R.-D. Müller: An der Seite der Wehrmacht

Cover
Titel
An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" 1941-1945


Autor(en)
Müller, Rolf-Dieter
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger von Dehn, Bergische Universität Wuppertal

Es sei zu viel verlangt, dass Russen in Frankreich für Deutschland gegen Engländer und Amerikaner kämpfen sollen – so Generalleutnant Karl-Wilhelm von Schlieben während der Kämpfe in der Normandie 1944. Was aber war von Finnen, Franzosen oder Esten zu erwarten, die 1941 bis 1945 an der Seite der Wehrmacht an Adolf Hitlers „Kreuzzug“ gegen den Bolschewismus teilnahmen? Rolf-Dieter Müller gibt darauf in recht beeindruckender Weise eine Antwort. Schon nach den ersten Seiten wird deutlich, dass der Zweite Weltkrieg noch längst nicht „ausgeforscht“ ist, wenngleich diese Annahme auf den Gängen einzelner Historischer Seminare immer wieder zu vernehmen ist.

Drei große Teilbereiche reichen dem Leiter des Serienwerkes „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin aus, um dieses komplexe Thema auf ein sachgerechtes Fundament zu stellen. So werden nach einer knappen Überblicksdarstellung des „Unternehmens Barbarossa“ die ab 1941 mit an der Ostfront stehenden Verbündeten des Deutschen Reiches thematisiert, von deren Einsatz Hitler selbst nicht viel hielt. Dennoch erstreckte sich der Kreis der Mitkämpfer über ganz Europa und reichte von Finnland bis nach Kroatien. Erstgenannte konnten sich dabei einer besonderen Wertschätzung Berlins erfreuen, die vom Glauben an eine deutsch-finnische Waffenbrüderschaft getragen wurde. Müller beschreibt sodann die Meldung von Freiwilligen aus den neutralen und besetzten Gebieten. Auch Soldaten von der iberischen Halbinsel, aus Belgien und aus Norwegen trugen diesen Teil deutscher, vor allem aber europäischer Militärgeschichte. Betrachtungen zu den osteuropäischen Nationen im Kampf gegen den Stalinismus runden den Band von Müller ab.

Besonders aufschlussreich sind herbei die Darstellungen zu den baltischen Staaten und zur gesellschaftlichen Position der Deutschbalten. Die Nachkommen letzterer werden es Müller verzeihen, dass er für das Jahr 1939 deren „Abzug“ feststellt (S. 154). Nichtsdestotrotz: Insgesamt wirkt die gewählte Gliederung sehr überzeugend. Vor dem machtpolitischen Hintergrund des Angriffskrieges im Osten führt sie den Leser von den deutschen Verbündeten weg und hin zu den Staaten, die die Hilfe für die Wehrmacht als Kampf gegen den Expansionsdrang Stalins und für die eigene Staatlichkeit auffassten. Das breit gefächerte Bildmaterial illustriert dabei die Bedeutung der europäischen Facetten des die Welt umspannenden Krieges, den Müller für die Ostfront unmissverständlich zur Schlacht der Diktatoren erhebt.

Müller geht mit dem Anspruch an das Thema heran, es im Sinne eines Nachschlagewerks aufzuarbeiten. Dem gesetzten Ziel ist er mehr als gerecht geworden, was die zusammengestellten Länderstudien, die unabhängig voneinander gelesen werden können, klar unterstreichen. Komplette Entwicklungen werden aufgezeigt und angerissen, die sich über den Ersten Weltkrieg bis an die Ostfront erstrecken. Wünschenswert wäre es nur gewesen, wenn die Literaturhinweise direkt an den Schluss der jeweiligen Beschreibungen gesetzt worden wären und so der Handbuchcharakter noch besser zum Ausdruck käme. Doch verliert das Werk dadurch sicherlich nicht an Wert. Ergänzt werden die Darstellungen durch passend montierte Auszüge aus Primärquellen, die für sich sprechen und nicht unbedingt einer weiteren Kommentierung bedürfen. Missverständlich ist freilich der Titel des Buches: Sind Italiener oder Ungarn keine Soldaten mehr, wenn sie an der Seite der SS oder der Wehrmacht stehen?

