I. Bertz u.a. (Hrsg.): Raub und Restitution

I. Bertz u.a. (Hrsg.): Raub und Restitution

Veranstalter
Jüdisches Museum Berlin; Jüdisches Museum Frankfurt am Main (13790)
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13790
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.09.2008 - 25.01.2009

Publikation(en)

Bertz, Inka; Dorrmann, Michael (im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main) (Hrsg.): Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute. Göttingen 2008 : Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-0361-4 328 S. € 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristiane Janeke, Berlin

Zwei Jahrestage in diesem Herbst haben dafür gesorgt, dass das Thema von Raub und Restitution europäischen Kulturguts wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt ist. Zum einen jährt sich die „Washingtoner Erklärung“ aus dem Jahr 1998 zum 10. Mal. Darin verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, darunter auch die Bundesrepublik, nach Kulturgut zu suchen, das in der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt, geraubt und unrechtmäßig gehandelt wurde. Ziel ist die Restitution des Kulturguts an die Eigentümer oder deren Nachfahren. Der zweite Jahrestag erinnert an die Rückgabe von 1,5 Millionen Kunstwerken an die DDR im Jahre 1958, die die Sowjetunion 1945/46 als so genannte Beutekunst mit dem Argument der „restitution in kind“, also der Kompensation für die durch die deutschen Besatzer verursachten Zerstörungen und Plünderungen, aus Deutschland in sowjetische Museen verbracht hatte.

Den Rückgaben von so bedeutenden Kunstwerken wie dem Pergamon-Altar, dem Grünen Gewölbe oder der Sixtinischen Madonna von Rafael Ende der 1950er-Jahre aber auch der noch zu beklagenden Verluste widmen einige deutsche Museen Präsentationen.1 Zu nennen ist hier allen voran die Aachener Schattengalerie des Suermondt-Ludwig-Museums in Aachen, dessen Dokumentation seiner verlorenen Gemälde zu deren Entdeckung auf der Halbinsel Krim geführt hat.2

Mit den Fragen des Raubs und der Restitution jüdischen Kulturguts, auf das die Washingtoner Erklärung zielt, beschäftigt sich die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin. Dokumentation und Forschung stehen hier, im Gegensatz zur Präsentation von Kunst und Kulturgut, im Vordergrund. Damit spiegelt die Ausstellung den oft mühsamen, kleinteiligen und für jedes Objekt neu zu definierenden Vorgang der Provenienzforschung wider. Zugleich ist sie damit ein berechtigter Appell an alle Beteiligten, die Anstrengungen in diesem Bereich noch zu verstärken. Zu diesen Beteiligten gehören neben den Museen insbesondere die jüdischen Interessenvertretungen, aber auch Kunsthändler, Rechtsanwälte, Politiker, Kunsthistoriker und Historiker. Sie alle kommen in der Ausstellung zu Wort.

Der Besucher wird in der Ausstellung mit einer Reihe von Interviews empfangen und erhält auf diese Weise einen Einblick in die unterschiedlichen Interessenslagen der Beteiligten. Anhand von kenntnisreich recherchierten Biographien einzelner Objekte und Sammlungen berichtet die Ausstellung sodann vom nationalsozialistischen Kulturraub in Westeuropa, dem seit 1939 gezielt jüdisches Kulturgut zum Opfer fiel. Wie verschlungen die Wege des Kunstraubs, des Handels und der Restitution sein können, zeigen fünfzehn Einzelfälle, die die Ausstellung ausführlich dokumentiert. Einige der Fälle konnten mit einer Rückgabe abgeschlossen, andere bisher keiner befriedigenden Lösung zugeführt werden. Es ist hervorzuheben, dass sich die Kuratoren dabei nicht auf spektakuläre Einzelfälle bedeutender Kunstwerke beschränken (wie das Gemälde von Jan van Goyen „Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern bei einem Wirtshaus“ von 1641 aus der Galerie Goudstikker oder das Gemälde „Römische Campagna“ (1914) von Lovis Corinth aus der Sammlung Glaser), sondern auch Archive (Familienarchiv der Rothschilds), Bibliotheken (die Bibliothek von Arthur Schnitzler oder die Bibliothek des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts in Wilna), Alltagsgegenstände (Silber aus jüdischem Besitz im Märkischen Museum Berlin) oder eine Musikinstrumentensammlung (von Wanda Lewandowska) einbeziehen.

