerspruch zwischen christlich beeinflussten Tempelbauten seit dem späten 10. Jahrhundert und der verbreiteten Existenz von Kultstätten seit dem 8. Jahrhundert (so S. 14 und S. 156), wie schließlich auch eingeräumt wird (S. 158). Für den „Stabbau“ als Konstruktionsvariante kann nicht einfach behauptet werden, er sei „spätestens seit dem 8. Jahrhundert n.Chr. im gesamten westslawischen Gebiet bekannt“ gewesen (S. 152); für diese Ansicht fehlen schlicht die archäologischen Belege, wenn man nicht jede Palisade fälschlich hinzurechnet. Dessen ungeachtet kann man skandinavischen Vorbildern für die Tempelarchitektur kritisch gegenüberstehen, doch wären auch solche Einflüsse kein Beleg für eine etwaige kulturelle Unterlegenheit der Slawen, sondern lediglich für deren mitteleuropäische Einbindung. Es werden schließlich veraltete Quelleneditionen verwendet und die archäologische Interpretation der Neubrandenburger Fischerinsel einem „Informationsplakat ‚Lutizenzentrum am Südende des Tollensesees’“ von 2005 entnommen (S. 68), das kaum als wissenschaftlich verlässlich gelten dürfte. Virchow kann 1905 nicht mehr an einer Exkursion der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte teilgenommen haben (so S. 61 Abb. 74). Bei der Diskussion der Befunde fällt auf, dass meist allein die relevanten Befundpublikationen herangezogen, aber veränderte Datierungsansätze der neueren Forschung nicht berücksichtigt werden.

Wesuls hat insgesamt drei interessante Themen behandelt, die zwar miteinander zusammenhängen, aber noch kein Ganzes bilden. Alle drei verdienen weitere eingehende Analysen, die auf 150 Seiten nicht zu leisten sind. Wesuls Arbeit regt aber zu weiteren Studien dazu an, wie sich etwa profane Repräsentationsarchitektur entwickelte und ob sich regionale Unterschiede klarer beschreiben lassen. Stärker muss der bauliche Kontext berücksichtigt werden, in den repräsentative Bauten eingebunden waren; Břeclav-Pohansko mag dafür angesichts neuer großflächiger Untersuchungen besonders geeignet sein4, doch werden auch die Publikation der Ausgrabungsbefunde von Starigard/Oldenburg oder Arkona dringend erwartet. Dabei sollte nicht von einer westslawischen Koiné ausgegangen werden, sondern die jeweiligen historischen und regionalen Bedingungen müssen den Untersuchungsrahmen bilden.

Anmerkungen:
1 Vgl. Behla, Robert, Die vorgeschichtlichen Rundwälle im östlichen Deutschland. Eine vergleichend-archäologische Studie, Berlin 1888, S. 75.
2 Fraesdorff, David, Der barbarische Norden. Vorstellungen und Fremdheitskategorien bei Rimbert, Thietmar von Merseburg, Adam von Bremen und Helmold von Bosau (Orbis mediaevalis 5), Berlin 2005.
3 Gabriel, Ingo, Zur Innenbebauung von Starigard/Oldenburg, in: Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 69 (1988 [1989]), S. 55–86, hier S. 71, 84–86 Abb. 11–13.
4 Macháček, Jiří, Pohansko bei Břeclav. Ein frühmittelalterliches Zentrum als sozialwirtschaftliches System (Studien zur Archäologie Europas 5), Bonn 2007.

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