S. Ehrenpreis u.a. (Hrsg.): Wege der Neuzeit

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Titel
Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag


Herausgeber
Ehrenpreis, Stefan; Lotz-Heumann, Ute; Mörke, Olaf; Schorn-Schütte, Luise
Reihe
Historische Forschungen 85
Erschienen
Anzahl Seiten
656 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Arend, Forschungsstelle Evangelische Kirchenordnungen, Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Heinz Schilling konnte an seinem 65. Geburtstag auf zahlreiche Stationen seines persönlichen und wissenschaftlichen Lebens zurückschauen. Sein Werk und dessen Wirkung zeichnen die vier Herausgeber seiner Festschrift in ihrer einleitenden Würdigung des Jubilars detailliert und pointiert nach. Insbesondere seine Verdienste bei der Erschließung neuer Forschungsfelder und -ansätze heben sie hervor. Der Band versammelt 30 Beiträge, die zu gleichen Teilen den beiden Themenbereichen „Religion und Konfession“ sowie „Politik, Staat und internationales System“ zugeordnet sind und sich damit auf zentrale Forschungsschwerpunkte des Geehrten beziehen.

Im Rahmen einer knappen Rezension ist es unmöglich, jedem Aufsatz in Umfang und Bedeutung gerecht zu werden. Aus diesem Grund sollen nur jeweils sechs Beiträge aus den beiden Themenbereichen intensiver vorgestellt werden.1

Gottfried Seebaß fragt nach der Reformation als historischem Epocheneinschnitt, den Heinz Schilling mit der Konfessionalisierungsthese infrage gestellt hat. Seebaß kommt zu dem Schluss, dass die Reformation einen besonderen Umbruchscharakter aufweist, den bereits die Zeitgenossen als solchen empfunden haben und der damit auch weiterhin als Epocheneinschnitt gelten kann.

Mit der Confessio Augustana (CA) und der Confessio Tetrapolitana (CT) untersucht Bernd Moeller die beiden zentralen Bekenntnisschriften des Augsburger Reichstags von 1530. Während die CA infolge kaiserlicher Aufforderung durch die evangelischen Stände entstanden war, ging die CT gewissermaßen aus der CA hervor: Bucer und Capito fertigten sie binnen weniger Tage auf dem Reichstag – als Antwort auf die CA. Beide Bekenntnisse gleichen sich zwar in Aufbau und programmatischem Inhalt, unterscheiden sich aber in ihrer Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Während die CT nur kurzfristig spektakulär in Erscheinung trat, aufs Ganze gesehen jedoch kaum Bedeutung erlangte, wuchs der CA eine lange Wirkungsgeschichte zu, die bis heute anhält.

Susan C. Karant-Nunn betont in ihrem Beitrag, dass der Protestantismus unter anderem durch die Entfernung von weiblichen Heiligenbildnissen aus den Kirchen eine Maskulinierung des Kultes herbeigeführt habe. Sie rückt das Thema „Emotionen“ in den Mittelpunkt der Konfessionalisierungsthese. Karant-Nunn konstatiert: Obwohl im Barockzeitalter auch bei Männern eine Intensivierung des Gefühlslebens (Compassio) und damit eine Öffnung zu der dem Weiblichen beigemessenen Emotionalität erfolgte, blieb das 16. Jahrhundert dennoch ein „eisernes“, das heißt männlich dominiertes Zeitalter.

Unter mehreren Aufsätzen, die sich mit den Niederlanden respektive den siebzehn Provinzen befassen, sei der Beitrag von Johannes Arndt erwähnt, der sich den bislang wenig erforschten calvinistischen Prädikanten zuwendet. Arndt kann festhalten, dass sich infolge des niederländischen Aufstands gegen die Spanier ein calvinistischer Prädikantenstand als neue soziale Gruppe herausbildete, die ihrer Besoldung nach zum oberen Mittelstand der Republik gezählt werden kann.

István György Tóth untersucht das bislang ebenfalls kaum erforschte Thema der Missionsbischöfe in Türkisch-Ungarn im 17. Jahrhundert. Hier existierten zwei katholische Episkopate nebeneinander: Zum einen die von den Habsburgerkaisern eingesetzten Diözesanbischöfe, die das türkische Huldigungsgebiet nicht betreten durften und ihr Bistum aus der Ferne unter anderem durch Briefe verwalteten, zum anderen die von Rom entsandten Missionsbischöfe, die die Ansprüche der Diözesanbischöfe nicht anerkannten und die Katholiken in Türkisch-Ungarn betreuten. Tóth gelangt zu dem Ergebnis: „Diese Geschichte der unter den osmanischen Paschas lebenden katholischen Oberhirten macht auch die wahre Natur der 'muslimischen Toleranz' im Osmanischen Reich deutlich.“

Verschiedene Beiträge beschäftigen sich mit frühneuzeitlichen Historikern, historischen Denkmodellen und deren Rezeption. Aus dieser Gruppe sticht der Aufsatz von Irene Dingel hervor. Sie beschreibt am Beispiel des Erlanger Kirchenhistorikers Hans Preuß (1876-1951) die „Instrumentalisierung von Geschichte“ zur Zeit des Nationalsozialismus. Preuß hatte in den 1930er- und 1940er-Jahren zahlreiche Werke über Luther publiziert, die den Reformator „theologisch entleerten“, ihn politisierten und mit Adolf Hitler gleichsetzten. Auf die Vorstellung der Zeitgenossen, dass eine „nationale Erweckung“ erforderlich sei, um Deutschland aus der Krise zu helfen, antwortete Preuß mit Luther als geeignetem Vorbild. Diese Interpretation, die unter den Zeitgenossen auf ein großes Echo stieß, machte Preuß zu einem Wegbereiter des Nationalsozialismus.