Hervorzuheben sind die einfache, aber originelle Gestaltung der Ausstellung sowie das ergänzende Vermittlungsangebot. Die Informationen zu den einzelnen Objekten oder Sammlungen finden Platz auf und in einer Reihe von einfachen Holzkisten, die den vergleichsweise wenigen Originalobjekten als Vitrine dienen und zugleich Träger der reproduzierten Fotos und Dokumente sind. Ergänzt wird die Dokumentation durch das knapp dosierte, aber qualitativ gute Vermittlungsangebot: Ausschnitte historischer Wochenschauen, Interviews sowie, jeweils an die Einzelfälle angepasste, Hörstationen. Beispielsweise werden schwer lesbare Handschriften, etwa in Briefen oder Inventarlisten, vorgelesen oder umfassend erläutert, wie im Falle des „Black Book“, dem Notizbuch Jacques Goudstikkers, in dem er alle wichtigen Angaben zu seinen Kunstwerken notierte, bevor er die besetzten Niederlande verlassen musste.

Vertiefende Informationen jenseits der Einzelfälle bietet die Ausstellung an den Wänden in Form eines Glossars und zahlreicher Biographien der Akteure, ergänzt durch weitere Objekte, Fotos und Dokumente. Aufgrund der Textlastigkeit der Ausstellung ist es nicht immer leicht, den Überblick über die verschiedenen Informationsebenen zu behalten. Auch wäre hier der Ort für ergänzende Informationen zum Kunst- und Kulturraub der Nationalsozialisten in Osteuropa gewesen, der vor dem Hintergrund des rassenideologischen Vernichtungskrieges gegen die slawische Bevölkerung andere Formen als in Westeuropa annahm. Allein eine Tafel zur Tätigkeit des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg in der Sowjetunion und einige wenige Hinweise im Einführungsbeitrag von Inka Bertz und Michael Dorrmann im Katalog (S. 11) können das Thema kaum befriedigend abdecken. Allerdings ist dies den Kuratoren offenbar selbst bewusst, da sie den Kunstraub in Osteuropa zu den weiterhin bestehenden Desideraten der Forschung zu Kulturgüterverlusten zählen (S. 13).

Sehr zu empfehlen ist die Anschaffung des Katalogs, der nicht nur die Ausstellung vertieft, sondern darüber hinaus zusätzliches und vertiefendes Material auf drei Ebenen bietet. Zum einen werden die in der Ausstellung gezeigten Fälle nochmals dokumentiert, dabei sind die einzelnen Geschichten flüssig und interessant geschrieben. Zum anderen sind die, teilweise in der Ausstellung zu sehenden, Interviews mit Vertretern der unterschiedlichen Interessengruppen nachzulesen. Auf einer dritten Ebene schließlich werden die historischen Hintergründe des europäischen Kulturraubs der Nationalsozialisten durch ausgewiesene Autoren/-innen vertieft, wie zum Beispiel der „Kunsthandel im Dritten Reich“ (Anja Heuß), „Sonderauftrag Linz und ‚Führermuseum’“ (Birgit Schwarz), „geplünderte jüdische Archive in Osteuropa“ (Patricia K. Grimstead) sowie die Restitutionsbemühungen in Österreich, Frankreich, den Niederlanden, Ungarn und der Tschechischen Republik.

