R. Banken: Edelmetallmangel und Großraubwirtschaft

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Titel
Edelmetallmangel und Großraubwirtschaft. Die Entwicklung des deutschen Edelmetallsektors im "Dritten Reich" 1933-1945


Autor(en)
Banken, Ralf
Reihe
Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 13
Erschienen
Berlin 2009: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
915 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jochen Streb, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hohenheim

Mitte dieses Jahrzehnts erschienen kurz hintereinander zwei Monographien zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, die nicht nur lebhafte Debatten innerhalb des Faches stimulierten, sondern darüber hinaus bei der breiten Öffentlichkeit auf großes Interesse stießen und sich deshalb für ihre Autoren auch als kommerzieller Erfolg erwiesen. Götz Aly vertrat in seinem 2005 erschienen Buch "Hitlers Volksstaat" insbesondere die provokante These, dass die Enteignung, Beraubung und schließlich Vernichtung der europäischen Juden nicht allein und vorwiegend auf die rassistischen Motive der Nationalsozialisten zurückgeführt werden können, sondern in nicht vernachlässigbarem Umfang auch der primär ökonomischen Zielsetzung geschuldet waren, in Aufrüstungs- und Kriegszeiten Gold, Devisen und andere Ressourcen zur Befriedigung der Konsumbedürfnisse der deutschen Bevölkerung zu erlangen.1 Diese Überlegungen mündeten in Alys inzwischen berühmtes Schlusswort: "Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen" (S. 362).

Auch Adam Tooze problematisierte in seinem ein Jahr später veröffentlichten Werk "The Wages of Destruction" die chronische Gold- und Devisenknappheit des "Dritten Reichs", die die Importe des rohstoffarmen Landes und damit die deutsche Produktion entscheidend beschränkte.2 Nach Auffassung von Tooze war es in erster Linie diese außenwirtschaftliche Limitierung der Produktionsmöglichkeiten, die die nationalsozialistische Führung seit dem Jahr 1934 zur Zurückdrängung der deutschen Konsumgüterindustrie und bereits im Jahr 1939 zum Überfall auf Polen motivierte. Tooze unterscheidet sich von Aly insoweit fundamental, als er eher eine Verschlechterung der Versorgungslage der deutschen Durchschnittsverbraucher im Dritten Reich konstatiert, die auch durch die Ausplünderung der in- und ausländischen Juden sowie der im Krieg besetzten Gebiete nicht verhindert werden konnte.

Ralf Bankens Habilitationsschrift schließt inhaltlich eng an die genannten Schwerpunkte der Arbeiten von Aly und Tooze an, beschränkt sich aber im Gegensatz zum Letztgenannten nicht auf eine eher synthetische Darstellung des Forschungsstandes, sondern zeichnet Bewirtschaftung, Raub und Verwertung von Edelmetallen im "Dritten Reich" quellenbasiert und in großem Detailreichtum nach. In Kapitel 2, seinem ersten Hauptkapitel, widmet sich Banken der Entwicklung der Edelmetallbewirtschaftung in den Friedensjahren des "Dritten Reichs". Banken verdeutlicht, dass die Bewirtschaftung der Edelmetalle Gold, Silber und Platin ähnlich wie in der Stahlindustrie3 auf keiner sorgfältig durchdachten Konzeption beruhte, sondern sich als "ein System, das keiner anstrebte" (S. 117) im Zuge von ad hoc-Maßnahmen schrittweise und für die einzelnen Edelmetalle zeitlich versetzt entwickelte. Die Goldbewirtschaftung begann bereits im Verlauf der Devisenkrise von 1934, da Gold eben nicht nur als Rohstoff, sondern vor allem als internationales Zahlungsmittel benötigt wurde. Die Silberbewirtschaftung setzte im Herbst 1935 nach Auslaufen der Lohnscheideaufträge aus der UdSSR ein; die Platinbewirtschaftung wurde im Verlauf der forcierten Aufrüstung ab Mitte 1937 notwendig. Ziel dieser Bewirtschaftungssysteme war es jeweils, angesichts der vorherrschenden Devisenknappheit – Gold, Platin und zu großen Teilen auch Silber mussten importiert werden – die deutsche Rüstungs- und Exportindustrie zu Lasten des einheimischen Verbrauchs von Konsumgütern wie zum Beispiel Schmuckwaren mit hinreichenden Mengen an Edelmetallen zu versorgen.