Zu begrüßen ist, dass alle Einzelartikel durch Einführungen zusammengeführt werden, die den drei großen Teilbereichen vorangestellt werden. Bereits an diesen thematischen Drehscheiben des Buches wird deutlich, mit welchen zum Teil völlig unterschiedlichen Motivationen europäische Freiwillige für Deutschland kämpften. Damit ist auch Abschied von dem Klischee zu nehmen, dass die so genannten Helfer der Wehrmacht nicht viel mehr als einfache Kollaborateure gewesen seien. Von Nation zu Nation kann so der Geschichte von Soldaten nachgegangen werden, die heute bisweilen als „verlorenen Söhne“ gelten. Schwerlich führt bei einem Sachkomplex dieser Art der Weg an der militärischen Operationsgeschichte vorbei, die ganz nach der Tradition und dem Stil von „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ ausgestaltet ist. Lesern dieses Reihenwerkes werden die eingefügten Karten jedenfalls bekannt vorkommen.

In drei Thesen fasst Müller sein Fazit über die Rolle der ausländischen Soldaten an der Ostfront zusammen. Dabei überzeugt vor allem die Annahme, dass Hitler ohne die Verbündeten und Freiwilligen im Jahr 1941 wohl kaum bis vor die Tore Moskaus hätte vorstoßen können. Durch finnische Wehrpflichtige im Norden und rumänische Truppen im Süden konnte die Front so abgestützt werden, dass eine Konzentration der Kräfte auf Moskau möglich wurde. Ähnlich klingt der zweite Gedanke, der die Funktion der deutschen Flankensicherung beim Vorstoß in Richtung Wolga und zum Kaukasus im Sommer 1942 umreißt. In einem letzten Punkt stellt Müller heraus, dass nach Stalingrad der totale Zusammenbruch der Ostfront durch den Einsatz der „ausländischen Helfer“ (S. 264) vorübergehend mit verhindert werden konnte. Ergänzt wird dies noch durch den Hinweis auf die mangelnde Mobilität der Wehrmacht im letzten Kriegsjahr, die ohnehin nur noch durch die fast eine Million Freiwilliger der osteuropäischen Völker gewährleistet wurde – und Müller weiß sehr wohl darauf hinzuweisen, dass die „Freiwilligkeit“ in dieser Hinsicht ein relativer Begriff ist. Nach der Lektüre des Werkes liegt der Schluss nahe, dass das beschriebene Phänomen nicht nur als eine Facette der Kollaborationsgeschichte im Zweiten Weltkrieg abgetan werden darf. Die Diskussion über die Kriegsverbrechen und den lettischen Beitrag zum Holocaust sind sicherlich nur zwei Beispiele dafür.

Eigentlich viel zu lange hat die Fachwelt wie auch die interessierte Öffentlichkeit auf diese erste fundierte Beschreibung des Einsatzes von Ausländern in den deutschen Streitkräften an der Ostfront gewartet. Der zuweilen detailreiche Anmerkungsapparat gibt genug Ansatzpunkte, um sich in die Thematik weiter einzuarbeiten, deren bisherige Ausblendung im Zusammenhang eines weiter zusammenwachsenden Europas unverständlich erscheint. Nach dem Fall der ideologischen Mauern seit 1989 ist der Weg in die osteuropäischen Archive frei, so dass in den nächsten Jahren noch weitere Aspekte zu diesem Teilbereich der Wehrmachtsgeschichte erwartet werden können. Zu wünschen wäre es, wenn in der gleichen Art und Form alsbald ein weiterer Band zu Hitlers fremden Heeren 1944/45 an der Westfront entstehen würde, um auch diesen Bereich abzudecken. Doch ist abschließend klar festzuhalten, dass Müllers Band in keiner gut sortierten Bibliothek fehlen sollte.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension