P. Kleedehn: Die Rückkehr auf den Weltmarkt

Cover
Titel
Die Rückkehr auf den Weltmarkt. Die Internationalisierung der Bayer AG Leverkusen nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Jahre 1961


Autor(en)
Kleedehn, Patrick
Reihe
Beiträge zur Unternehmensgeschichte
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
385 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Hilger, Heinrich-Heine Universität Düsseldorf

Unternehmen gehören zu den wichtigsten Trägern des wirtschaftlichen Internationalisierungsprozesses. Dies ist in den jüngeren Studien wie der von Antje Hagen1 zu den deutschen Direktinvestitionen in Großbritannien oder von Susann Becker über die Formen des deutschen Auslandsengagements vor dem Ersten Weltkrieg2 eindrucksvoll und theoretisch fundiert dargelegt worden. Zudem beinhaltet das Thema, wie unter anderem Mira Wilkins3 und Geoffrey Jones4 in ihren Arbeiten zur Geschichte multinationaler Unternehmen herausgestellt haben, einen dezidierten Zugang zu der neuen wirtschaftshistorischen Globalisierungsforschung, die sich der Entwicklung vom grenzüberschreitenden zum globalen Engagement von Unternehmen widmet.

Dies ist also das grob umrissene Feld, an dem sich die anzuzeigende Dissertation von Patrick Kleedehn zur Internationalisierung der Bayer AG messen lassen muss. Wie viele Unternehmen der „neuen Industrien“ war Bayer bereits weit vor dem Zweiten Weltkrieg ein hochgradig internationalisiertes Unternehmen, so dass die Arbeit zu Recht nach den Kontinuitäten und Brüchen in der Unternehmensentwicklung fragt. Mit Blick auf die insbesondere seit den letzten Jahrzehnten entstandenen fundierten Untersuchungen zur Geschichte von Bayer und der IG-Farben vor bzw. unmittelbar nach 1945 basiert die Arbeit neben der umfangreich verfügbaren Literatur auf Unterlagen des Bayer-Archivs in Leverkusen.

Ein einführendes Kapitel verbindet theoretische Überlegungen zur Internationalisierung von Unternehmen mit einem branchenspezifischen Einblick zur Chemieindustrie. Daran schließt sich in einem weiteren Punkt eine Skizze zur unternehmenshistorischen Entwicklung von Bayer von der Gründung des Unternehmens bis 1961, dem Ende der „Ära Haberland“ an. Ulrich Haberland, der der Bayer AG von 1951 bis zu seinem Tod 1961 als Vorstandsvorsitzender vorstand, begleitete die Neuformierung des Konzerns nach der Zerschlagung der IG Farben und trieb die „Rückkehr“ Bayers „auf den Weltmarkt“ voran. Kapitel 4 und 5 widmen sich dem internationalen Geschäft von Bayer am Beispiel der beiden Schwellenländer Argentinien und Brasilien, die im Vergleich zu den Industriestaaten USA und Frankreich untersucht werden. Ein zusammenfassendes Kapitel, hier nicht explizit als solches bezeichnet, greift die eingangs aufgeworfene Fragestellung unter Bewertung des verwendeten Theorieapparates auf.

Trotz der erheblichen Einschnitte durch den Zweiten Weltkrieg und die Konsequenzen der alliierten Besetzung überwog bei Bayer ein hoher Grad an personeller und struktureller Kontinuität. Dieser trug dazu bei, dass Bayer nach 1945 trotz der weitgehenden Ausfälle in Forschung und Entwicklung, dem Verlust der Auslandsvermögen, Lizenzen und Patente sowie des starken Drucks durch Mitwerber aus den USA und der Schweiz die Folgen des Krieges verhältnismäßig rasch meisterte. Seit den frühen 1950er-Jahren konnte sich das Unternehmen sehr erfolgreich in den internationalen Märkten positionieren. Dabei kam der Chemiesparte ein besonderes Gewicht zu, die Kleedehn als „Trumpf“ bei der Internationalisierung von Bayer (S. 338) bezeichnet.

Mit vier Seiten viel zu kurz kommt dabei die Darstellung des visionären Blicks von Unternehmensleiter Ulrich Haberland. Dieser agierte zwar zeitgemäß als autoritär-patriarchalischer Unternehmer, entwickelte jedoch zugleich, wie viele seiner Kollegen, sehr früh nach Kriegsende ein Gespür für eine internationale Widerannäherung. Vor allem betrachtete Haberland den Gemeinsamen Europäischen Markt als eine Chance für westdeutsche Unternehmen (S. 132).