In einer Interventionsspirale mussten dabei die zunächst eingesetzten Kontingentierungsmaßnahmen bald durch Höchstpreisvorschriften und Verwendungsbeschränkungen sowie eine zunehmende Intensivierung und Zentralisierung der staatlichen Überwachung ergänzt werden. Hierdurch gelang es nach Einschätzung von Banken dann auch tatsächlich, die staatliche Zielsetzung weitgehend durchzusetzen (S. 144). Dem Rezensenten stellt sich hier die Frage, welche wirtschaftshistorischen und ökonomischen Implikationen diese positive Beurteilung eines Bewirtschaftungssystems eigentlich besitzt. Der Nachweis, dass die Nationalsozialisten dazu in der Lage waren, in Kooperation mit der Reichsbank und marktbeherrschenden Unternehmen wie Degussa und Heraeus Rohstoffströme in die staatlich gewünschten Verwendungszwecke zu lenken, zeigt vielleicht, dass der Lenkungs- und Überwachungsstaat nicht vollständig versagte, lässt aber völlig offen, welche dynamischen Effizienzverluste mit der Ausschaltung des Preismechanismus auf den Edelmetallmärkten einhergingen. Um die Ineffizienz des nationalsozialistischen Wirtschaftsystems zu belegen, muss man eigentlich nicht das völlige Versagen der staatlichen Bewirtschaftung, sondern die unvermeidbaren Schwächen einer hinreichend funktionierenden Bewirtschaftung aufzeigen, die, wie Banken mit Recht betont (S. 831), erst durch die Außenwirtschaftspolitik des Regimes überhaupt notwendig geworden war.

In den Kapiteln 3 und 4 wendet sich Banken dem staatlichen Edelmetallraub vor Kriegsausbruch und im Zweiten Weltkrieg zu. Auch wenn zum Beispiel die Vereinnahmung der Gold- und Devisenreserven der Nationalbanken in den besetzten Ländern nicht unberücksichtigt bleibt, widmet sich Banken in diesem Teil seiner Arbeit doch vorrangig der Ausplünderung der europäischen Juden. Er zeigt, dass die Anfang 1939 durchgeführte "Leihhausaktion", die die deutschen und österreichischen Juden verpflichtete, ihren gesamten Edelmetallbesitz gegen unzureichende Entschädigung bei den kommunalen Pfandleihen abzuliefern, später als administratives Vorbild für die Ausplünderung der europäischen Juden in den besetzten Gebieten diente. Überdies verdeutlicht die "Leihhausaktion" auch die außenwirtschaftliche Dimension dieser Enteignung. So sollte das von den Juden geraubte Silber nicht zusätzlich in Verwertung gebracht werden, sondern zur Devisenersparnis an die Stelle von Silberimporten treten (S. 329).

Im Kriegsverlauf und insbesondere in Osteuropa vollzog sich eine Radikalisierung des Edelmetallraubs: Der Einsatz von Gewalt bis hin zum Raubmord ersetzte zunehmend den Einsatz von administrativen Lösungen bei der Inbesitznahme der jüdischen Vermögen. Beispielsweise war nach Auffassung von Banken der Edelmetallraub ein konstitutives Motiv für die Einrichtung der jüdischen Ghettos in Warschau oder Lodz. In der Vorgehensweise, dringend benötigte Lebensmittel nur gegen Edelmetall oder Bargeld zu liefern, sahen die Nationalsozialisten ein neues und besonders effizientes Instrument zur vollständigen Ausplünderung der Juden. Der Edelmetallraub war Bestandteil jeder Massenerschießung durch SS-Sondereinheiten, und auch in den Konzentrationslagern gehörten die Entnahme des Zahngoldes und die sorgfältige Durchsuchung der Leichen nach versteckten Wertgegenständen zu den Routinen der Massenvernichtung. Trotz all dieser Befunde ist Banken in offensichtlicher Abgrenzung zu Aly nicht der Auffassung, dass das ökonomische Motiv des Edelmetallraubs der eigentliche Auslöser für die Ermordung der Juden war (S. 563, 617, 641). Gegen diese Annahme spreche insbesondere, dass das Edelmetall aus jüdischem Besitz am gesamten deutschen Beuteerlös nur einen geringen Anteil hatte.

In Kapitel 5 untersucht Banken die Verwertung der geraubten Edelmetalle und kommt zu dem Ergebnis, dass Gold vorrangig zur Finanzierung der Einfuhr kriegswichtiger Güter, Platin und Silber hingegen für die inländische Rüstungsproduktion eingesetzt wurde. Den Schlussfolgerungen Alys widerspricht er hier wiederum deutlich, wenn er betont, dass "die Raubpolitik bei den Edelmetallen dabei fast ausschließlich der Kriegsrüstung und keinesfalls dem Konsum der deutschen Bevölkerung" diente (S. 846).

Zusammenfassend stellt das Buch eine notwendige Ergänzung zu den Bestsellern von Aly und Tooze dar, deren Thesen Banken durch die umfassende Zusammenstellung der verfügbaren qualitativen und quantitativen Fakten im Falle von Tooze eher stützt, im Falle von Aly eher widerlegt. Die Stärke dieses Buches, sein unglaublicher Detailreichtum, macht es gleichzeitig zu einer sehr sperrigen Lektüre, die sich der Leser mühsam erarbeiten muss. Doch die Mühe lohnt.

Anmerkungen:
1 Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005.
2 Adam Tooze, The Wages of Destruction. The Making and Breaking of the Nazi Economy, London 2006.
3 Vgl. Ulrich Hensler, Die Stahlkontigentierung im Dritten Reich, Stuttgart 2008.

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