Willy Brandt - Ein politisches Leben im 20. Jahrhundert

Willy Brandt - Ein politisches Leben im 20. Jahrhundert

Veranstalter
Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, <http://willy-brandt.org>, <http://www.willy-brandt-luebeck.de> (11416)
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11416
Ort
Lübeck
Land
Deutschland
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heike Krösche, Oldenburg/Linz

Die Eröffnung der neuen Dauerausstellung im Willy-Brandt-Haus Lübeck am 18. Dezember 2007 hat überregional viel Beachtung gefunden und ein breites, weitgehend positives Medienecho hervorgerufen.1 Mit der ständigen Ausstellung in Lübeck ergänzt die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung ihren bisherigen Standort im Rathaus Schöneberg in Berlin und erweitert ihr Bemühen um die Erinnerung an das politische Vermächtnis des Sozialdemokraten. Es handelt sich beim Willy-Brandt-Haus in Lübeck – anders als in Berlin – allerdings nicht um einen historischen Erinnerungsort. Zwar wurde Willy Brandt am 18. Dezember 1913 unter dem bürgerlichen Namen Herbert Ernst Karl Frahm in Lübeck geboren und hat hier seine entscheidende Prägung im Arbeitermilieu erfahren, aber es existiert keine direkte Verbindung zwischen seiner Biographie und dem heutigen Museumsstandort in der Altstadt. Vielmehr könnte der Kontrast zwischen dem Patrizierhaus und Brandts proletarischer Herkunft kaum größer sein. Dem Besucher mag durch diese ungewöhnliche Kombination ein Stück Authentizität in den Ausstellungsräumen fehlen. Andererseits ist geplant, in Lübeck die historischen Orte mit Bezug zu Willy Brandt entsprechend stärker zu kennzeichnen.

Wie der Titel deutlich macht, konzentriert sich die Dauerausstellung auf Brandts politischen Werdegang. Damit erheben die Ausstellungsmacher gleichzeitig den Anspruch, einen zeitgeschichtlichen Lern- und Erinnerungsort zu schaffen, wofür kaum eine Biographie so gut geeignet ist wie diejenige Brandts, der die deutsche Nachkriegsgeschichte entscheidend mitgeprägt hat. Dementsprechend bleibt sein Privatleben in der Präsentation bis auf einige für den Besucher nur schwer zu entdeckende Fotoalben mit persönlichen Bildern ausgespart. Die Gliederung orientiert sich an den zentralen Stationen von Brandts Politikerleben. Eine derartig ereignisreiche Laufbahn, die in der Weimarer Republik ihren Anfang nahm und bis ins wiedervereinigte Deutschland reicht, lässt sich den begrenzten räumlichen Voraussetzungen eines denkmalgeschützten Hauses kaum problemlos einpassen. Jeder verfügbare Raum in der Königstraße 21 wurde genutzt, was ein wenig zu Lasten der Übersichtlichkeit geht. Dennoch ist den Ausstellungsmachern insgesamt eine dichte und informative Darstellung gelungen, die auch Widersprüche in Brandts Biographie nicht ausspart.

Jeder der sechs chronologisch angeordneten Bereiche wird zunächst mit einer Zeittafel zum jeweiligen biographischen Abschnitt eingeleitet und zeitgeschichtlich eingeordnet. In der Mitte des ersten Raums steht ein Schreibtisch, an dem der Besucher Näheres über die prägenden Einflüsse in Brandts Kindheit und Jugend erfahren kann. Gleichzeitig werden in diesem Raum allgemeine Informationen über das Lübecker Arbeitermilieu, die politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik und die ersten Jahre des Nationalsozialismus vermittelt.

Der Rundgang wird mit dem Thema Exil und Widerstand im Foyer des Willy-Brandt-Hauses fortgesetzt. Hier steht zum Beispiel ein begehbarer Kubus, der die Innen- und Außensicht auf das „Dritte Reich“ symbolisiert. Zitate an den Außenwänden machen mit Brandts Blick auf das nationalsozialistische Deutschland aus dem skandinavischen Exil vertraut. In einer kleinen Vitrine wird des Weiteren die Teilnahme des Emigranten am Nürnberger Prozess und damit seine Rückkehr ins besetzte Deutschland kurz dargestellt. An dieser Stelle wäre eine Problematisierung von Brandts Einschätzung der Lage im Nachkriegsdeutschland und seiner Haltung zur Schuldfrage wünschenswert gewesen. Zwar wird sein Buch „Forbrytere og andre tyskere“ ausgestellt, aber dessen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte nicht erläutert.2 Ein Hinweis darauf, dass der Titel in den 1950er-/1960er-Jahren von politischen Gegnern verfälscht und für ihre Verleumdungskampagnen wegen Brandts Herkunft und Emigration missbraucht wurde, hätte einen kritischeren Ausblick auf die Situation nach seiner Rückkehr ermöglicht.

