Cover
Titel
Architektur in der DDR.


Autor(en)
Palutzki, Joachim
Erschienen
Anzahl Seiten
450 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Gerd Dietrich, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften

Diese Arbeit ist unter dem Titel "Architekturpolitik in der DDR" 1998 von der Philosophischen Fakultät der Universität Köln als Dissertation angenommen worden. Es handelt sich also nicht um eine pure Architektur- im Sinne von Kunstgeschichte, sondern es wird an eindrucksvollen Beispielen veranschaulicht, wie sehr Städtebaupolitik in der DDR Gesellschaftspolitik war und in welchem Maße sich in der Architekturgeschichte ideologische und ökonomische Prozesse widerspiegeln. Auf der Grundlage noch weitgehend unerschlossener Materialien aus den Archiven der zentralen Institutionen des Bauwesens der DDR, der Bauakademie, des Bundes der Architekten der DDR, des Ministeriums für Bauwesen und der zentralen SED-Instanzen beschreibt Palutzki die Geschichte von Architektur und Städtebau in der DDR als "den komplexen Entwicklungsprozeß einer europäischen Industriegesellschaft der Nachkriegszeit", abhängig von den spezifischen kunsttheoretischen, ideologischen, innen- und außenpolitischen, wirtschaftlichen, technischen, ökologischen, sozialen und machtpolitischen Bedingungen. Deshalb werden der Entwicklungsweg von Architektur und Städtebau in der DDR von den Anfängen in der SBZ bis in den Herbst 1989 nachgezeichnet und in den Mittelpunkt "die baupolitischen Entscheidungen vor dem Hintergrund der Instrumentalisierung von Architektur und Städtebau für die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen des real existierenden Sozialismus" gestellt. (S.8) Die Darstellung folgt der Chronologie, sie analysiert die konzeptionellen Ebenen und zeigt an markanten Beispielen die Umsetzung der baupolitischen Planungen und Vorgaben. Das Spektrum reicht hierbei von Siedlungsmaßnahmen über den Wiederaufbau zerstörter Städte und den Ausbau Ostberlins zur Hauptstadt der DDR bis hin zu Stadterweiterungen und -neugründungen. Palutzki liefert eine gelungene Synthese der Geschichte von Architektur und Städtebau, Kultur- und Gesellschaftspolitik in der DDR.

Die fünf Kapitel haben eine einheitliche Struktur: Eingangs werden die gesellschafts-, kultur- und baupolitischen Richtlinien der jeweiligen historischen Phase analysiert und danach wird an Beispielfällen deren mehr oder weniger problematische Realisierung vorgestellt. Kap.1 "1945-1949: Planen für den Neuaufbau" ist dem Aufbau der Strukturen und Leitlinien sowie dem Neubauernprogramm am Beispiel der Siedlung Neuheide in Großfurra, den Planungen von Otto Haesler für den Aufbau der zerstörten Altstadt von Rathenow und den Planungen in Dresden gewidmet. Kap.2 "Das 'Nationale Aufbauprogramm' 1950-1955" stellt die Formulierung, Durchsetzung und Revision eines Leitbildes dar sowie die Planungen für das Berliner Zentrum und den Aufbau der Stalinallee als "erster sozialistischer Straße Deutschlands" und Stalinstadts als "erster sozialistischer Stadt in der DDR". Kap.3 "'Besser, billiger und schneller bauen': Die Industrialisierung des Bauwesens 1955-1960" zeigt die "sozialistische Umgestaltung des Bauwesens" sowie den Aufbau Hoyerswerdas als "zweiter sozialistischer Stadt" und die Planungen für das Zentrum der "Hauptstadt der DDR" und den Ausbau des westlichen Teils der Stalinallee. Kap.4 "Bauen in der Ära der 'wissenschaftlich-technischen Revolution' 1960-1971" umreißt die favorisierte "Architekur der Bildzeichen" sowie den Aufbau des Berliner Zentrums (Haus des Lehrers, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Bebauung der Fischerinsel, Neugestaltung des Alexanderplatzes, Stadtraum zwischen Alexanderplatz und Spree und Leninplatz), die Planungen für die "sozialistische Stadt Schwedt" und den Aufbau von Halle-Neustadt. Kap.5 "Baupolitik in der Ära Honecker 1971-1989" beschäftigt sich mit den Auswirkungen der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" auf das individuelle Antlitz der Stadt sowie mit dem Wohnungsbauprogramm in Rostock und dem weiteren Ausbau Ostberlins als Hauptstadt (Leipziger Straße, Palast der Republik, Nikolaiviertel, Platz der Akademie, Friedrichstraße und Otto-Grotewohl-Straße).

