M. Brenner: Geschichte des Zionismus

Cover
Titel
Geschichte des Zionismus.


Autor(en)
Brenner, Michael
Erschienen
München 2002: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 7,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cornelia Aust, FU-Berlin

Der Zionismus taucht gerade in der aktuellen Debatte über den blutigen Konflikt Nahen Osten immer wieder auf und wird aus dieser Perspektive diskutiert. In dieser oft sehr polemisch geführten Debatte ist jedoch historische Sachkenntnis zum Thema Zionismus oft nur rudimentär vorhanden. Der schmale Band „Geschichte des Zionismus“ von Michael Brenner bietet hier eine solide Einführung für ein Publikum, das mit dem Thema bisher wenig oder gar nicht vertraut ist.

Das Buch fügt sich in eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zum Zionismus (Sammelbänden und Monographien) ein, die in den letzten Jahren erschienen sind. Dabei handelt es sich um Überblicksdarstellungen und um Arbeiten mit länderspezifischem, biographischem oder ideologiehistorischem Schwerpunkt. 1 Viele dieser Veröffentlichungen erschienen dabei im Zusammenhang mit dem 100jährigen Jubiläum des Ersten Zionistischen Kongresses in Basel 1897.

Im ersten Teil schildert Brenner die Vorgeschichte des politischen Zionismus, wobei er auch so relativ unbekannte Versuche, wie den von Mordecai Manuel Noah, erwähnt. Dieser lud 1825 in einer Proklamation Juden aus der ganzen Welt ein, sich in einem in Grand Island (im Staate New York) noch zu gründendem Staat niederzulassen (9). Doch es blieb nicht bei derartigen Utopien. Gerade in Europa gewann die Idee einer jüdischen Nation im Kontext eines wachsenden Antisemitismus’ und der Entdeckung bzw. Erfindung der Nation an Boden. Sie gründete aber auch auf dem traditionellen religiösen Wunsch der Juden zur Heimkehr nach Zion (ursprünglich Synonym für den Tempelberg, später für Jerusalem und ganz Palästina). Von vielen akkulturierten, v.a. westeuropäischen, Juden belächelt und von der Mehrzahl der Religiösen als Gotteslästerung verdammt, fand die Idee jedoch immer mehr Anhänger, vorerst v.a. im von Nationalitätenkonflikten, wirtschaftlicher Not und fehlender Emanzipation geprägten Osteuropa. Wird das Entstehen des Zionismus oft allein auf den Antisemitismus zurückgeführt, betont Brenner, dass dieser nur im Kontext der europäischen Nationalbewegung möglich war (11).

Als wesentliche Antriebskraft für diese Entwicklung, deutlich u.a. in der Schrift „Rom und Jerusalem“ des sogenannten Frühzionisten Moses Heß, sieht Brenner: „die Wiederentdeckung ihres Judentums, die Definition des Judentums als Nationalität und nicht als Religion, der lange und dennoch vergebliche Kampf um Anerkennung und Integration in der Gesellschaft ihrer Umwelt sowie die emotionale Bindung an die Traditionen und die Heimat im ‚Land der Väter’“ (13). Daneben stellt Brenner das Entstehen des Zionismus in den Zusammenhang einer allgemeinen Politisierung der jüdischen Gesellschaft in West- und Osteuropa, die heute – aus einem rückwärts gewandten Blick des „erfolgreichen“ Zionismus - oft übersehen wird. Er geht dabei einerseits auf die wichtigste politische Bewegung in Deutschland, den „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ als politische Antwort auf den rassischen Antisemitismus ein, andererseits auf mehrere osteuropäische Bewegungen. Hier versuchten sich neben den Zionisten auch Autonomisten, die sich für den Rechtsschutz nationaler Minderheiten einsetzten, die Bundisten als jüdische Sozialdemokratie oder die Agudisten als religiöse und antizionistische Bewegung zu behaupten.