Angesichts des eingangs skizzierten hohen Forschungsinteresses insbesondere auch an vergleichenden Fallstudien vermag die umsichtig und kompetent erarbeitete und quantitativ reichhaltig unterlegte Untersuchung die Internationalisierung von Bayer eindrucksvoll und bis in die einzelnen Geschäftsbereiche und in die ausgewählten geographischen Märkten hinein pointiert nachzuzeichnen. Sowohl im Hinblick auf Forschung und Entwicklung, Produktion und Absatz sowie Finanzierung und Personal eröffnet Kleedehn Einblicke in die wesentlichen Parameter der internationalen Geschäftstätigkeit von Bayer. Dabei ist insbesondere die Darstellung der institutionellen Einordnung, Bewertung und Entwicklungen überzeugend, während andere Bereiche wie etwa die Schwierigkeiten und Problembereiche des „interkulturellen“ Managements leider nicht Gegenstand der Betrachtungen sind. Zudem verzichtet der Verfasser weitgehend darauf, Vergleiche heranzuziehen, so dass brancheninterne wie auch -übergreifende Hinweise leider weitgehend fehlen.

Woran es der Studie darüber hinaus mangelt, ist eine ausgewogene Argumentation und Empathie für den wissenschaftlichen Verhaltenskodex. Dies würde erklären, warum der Verfasser z.B. die Auswahl der vier geographischen Märkte, die als Angelpunkt für die Internationalisierung des Unternehmens hergenommen werden sollen, ohne genaue Begründung in den Raum stellt. Zu monieren ist hier auch die Negierung von vergleichbaren Arbeiten wie der von Susann Becker, die den ebenfalls von Kleedehn verwendeten Dunningschen Ansatz einführte. Hier gehört mindestens ein weiterführender Hinweis zum „guten Ton“ der wissenschaftlichen Arbeitsweise.

Es sind also weniger inhaltliche Versäumnisse als Nachlässigkeiten struktureller und methodische Art, die der Arbeit anzulasten sind, und die sich z.B. auch in einem unüblichen ‚anorganischen’ Gliederungsmodus widerspiegeln, etwa im Hinblick auf die Abhandlung theoretischer und branchenspezifischer Erörterungen in einem Kapital, oder der Verzicht auf eine explizite Schlussbetrachtung. Hinzu kommt eine sprachliche Unbeholfenheit, die an einigen Stellen (etwa S. 37, 119, 132, 157) eine sorgfältigere Redaktion erfordert hätte. Dies gilt auch für den Seitenumbruch, der teilweise unschöne Tabellenformate produziert hat (S. 170, 273f.).

Trotz der angeführten Monita verdient die Arbeit ein versöhnliches Votum. Die zentrale Fragestellung wird an einem herausragenden Fall überwiegend ansprechend exemplifiziert und gelungen veranschaulicht, so dass weitere vergleichende Untersuchungen zur Internationalisierung wünschenswert erscheinen.

Anmerkungen:
1 Hagen, Antje, Deutsche Direktinvestitionen in Großbritannien 1871–1918, Stuttgart 1997 (= Beiträge zur Unternehmensgeschichte, Bd. 3).
2 Becker, Susann, „Multinationalität hat viele Gesichter“. Formen internationaler Geschäftstätigkeit der Vielle Montagne und der Metallgesellschaft vor 1914, Stuttgart 2002.
3 Wilkins, Mira (Hrsg.), The growth of multinationals, Aldershot 1991 (=The international library of critical writings in business history, Bd. 1); Wilkins, Mira, The maturing of multinational enterprise, American business abroad from 1914 to 1970, Cambridge, Mass. 1974 (=Harvard studies in business history, Bd. 27); Wilkins, Mira, The emergence of multinational enterprise, American business abroad from the colonial era to 1914, Cambridge, Mass. 1976.
4 Hertner, Peter; Jones, Geoffrey (Hrsg.), Multinationals: Theory and History, Dorset 1987; Jones, Geoffrey, Multinationals and global capitalism from the nineteenth to the twenty-first century, Oxford 2005; ders., The End of Nationality? Global Firms and „Borderless Worlds“, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte (2006), S. 149-165.

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