Die erste zentrale Station als sozialdemokratischer Politiker waren für Brandt dann die Berliner Jahre, die Gegenstand des nächsten Raumes sind, wo als zweiter thematischer Schwerpunkt auch die Bonner Regierungsjahre präsentiert werden. Dominiert wird dieser Saal von zwei Inszenierungen. So kann es sich der Besucher in einem Wohnzimmer bequem machen und unter anderem die Berichterstattung im ost- und westdeutschen Fernsehen über Kennedys Berlin-Besuch 1963 verfolgen. Aus dem direkten Vergleich kann das Publikum seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen. Ein gelungenes Beispiel erlebbarer Zeitgeschichte ist zudem der Nachbau eines Teils der Bonner Regierungsbank, wo Bild- und Tondokumente Einblick in die politischen Schwerpunkte aus Brandts Zeit als Außenminister und Bundeskanzler geben. Berücksichtigt werden nicht nur die großen außenpolitischen Themen wie die Ostpolitik, sondern auch innenpolitische Debatten und Maßnahmen. Dass die sozial-liberale Koalition, die 1969 unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen“ die Regierungsmacht übernommen hatte, trotz innerer Reformen beispielsweise im Bereich des Strafrechts und der Steuerpolitik die Innen- und Wirtschaftspolitik zugunsten der Ostpolitik eher vernachlässigte, was Brandt den Vorwurf vom „Teilkanzler“ eintrug, hätte in diesem Zusammenhang dennoch stärker problematisiert werden können.

Weniger überzeugend ist die Präsentation der Guillaume-Affäre. Sowohl räumlich als auch inhaltlich kommen die bis heute strittigen Ereignisse um den Rücktritt des sozialdemokratischen Bundeskanzlers 1974 über eine Randnotiz nicht hinaus. Weder die näheren Umstände der DDR-Spionage noch die Reaktionen auf den Amtsverzicht im In- und Ausland werden genauer erläutert. Dass das politische Engagement Brandts mit dem Ende seiner Kanzlerschaft bei weitem nicht endete, wird im nächsten Raum deutlich, der Brandts Einsatz für Frieden und Menschenrechte etwa in der Nord-Süd-Kommission gewidmet ist. Neben dem Segment der Berliner Mauer, das im Garten des Willy-Brandt-Hauses aufgestellt ist, wird in diesem Saal zudem Brandts Genugtuung über die Wiedervereinigung thematisiert. Die Einordnung in den zeitgeschichtlichen Kontext, ein besonderes Anliegen der Ausstellungsmacher, gelingt an dieser Stelle jedoch nicht lückenlos. Abgeschlossen wird der Rundgang schließlich mit einer Filmaufnahme, die Brandt in den 1960er-Jahren im Publikum einer Aufführung des Berliner Kabaretts „Die Stachelschweine“ zeigt, bei der der Bundeskanzler imitiert wurde. Brandt hat darüber herzlich gelacht, und so rückt am Ende der Ausstellung doch noch der Mensch hinter dem SPD-Politiker in den Mittelpunkt.

Die Ausstellungsmacher haben die Möglichkeiten musealer Darstellungsformen weitgehend ausgeschöpft. Gezeigt werden nicht nur schriftliche Dokumente und Fotografien, sondern auch einige dreidimensionale Objekte wie eine Porzellan-Nachbildung der Freiheitsglocke des Schöneberger Rathauses und ein umfangreiches multimediales Angebot, wodurch der Ausstellungsbesuch für breite Bevölkerungskreise attraktiv wird. Verzichtet wird dagegen bewusst auf ausführliche Erörterungen und Interpretationen durch Texttafeln, was keineswegs ein Nachteil ist. Im Gegenteil, gerade das Konzept der „Aufmerksamen Ausstellung“3, das die individuellen Bedürfnisse des Besuchers berücksichtigt, macht einen Ausstellungsrundgang interessant. Kern dieses Konzepts ist eine Chipkarte, die sich der Besucher zu Beginn aushändigen lassen kann. Dabei wird zwischen erwachsenen, jugendlichen und englischsprachigen Besuchern differenziert, die mit ihrer elektronischen Eintrittskarte an den einzelnen Stationen ein zielgruppengerechtes Angebot abrufen können. Dieses Konzept zielt nicht nur auf Einzelbesucher, sondern auch auf verschiedene Besuchergruppen. Die angebotenen Führungen können dank der multimedialen Breite technisch und inhaltlich flexibel gestaltet werden.

Das ausgewogene Gesamtkonzept des Willy-Brandt-Hauses Lübeck setzt gerade für Ausstellungsorte mittlerer Größe neue Maßstäbe im Bereich der musealen Vermittlungs- und Bildungsarbeit. Es zeigt eine attraktive Alternative zur klassischen historischen Ausstellung, die von Vitrinen und Texttafeln dominiert wird und meist nur einen kleinen interessierten Besucherkreis erreicht.

Anmerkungen:
1 Ich danke dem Leiter des Willy-Brandt-Hauses Lübeck, Herrn Dr. Jürgen Lillteicher, für die freundliche Führung durch die Ausstellung und Angela Baldzer für die kritische Begleitung.
2 Der Bericht erschien unter dem Titel „Forbrytere og andre tyskere“ 1946 in Oslo und wurde erst 2007 in deutscher Übersetzung veröffentlicht: Willy Brandt, Verbrecher und andere Deutsche. Ein Bericht aus Deutschland 1946. Bearbeitet von Einhart Lorenz, Bonn 2007 (siehe dazu meine Rezension zu: Brandt, Willy: Verbrecher und andere Deutsche. Ein Bericht aus Deutschland 1946. Bearbeitet von Einhart Lorenz. Bonn 2007. In: H-Soz-u-Kult, 21.12.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-239>).
3 Zum Konzept der „Aufmerksamen Ausstellung“ vgl. Julia Hornig, Vermittlung von zeitgeschichtlichen Themen in Ausstellungen – Einsatz multimedialer Lernumgebungen im Willy-Brandt-Haus Lübeck, in: Michele Barricelli/Julia Hornig (Hrsg.), Aufklärung, Bildung, „Histotainment“? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, Frankfurt am Main 2008, S. 97-108.

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