R. Sommerfeldt: Philipp von Hessen (1504-1567)

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Titel
Der großmütige Hesse: Philipp von Hessen (1504-1567). Historisches Urteil und Erinnerungskultur


Autor(en)
Sommerfeldt, René
Erschienen
Anzahl Seiten
114 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simone Buckreus, Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn

Es sei das „Verhängnis und zugleich die Größe geschichtlich bedeutsamer Männer“, dass sie mehr durch ihre Verfehlungen als durch ihre Erfolge „die Nachfahren beunruhigen, zur Beschäftigung zwingen und sich nicht vergessen lassen“(S. 9). Mit diesem Zitat aus den Philipp-Forschungen Karl E. Demandts macht René Sommerfeldt gleich zu Anfang seine Motivation deutlich, sich mit dem wohl bekanntesten hessischen Landgrafen zu beschäftigen – und dass, obwohl anlässlich des 500. Geburtstags vor inzwischen vier Jahren zahlreiche neue Publikationen zur Person, zum Leben und zur Politik Philipps des Großmütigen erschienen sind. Das Leben des Landgrafen sei auf allen Ebenen von Höhen und Tiefen geprägt gewesen, daran bestünde heute kein Zweifel mehr. Doch wie gingen Zeitgenossen, Chronisten, Historiker und die ‚Öffentlichkeit’ mit dieser zwiespältigen Persönlichkeit um? Einerseits mächtiger Landesherr und politischer Führer der Reformation, der die Reichspolitik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts prägte, neigte Philipp andererseits zu „verhängnisvolle[n] Fehlentscheidungen“ (S. 99), durch die er „in den Augen der hessischen Landeshistoriker den Aufstieg Hessens zu einem Reichsterritorium erster Ordnung zunichte machte“.1

Sommerfeldt setzt sich daher zum Ziel, die wichtigsten historiographischen Werke und historischen Forschungen zu Philipp auszuwerten sowie das Bild und die Präsenz des hessischen Landgrafen in der öffentlichen Erinnerungskultur bis heute nachzuvollziehen. Dabei geht es ihm nicht nur darum, unterschiedliche Tendenzen innerhalb der Forschung im Laufe der Jahrhunderte darzustellen, sondern auch ihre Entwicklungsprozesse zu analysieren und den jeweiligen ideologischen Rahmen einer Instrumentalisierung und Inanspruchnahme Philipps für politische und konfessionelle Interessen aufzuzeigen. Den Schwerpunkt seiner Untersuchung setzt der Autor in der bürgerlichen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, angefangen mit der Philipp-Biographie Christoph von Rommels bis hin zur konfessionell geprägten Historiographie während des Kulturkampfes. Hier ist ein wichtiges Ergebnis, dass die protestantische Forschung ihr Subjekt zunächst als Identifikation stiftenden Fürsten der Reformation feierte, um ihn schließlich als Teil der preußisch-hessischen Geschichtsschreibung zur „hessischen Integrationsfigur im deutschen Kaiserreich nach 1870/71“ (S. 53) zu stilisieren. Die katholische Seite hingegen kreierte das „Bild eines Verräters gegen Reich und Kirche“ (S. 100), warf ihm seine sexuellen Verfehlungen vor und bezeichnete ihn als Betrüger und gefährlichen Intriganten. Insgesamt, so Sommerfeldt, sei die Diskussion um den Landgrafen ideologisch und emotional aufgeladen gewesen.

Weitere Schwerpunkte bilden die großen Jubiläen zum Geburtstag des Landgrafen in den Jahren 1904 und 2004, in denen die Forschungsdiskussion um einige zentrale Themen immer wieder angefacht wurde, so beispielsweise um die Doppelehe Philipps oder sein Testament, in dem er die so folgenreiche Erbteilung unter seinen vier legitimen Söhnen festlegte. Insbesondere das Jahr 1904 markierte einen Wendepunkt innerhalb der Philipp-Forschung, resümiert Sommerfeldt noch einmal im Fazit seiner Arbeit, denn die Veröffentlichungen zum 400. Geburtstag leiteten eine „umfassende Würdigung“ (S. 100) des hessischen Regenten ein. Zwar habe man immer noch auf seine Fehler hingewiesen, gleichzeitig aber betont, dass seine Leistungen als großartig und er selbst als bedeutend zu beurteilen seien.