Zum zweiten großen Themenschwerpunkt der Festschrift zählt der Beitrag von Wolfgang Reinhard. In seinem mit „Stadtrepublikanismus im Kirchenstaat?“ betitelten Aufsatz kann er zeigen, dass im 16. und 17. Jahrhundert auch im Kirchenstaat Spielraum für lokale Autonomie und stadtrepublikanisches Selbstverständnis bestand. Am Beispiel der gut erforschten Städte Jesi, Bologna, Perugia und Ferrara führt er vor Augen, dass die römische Zentralgewalt den Stadtrepublikanismus nicht nur duldete, sondern ihn durch die Zusammenarbeit mit den patrizischen Oligarchien sogar beförderte: Die Päpste ließen die Peripherie des Kirchenstaates mit Hilfe lokaler Eliten regieren.

William Monter zeichnet unter dem Stichwort „Tu, felix Lotharingia, nube“ die Heiratspolitik der Herzöge von Lothringen und Bar mit verschiedenen europäischen Dynastien zwischen 1477 und 1737 nach und konstatiert, dass diese Politik für das Bestehen des Herzogtums eine wesentlich bedeutendere Rolle gespielt hat, als die durch militärische Siege errungenen politischen Erfolge.

Während die diplomatischen Beziehungen der Staaten in der Frühen Neuzeit bereits gut untersucht sind, wurde in letzter Zeit auch das diplomatische Personal immer mehr in den Blick genommen. Am Beispiel des Agenten und Korrespondenten Philibert du Bois in Den Haag, der zwischen den 1590er- und 1620er-Jahren in Diensten Ludwigs von Anhalt und Landgraf Moritz' von Sachsen stand, zeigt Holger Th. Gräf Zusammenhänge von „Konfessionalisierung und Professionalisierung“ auf. Er kann festhalten, dass die Konfessionalisierung die Diplomatie nicht behindert oder gar verzögert hat, sondern dass letztere im Gegenteil durch die „krisenhafte Zuspitzung in den internationalen Beziehungen“ professionalisiert wurde.

Johannes Burkhardt untersucht in seinem Beitrag das weitgehend unerforschte Thema der Sprachwahl europäischer Friedensschlüsse in der Frühen Neuzeit. Der Friede von Karlowitz 1699, der den Großen Türkenkrieg beendete, wurde auf Latein verfasst. Dies belegt „eine frühe Mitarbeit des Osmanischen Reiches an der Errichtung eines europäischen Staatensystems“. Der Friede von Baden (Schweiz) 1714, der den Spanischen Erbfolgekrieg beendete, wurde zunächst auf Französisch geschlossen und anschließend durch eine achtzigköpfige Kommission ins Lateinische übersetzt, ein Akt, der vor allem von „zeremoniellen Botschaften und vertrauensbildenden Konsultationen“ zeugt. Der Friede von „Neustad“ (Nystad, Finnland) 1719/21, einer der Friedensschlüsse, die den Nordischen Krieg beendeten, wurde auf Deutsch verfasst, da alle beteiligten gekrönten Häupter aus deutschen Dynastien stammten. Anhand dieser Beispiele stößt Burkhardt in ein bislang wenig erforschtes Feld vor und regt weitere eingehende Untersuchungen an.

Gerhard Menk führt den im Zuge der Reformation einsetzenden Bildungsschub anhand der Hochschul- und Wissenschaftslandschaft zwischen Main und Weser vor Augen. Zur ersten protestantischen Hochschulgründung in Marburg 1527 traten mit der calvinistisch geprägten Hohen Schule in Herborn (1584) und der Universität in Gießen (1607) weitere hinzu, die diesen Bildungsraum verdichteten. Schließlich wurden die „akademischen Ränder“ des Untersuchungsgebiets mit der ebenfalls reformierten Hohen Schule in Hanau (1607), der Universität Rinteln (1621) und der katholischen Philosophisch-Theologischen Akademie in Paderborn (1615) ausgebaut. So entstanden im Reformationsjahrhundert eine Vielzahl höherer Bildungseinrichtungen, die dauerhaft Bestand hatten.

Peter Clark beschäftigt sich in seiner Studie „Politics, the City and the Popular Drinking Houses“ mit englischen Wirtshäusern. Er stellt fest, dass vom 16. bis zum 18. Jahrhundert die Anzahl der Wirtshäuser in den Städten sprunghaft zunahm. Die Verhältnisse in England sind mit denen auf dem Kontinent vergleichbar. Die Kritik der Reformatoren an den häufigen Wirtshausbesuchen und dem dort betriebenen Alkoholkonsum führte zu einer Flut obrigkeitlicher Reglements. Diese griffen jedoch erst im 19. Jahrhundert aufgrund besser organisierter Kontrollen.

Die überaus reichhaltige Festschrift besticht durch ihre vielfältige Themenauswahl und den frischen Charakter zahlreicher Beiträge, die entweder laufenden Forschungsprojekten entnommen sind oder überhaupt erst tiefer gehende Untersuchungen anregen wollen. Der Band zeigt damit nicht nur diejenigen Wege der Neuzeit auf, die Heinz Schilling bereits beschritten und für andere gangbar gemacht hat, sondern auch viele, die der Forschung noch zu gehen bleiben.

Anmerkung:
1 Das Inhaltsverzeichnis des Bandes findet sich unter: <http://swbplus.bsz-bw.de/bsz265157161inh.pdf>.

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