M. R. Bonnet u.a. (Hrsg.): Statuten des Johanniterordens

Titel
Estatutos de la Orden de San Juan de Jerusalén. Edición crítica de los Manuscritos Occitanos (s. XIV). Les Statuts de l'Ordre de Saint-Jean de Jérusalem. Édition critique des Manuscrits en Langue d'Oc (XIVe siècle).


Herausgeber
Bonnet, Marie Rose; Cierbide Martinena, Ricardo
Reihe
Filología y lingüística 13
Anzahl Seiten
378 S.
Preis
€ 14,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jyri Hasecker, Hamburg

Seit längerem lässt sich ein wachsendes Interesse der Forschung an Normen und Strukturen der mittelalterlichen Orden und ordensähnlichen Gemeinschaften verzeichnen. Das gilt auch für den geistlichen Ritterorden der Johanniter, doch steht hier der stetigen Zunahme an Spezialstudien der Mangel an zuverlässigen Quelleneditionen gegenüber. Besonders gravierend ist das Fehlen einer kritischen Edition der Statuten, also der seit dem Ende des 12. Jahrhunderts fortlaufend durch die periodisch tagenden Generalkapitel erweiterten internen Gesetzgebung des Ordens, deren mittelalterliche Entwicklung erst mit der Generalrevision von 1489/93, den „Stabilimenta Rhodiorum militum“, endete. 1 Wie erst kürzlich auffiel, ist selbst der lange Zeit maßgebende Abdruck der Statuten bis zum Generalkapitel von 1306 im „Cartulaire général“ aufgrund der späten Manuskriptvorlagen unzuverlässig 2, weshalb manche Forschungsergebnisse über die Entwicklung der Strukturen im Orden (etwa der „Zungen“) revisionsbedürftig sind.3

Dass eine kritische Edition der Johanniter-Statuten der Zeit vor 1489/93 bisher nicht realisiert wurde, ist auf die diffizile Überlieferung des Materials zurückzuführen. So ist nur für einzelne Generalkapitel – und dies auch erst seit 1330 – die aus diesen direkt hervorgegangene Schriftlichkeit überliefert, weshalb für viele Statuten die ursprüngliche Formulierung nicht mehr verfügbar ist. Die Herstellung eines „Urtexts“ kann aber auch nur eines der Ziele einer Edition sein, denn die Verwaltungswirklichkeit der einzelnen Ordensniederlassungen wurde durch dezentral und meist im großen zeitlichen Abstand zu den Originalbeschlüssen entstandene Statutensammlungen geprägt. In diesen erodierte der ursprüngliche Wortlaut aufgrund von Anpassungen an lokale Eigenentwicklungen und durch Übersetzungen vom lateinischen oder französischen Original in die unterschiedlichen im Orden vertretenen Sprachen. Eine kritische Edition müsste dem Originaltext also die vielen Veränderungen hinzufügen, denen die Statuten im Laufe der Zeit unterworfen wurden. Dies jedoch ist erst dann möglich, wenn eine hinreichend vollständige Übersicht über die überlieferten Statutensammlungen existiert und die einzelnen Überlieferungsstränge identifiziert worden sind.

Der letztgenannten Aufgabe widmet sich schon seit einiger Zeit der Linguist Ricardo Cierbide, Emeritus der Universität des Baskenlandes (Bilbao), der nun gemeinsam mit Marie Rose Bonnet, Historikerin mit Schwerpunkt auf der okzitanischen Literatur des Mittelalters (Universität der Provence, Aix-en-Provence), eine provenzalische Überlieferungsgruppe mit Statuten bis in die Zeit des Meisters Juan Fernándes de Heredia (1377–1396) ediert hat.

Der Text folgt dem im Kommunalarchiv von Arles aufbewahrten Manuskript GG 76. Es entstand 1383 im Haus der Johanniter in Toulouse im Auftrag des Priors Pierre d’Hauterive. Gattungstypisch für die Statutensammlungen vor 1489/93 enthält es chronologisch die Gesetzgebung von den Anfängen im 12. Jahrhundert bis zum Generalkapitel von Valence-sur-Rhône im März 1383. Hinzu kommen, als ebenfalls obligatorische Bestandteile dieses Texttypus, die Ordensregel aus der Zeit des Meisters Raymond du Puy (circa 1130–1153), die Ursprungslegende des Ordens, eine Sammlung der Esgarts und Usances (das heißt Urteile des Ordensgerichts und kodifiziertes Gewohnheitsrecht) sowie die „Chronik der verstorbenen Meister“. Der Text wurde mit drei weiteren, teils späteren, teils früheren okzitanischen Statutenübersetzungen des 14. Jahrhunderts kollationiert. Die Varianten sind in einem Apparat dokumentiert oder in den Text eingefügt, sofern es sich nach Auffassung der Herausgeber um Vervollständigungen handelt. Eine Einleitung, Glossare zu Begriffen, Orts- und Personennamen sowie eine Bibliografie umrahmen die Textedition. Auf Sachkommentare und ein Register wurde verzichtet.