Im zweiten Teil versucht Brenner die weitere Entwicklung des Zionismus zu beschreiben. Auf den ersten Blick scheint die topographischen Gliederung, die sich am Lebensweg Theodor Herzls orientiert, etwas problematisch. Wien wird als der Ort beschrieben, wo der in Budapest geborene Herzl aufwuchs und den stärker werdenden Antisemitismus bis zur Wahl des Antisemiten Karl Lueger zum Bürgermeister immer wieder zu spüren bekam. Gleichzeitig habe aber auch Herzl selbst, in seinen meist unbekannten Theaterstücken, antisemitische Stereotypen wiedergegeben. Bereits in Wien (und nicht erst mit der Dreyfuß-Affäre, die Herzl als Korrespondent in Paris miterlebte) begann seine „Bekehrung“ zum Zionismus (29). Paris ist der zweite topographische Bezugsort in Brenners Beschreibung. Von dieser topographischen Gliederung ausgehend werden die ersten (meist ablehnenden) Reaktionen auf Herzls Schrift „Der Judenstaat“, seine Bemühungen um finanzielle Unterstützung oder die Standpunkte anderer Zionisten wie Max Nordau oder dem Kulturzionisten und Kritiker Herzls Achad Ha’am, beschreiben. München – der nächste topographische Orientierungspunkt – , wo „Israelitische Kultusgemeinde“ und der „Allgemeine Deutsche Rabbinerverband“ Herzl die Durchführung des Ersten Zionistischen Kongresses verweigerten, wird zum Höhepunkt der Ablehnung des Zionismus. Hier zeigte sich, wie sehr sich vor allem die deutschen Juden zu diesem Zeitpunkt noch gegen den Zionismus stellten. In Basel konnte der Kongress schließlich stattfinden. Interessant sind die anschaulichen Details, die Brenner erwähnt, wie z.B. die von Herzl erlassenen Kleidungsvorschriften – “das man im Frack u. weisser Halsbinde zur Eröffnungssitzung kommen müsse“. Dies verdeutlicht noch einmal Herzls kulturelle bürgerliche Herkunft (41f.). Die Zusammensetzung der Teilnehmer wies deutlich auf den geographischen Schwerpunkt der Bewegung – Osteuropa – hin. Lange vor Herzls zionistischer Bewegung hatten Assimilierung und enttäuschte Hoffnung v.a. in der Hafenstadt Odessa den Zionismus wachsen lassen. Auch Achad Ha’am war hier verwurzelt, dem eine neu belebte hebräische Kultur in Jerusalem als Zentrum einer neuen jüdischen Gesellschaft vorschwebte, ein Zentrum in dem sich jedoch nur ein kleiner Teil der Juden selbst ansiedeln sollte. Er war einer der ersten Zionisten, aber nicht der einzige, der vor Spannungen mit der einheimischen arabischen Bevölkerung warnte (47), ein Problem das Herzl in seiner Vorstellung von „einem Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ nicht wahrnahm. An letzter Stelle steht das zu dieser Zeit noch nicht einmal gegründete Tel Aviv (Frühlingshügel), das seinen Namen der hebräischen Übersetzung von Theodor Herzls „Altneuland“ verdankt. Hier endet die topographische Kette, die sich letztendlich als interessante wie logische Gliederung erweist. Noch einmal betont Brenner, dass der frühe Zionismus, v.a. wenn man die Biographien seiner Protagonisten betrachtet, eine „nationale Bewegung mit kosmopolitischem Hintergrund“ war und sich damit von anderen europäischen Nationalismen grundsätzlich unterschied.

In dem Abschnitt, den Brenner „Von der Vision zur Realität“ nennt, beschreibt er die jüdische Ansiedlung und Einwanderung nach Palästina und versucht, die verschiedenen Einwanderungswellen sowie ihre tatsächlichen Erfolge differenziert zu beschreiben. Trotz des Ideals vom „produktiven“ landwirtschaftlichen Leben im Kibbuz entwickelte sich v.a. eine bürgerliche Gesellschaft - 90 Prozent der jüdischen Bewohner Palästinas lebten nach dem 1. Weltkrieg in den Städten (64). Relativ detailliert werden auch die Mythen dieser Anfangszeit beschrieben. Endlich will man sich selbst (in diesem Fall gegen Übergriffe der arabischen Bevölkerung) verteidigen, eine Tradition von modernem Heldentum wurde geschaffen, die sich, gestützt auf eine „äußerst selektive historische Wahrnehmung“ direkt an die „jüdische Selbstaufopferung“ der Antike anknüpft. Das Ideal des „neuen Juden“ wurde der jüdischen Existenz im Exil als Geschichte der Verfolgung und Assimilation entgegengesetzt.

