A. Vogt: Vom Hintereingang zum Hauptportal?

Cover
Titel
Vom Hintereingang zum Hauptportal?. Lise Meitner und ihre Kolleginnen an der Berliner Universität und in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft


Autor(en)
Vogt, Annette
Reihe
Beiträge zur Universitäts- und Wissnschaftsgeschichte 17
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
550 S.
Preis
€ 84,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus Carrier, Bielefeld

Das Anliegen der Autorin in diesem Buch ist es, die Entwicklung nachzuzeichnen, die Frauen in der Wissenschaft in dem Zeitrahmen von 1899 bis 1949 durchlaufen haben. Sie stellt dies am Beispiel von Frauen an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität und in verschiedenen Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) im Berliner Raum dar.

Dieser Vergleich der Institutionen erweist sich als höchst erfolgreich. So kann die Autorin schlüssig zeigen, dass Frauen es einfacher hatten in der KWG in den Wissenschaftsbetrieb zu kommen als an der Berliner Universität. Den Grund dafür sieht die Autorin zum einen darin, dass die KWG als nicht-staatliche Organisation nicht an die juristisch verankerten Diskriminierungen gebunden war, die im öffentlichen Dienst herrschten. So sei insbesondere die Bezahlung von Wissenschaftlerinnen und ihren männlichen Kollegen an den Kaiser-Wilhelm-Instituten (KWI) gleich gewesen (S. 112 und S. 115). Zum anderen sieht sie den Grund im so genannten „Harnack-Prinzip“. Adolf von Harnack (1851 – 1930) war beteiligt bei der Gründung der KWG und von 1911 bis zu seinem Tod ihr erster Präsident. Das nach ihm benannte „Harnack-Prinzip“ habe darauf beruht einzelne Spitzenvertreter bestimmter Fachgebiet zu Institutsdirektoren zu ernennen, die dann bei personellen Fragen freie Hand hatten. Nur noch formal brauchte der Institutsleiter die Zustimmung des Kuratoriums des jeweiligen Instituts (S. 106). Damit waren die Institutsleiter wesentlich weniger eingeschränkt, Frauen einzustellen, als dies an der Berliner Universität der Fall war. An der Universität musste die jeweilige Fakultät einstimmig zustimmen eine Frau zur Promotion zuzulassen oder einzustellen. Stattdessen reichte in der KWG oft schon die Fürsprache einzelner wichtiger Mitglieder wie Emil Fischer, Adolf von Harnack und Max Planck (S. 112). Zwischen 1912 und 1918 waren an den drei KWI fünf Wissenschaftlerinnen beschäftigt. Dies waren im Einzelnen eine Abteilungsleiterin (Lise Meitner), drei Assistentinnen und eine Doktorandin. Ihnen gegenüber standen drei Assistentinnen an der Berliner Universität im gleichen Zeitraum, wobei allein die philosophische Fakultät über zwanzig Institute verfügte (S. 116).

Die Autorin führt aus, dass neben dem institutionellen Rahmen das herrschende Frauenbild eine große Rolle für die Anstellung von Wissenschaftlerinnen gespielt habe. Diese Frauenbilder werden für insgesamt vier Zeitetappen in ihrer Wirkung auf die scientific community beleuchtet. Die vier Etappen umfassen das Kaiserreich im Zeitraum von 1899 bis 1918 (S. 26 - 122), die Weimarer Republik (S. 123 - 244), den Nationalsozialismus (S. 244 - 411) und die Übergangszeit (1945 bis 1949) (S. 412 - 463).

Im Kaiserreich seien Frauen in der Wissenschaft als Ausnahmen oder als Pionierinnen verstanden worden. Der Zugang zur Bildung sei erschwert und nicht gleichwertig mit dem der Männer gewesen und so war es für Frauen nur mit sehr viel Mühe möglich, zu studieren oder nach dem Studium im Wissenschaftsbetrieb zu bleiben (S. 33f.). Dies habe sich mit der Zeit, insbesondere während des Ersten Weltkrieges verändert, als die männlichen Kollegen bzw. Kommilitonen in den Krieg ziehen mussten (vgl. S. 109).

In der Weimarer Republik entstand das Bild der „neuen Frau“ (S. 123). Frauen in der Wissenschaft seien selbstverständlicher geworden, auch wenn die Bedingungen an den KWI immer noch besser gewesen seien als in den Universitäten (S. 127 – 129; S. 239). Aus der Perspektive der Weimarer Republik schien die Gleichberechtigung der Frauen in der Wissenschaft erreicht. So zitiert Vogt Alice Salomon, die 1930 schrieb: „Damit ist die Eingliederung der Frauen in die deutsche Hochschule abgeschlossen. Der Kampf ist beendet.“ (S. 245).

