Titel
What Hath God Wrought. The Transformation of America, 1815-1848


Autor(en)
Howe, Daniel W.
Erschienen
Anzahl Seiten
xvii, 904 S.
Preis
€ 32,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hochgeschwender, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München

Fast schien es, als hätten die amerikanischen Historiker/innen ein wenig Angst vor der Zeit vor dem Bürgerkrieg bekommen. Zwar wurden immer wieder detaillierte und materialreiche Studien zu wichtigen Einzelthemen vorgelegt, aber seit dem Erscheinen von Daniel M. Potters quellenah geschriebenem und primär politikgeschichtlich inspiriertem bahnbrechenden Werk „The Impending Crisis, 1848-1861“ aus dem Jahre 1976 fehlte es für die Antebellumära an umfassenden Synthesen aus zünftiger Hand. Richard H. Sewell legte immerhin 1988 seine prägnante, ebenfalls ganz auf die Politikgeschichte konzentrierte Darstellung zu den Jahren 1848 bis 1865 vor („A House Divided: Sectionalism and Civil War, 1848-1865“), beschränkte sich aber auf die Darstellung des sektionalen Ringens auf der Ebene der Bundespolitik. Ganz kulturgeschichtlich angelegt und zudem bewusst epochenübergreifend war Anne C. Rose, „Victorian America and the Civil War“ (1992), die den Zeitraum von etwa 1830 bis zu den 1880er-Jahren als einheitliche Größe interpretierte. Wiederum einen anderen Weg ging beispielsweise John Ashcroft, der in seinem zweibändigen „Slavery, Capitalism, and Politics in the Antebellum Era“ die Jahrzehnte zwischen 1820 und 1861 konventionell als eine Epoche fasste und diese – für einen kritischen Marxisten nicht sonderlich überraschend – ausgesprochen scharfsinnig unter ökonomischen und ideengeschichtlichen Fragestellungen analysierte. Um eigentliche Synthesen aber handelte es sich keinem Fall, obwohl jede der genannten Untersuchungen maßgeblich den Weg zu breiter angelegten Werken eröffnete.

Erst im neuen Jahrhundert haben sich amerikanische und deutsche Historiker wieder daran gemacht, die Zeit vor dem Bürgerkrieg umfassend zu interpretieren. 2005 erschien zum einen Sean Wilentz’ monumentaler Band „The Rise of American Democracy: From Jefferson to Lincoln“, der zwar durchaus von gesellschaftsgeschichtlichen Fragestellungen beeinflusst war, am Ende aber doch, in der Tradition Potters, auf die zentrale Bedeutung individueller politischer Akteure, insbesondere Thomas Jeffersons, Andrew Jacksons und Abraham Lincolns, aber auch weniger bekannter Figuren für die Durchsetzung moderner, partizipatorischer Massendemokratie in den Vereinigten Staaten verwies. Im selben Jahr legte zum anderen Norbert Finzsch in der Reihe „Geschichte Nordamerikas in atlantischer Perspektive“ unter dem Titel „Konsolidierung und Dissens: Nordamerika von 1800 bis 1865“ eine nicht minder monumentale histoire totale der Antebellumära mit dem Schwergewicht auf institutionellen, sozioökonomischen und politikgeschichtlichen Passagen vor. Ähnlich wie Wilentz behandelte auch Finzsch die Ergebnisse der neueren Kulturgeschichte, sieht man von der gewiss zentralen Frage der Sklaverei einmal ab, eher kursorisch und ein wenig additiv. Etwas anders ging dann 2008 Walter A. McDougall in einem eher populär angelegten, aber durchaus wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Buch vor: „Throes of Democracy: The American Civil War Era, 1829-1877“, der bevorzugt soziokulturelle Entwicklungen, die Idee der demokratischen „white supremacy“, die diversen kulturellen und gesellschaftlichen Erneuerungs- und Reformbewegungen der Epoche von liberalen Philanthropen über utopische Sozialisten und Frühkommunitaristen bis hin zu evangelikal Erweckten in das Zentrum seines Narrativs stellte.