Hervorzuheben ist jedoch, wie es auch Brenner eindrücklich tut, dass man schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr von „dem“ Zionismus, sondern nur noch von Zionismen sprechen kann, die vor allem in vier Fragen verschiedene politische Ansätze entwickeln: 1. der Haltung zur arabischen Bevölkerung, 2. dem Weg zur Erlangung der Souveränität, 3. der Rolle der Religion in einem jüdischen Staat und 4. der zukünftigen Wirtschaftsordnung (80). In diesen Fragen standen sich sogenannte „allgemeine Zionisten“ in der Tradition Herzls, Sozialisten, religiöse Zionisten und „Revisionisten“ gegenüber.

In den letzten beiden Abschnitten stellt Brenner die Entwicklung vom Beginn der britischen Mandatszeit nach dem 1. Weltkrieg über die Staatsgründung 1948 bis zur Entwicklung des Zionismus innerhalb des Staates Israel dar. Leider ist jedoch dieser letzte Teil etwas kurz geraten, obwohl gerade diese Entwicklungen als besonders interessant erscheinen, da die Geschichte des Zionismus mit der Staatsgründung Israels kaum als abgeschlossen betrachtet werden kann. Den Streit über den jüdischen Charakter des Staates Israel und ein sogenanntes postzionistisches Zeitalter, das vor allem von den „neuen“ israelischen Historikern propagiert wird, schneidet Brenner zumindest an.2 Zwei wichtige Mythen, die in den letzten Jahren v.a. von israelischen Historikern aber auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden, werden dabei dargestellt: die Frage um Flucht oder Vertreibung der arabischen Bevölkerung im sogenannten Unabhängigkeitskrieg 1948 und der Mythos vom Sieg Davids gegen Goliath (Israels gegen die übermächtigen Armeen der arabischen Staaten) im selben Krieg (116).

Zusammenfassend handelt es sich um ein übersichtlich strukturiertes, gut differenzierendes Buch, das sich spannend liest und für eine erste Auseinandersetzung mit der Geschichte des Zionismus eine umfassende Einführung bietet. Aktuelle Diskussionen werden aufgenommen und es geht über den traditionellen Rahmen der Geschichte des Zionismus (von Herzl und dem Ersten Zionistischen Kongress bis zur Staatsgründung 1948) hinaus. Enttäuschend bleibt nur die Literaturliste, in der leider nur einige deutschsprachige Titel aufgeführt sind. 3

Anmerkungen:
1 Um nur einige Beispiele zu nennen: Heiko Haumann (Hg.): Der Traum von Israel. Die Ursprünge des modernen Zionismus, Weinheim 1998. Shlomo Avineri: Profile des Zionismus. Die geistigen Ursprünge des Staates Israel, Gütersloh 1998. Michael Prior: Zionism and the State of Israel. A moral inquiry, London, New York 1999. Ekkehard W. Stegemann (Hg.): 100 Jahre Zionismus. Von der Verwirklichung einer Vision, Stuttgart 2000. Amnon Rubinstein: From Herzl to Rabin. The Changing Image of Zionism, New York, London 2000 (dt: Die Geschichte des Zionismus. Von Theodor Herzl bis heute, München 2001). Michael Krupp: Die Geschichte des Zionismus: 1882-1948, Gütersloh 2001.
2 Zur Frage des Postzionismus siehe u.a.: Moshe Zimmermann, Wende in Israel. Zwischen Nation und Religion, Berlin 1996.
3 Es ist zwar verständlich, dass in ein Einführungswert keine hebräischen Titel aufgenommen sind, doch sollte zumindest ein Teil der breiten englischsprachigen Literatur zum Thema erwähnt werden.

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