Titel
Farbige Seeleute im Kaiserreich. Asiaten und Afrikaner im Dienst der deutschen Handelsmarine


Autor(en)
Küttner, Sibylle
Reihe
Edition Tempus
Erschienen
Erfurt 2000: Sutton Verlag
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Pöppinghege, Insitut für Kulturwissenschaften - Neueste Geschichte, Universität Paderborn

Der Einsatz von ausländischen Arbeitskräften in der deutschen Wirtschaft ist schon lange üblich. Jahrzehnte vor den offiziell angeworbenen „Gastarbeitern“ der Bundesrepublik waren Land- und Fabrikarbeiter im Kaiserreich für deutsche Unternehmen tätig. Dass dies zu einem großen Teil auch die Handelsmarine betraf, war von der Forschung bisher nur am Rande berücksichtigt worden. Diese Lücke hat Sibylle Küttner mit ihrer auf einer Magisterarbeit der Universität Hamburg basierenden Studie über „Farbige Seeleute im Kaiserreich“ nun geschlossen. „Was für die deutsche Industrie und Landwirtschaft Polen und Italiener waren, waren für die weltweit agierende Seeschifffahrt hauptsächlich Asiaten und Afrikaner.“ (S. 8). Gegen Ende des Kaiserreichs betrug der Anteil farbiger Seeleute in der Handelsmarine rund elf Prozent. Die Zunahme der farbigen Mannschaften ist durch den Einsatz von Dampfschiffen und die stärkere Frequentierung tropischer Fahrtrouten zu erklären: „Spätestens ab 1897 fuhren die meisten Dampfer östlich des Suezkanals mit farbigen Mannschaften.“ (S. 9). An dieser Stelle wäre ein genauerer Blick auf die deutschen Schutzgebiete in Übersee interessant. Sie ließen den Bedarf an Schiffsverbindungen tatsächlich wachsen, doch scheinen sie eine eher untergeordnete Rolle bei der Entwicklung der Handelsschifffahrt insgesamt und hinsichtlich der behandelten Problematik im Besonderen gespielt zu haben.

In ihrer sozialhistorisch – und weniger kulturgeschichtlich – angelegten Untersuchung verbindet die Autorin profunde Kenntnisse aus der Seefahrtspraxis des 19. und 20. Jahrhunderts mit einer behutsamen und abgewogenen Quellenanalyse. Als Quellen standen ihr neben zeitgenössischen Veröffentlichungen u.a. die Bestände der Hamburger Senatskommission sowie der Seemannsämter Bremen und Bremerhaven zur Verfügung. Eingeschränkt wird ihre Forschungsperspektive zweifellos dadurch, dass so gut wie keine Selbstzeugnisse der farbigen Seeleute vorliegen, ein Manko, dessen sich die Autorin bewusst ist.

Dennoch gelingt es ihr, die Lebensverhältnisse der asiatischen und afrikanischen Seeleute mit denen aus Europa in Beziehung zu setzen. Denn die Verwendung der Farbigen hing ganz entscheidend von externen Faktoren ab. Zum einen wollten die Reeder ihre Personalkosten senken – Seeleute aus Asien und Afrika erhielten nur rund ein Drittel der üblichen Heuer. Schlechte Arbeitsbedingungen gab es – mit entsprechend erhöhter Suizidrate unter den Heizern – aber auch für europäische Seeleute. Auf der anderen Seite hatte der Einsatz politische Gründe, wenn mit den politisch vermeintlich inaktiven Farbigen das sozialdemokratische Element an Bord geschwächt werden sollte. Schließlich galt es noch, die unter der europäischen Mannschaft besonders unattraktiven Arbeitsplätze an den Dampfkesseln zu besetzen. Die bessere Verwendungsmöglichkeit von farbigen Seeleuten unter den extremen klimatischen Bedingungen in den Tropen wurde im zeitgenössischen Diskurs mit medizinischen, nicht aber kulturellen Argumenten bekräftigt. Demnach seien farbige Seeleute aufgrund ihrer körperlichen Konstitution besser an die große Hitze gewöhnt. Die Autorin erkennt in dieser Argumentation rassistische Anklänge, ohne diese jedoch genauer zu definieren. Überhaupt bleibt der von ihr verwendete Rassismusbegriff diffus, so etwa, wenn den Farbigen durchaus eine kulturelle Entwicklungsfähigkeit seitens der Zeitgenossen zuerkannt wird (S. 119). Ist allein die verstärkte Verwendung – und schlechtere Bezahlung – von Asiaten und Afrikanern ein Indiz dafür, dass man sie als Menschen zweiter Klasse ansah? Immerhin gingen die Zeitgenossen auf der Basis der damaligen Erkenntnis doch mehrheitlich tatsächlich davon aus, dass Farbige die Arbeitsbedingungen besser aushielten.

Schließlich wäre zu fragen, wie das Phänomen modernisierungstheoretisch bzw. innerhalb des Migrationsdiskurses einzuordnen ist. Gab es eine deutlich akzentuierte Rassepolitik politischer bzw. ökonomischer Kreise, wirkte sich die tägliche Praxis auf Konzepte von „Rasse“ und „Nation“ in Deutschland über die eng begrenzten Kreise der Akteure wie Reeder und Arbeitnehmervertreter aus? Diese Fragen werden nur ansatzweise gestreift. Doch immerhin kamen mit dem Einsatz farbiger Seeleute Klassenbegriffe der Sozialdemokratie ins Wanken. Der offiziell propagierten internationalen proletarischen Solidarität stand das Vorgehen gegen die asiatischen Seeleute als Streikbrecher gegenüber. Auf der anderen Seite erwies sich auch die Vorstellung einer klassenlosen „weißen“ Vorherrschaft für die Zeitgenossen als schwer nachvollziehbar. Im Prinzip waren damit sowohl klassenkämpferische als auch chauvinistische Konzepte an ihre Grenzen gestoßen.

Widerstand gegen den Ausländereinsatz formierte sich in unterschiedlichen Lagern: Dies betraf vor allem das Lohndumping, aber auch die Tatsache, dass die Position der deutschen Arbeitnehmerorganisationen unterlaufen wurde. Bedenken kamen auch aus der nationalen Ecke: Durch die Erhöhung des Ausländeranteils in der Handelsschifffahrt könnten künftig nicht mehr genügend ausgebildete Kräfte für die Kriegsmarine rekrutiert werden – ein wohl eher „deutsches“ Argument.

Sibylle Küttner ist es mit ihrer Untersuchung gelungen, die sozial- und arbeitsgeschichtliche Forschung zu einer zahlenmäßig keineswegs unbeträchtlichen Gruppe mit neuen Ergebnissen zu inspirieren. Aus sozialgeschichtlicher Perspektive lässt ihre Studie kaum Wünsche offen. Dabei bemüht sie sich immer wieder, die international vergleichende Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren, denn die Personalpolitik der deutschen Reeder war diesen zuvor schon von ihren britischen Kollegen vorgemacht worden. So hatten die Briten damit begonnen, aus Verständigungsgründen und um den sozialen Frieden an Bord zu sichern, ethnisch einheitliche Mannschaften anzuheuern und diese strikt von den europäischen Seeleuten zu trennen (S. 37). Der internationale Vergleich kann dank der vorliegenden Arbeit über die farbigen Seeleute in der deutschen Handelsmarine nun voran getrieben werden.

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