A. Cromartie: The Constitutionalist Revolution

Titel
The Constitutionalist Revolution. An Essay on the History of England, 1450-1642


Autor(en)
Cromartie, Alan
Reihe
Ideas in Context 75
Erschienen
Anzahl Seiten
309 S.
Preis
€ 68,11
Rezensiert für H-Soz-Kult von
André Krischer, Gottfried-Wilhelm-Leibniz Projekt "Vormoderne Verfahren", Universität Münster

In der englischen Frühneuzeitforschung stellt die Erklärung des Bürgerkriegs bekanntlich eine der am längsten dauernden und am meisten kontrovers geführten Debatten dar. Im Kern lassen sich dabei drei Stadien unterscheiden. Vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis in die 1970er-Jahre dominierte in ganz verschiedenen Facetten die berühmt-berüchtigte ‚Whig Interpretation of History’ die Erklärungsmuster: Die englische Geschichte vollzog sich demnach als fortwährender Prozess der Verwirklichung konstitutioneller und liberaler Ideale, die im Siegeszug des Parlaments ihren konkreten Ausdruck fanden. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen König und Parlament von 1642 bis 1649 waren demnach ein notwendiges Zwischenstadium zur Klärung der Verfassungsverhältnisse. Einer der letzten prominenten Vertreter dieses Denkens, Lawrence Stone, erweiterte diese politische Teleologie um die (marxistisch grundierte) sozialgeschichtliche Komponente zu einer Art ‚Frühbürgerlicher Revolution’. Das zweite Stadium war der so genannte Revisionismus, der vor allem mit den Namen Conrad Russell und Sir Geoffrey Elton verbunden ist und auf ganz verschiedenen Feldern erfolgreich die Unhaltbarkeit deterministischer Deutungen demonstrierte. Im Kern handelt es sich beim Revisionismus um politische Geschichtsschreibung im Stadium der ‚Normalwissenschaft’ (Thomas Kuhn): Es ging um die aus den archivalischen Quellen geschöpfte Rekonstruktion politischen Handelns jenseits irgendwelcher bestimmender Triebkräfte. Das dritte Stadium bildet der von manchen so bezeichnete Post-Revisionismus, wobei es sich hier letztlich um die kulturalistische Wende in der Politikgeschichte handelt, bezogen auf die englische Geschichte im 17. Jahrhundert. Ihre wichtigsten Vertreter, Kevin Sharpe und Peter Lake, fragen nach der Rolle von Symbolen, Ritualen, diskursiver Strukturen und rhetorischer Strategien, Ideologien und Mentalitäten für das Politische, die bei den Revisionisten zu kurz gekommen oder nicht beachtet worden waren. Nicht zuletzt wurde auch immer wieder nach der eigenständigen Bedeutung der Religion gefragt.

Weitgehend unbeeindruckt von diesen Debatten – und dies kann ja auch ein Vorteil sein – hat der Politikwissenschaftler Alan Cromartie nun einen weiteren Erklärungsversuch vorgelegt: Cromarties These lautet, dass der bewaffnete Konflikt von einer Revolution des Rechtsdenkens grundiert worden war. Diese Revolution sei nur zu verstehen, wenn man dabei die Tradition konstitutionellen Denkens seit der Mitte des 15. Jahrhunderts berücksichtige. Unter diesem „constitutionalism“ versteht Cromartie den Anspruch, dass der Monarch unter dem Recht stehe und nicht umgekehrt. Um diese These zu belegen, untersucht Cromartie in den acht Kapitel seines Buches vor allem eine überaus interessante Quellengruppe, nämlich die Paratexte des Common Law. Damit sind solche Traktate gemeint wie John Fortescues „De Laudibus Legum Angliae“ (geschrieben um 1470, zuerst veröffentlicht 1567), Christopher St Germans „Dialogus de fundamentis legum Angliae et de conscientia“ (1528), aber auch die Vorworte der für das Common Law maßgeblichen Rechtskommentare von Edward Coke (1552-1634) und anderen. Insgesamt wertet Cromartie eine beeindruckende Fülle gedruckter Quellen aus.