Im zweiten, weit kürzeren ,Hauptteil’ beschäftigt sich Sommerfeldt mit den unterschiedlichen Formen der Erinnerung an Philipp den Großmütigen, so mit der Darstellung Philipps in Hinblick auf Denkmäler, Jubiläumsfeierlichkeiten, literarische Erzeugnisse bis hin zur heutigen Präsenz des Landgrafen in politischen Reden und in den neuen Medien. Dabei stellt er fest, dass die „Erinnerung sich vor allem an Jubiläumsjahren orientiert“ und, obwohl heutige Politiker ihn als Modernisierer und „ersten Landesvater“ (S. 93) Hessens in Anspruch nähmen, von einer „Allgegenwärtigkeit“ Philipps in Hessen eigentlich keine Rede mehr sein könne (S. 96). Am Schluss fordert der Verfasser dazu auf, das durch das Jubiläumsjahr 2004 wieder geweckte Interesse an Philipp dem Großmütigen wach zu halten und den Landgrafen in den Schulen verstärkt zu thematisieren.

Die Arbeit René Sommerfeldts – keine Dissertation, sondern wohl eine ausgebaute Staatsexamensarbeit, die an der Universität Mainz angenommen wurde – ist sicher verdienstvoll. Sie gibt einen guten ersten Überblick über die Rezeptions- und Forschungsgeschichte zu Philipp dem Großmütigen. Etwas zu kurz kommt dabei allerdings die zeitgenössische Rezeption2 sowie die Geschichtsschreibung des 16.-18. Jahrhunderts. Hier stützt sich der Verfasser in der Hauptsache auf die Forschungen von Thomas Fuchs zum Geschichtsbild hessischer Historiographie der Frühen Neuzeit.3 Nimmt man aber zum Beispiel das Entfernen der als Reliquien verehrten Gebeine der heiligen Elisabeth, vorreformatorische Spitzenahnin der hessischen Landgrafen und Landespatronin, aus der Marburger Elisabethkirche, hätte der Widerhall dieser Tat in den Schriften der Chronisten eine eigene Quellenanalyse verdient. Immerhin, so fasst Sommerfeldt zusammen, habe Philipp damit demonstrativ einen neuen Traditionsbildungsprozess eingeleitet, der von den Chronisten im Rahmen einer herrschaftsbezogenen Geschichtsschreibung unterstützt worden sei. Vernachlässigt wird auch die zeitgenössische Memoria Philipps – auf die Funktion des monumentalen Grabmals in der Kasseler Stiftskirche wird lediglich knapp hingewiesen, obwohl es „neue Maßstäbe der Traditionsbildung“ (S. 33) setzte und Vorbildcharakter für Grabmäler anderer protestantischer Fürsten besaß.

Dieses Fehlen ist dann auch symptomatisch für die ganze Arbeit: Vieles wird nur kurz erwähnt, angerissen, auf weiterführende Untersuchungen wird verwiesen, der Verfasser zitiert vor allem die Literatur, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Auch bei der Einordnung und Bewertung der unterschiedlichen Tendenzen innerhalb der Historiographie, beispielsweise während des Kulturkampfes oder in der Zeit des Nationalsozialismus, verlässt er sich fast ausschließlich auf andere Arbeiten. Man mag entgegnen, dass es sich schließlich um eine Staatsexamensarbeit handelt. Aber dann muss die Frage erlaubt sein, warum Sommerfeldt seine Ergebnisse in diesem Stadium bereits veröffentlicht hat, statt sie breiter und intensiver im Rahmen einer Dissertation auszuarbeiten. Letztlich ist es ein wenig ärgerlich, bei zahlreichen spannenden und neue Erkenntnisse versprechenden Aspekten immer wieder vertröstet und weiter verwiesen zu werden. Im Übrigen wäre auch eine andere, nämlich themenorientierte und nicht der Chronologie folgende Strukturierung der Arbeit sinnvoller gewesen, um die so leider recht häufigen Wiederholungen zu vermeiden.

Anmerkungen:
1 Wunder, Heide: Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen und seine Residenz Kassel, Marburg 2004.
2 Hierzu z.B. sehr anschaulich Lies, Jan Martin, Geschichte in Geschichten. Anekdoten rund um Landgraf Philipp den Großmütigen von Hessen, in: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 56 (2005), S. 55-72.
3 Siehe z.B. Fuchs, Thomas, Traditionsstiftung und Erinnerungspolitik. Geschichtsschreibung in Hessen in der Frühen Neuzeit, Kassel 2002; ders., Landgraf Philipp und die Historie. Das hessische Geschichtsbild im 16. Jahrhundert, in: Wunder, Heide (Hrsg.), Landgraf Philipp (wie Anm. 1), S. 221-236.

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