Überzeugend werden die Wandlungen der kultur- und baupolitischen Leitbilder und Richtlinien entwickelt. Während die unmittelbaren Nachkriegsjahr bis 1949 von einer Orientierungssuche und dem Anknüpfen an architektonische und städtebauliche Leitbilder der 20er Jahre geprägt waren, setzte 1949/1950 eine Ideologisierung der architektonischen Formen ein. Die Vorbilder der 20er Jahre, einschließlich des Bauhauses, gerieten unter Formalismusverdacht und wurden von dem stalinistischen Leitbild der "nationalen Bautradition" abgelöst. Mit Bezug auf den Klassizismus dominierte nun in der öffentlichen Architektur ein repräsentativer Historismus, der allerdings aus pragmatischen Gründen der Wirtschaftlichkeit bereits bis Mitte der 50er Jahre wieder zurückgenommen wurde. Diese "Preisgabe der künstlerischen Gestalt, die in der ersten Etappe bis 1955 auf das Leitbild der 'Architektur der Nationalen Bautraditionen' festgelegt worden war, mündete in einen krangerechten Zeilenbau von Wohnsiedlungen, der sich nicht wesentlich vom sozialen Wohnungsbau im Westen unterschied und ab Ende der 50er Jahre zu den monotonen Stadt- und Siedlungsstrukturen führte, die zu einem Erkennungszeichen der Nachkriegszeit in Ost und West wurden." (S.114) Diese Monotonie und strikte Funktionalität der standardisierten äußeren Formen wurde auch von der politischen Führung in der DDR zunehmend kritisch betrachtet. Statt Platz für Aufmärsche, wie in den 50er Jahren, sollte in den 60er Jahren in den Zentren Raum für Kommunikation geschaffen werden. Deshalb begann man im Zuge der zum 20. Jahrestag der DDR 1969 angestrebten Fertigstellung des Neuaufbaus der Zentren der Großstädte den "Weg zur Überwindung der Monotonie in einer erneuten Monumentalisierung von Architektur und bildender Kunst" zu beschreiten" und das Leitbild der "Architektur der Bildzeichen" zu formulieren. (S.184,187) Mit der Ära Honecker setzte eine Abgrenzung zu früheren überzogenen Plänen ein. Kernstück des sozialpolitischen Programms bildete ein Wohnungsbauprogramm, das nun wiederum zum umfangreichsten Investititonsprogramm in der Geschichte der DDR wurde. Einerseits nahmen die an der Peripherie der Städte entstehenden Wohngebiete immer größere Dimensionen an, andererseits begann eine Besinnung auf das individuelle Antlitz der Stadt und die Aufwertung ihrer gründerzeitlichen Struktur. Das führte, wie in den 50er Jahren, zu einer Aufwertung des architektonischen Erbes, zu einem neuen Historismus wie zur Übernahme postmoderner Tendenzen.. Aber eine flächendeckende Umsetzung der Sanierung der Altstädte wie eine "Erfüllung" des Wohnungsbauprogramms scheiterten wiederum an den wirtschaftlichen Möglichkeiten.

In einem knappen 6.Kap. faßt Palutzki prägnant die Ergebnisse seiner Studien zusammen und stellt sie in den internationalen Zusammenhang der Geschichte der Architektur und des Städtebaus. Man sollte es zuerst lesen, um einen Überblick wie einen Einblick in die Dimensionen des Themas zu bekommen. "Das Bauwesen des 20. Jahrhunderts innerhalb der 40-jährigen Geschichte der DDR, von dem Anfang der 50er Jahre formulierten Ziel zur Schaffung einer eigenen sozialistischen Kultur und eines sozialistischen Baustils bis zur multistilistischen Ausprägung variabel einsetzbaren Betongußformen in den 80er Jahren, erscheint einem komplexen Prozeß von systemimmanenten und systemübergreifenden Umbrüchen und Entwicklungen unterworfen." Skeptisch konstatiert Palutzki den Umgang mit den "steinernen Zeugnissen" nach 1990 durch Abrisse, Namensänderungen und Überlagerung der formalen Struktur durch rekonstruierte "ursprüngliche" Zusammenhänge. Zu Recht endet er mit der Warnung: "Der radikale Eingriff in die 'gegenständlichen Bestände an Erinnerungsmaterial', ein Austilgen der DDR-Geschichte, käme einem Austilgen der eigenen Geschichte gleich, das zur Auflösung des Halts und der Orientierung am Geschehen der Zeit und zu einer beliebigen, geschichtslosen Gestalt der Stadt führen würde." (S.426)

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