Mit Beginn des nationalsozialistischen Regimes veränderte sich diese Situation wieder deutlich. Dem Bild der „neuen Frau“ sei das Rollenbild der „deutschen Frau“ (S. 248) entgegengesetzt worden. Wissenschaftlerinnen hätten nicht in dieses Bild gepasst. Die Bildungschancen für Frauen verschlechterten sich und wurden auf ein häusliches Leben ausgerichtet. So habe es zum Beispiel weniger Lateinunterricht und dafür mehr Handarbeitsstunden gegeben (S. 250). Hinzu kam, dass viele Wissenschaftlerinnen als Jüdinnen verfolgt wurden und teilweise ins Exil flohen. Die Situation für die nach nationalsozialistischen Kriterien nicht-jüdischen Frauen habe sich im Zweiten Weltkrieg wieder ein wenig verbessert. Das lag – wie schon im Ersten Weltkrieg – daran, dass die Männer, die in den Kriegsdienst berufen wurden. Zudem wurde die Rüstungsforschung wichtiger und bedurfte immer mehr Personal. Auch diese Nische wurde von Frauen besetzt. Dies sei aber möglichst geheim gehalten worden, um nicht öffentlichen Gegensatz zum nationalsozialistischen Frauenbild zu stehen (S. 259).

In der Analyse der Übergangszeit zeigt sich, wie das nationalsozialistische Frauenbild weitergetragen wurde. Hierzu vergleicht die Autorin zwei Befragungen unter Professoren, die eine von 1953/55, die andere von 1895/96 (S. 450 – 456). Vor dem Hintergrund der geschilderten Umstände in der Weimarer Republik ist es bemerkenswert, wie sehr sich die Antworten der beiden Befragungen ähneln. Dies verdeutlicht die rückläufige Akzeptanz gegenüber Wissenschaftlerinnen. Ein Naturwissenschaftler – bei der Befragung von 1895/96 waren hier sogar noch die meisten Befürworter des Frauenstudiums zu finden – nannte Studentinnen zum Beispiel „eine unnütze Belastung der Universität“ (S. 451).

Die Autorin bedient sich einer beeindruckenden Menge von Quellen, die erst mühsam erschlossen werden mussten. Dazu zählen eine Auswertung der Personalverzeichnisse der Berliner Universität, Personalakten, Promotionsunterlagen, die von der KWG herausgegebenen Exemplare des „Handbuchs“ und die Tätigkeitsberichte der KWG in der Zeitschrift „Die Naturwissenschaften“, sowie Finanzberichte und Briefen (S. 14-16). Dadurch schafft sie es nicht nur die Lebenswege von bekannten Frauen wie Lise Meitner nachzuzeichnen, sondern auch diejenigen unbekannter Wissenschaftlerinnen. In der Konsequenz weist die Studie eine Fülle an Details auf, die sich in Aufzählungen von Namen und Jahreszahlen niederschlägt, die vielleicht in Tabellenform übersichtlicher und leichter nachvollziehbar gewesen wären. Einige Tabellen finden sich zwar im Anhang, doch werden sie nicht durch Verweise in den Text integriert. Genauso verhält es sich mit den 16 Seiten mit Bildern von Wissenschaftlerinnen am Ende des Buches, die leider unkommentiert bleiben. Somit wird nicht klar, wofür die Bilder stehen bzw. was sie belegen sollen. Wünschenswert wäre die Einbindung der Bilder an Stellen im Buch, an der die jeweilige Wissenschaftlerin benannt wird. Es wäre zudem interessant gewesen, mehr auf die Inhalte der Forschungen der Wissenschaftlerinnen einzugehen, um etwas über ihre jeweilige Arbeit zu erfahren. Beispielsweise hätte bei Lise Meitner ihre theoretisch-physikalische Deutung der Kernspaltung ihre wissenschaftliche Leistung verdeutlicht.

Insgesamt ist diese Studie aber sehr überzeugend. Sie schafft es eine Fülle an Material zusammenzutragen und zu analysieren, die Studien- und Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen über ein halbes Jahrhundert klar nachzuzeichnen und mit dem vorherrschenden Frauenbild der Zeit in Bezug zu setzen.

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