In diesem breit angelegten historiografischen Kontext ist nun das neue Buch von David Walker Howe zur Epoche von 1815 bis 1848 zu verorten. Es ist in der mit Preisen reich bedachten, von C. Vann Woodward begründeten und von David M. Kennedy herausgegeben Reihe „The Oxford History of the United States“ erschienen und muss, um es gleich vorweg zu nehmen, den Vergleich mit berühmten Vorgängen, darunter Robert Middlekauffs „The Glorious Cause: The American Revolution, 1763-1789“ (1982), James M. McPhersons „The Battle Cry for Freedom: The Civil War Era“ (1988) oder James T. Pattersons „Grand Expectations: The United States, 1945-1974“ (1996), in keiner Weise scheuen. Zum einen hat Howe ein grandioses Panorama der Zeit entworfen, indem er aufweist, dass politische Geschichte, Gesellschaftsgeschichte und neuere Kulturgeschichte nicht notwendig Gegensätze darstellen, sondern sich wechselseitig ergänzen und befruchten. Zum anderen ist er ein großartiger Schriftsteller. Howe läuft immer dann zu großer darstellerischer Form auf, wenn er mit einer Mischung aus trockener Ironie, Skepsis und persönlichem „understatement“ amerikanische Nationalmythen, etwa den der Überlegenheit der Volksmiliz über reguläre Armeen, unterläuft. Seine Darstellungen der Schlacht von New Orleans oder von Jacksons Umgang mit seinen indianischen Verbündeten bestechen durch ein präzises Urteil, das gänzlich ohne Anwandlungen politischer Korrektheit und kulturalistischen Jargon auskommt, aber nichts an kritischer Prägnanz verliert. Diese Fähigkeit, gekonnt und urteilssicher zu formulieren, durchzieht das gesamte Werk, dessen thematische Spannbreite auf breiter Kenntnis der einschlägigen Forschung beruht, wobei auffällig ist, dass Howe sehr gerne auf ältere Literatur zurückgreift, die oft quellennäher geschrieben war als die Produkte moderner Forschung. Eine weitere Stärke des Bandes liegt darin, wiederholt transatlantische und binnenamerikanische Kontexte in Darstellung und Analyse einzubeziehen. Bereits im Eröffnungskapitel legt Howe umsichtig dar, wie intensiv die USA von Beginn an in kontinentale Zusammenhänge eingebettet waren und wie sehr diese kontinentale Perspektive die amerikanische Geschichte des 19. Jahrhunderts beherrschte, insbesondere die Geschichte der US-amerikanischen Expansion, die für ihn kein zufälliges Geschehen war, sondern sich aus den Erfordernissen der rassistischen Basisstruktur der amerikanischen Gesellschaft und Kultur mit Notwendigkeit ergab. Und auch am Ende verweist er auf übernationale Strömungen, diesmal die europäischen Revolutionen und ihre Auswirkungen auf die USA.

Howe selber behauptet, nur eine Geschichte zu erzählen, aber kein Argument zu verfolgen. Das erscheint denn doch als untertreibender Demutstopos, denn er hat durchaus gleich mehrere grundlegende Argumente, die dem episch angelegten Werk seine innere Stringenz verleihen: Ganz im Gegensatz zu Arthur M. Schlesinger und selbst noch Richard Hofstadter und ihren geistig-politischen Erben konstruiert Howe die Geschichte der Antebellumzeit gerade nicht als Vorgeschichte von New Deal und Wohlfahrtsstaat der 1960er-Jahre, auch nicht als Erfolgsgeschichte der Demokratischen Partei mit kleineren rassistischen Schönheitsfehlern. Seine politische Präferenz gilt eindeutig den Whigs und Republikanern, sein persönlicher Held ist der von der Geschichtsschreibung lange unterschätzte John Quincy Adams, gemeinsam mit Henry Clay und dem jungen Lincoln. Umgekehrt wird die Rolle der Bösewichte an Jackson, Martin van Buren und James K. Polk vergeben, in der Mitte chargieren John C. Calhoun und Thomas Hart Benton hin und her. Der militärische Heros ist Winfield Scott, manchmal um den jungen Robert E. Lee ergänzt. Mit dieser Verteilung der dramatis personae ist dann überdies die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive der Darstellung präjudiziert.

