M. S. Hering Torres: Rassismus in der Vormoderne

Cover
Titel
Rassismus in der Vormoderne. Die "Reinheit des Blutes" im Spanien der Frühen Neuzeit


Autor(en)
Hering Torres, Max Sebastián
Erschienen
Frankfurt am Main 2006: Campus Verlag
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nikolaus Böttcher, Katholische Universität Eichstätt/ Lateinamerika-Institut, Freie Universität Berlin

Der vorliegende Band ist für den deutschsprachigen Raum wie auch für die Geschichte der Neuzeit von großem Interesse, da die „limpieza de sangre“ im frühneuzeitlichen Spanien auf den ersten Blick Parallelen zur Rassenpolitik im Dritten Reich aufzuweisen scheint und auch aktuelle Überblicke zur Geschichte des modernen Rassismus, hierin einen Vorläufer wahrnehmen. Doch die Vergleichbarkeit verliert sich einerseits im Ausmaß der NS-Verbrechen, andererseits im Detail der komplexen Geschichte der Iberischen Halbinsel vom ausgehenden 15. bis zum frühen 18. Jahrhundert, die die Konstruktion solcher Kontinuitätslinien zweifelhaft erscheinen lassen. Dies macht Hering Torres insbesondere im letzten Abschnitt seiner Untersuchung deutlich. Doch greifen wir nicht vor.

Die Personalunion der kastilischen und aragonesischen Kronen im Jahre 1479 steht am Beginn der frühneuzeitlichen Staatenbildung auf der Iberischen Halbinsel. Die Krone bediente sich in ihrem Bemühen um soziale, religiöse und kulturelle Homogenität verschiedener Strategien. Neben der Katholisierung der Gesellschaft und deren Überwachung durch die Inquisition wurde das Prinzip der „Reinheit des Blutes“ zum Instrument der sozialen Neuordnung. Der Begriff „Rasse“ ist in der Frühen Neuzeit zwar zunächst nur ein Hinweis auf eine gemeinsame Abstammung (linaje) und keine biologische Kategorie, erhält aber durch die limpieza einen pejorativen Inhalt der Unreinheit. „Von Rasse zu sein“ (tener raza) kam „Befleckung“ (mácula) gleich.

Seit den grundlegenden Arbeiten von Bataillon, Menéndez Pelayo, Américo Castro, Domínguez Ortiz, Caro Baroja und Albert Sicroff ist erstaunlich wenig zu diesem Thema publiziert worden. Der Letztgenannte hat 1960 die einzige Monographie vorgelegt (deren spanische Übersetzung bezeichnenderweise erst 1985 erschien). 1 So ist es zu begrüßen, dass nun eine neue und umfassende Abhandlung zu diesem wichtigen Thema erschienen ist. Sie stellt die überarbeitete Fassung der Dissertation des Autors zum Thema dar, die 2004 in Wien approbiert wurde. Die Publikation hat leider auch eine Kürzung erforderlich gemacht, weshalb der Autor die an der Vertiefung des Themas interessierten Spezialisten ausdrücklich auch auf die ursprüngliche Dissertationsfassung verweist.

Max Hering Torres interpretiert die limpieza-Dogmatik als juristische Konstruktion. Die Arbeit analysiert am Beispiel der Neuchristen Marginalisierungsprozesse von Minderheiten, deren Ausgrenzung auf den Topoi „Rasse“, „Reinheit“ und „Blut“ basieren. Ebenso werden hier erstmalig sozialhistorische Fallstudien von genealogischen Untersuchungen über Einzelpersonen vorgestellt. Hering Torres (Universidad Nacional de Bogotá) hat es verstanden, die limpieza in den Bereich von Nationalstaat, Kollektivbewusstsein und Diskriminierung einzubetten und als Ausgrenzungsstrategie zu enthüllen. Es wird klar, dass der vermeintlich kollektive Feind einer Gesellschaft entscheidend zu deren Entstehen und Selbstdefinition beiträgt. So wurde das Bedürfnis der Abgrenzung gegenüber der neuchristlichen Bevölkerung zu einem charakteristischen Phänomen der spanischen Gesellschaft. Die altchristliche Abstammung entwickelte sich zu einem sozialen Gradmesser. Ehre und Stolz wurden zur raison d’être aller Schichten.

Max Hering Torres gliedert seine Studie in sieben Kapitel. Nach einer einleitenden sorgfältigen Klärung der Begrifflichkeit (converso, limpio, mácula, raza, sangre) und der Vorstellung des aktuellen Forschungsstandes wendet sich der Autor der Chronologie der Ereignisse zu. Das erste thematische Kapitel befasst sich mit dem 15. Jahrhundert zwischen den ersten antijüdischen Ausschreitungen von 1391 bis zum Vertreibungsedikt der Katholischen Könige vom 31. März 1492. Das iberische Judenproblem wurde innerhalb dieses Zeitraumes immer mehr zum converso-Problem, da vielen konvertierten „Neuchristen“ der soziale Aufstieg gelang und sie nun allein aufgrund ihrer jüdischen Herkunft diskriminiert werden konnten.

Um diese Entwicklung zu erklären, ist es essentiell, die Ausgrenzungsmechanismen im ersten limpieza-Statut von 1449 zu untersuchen. So interpretiert der Autor im anschließenden Kapitel den sentencia-estatuto von Toledo als Beginn der Exklusion von Konvertiten und analysiert das Dokument als juristische und ideologische Rechtfertigung für künftige antijüdische Maßnahmen und Übergriffe.