Als Einführung in die Geschichte politisch-rechtlicher Ideen ist das Buch uneingeschränkt zu empfehlen, auch weil es bereits gewonnene Erkenntnisse bestätigt. Ob man auf diese Weise allerdings den Ausbruch des Bürgerkriegs erklären kann, ist zweifelhaft. Im Grunde kehrt Cromartie nämlich nach den Wellen von Revisionismus und Post-Revisionismus trotz seiner überaus differenzierten Interpretation der Quellen letztlich wieder zum Ausgangspunkt dieser Debatten zurück – nämlich zu der Erklärung der Ursachen des Bürgerkriegs aus dem Konflikt über die rechte Verfassungsform des englischen Reichs, die dann in eine Revolution gegen den königlichen Absolutismus mündete. Zwar wird niemand bestreiten, dass die Zuspitzung der Kontroverse über Wesen und Zuständigkeit des Common Law in der Regierungszeit Karls I., vor allem in Fragen der kirchlichen Jurisdiktion, mit zu den Ursachen des Bürgerkriegs gehörte. Ihn jedoch allein oder auch nur primär darauf zurückzuführen, greift zu kurz und unterschätzt die Komplexität der Probleme. So stellt sich die Frage, welche Rolle politisch-rechtliche Ideen genau in der Dynamik des Konflikts spielten. Um dies zu erklären, reicht es nicht aus, die Theorien allein vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen politischen Umwelt, also der jeweiligen Konfliktlagen, zu erklären.

Eine solche Darstellung ist ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt für eine ideengeschichtliche Studie, die immerhin in einer von Quentin Skinner herausgegebenen Reihe erschienen und daher dem Ansatz der New Intellectual History der so genannten Cambridge School verpflichtet ist. Vor allem der für diese Schule kennzeichnende sprechtakttheoretische Ansatz, die Frage „How to do Things with Words“, fehlt bei Cromartie. Er beschränkt sich weitgehend auf die semantische Analyse der Paratexte, fragt also letztlich, worum es in den Texten geht, analysiert aber nicht deren performative Ebene – also die Frage, wie mit den Texten umgegangen wurde. So wäre doch beispielsweise zu klären gewesen, inwiefern die Sprache des Common Law in den Diskurs des Parlaments eingedrungen ist1, welcher rhetorischen Strategien sich die Autoren der maßgeblichen Texte bedienten und wie diese rezipiert wurden. Bei Cromartie führen die großen Ideen gewissermaßen ein Eigenleben, entwickeln sich und ihre anti-absolutistische Sprengkraft immer weiter – und man kann nur vermuten oder unterstellen, dass sie irgendwie auch das Denken und Handeln der entscheidenden Akteure geprägt haben müssen.

Mit dieser Vorgehensweise steht Cromartie der traditionellen Whig-Sichtweise letztlich sehr nahe, auch wenn er ideengeschichtliche Diskontinuitäten aufzeigt – indem er etwa die These vertritt, dass der im 17. Jahrhundert hochgeschätzte John Fortescue im Grunde kein Konstitutionalist war, sondern im Parlament nur ein Beratergremium sah. Vielleicht wäre es dann jedoch sinnvoller gewesen, anstelle der sehr ausführlichen Analyse von „Fortescue’s world“ im ersten Kapitel, die Cromartie für seine Kernthese gar nicht braucht, die Rezeption und Aneignung von Autor und Werk im frühen 17. Jahrhundert zu klären. Ein gewisses Unbehagen bleibt auch ob der unbefangenen Verwendung des Begriffs „Constitution“, der in vormoderner, eben vorkonstitutioneller Zeit – und zumal in England – nicht evident ist. Und wenn Cromartie in einem Postskriptum John Locke die Rolle zuweist, als erster das englische Dilemma um Recht und Souveränitätsfrage gelöst zu haben, möchte man doch an die Leistung von Thomas Hobbes erinnern. Nicht zuletzt kommt der Faktor Religion bei Cromartie viel zu kurz. Zwar weist er immer wieder auf die tiefe religiöse Imprägnierung allen Denkens und Handelns im frühen 17. Jahrhundert hin, andererseits vermutet er aber immer wieder, religiöse Einstellungen „were relativly fluid, and the more ‚secular’ considerations could shape and divert ‚religious’ loyalities” (S. 262).

Es ist bedauerlich, dass Cromartie, der so gelehrt und virtuos die Quellen zum politisch-rechtlichen Denken überblickt und dessen Studie voller überaus kluger Beobachtungen ist, so wenig aus seiner Fragestellung gemacht hat. Als Sammlung ideengeschichtlicher Essays vom 15. bis zum 17. Jahrhundert kann man das Buch mit Gewinn lesen. Auch vertieft es rechtsideengeschichtliche Fragen, die in den revisionistischen Arbeiten angeschnitten wurden. Als selbständige Erklärung der Ursachen des Bürgerkriegs überzeugt es hingegen nicht.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu grundlegend Asch, Ronald G., Das Common Law als Sprache und Norm der politischen Kommunikation in England (ca. 1590-1640), in: Duchhardt, Heinz; Melville, Gerd (Hrsg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 103-136; aus englischer Sicht: Burgess, Glenn, The Politics of the Ancient Constitution. An Introduction to English Political Thought, 1603-1642, Pennsylvania 1992.

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