Bedauerlicherweise weist der Band Mängel auf, über die der Eingeweihte hinwegsehen kann, die Benutzer ohne entsprechende Vorkenntnisse aber in die Irre führen. Kritikwürdig ist vor allem die Einleitung, die nur unzureichend in das Forschungsproblem „Statuten“ einführt, wodurch Ort und Methode der Arbeit unbestimmt bleiben. Die grundlegende Frage nach Abhängigkeiten zwischen den benutzten Manuskripten wird von den Bearbeitern gar nicht gestellt. Stattdessen setzt die Einleitung den Schwerpunkt auf die gut erforschten Ursprünge des Ordens sowie die historiografischen Elemente der Statutensammlungen. Dabei werden längst korrigierte Irrtümer der älteren Forschung revitalisiert, wie z.B. dass die Exemtion des Ordens von der Diözesangewalt mit dem feierlichen Privileg Paschalis’ II. von 1113 abgeschlossen worden sei (S. 27), oder dass dienende Brüder (servientes) ausschließlich karitative Aufgaben im Orden wahrgenommen hätten (S. 52). Hinzu kommen Fehler wie die Darstellung des Meisters Alphonso de Portugal (1202–1206) als Zeitgenossen Papst Bonifaz’ VIII. und das Stillschweigen über die angewandten Editionsprinzipien (S. 29). Denn wie ein Blick auf die drei im Anhang abgedruckten Faksimiles deutlich macht, wurde das Manuskript eben nicht – wie in der Einleitung vage angedeutet (S. 16) – diplomatisch ediert, sondern mindestens durch Vereinheitlichung der Groß- und Kleinschreibung und den Gebrauch der Elision lesbarer gemacht. Ungeachtet dessen scheint der Manuskripttext sorgfältig und mit viel sprachlichem Sachverstand wiedergegeben worden zu sein.

Ebenfalls in die Einleitung hätte eine Hervorhebung der Besonderheiten des Überlieferungsstranges gehört. So weisen zum Beispiel zwei Vergleichsmanuskripte eine – von den Herausgebern nicht näher identifizierte – Version der Augustinusregel auf, wodurch die alte Frage, ob die Johanniterregel dieser oder der „Regula Benedicti“ folgte, neue Impulse erhält (S. 307f.). Eine Rarität sind auch die in den Manuskripten wiedergegebenen Statuten einer Ordensversammlung in Avignon vom April 1392 (S. 214f.). Für zukünftige Projekte wichtig wäre ein Hinweis auf die in der Summe wenigen Textvarianten zwischen den verglichenen Manuskripten gewesen. Denn dadurch wird erstmals beispielhaft erwiesen, dass bei gleichsprachigen Statutensammlungen auch von der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Überlieferungsgruppe ausgegangen werden kann. Wie schon erwähnt, wurde jedoch kein Versuch unternommen, durch ein Stemma die Abhängigkeiten zu rekonstruieren.

Der Gesamteindruck der Arbeit wird zudem durch die ungenügende Erschließung des Textes getrübt. So sind zum Beispiel die einzelnen Tituli der Vorlage nicht über das Inhaltsverzeichnis auffindbar. Da auf Seitenverweise verzichtet wurde, können die Glossare ein Register nicht ersetzen. Das Fehlen eines Sachkommentars macht sich vor allem bei der Datierung der Generalkapitel, die den Aufbau der Handschrift bestimmen, negativ bemerkbar. So sind dem Kopisten bei der Datierung der Kapitel von 1262 (Ms.: 1261) und 1283 (Ms.: 1280) Fehler unterlaufen, ohne dass diese von den Herausgebern korrigiert wurden. Auf den durchgehenden Gebrauch des „Calculus Florentinus“ mit dem Jahreswechsel am 25. März hätte zumindest in der Einleitung hingewiesen werden müssen.

Insgesamt macht sich so doch bemerkbar, dass die Herausgeber nicht in der Ordensforschung beheimatet sind und offenbar keinen Expertenrat hinzugezogen haben. Bonnet und Cierbide behandeln ihre Vorlagen als Denkmäler provenzalischer Sprache, nicht als historische Quellen. Nichtsdestoweniger wurde durch den besprochenen Band einer kritischen Edition der mittelalterlichen Johanniter-Statuten der Weg ein Stück weiter geebnet. Die Gangbarkeit der Methode, als Vorarbeit zunächst Statutensammlungen nach Überlieferungsgruppen zu sortierten, hat sich dabei bestätigt, was vergleichbaren Projekten Auftrieb geben wird.

Anmerkungen:
1 Hasecker, Jyri; Sarnowsky, Jürgen (Hrsg.), Stabilimenta Rhodiorum militum. Die Statuten des Johanniterordens von 1489/93 (Nova Mediaevalia, 1), Göttingen 2007.
2 Delaville Le Roulx, Joseph (Hrsg.), Cartulaire général de l'ordre des hospitaliers de S. Jean de Jérusalem (1100-1310), 4 Bde., Paris, 1894–1905 (ND München 1980).
3 Dazu: Luttrell, Anthony, The Hospitallers' Early Statutes, Revue Mabillon 14 (2003), S. 9–22.

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