J. Hrdina u.a. (Hrsg.): Wallfahrt und Reformation - Pout' a reformace

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Titel
Wallfahrt und Reformation - Pout' a reformace. Zur Veränderung religiöser Praxis in Deutschland und Böhmen in den Umbrüchen der Frühen Neuzeit


Herausgeber
Hrdina, Jan; Kühne, Hartmut; Müller, Thomas T.
Reihe
Europäische Wallfahrtsstudien 3
Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Arend, Forschungsstelle Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Der Beitragsband zu einer im Herbst 2005 veranstalteten Tagung, die auf Einladung des Stadtarchivs Heiligenstadt und des Eichsfeldforums in Kooperation mit der Humboldt-Universität zu Berlin und der Karlsuniversität Prag stattfand, vereinigt 16 Beiträge. Dem Thema Wallfahrt zur Zeit der Reformen des 15. Jahrhunderts in Böhmen und der Reformation des 16. Jahrhunderts im westlichen Europa nachzuspüren, eröffnet zahlreiche interessante Fragestellungen. Die Beiträge aus den Fachrichtungen Geschichte, Theologie, Kunstgeschichte und weiterer Geisteswissenschaften geben sehr unterschiedliche Antworten.

Ulman Weiß und Siegfried Bräuer eröffnen den Band mit Aufsätzen zu Gestalt und Formen, „Sinn und Unsinn“ der mittelalterlichen Wallfahrt (Weiß) sowie der Frage danach, wie das Wallfahrtswesen von der protestantischen Historiographie bearbeitet wurde (Bräuer). Marie Bláhová führt in das Thema im böhmischen Raum ein. Sie stellt dar, dass die Wallfahrt in Prag vor der Hussitenzeit zunächst vom Wenzelskult bestimmt und räumlich begrenzt war. Durch die Überführung der Reichskleinodien nach Prag 1350 nahm die Anzahl der Pilger aus ganz Europa deutlich zu. In einer erfreulich quellenreichen, detaillierten und historisch sorgfältigen Studie geht Blanka Zilynská der Fragestellung nach, wie sich die böhmischen Reformatoren des 15. Jahrhunderts zum Phänomen der Wallfahrten äußerten: Die Utraquisten griffen auf Argumente und Motive zurück, die bereits im 12. Jahrhundert ins Feld geführt worden waren, wenn es um den Missbrauch von Wallfahrten ging. Die böhmischen Hussiten nahmen damit die Haltung der deutschen Reformatoren des 16. Jahrhunderts vorweg. Oto Halama geht ebenfalls auf die reformerische Kritik an altgläubigen Frömmigkeitsformen des Marienkults in Böhmen ein. Er kann nachweisen, wie die Marienverehrung während der Reformation mit neuen Inhalten gefüllt wurde: Die Hussiten griffen auf die Kritik der böhmischen Waldenser zurück.

Jan Hrdina geht auf das Ablasswesen im Reich unter dem Pontifikat Bonifaz' IX. (1389-1404) ein, streift das Tagungsthema jedoch nur am Rande. Mit einem Blick auf den Einfluss von Wallfahrten auf das Bruderschaftswesen widmet sich Hana Pátková einem weiteren Aspekt des Themas. Sie kann aufzeigen, dass die Bruderschaften, die im Zusammenhang mit der Wallfahrt für Pilgerzentren geschaffen worden waren, während der hussitischen Reformen nicht verschwanden. Sie bestanden nicht nur sowohl im katholischen wie auch im utraquistischen Bereich fort, sondern unterschieden sich auch nicht wesentlich voneinander. Gabriela Signori untersucht in ihrem Beitrag die Vorgänge der Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau im thüringischen Ort Elende während des 15. Jahrhunderts. Aus der dortigen Kleinwallfahrt entwickelte sich im Zusammenhang mit den Hussitenkriegen eine aus allen Teilen Europas besuchte Pilgerstätte. Das von dort überlieferte Mirakelbuch lässt sich gewissermaßen als Wunderchronik der Hussitenkriege lesen. Der Beitrag weist leider an manchen Stellen logische Brüche auf, worunter nicht nur die Stringenz der Darstellung, sondern auch das Verständnis der Sachverhalte leiden.

Johannes Mötsch, Thomas T. Müller und Kathrin Iselt gehen in ihren Untersuchungen wirtschaftlichen Aspekten des Wallfahrtswesens nach. Johannes Mötsch hat mit der Auswertung von Wallfahrts-Rechnungen nicht nur eine besonders aussagekräftige Quelle zum Pilgerwesen entdeckt, sondern auch aufschlussreiche Erkenntnisse daraus gewonnen: Zur Grafschaft Henneberg, wo auch der überregional bewallte Ort Grimmenthal lag, führt er detailliert und kenntnisreich vor Augen, dass die Grafen einerseits Einkünfte aus der Wallfahrt bezogen (Opfergaben der Gläubigen, Zahlungen für Unterkunft und Verpflegung der Pilger, Verkauf von Pilgerzeichen), andererseits Ausgaben für die zu errichtenden Wallfahrtskirchen und deren Ausstattung sowie die Löhne für die daran Bediensteten zu leisten hatten. Die Wallfahrt war damit eine wichtige Geldquelle für den Landesherrn und ein zentraler Arbeitgeber für die Bewohner der umliegenden Dörfer. Der Niedergang einer Wallfahrt zog entsprechend verheerende wirtschaftliche Einbrüche nach sich. Kathrin Iselt führt exemplarisch vor Augen, wie die Wallfahrt im 14. und 15. Jahrhundert an der Stiftskirche im sächsischen Ebersdorf organisiert war. Anhand chronikalischer Überlieferung sowie Realen (Votivgaben) schlussfolgert sie, dass die wirtschaftliche Potenz der Stiftskirche unter anderem auf die Wallfahrt zurückzuführen ist. Thomas T. Müller hat sich zum Ziel gesetzt, anhand zweier Wallfahrtsorte des Eichsfelds (Hülfensberg und Katharinenberg) zu untersuchen, „welche Brüche der Wirtschaftsfaktor Wallfahrt in Folge von Reformation und Bauernkrieg zu überwinden hatte und warum dies gelang oder scheiterte“. Die Antworten auf diese durchaus interessante Fragestellung bleibt er jedoch schuldig, da die Wallfahrt an beiden Orten nur äußerst lückenhaft dokumentiert ist und das historische Geschehen von Müller vielfach spekulativ ergänzt werden muss.

Anhand kursächsischer und brandenburgischer Visitationsakten klopft Hartmut Kühne in seinem Beitrag die immer wieder vertretene Forschungsthese ab, Wallfahrten hätten bis ins 17. Jahrhundert hinein auch in protestantischen Territorien weiterbestanden. Er kann belegen, dass das Wallfahrtswesen in Kursachsen und Brandenburg mit dem Eindringen der Reformation aufhörte, dies jedoch in der Regel nicht aufgrund landesherrlicher Verbote, sondern aufgrund einer Entwertung der Wallfahrt durch die evangelische Lehre. Während hier die Wallfahrtskirchen nicht selten aus pragmatischen Gründen abgebrochen wurden, stellte die Zerstörung in der oberdeutschen und schweizerischen Reformation einen demonstrativen Akt dar.

Petr Hlaváček bringt in seiner Untersuchung der Orte St. Joachimsthal und Platten – Neugründungen des 16. Jahrhunderts im böhmischen Teil des Erzgebirges – einen instruktiven Aspekt in die Diskussion: Die evangelischen Predigten des Johannes Mathesius zogen nicht nur zahlreiche Menschen an die beiden „Wallfahrtsorte“, sondern schufen bei den versammelten Gläubigen auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl, eine gemeinsame Identität der lutherischen Gemeinden in der Region. Zudem verbreiteten sie „das Bewusstsein, dass die königliche Bergstadt Platten ein unwegdenkbarer Bestandteil des Böhmischen Königreichs war“ (S. 233). Jirí Mikulec stellt in seinem Aufsatz die Frage, welche Bedeutung die Wallfahrtsorte für die Rekatholisierung Böhmens nach der Schlacht am Weißen Berg besaßen. Er beantwortet sie dahingehend, dass die Wallfahrten kein geeignetes Mittel zur Bekehrung waren, zumal es in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Böhmen nur wenige Wallfahrtsorte gab. Mikulec kommt zu dem Schluss, dass Wallfahrten nur auf lange Sicht (bis zum 18. Jahrhundert) wichtig für die Herausbildung der barocken katholischen Frömmigkeit waren. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Christophe Duhamelle. In seinem Beitrag erörtert er die Verdichtung der Wallfahrtslandschaft des Eichsfelds im 17. und 18. Jahrhundert. Die Wallfahrt war wichtig für die Entstehung einer katholischen Identität im Eichsfeld, einer katholischen Enklave innerhalb einer evangelischen Landschaft.

Den Schlussbeitrag des Bandes liefert Mateusz Kapustka mit seiner Untersuchung von historisch fiktiven Darstellungen und Bildpropaganda zum Wallfahrtswesen zur Zeit der Gegenreformation. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Bilder und Historien als zeitgenössische Medien sozialer Konflikte auf zahlreichen Imaginationen beruhten, mit denen die Gläubigen gelenkt wurden.

Die Vielzahl der Beiträge aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen zeigen, dass das Thema Wallfahrt und Reformation äußerst vielschichtig betrachtet werden kann. Der Tagung ging bereits eine weitere zur „Wallfahrt in der europäischen Kultur“ voraus, die 2004 im tschechischen Pribram stattfand. Es steht zu hoffen, dass der Austausch zwischen deutschen und tschechischen Wissenschaftlern zu diesem Thema fortgesetzt wird, um weitere Erkenntnisse über Parallelen und Unterschiede zwischen den Reformationen in Böhmen und Deutschland zu gewinnen.

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