In Howes Augen war die Antebellumzeit eine Phase der auf Bundesebene weitgehend versäumten reformistischen Ausgestaltung der soziokulturellen Dynamik, welche der technische und industrielle Fortschritt des frühen 19. Jahrhunderts in der amerikanischen Gesellschaft entfacht hatte. Gewiss, es existierten gesellschaftliche Reformkräfte, die gleichzeitig partizipatorisch und marktkonform im Sinne einer nationalen Konsolidierung agierten, darunter die wichtigsten Whig-Politiker, aber auch führende evangelikale Reformer des urbanen Nordens, aber all diese Ansätze wurden seiner Ansicht nach permanent und in bösartiger Weise von den partikularistischen, rassistischen und expansionistischen, korrupten und intriganten Kräften der Demokratischen Partei und des Kreises um Jackson regelrecht verfolgt und sabotiert. Wenn man Howes Buch gelesen hat, weiß man, warum Amerikaner des frühen 19. Jahrhunderts die Whigs gewählt haben, versteht aber überhaupt nicht mehr, wer mit welchen Gründen die Demokraten zur Partei seiner Wahl machte. Ging die frühere demokratische, jacksonfreundliche Historiografie gar zu schnell über die Vertreibung der Indianer und die Ausbeutung der Sklaven hinweg, so hat Howe ein leicht erblindetes Auge, wenn es um protestantischen Nativismus und Antikatholizismus geht. Ein irischer und deutscher Katholik der 1850er-Jahre hätte Howes liberal-kapitalistische Reformeuphorie in dieser Unbedingtheit kaum geteilt. Für ihn war „wage slavery“ ein Schlagwort, das seine Lebenssituation, eine Mischung aus Ausbeutung und bigotter Verachtung seitens der bürgerlichen, reformorientierten Mittelklassen, bestens beschrieb. Überdies vermag Howe es aus seiner Sicht kaum, das klägliche Versagen der beiden Whig-Administrationen auf Bundesebene zu erklären. Allerdings hat er unbedingt recht, kontrafaktisch danach zu fragen, ob den USA möglicherweise ein Bürgerkrieg erspart geblieben wäre, hätte man 1844 Clay anstelle von Polk gewählt.

In diesem Zusammenhang whiggistischer Perspektivität muss man auch Howes zweites durchgehendes Argument kritisch beleuchten. Wiederholt wendet er sich gegen Charles Sellers These aus „The Market Revolution: Jacksonian America, 1815-1846“, die darauf hinausläuft, die Ära Jacksons als Phase einer abstrakt marktkapitalistischen Revolution zu interpretieren, die einen einheitlichen nationalen Markt hervorgebracht hätte und deren Resultat die Demokraten als antikapitalistische Partei skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden hätten. Howe verweist zu recht darauf, dass die Politik der Demokraten und Jacksons im Kern ebenso kapitalistisch war, wie diejenige der Whigs. Allerdings übersieht er die semantische Ebene einerseits und die ökonomische Imagination der Demokraten, die von der „moral economy“ einer unmittelbaren Produzenten-Konsumenten-Gemeinschaft in einer lokalistischen „face-to-face society“ ausgingen und eben nicht von einer utilitaristischen „political economy“ mitsamt abstraktem Markt, an dem sie dann freilich, in erster Linie in Gestalt der großen Plantagenbesitzer des Südens, ziemlich uneingeschränkt und auf globaler Ebene partizipierten. Hier hätte eine intensivere Beschäftigung mit den Thesen von Ashworth befruchtend und differenzierend wirken können.

Der dritte rote Faden hängt mit den beiden anderen integral zusammen. Für Howe war es überhaupt nicht die nationale oder globale Marktrevolution, die das Geschehen zwischen 1815 und 1848 markant vorantrieb, sondern die Kommunikationsrevolution, wobei er sich bevorzugt auf Richard R. Johns „Spreading the News: The American Postal System from Franklin to Morse“ (1995) stützt. Dieser These verdankt das gesamte Buch seinen für deutsche Leser leicht sperrigen Titel, der bekanntermaßen jene Zeile wiedergibt, die Samuel F.B. Morse 1844 in sein Morsegerät eingab. Wieder kann man nicht generell sagen, dass Howe mit seinem Ansatz zur Gänze falsch liegt. Tatsächlich veränderten Dampfschifffahrt, Eisenbahn, Postdienst und Telegraf die gesellschaftliche, ökonomische, kulturelle und politische Realität in den Vereinigten Staaten. Überdies brachte die Organisation der Post mit John McLean einen weiteren Helden des Buches hervor. Dennoch erscheint es deutlich zu weit gegriffen, wenn man die Kommunikationsrevolution so absolut gegen die Marktrevolution stellt, wie Howe es macht. Vor allem sollte nicht vergessen werden, dass zwei zentrale Entwicklungen der Kommunikationsrevolution, der genannte Telegraph und – worauf Howe kaum eingeht – die Entstehung der Massenpresse durch die Erfindung der Rotationspresse überhaupt erst am Ende der von ihm untersuchten Periode standen und kaum wirklichen Einfluss auf das Gros der damaligen Ereignisse hatten nehmen können.

All dies sind indes Einwände, die den Wert von Howes Analyse in keiner Weise schmälern. Er hat ein originelles, faktenreiches, prägnant und unterhaltsam geschriebenes Standardwerk vorgelegt, das seinen Reiz nicht zuletzt aus der sehr eigenständigen neo-whiggistischen Perspektive des Autors bezieht. Damit gibt er sicherlich Anlass zur Diskussion und zum Widerwort, aber das gehört zum Geschäft des Historikers. In der fachlich sehr starken Reihe jüngerer Synthesen zur Ära vor dem Bürgerkrieg wird er sich auf diese Weise bestimmt behaupten.

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