Hering Torres beschreibt in den folgenden Kapiteln die territoriale und ideelle Ausweitung des Reinheitskonzepts. 1483 wurde in einer päpstlichen Bulle festgelegt, dass bischöfliche Inquisitoren Altchristen sein mussten. Diese Unterscheidung wurde wenig später von den geistlichen Orden (von den Hieronymiten 1485, von den Franziskanern 1530 und von den Dominikanern 1531) sowie den großen kastilischen Ritterorden (1548) übernommen. Weiterhin wurden die Nachkommen von Ketzern für rechtsunfähig erklärt. Sie durften deshalb keine öffentlichen Ämter oder Berufe wie Anwälte, Notare, Schreiber, Apotheker und Ärzte ausüben. Nach 1568 war die Vorlage der Abstammung zum Nachweis der limpieza bei allen Bewerbungen, die den öffentlichen Sektor betrafen, notwendig.

Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts waren auch die Universitäten betroffen. Hier liegt eine besondere Stärke der Arbeit von Hering Torres. Zum ersten Mal werden Fallstudien (aus den Bereichen der Universität wie auch der Militärorden und der Inquisition) vorgestellt, in denen sich die Wirkung der Statuten, der enorme Aufwand genealogischer Gerichtsverfahren und deren Absurdität zeigen.

Es schließt sich die theologische Diskussion in zeitgenössischen Traktaten über die limpieza an. Anhand von ausgesuchten Schriften des 15. bis zum 17. Jahrhundert weist der Autor nach, dass die neue Selbstdefinition und -legitimierung der altchristlichen Gesellschaft im Mutterland auf einer theologisch-juristischen und einer historischen (und mitunter auch medizinischen) Ebene erfolgte. Hering Torres zeigt, wie historische Wissenszusammenhänge neu geschaffen wurden und ein Diskurs entstand, der Juden als natürliche Feinde der Christen stigmatisierte. Dabei wurde die Dogmatik des Reinheitsprinzips durch Gott, Bibelexegese, Philosophie und Naturwissenschaft gestützt.

Die vermeintliche Entdeckung von Apostaten, „Häretikern“ und „Kryptojuden“ wurde ohne Belege erfunden, danach durch Archivierung festgeschrieben und damit autorisiert. Das spanische Volk wurde parallel dazu als eine auf Noah zurückreichende Abstammungslinie neu hergeleitet, die durch das Prinzip der limpieza de sangre ausgedrückt und verteidigt wurde. Als diskursive Kategorie entstand die Vorstellung der reinen, ursprünglichen und "authentischen" Spanier, deren Zusammengehörigkeit in der gemeinsamen Religion ihren symbolisch-weltanschaulichen und im Königtum ihren politischen Ausdruck fand. Dieser historische Diskurs diente als Instrument der inneren Neustrukturierung der in Bewegung geratenen Gesellschaft, indem er den sozialen Vorrang der zweifelsfrei "reinen" Menschen wie die Exklusion aller mit fremdem Blut "befleckten" legitimierte.

Das Vokabular ruft die Irrlehren des Dritten Reiches ins Gedächtnis. Hering Torres stellt die eingangs erwähnte Frage nach einer historischen Kontinuität von Rassismus sinnvollerweise an den Schluss des Buches. Der rassistische Ansatz der limpieza steht außer Frage, Elemente des spanischen (den Nazis im übrigen unbekannten) Blutreinheitskonzeptes erinnern an Passagen der Nürnberger Rassengesetze, welche aber eine eigene Qualität besitzen, die eine lineare Interpretation vom vormodernen Antijudaismus bis hin zum NS-Antisemitismus und Holocaust von Millionen Juden in Konzentrationslagern nicht zulässt.

Hering Torres hat eine exzellente Monographie über die limpieza vorgelegt, die sowohl ihren theoretischen juristisch-theologischen Ansatz als auch ihre praktischen sozial- und mentalitätshistorischen Konsequenzen erfasst. Sie liefert einen wichtigen Beitrag zur Bedeutung von Integration und Ausgrenzung von Randgruppen im Rahmen des frühneuzeitlichen nation building.

Anmerkung:
1 Bataillon, Marcel, Erasme et l'Espagne, Paris 1937; Caro Baroja, Julio, Inquisición, brujería y criptojudaísmo, Esplugas de Llobregat 1972; ders., Los Judíos en la España Moderna y Contemporánea, 3 Bde., Madrid 1986; Castro, Américo, España en su historia. Christianos, moros y judíos, Buenos Aires 1948; Domínguez Ortiz, Antonio, La clase social de los conversos en Castilla en la Edad Moderna, Madrid 1955; ders., Los extranjeros en la vida española durante el siglo XVII, Madrid 1960 (= Estudios de Historia social de España, Bd. 4, 2); ders., Los Judeoconversos en España y América, Madrid 1978; Menéndez Pelayo, Marcelino, Historia de los heterodoxos españoles. Madrid 1947/8; Sicroff, Albert, Les controverses des statuts de »pureté de sang« en Espagne di Xve au XVIIe siècle, Paris 1960 (span. Ausgabe 1985).

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