Die beiden einführenden Katalogbeiträge schließlich ergänzen die konkreten Bespiele der Ausstellung um eine weiterführende, kulturgeschichtliche Dimension. In beiden Texten steht der Begriff des Eigentums im Mittelpunkt. Dan Diner betont in seinem Beitrag den „Zusammenhang von Gedächtnis und Restitution“ (S. 21). Insbesondere die Wiederherstellung der privatrechtlichen Verhältnisse in Osteuropa und die dadurch ausgelöste zweite Restitutionswelle haben diesen Nexus evident gemacht. Mit der Restitution, so Diner, kam auch die Erinnerung zurück. Den umgekehrten Gedanken, nämlich dass die Rückgabe von Kulturgut eine Folge der Erinnerung sei, ist für Diner sekundär (S. 21). Er schreibt: „Es ist das Privateigentum, an das sich das materielle Gedächtnis haftet. Es hält das Gedächtnis an die Vergangenheit wach und konstituiert Kontinuität.“ (S. 22) Dieser Gedanke erklärt sich aus dem Umstand, dass es „ein jüdisches Volk im Rechtssinne“ […] nicht gegeben“ (S. 19) hat und mag insofern auf das in der Ausstellung thematisierte, private jüdische Kulturgut zutreffen. In Bezug auf kirchliche oder öffentliche Sammlungen, um die es beim Kunstraub gerade in Osteuropa ging und die Diner ebenfalls in seine Überlegungen einbezieht, kann er jedoch nicht überzeugen. Er verschließt sich der Tatsache, dass die Kunst und Kultur in den Museen, Archiven und Bibliotheken eines Landes auch und gerade im Falle eines Krieges und seiner Folgen für das nationale, und damit kollektive Gedächtnis steht, das es jenseits menschlichen Lebens zu verteidigen und, wenn nötig, zu restituieren gilt.

Aus dem Begriff des Privateigentums leitet auch Constantin Goschler seine These ab. Zwar seien die Rückgaben seit den 1990er-Jahren mit weniger Protesten verbunden gewesen als diejenigen der Zeit nach 1945, doch sei die Restitution bis heute mit einem leichten Zweifel an Legitimität behaftet, mit einer „tief verwurzelte[n] Abneigung gegenüber der jüdischen Eigentümerposition“ (S. 31). Habe Deutschland nach dem Krieg die eigene Verantwortung bei der Beschlagnahmung und Enteignung heruntergespielt (S. 34) und gegen die Rückerstattungsgesetze offen agitiert (S. 36), so sei heute die Auffassung verbreitet, jüdische Erben und ihre Nachfahren seine allein aus materiellen Gründen an der Restitution ihres früheren Eigentums interessiert (S. 43), womit alte „Stereotype über das besondere Verhältnis von ‚Juden’ und ‚Geld’ aktualisiert werden“ (S. 44). Goschler greift damit eine Anmerkung von Raphael Gross auf, die dieser bereits bei der Eröffnung der Ausstellung geäußert und in seinem Grußwort zum Katalog wiederholt hat, dass nämlich „aus der unmittelbaren Nachkriegszeit bekannte[n] Umkehrungen der Täter-Opfer-Rollen […] in der Diskussion um Restitution einen neuen Raum [finden].“ (S. 7) Was im Kontext kulturpolitischer Reden befremdlich klingen mag, ist offenbar ein Befund der scheinbar noch immer emotional beladenen Restitutionsdebatte. In diesem Sinne schließt Goschler: „So scheint es sich bei der Rückgabe des jüdischen Eigentums um weit mehr gehandelt zu haben als um einen erneuten Eigentümerwechsel: Das restituierte Eigentum wurde zum Träger der gegenseitigen Erwartungen von Juden und Nicht-Juden in der Situation nach dem „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner)“. (S. 45)

Anmerkungen:
1 Eine Übersicht bietet <http://aspekte.zdf.de/ZDFde/inhalt/25/0,1872,7396537,00.html?dr=1> (08.01.2009).
2 Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 261 (7.11.2008), S. 36.

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