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Titel
Allianzen des Adels. Dynastisches Handeln im Grafenhaus Bentheim im 16. und 17. Jahrhundert


Autor(en)
Marra, Stephanie
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michaela Hohkamp, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Mit ihrer im Sommersemester 2002 an der Fakultät für Geschichtswissenschaften der Ruhr-Universität Bochum eingereichten und im Jahr 2007 erschienen Dissertation hat Stephanie Marra eine Studie zur „Heiratspolitik im frühneuzeitlichen Hochadel am Beispiel der verschiedenen Zweige des westfälisch-niedersächsischen Reichsgrafenhauses Bentheim“ (S. 8) für einen Zeitabschnitt vorgelegt, der in den beiden bislang vorliegenden Standardwerken über adelige Ehen und Verwandtschaften im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Reich nur jeweils in Randbereichen abgedeckt ist.1 Einer regional basierten Dissertation völlig angemessen, hat Marra ihre Studie auf das Beispiel verschiedener Zweige des Fürstenhauses Bentheim konzentriert. In ihrer klar gegliederten Untersuchung ist es Marra gelungen, klassische landesgeschichtliche Forschungsfragen und Traditionen mit aktuellen geschlechtergeschichtlich orientierten Fragestellungen zu verbinden. Auf diesem Wege gelingt es ihr, über den Einzelfall hinausgehende Einsichten in strukturell bedingte Voraussetzungen für das „Scheitern adeliger Paarbeziehungen“ (S. 9) zu vermitteln, die geschlechterspezifisch unterschiedlichen Konsequenzen gescheiterter Ehen zu erhellen und deren territorialpolitische und dynastische Auswirkungen beispielhaft nachzuvollziehen. „Abläufe und Rückwirkungen so genannter frühneuzeitlicher Heiratspolitik vor allem für die in das Reichsgrafenhaus einheiratenden Frauen“ (S. 9) standen für die Autorin dabei im Vordergrund des Interesses. Wie Marra ausdrücklich anmerkt, ist ihr Unternehmen durch die disparate Quellenlage deutlich erschwert worden, die sich aus der Streulage der einzelnen Territorien, Herrschaften und Ämter herleitet. Nach Marra hat diese herrschaftliche Zersplitterung dazu geführt, dass in der einschlägigen landesgeschichtlichen Forschung „weibliche und männliche Angehörige aus den verschiedenen Linien [...] seltener im Mittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen“ (S. 17) gestanden haben. Wenn Marra ihre Untersuchung über dynastisches Handeln des Hochadels deshalb immer wieder an die Geschichte einzelner weiblicher Mitglieder des Bentheimer Grafenhauses rückbindet, dann geschieht dies auch mit der Absicht, ergänzende Einblicke in die Familiengeschichte des Hauses Bentheim und seiner Zweige Bentheim-Tecklenburg, Bentheim-Bentheim, Bentheim-Steinfurt und Bentheim-Limburg zu bieten. Die Quellenbasis dieser Studie bilden im Wesentlichen die Bestände der beiden privaten Fürstlichen Archive in Rheda und Burgsteinfurt (S. 18-22).

Die Studie gliedert sich in fünf inhaltliche Kapitel, Einleitung und Anhang (inklusive der brauchbaren genealogischen Tafeln und eines dankenswerterweise angelegten Personenregisters). Wer sich für die vielen komplizierten herrschaftsrechtlichen, territorialen und dynastischen Details interessiert, mit denen die klassische politik- und landesgeschichtlich orientierte frühneuzeitliche Adelsforschung regelmäßig zu tun hat, wird im zweiten Kapitel der Studie von Stephanie Marra „Vom Niederrhein nach Westfalen: Zur Konstituierung des Hauses Bentheim“ voll auf seine Kosten kommen. Freude werden aber – und das ist in Untersuchungen zur frühneuzeitlichen Adelsgeschichte immer noch nicht selbstverständlich – auch diejenigen haben, die sich für klassische Fragestellungen der inzwischen allgemein anerkannten Frauen- und Geschlechtergeschichte interessieren. Werden von Marra doch immer wieder die weiblichen Agnaten – Schwestern, Nichten, Tanten, Mütter bzw. Witwen im familiären und verwandtschaftlichen Netz verortet und in ihren konkreten, durch Heirat, Mutter- und Witwenschaft geprägten Lebensbedingungen aufgesucht.2

