Jens I. Engels: Kleine Geschichte der Dritten französischen Republik

Cover
Titel
Kleine Geschichte der Dritten französischen Republik (1870-1940).


Autor(en)
Engels, Jens Ivo
Reihe
UTB 2962
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Schmale, Institut für Geschichte, Universität Wien

Die Dritte Republik verdient die Aufmerksamkeit der Historikerinnen und Historiker sowohl in einer französischen wie einer deutschen Perspektive. Sie entstand 1870 aus demselben Krieg, aus dem auch das Deutsche Kaiserreich 1871 hervorging, die siebzig-jährige Dauer erhielt ihren Rhythmus aus der deutsch-französischen feindlichen Nachbarschaft. Diesen greift Engels auf, wenn er die drei Buchteile in die Abschnitte 1870 bis 1914, Erster Weltkrieg sowie 1918 bis 1940 aufteilt.

Engels nimmt politische Geschichte als Hauptachse der Darstellung, von der ausgehend auch Wirtschaft und Gesellschaft sowie religiöse und kulturelle Probleme untersucht werden. Hauptaspekte sind die schrittweise Entwicklung der Dritten Republik zunächst bis zu den Verfassungsgesetzen von 1875, sodann die Verschiebung der politischen Gewichte hin zu den Republikanhängern und das schwierige Verhältnis zwischen Parlament und Exekutive. In diese Konstellation schob sich zunehmend die koloniale Frage, bei der es um internationales Prestige aber auch ökonomische Fragen ging. Begleitet wurde dies durch Modifizierungen der Sozialstruktur, Umschichtungen in der sozialen Vermögensverteilung und durch demographische Besonderheiten.

Der Erste Weltkrieg stellt einen eigenen Teil dar, in dem diese an Jahren kurze, an Folgen reiche Epoche von allen Seiten beleuchtet wird. Die anschließenden Jahre von 1918 bis 1940 werden prinzipiell nach denselben Parametern untersucht wie die erste Phase 1870 bis 1914, so dass die Entwicklungen vergleichbar gemacht werden. Wenn es in dieser ersten Phase Skandale und eher kurzfristige rechtsradikale Momente waren, die die negative Seite der Republik kennzeichneten, waren es nach 1918 die Verstetigung der Rechten und Faschisten sowie die Dekonzertierung der Linken trotz der Volksfrontregierung 1936 bis 1938, die die großen Entwicklungslinien bestimmten. Hinzu kam die neue politische Gewohnheit der Ermächtigungsgesetze, die Pétain zum Schluss die Begründung des „État français“ anstelle der Republik als Staatsform erleichterte.

Das Bändchen informiert zuverlässig und umfangreich im selbstgesteckten Rahmen über die Dritte Republik. Die Sachdarstellung wird von Hinweisen auf unterschiedliche Interpretationsansätze bzw. deren Modifizierungen im Lauf der Zeit ergänzt. In diesem Zusammenhang wäre eine Auseinandersetzung mit der Interpretation Odile Rudelles der ersten zwei Jahrzehnte der Republik im Licht der These von der „Absoluten Republik“ zu erwarten gewesen.

Zwei zentrale Begriffe fordern zu mehr Reflexion hinsichtlich ihrer Bedeutung auf: „Demokratie“ und „Netzwerk“. Kann man eine Republik, die kein Frauenwahlrecht kennt, diskussionslos als „demokratisch“ bezeichnen? Oder wäre es nicht angebracht, den Demokratiebegriff zu diskutieren? Das Bestreben des Autors, die „Geschichte der ersten stabilen demokratischen Republik auf dem europäischen Kontinent“ (S. 9) zu schreiben, führt nach Auffassung des Rezensenten zu einer Minderberücksichtigung kritischerer Ansätze, zu denen ein konsequenter Gender-Ansatz gerechnet werden könnte.

Der Begriff des „Netzwerks“ erfreut sich in der Geschichtswissenschaft seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit – so auch in diesem Buch – bedarf aber aufgrund seines instabilen und schillernden Gebrauchs jeweils genauerer Definitionen. Engels setzt ihn manchmal umgangssprachlich ein, gemeint sind zum Teil aber fast traditionelle Klientelbeziehungen. Auch das „Lobbying“ ist nur ein Aspekt von Netzwerkbildung. Der moderne politikwissenschaftliche Netzwerkbegriff enthält hingegen Definitionselemente wie Stabilität, Vertrauen, gegenseitige Anerkennung, Deliberationstechniken etc., die bei klientelartigen Netzwerken mit ihren hierarchischen Abhängigkeiten weniger zutreffend sind.

Was die „historische Erzählung“ als solche angeht, so setzt sie etwas unvermittelt ein. Da sich die UTB-Reihe zunächst an Studierende wendet, wären zwei Buchseiten – mehr würden wohl nicht benötigt – zur Entstehung des Krieges 1870 angemessen, denn ohne dieses Vorwissen bleibt das „Warum“ der Republik 1870 etwas im verschwommenen historischen Raum.

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