Was in Marras zweitem Kapitel bereits sichtbar wird, vertieft sie im folgenden dritten Abschnitt „Elemente adeliger Heiratspolitik: Eheliches Allianzverhalten im Grafenhaus Bentheim“. Hier werden die zum Zwecke der Sicherung und Ausweitung adeliger Herrschaft geknüpften Heiratskreise näher untersucht, ohne dass dabei die für die einzelnen Paare wohl nicht immer leicht zu ertragenden alltäglichen Realitäten solcher aus strategischen Gründen geschlossenen Ehen aus den Augen verloren werden. Dies ist nicht nur deswegen erwähnenswert, weil die Autorin damit ein Stück adeliger Lebenswirklichkeit zu Tage fördert. Dass die Verfasserin dem Scheitern so mancher Paarbeziehung in ihrer Untersuchung großen Stellenwert einräumt, ist vor allem deshalb hervorzuheben, weil sie damit über das lange Zeit vorherrschende Verständnis der konventionellen Geschichtsschreibung in diesem Feld hinausweist, die adelige Heiratspolitik vor allem als brauchbares Mittel auf dem erfolgreichen Weg zu frühmoderner Staatlichkeit betrachtet hat: Den Erfolgsgeschichten über die Konsolidierung territorialer Macht und Herrschaft durch Heiratspolitik fügt sie die Geschichten über das Scheitern ehelicher und verwandtschaftlicher Beziehungen hinzu.

Den internen Mechanismen adeliger Heiratspolitiken geht Marra in den Abschnitten vier und fünf nach, betitelt: „Geben, Nehmen, Wiedergeben – und Verzichten: Adelige Heiraten als reziproke Tauchbeziehungen“ (S. 75-104) und „Problematische Paarbeziehungen: Konflikte und Krisen im adeligen Eheleben“ (S. 105-168). Das besonders Erfreuliche an diesen beiden Kapiteln ist, dass die Autorin hier von Kategorien und Erklärungsansätzen Gebrauch macht, die aus ethnologischen, soziologischen, aber auch kulturanthropologischen Werkzeugkisten stammen. Mit deren Hilfe gelingt es ihr nämlich, historische Deskription in kulturwissenschaftliche Analyse zu transformieren und das zuvor aufgebaute Spannungsfeld – angelegt zwischen dem Scheitern adeliger Paarbeziehungen auf der einen Seite und der gelungenen Etablierung eines adeligen Hauses auf der anderen – strukturell und zugleich akteursbezogen auszuleuchten. Einzelne Akteurinnen und Akteure werden dabei vor allem anhand des Beispiels der beiden Ehen Johann Adolfs von Bentheim-Tecklenburg mit Johanna Dorothea von Schaumburg-Lippe und mit Charlotte von Sachsen-Weißenfels sehr anschaulich zum Sprechen gebracht. Diesen personenbezogenen Zugang setzt die Autorin in ihrem sechsten und letzten inhaltlichen Abschnitt über verwitwete Adelige fort, wenn sie anhand verschiedener Beispiele (Johannetta Elisabeth von Bentheim-Limburg, Anna Magdalena von Velen-Raesfeld und Charlotte von Bentheim-Tecklenburg = Johanna Dorothea von Schaumburg-Lippe) die Vor- und Nachteile bzw. die strukturellen Problemlagen adeliger Witwenschaft zwischen eigenständiger Lebensführung und einem verwandtschaftlich bestimmten und kontrollierten Dasein (durchaus im Einklang mit der aktuellen Forschung) sehr überzeugend darstellt.

Insgesamt gesehen überrascht Stephanie Marra die Leserinnen und Leser ihrer Dissertation nicht so sehr mit spektakulären, Aufsehen erregenden Ergebnissen. Dafür präsentiert sie mit ihrer Untersuchung der „Allianzen des Adels“ am Beispiel des Bentheimer Grafenhauses aber eine kluge, ansprechend und anschaulich gearbeitete Studie zum frühneuzeitlichen Adel aus lokaler Perspektive, die geschlechtergeschichtliche Perspektiven mit klassischen landesgeschichtlichen Ansätzen verbindet. Und genau hier liegt das innovative Potenzial dieser Dissertation, die zu lesen nicht nur Fachhistoriker/inn/en sehr zu empfehlen ist.

Anmerkungen:
1 Karl-Heinz Spiess, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1993; Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979.
2 Zur Bedeutung von Tanten, Nichten und Schwestern siehe Michaela Hohkamp, Sisters, Aunts and Cousins: Familial Architectures and the Political Field in Early Modern Europe, in: Jon Mathieu / Simon Teuscher / David Sabean (Hrsg.), Kinship in Europe. Approaches to Long-Term Developments (1300–1900), New York 2007, S. 128-145.

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