G. Weilandt: Die Sebalduskirche in Nürnberg

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Titel
Die Sebalduskirche in Nürnberg. Bild und Gesellschaft im Zeitalter der Gotik und Renaissance


Autor(en)
Weilandt, Gerhard
Erschienen
Petersberg 2007: Michael Imhof Verlag
Anzahl Seiten
782 S.
Preis
€ 135,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Enno Bünz, Historisches Seminar der Universität Leipzig

Die mittelalterlichen Pfarrkirchen der Reichsstadt Nürnberg, St. Lorenz und St. Sebald, erfreuen sich schon seit längerem intensiver Aufmerksamkeit nicht nur seitens der kunstgeschichtlichen, sondern auch der historischen Forschung. Der architektonische Rang der Kirchen, ihre von zum Teil namhaften Künstlern geschaffene Ausstattung und nicht zuletzt die überdurchschnittlich gute archivalische Überlieferung zur Geschichte dieser Stadtkirchen bilden beste Voraussetzungen für methodisch ambitionierte Forschungen, die angesichts der Bedeutung Nürnbergs auch mit internationaler Beachtung rechnen dürfen. Hinzu kommt der insgesamt gute Forschungsstand: Die Grundzüge der kirchlichen Verhältnisse Nürnbergs sind durch den Germania-Sacra-Band von Erich Freiherr von Guttenberg und Alfred Wendehorst über die Pfarreiorganisation im Bistum Bamberg empirisch bestens dokumentiert1, auf der anderen Seite mittlerweile durch die französische Monographie von Martial Staub mit großem Gestus in die städtische Sozial- und Frömmigkeitsgeschichte eingebettet worden.2 Außerdem liegt die umfangreiche Untersuchung von Karl Schlemmer über Gottesdienst und Frömmigkeit im spätmittelalterlichen Nürnberg vor, die sich vor allem mit den beiden Hauptpfarrkirchen befasst.3 Von diesen ist hinsichtlich der Stiftungen bisher allerdings St. Lorenz intensiver erforscht worden, umfassend, aber nicht immer befriedigend von Corine Schleif, exemplarisch und auf sicherer Quellengrundlage auf weitere Zusammenhänge zielend hingegen von Heinrich Dormeier, um nur die wichtigsten neueren Forschungsbeiträge zu nennen.4

Gerhard Weilandt, der schon mehrere einschlägige Beiträge über spätmittelalterliche Kunststiftungen in Nürnberg vorgelegt hat (siehe das Literaturverzeichnis), wendet sich mit dem vorliegenden Buch nun der Sebalduskirche zu, die als Ratskirche diente, durch den vornehmlich aus Ratsgeschlechtern bestehenden Stifterkreis sozial exklusiver als St. Lorenz war, und die als kostbarsten Schatz die Gebeine des Nürnberger Stadtpatrons St. Sebald verwahrt. Das Buch geht offenbar zurück auf die Habilitationsschrift über „Die Ausstattung der Nürnberger Sebalduskirche im Zeitalter der Gotik und Renaissance“, die der Verfasser 2004 an der Technischen Universität Berlin vorgelegt hat, was aber nicht ausdrücklich erwähnt wird. Es handelt sich nicht nur um ein umfangreiches, sondern auch in jeder Hinsicht gewichtiges Buch. Mit mehr als 4 kg ist dieser zudem noch im Format nicht eben handliche Band zwar als Bett- oder Reiselektüre ungeeignet, entschädigt den Leser aber schon durch die hervorragende, überwiegend farbige Bebilderung für alle Mühen.

Was ist das Ziel des Verfassers? Keine Architekturmonographie und auch kein Inventarwerk will er vorlegen, wenn auch zweifellos in dieser wie in jener Hinsicht wertvolle Beiträge dazu geboten werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht vielmehr „das Zusammenspiel von Kunstwerken aller Gattungen mit dem umgebenden Raum“, was vor allem dazu dienen soll, die „Bildstrategien“ der bürgerlichen Auftraggeber zu verstehen, die „komplexe Bildprogramme“ schufen (S. 9). Vehement wendet der Verfasser sich gegen die „Isolierung der Kunstwerke“, deren Höhepunkt bekanntlich die museale Präsentation von Einzelwerken ist. Ebenso wenig wie um die Geschichte von Kunstgattungen geht es ihm um eine Geschichte des Künstlers, obschon sich in St. Sebald große Namen wie Albrecht Dürer, Veit Stoß, Adam Kraft und Peter Vischer betätigt haben. Der Untersuchungsansatz des Verfassers zielt vielmehr darauf, einerseits die Bilder durch ihre Funktion und die Stiftermotive zu verstehen und sie andererseits im Raumkontext zu deuten. Dabei stehen Arbeiten des Historikers Hartmut Boockmann und der Kunsthistorikerin Renate Kroos Pate. Wesentliches Anliegen der Untersuchung ist es, die Auftraggebermotivationen und Bildfunktionen zu ergründen, die sich – dies ist eine zentrale These des Buches – zumindest bis etwa 1500 in einen „klar strukturierten Kosmos“ einfügen, weil der spätmittelalterliche Kirchenraum mit seiner Ausstattung „ein sinnvoll gegliedertes Ganzes“ gewesen sei (S. 10). Dafür gilt es, zunächst die Hierarchie des Kirchenraumes zu untersuchen, um dann in einem zweiten Schritt den genauen (ursprünglichen) Standort der Bildwerke festzustellen, ein Ansatz, der vielerorts seine Grenzen in der beschränkten Quellenlage findet. Dem Verfasser kommt im Falle der Sebalduskirche aber der Umstand zur Hilfe, dass die Ausstattung bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts weitgehend unverändert geblieben ist, von der guten Quellenlage ganz zu schweigen. Umfangreiches ungedrucktes Material des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit in zehn Archiven und Bibliotheken wurde ausgewertet.

Der Untersuchungsgang, der methodisch auf der engen Verschränkung von Quellenanalyse und kunstgeschichtlicher Betrachtung beruht, kann hier im Einzelnen nicht nachgezeichnet werden. Die drei darstellenden Hauptkapitel (S. 13-481) werden unter der Überschrift „Grundlagen und Beginn“ (Teil I) eröffnet mit Ausführungen über die romanische Baugeschichte und den gotischen Umbau, die Symbiose von Altar und Skulptur (Figurenzyklus von 1340/50), die veränderte Altaranordnung von 1379, den Zusammenhang von Fronleichnamskult und Andachtsbild im 14. Jahrhundert (Schmerzensmann) und die obrigkeitlichen Eingriffe bei Gräbern und Fensterstiftungen. Wesentlich umfangreicher ist Teil II über „Die Hierarchie der Räume“ ausgefallen, geht es hier doch um die Wahl der Altarpatrozinien, die Ausstattung und Nutzung des Hochchores, den Choreingang als Zentrum der Volksfrömmigkeit und der Marienverehrung, das Langhaus („die leere Mitte“), den Westchor, die Retabel der Nebenaltäre, die Bildepitaphien und Totenschilde („Memoria und Repräsentation“) sowie die Seitenschiffe und den Chorumgang („Verkehrswege der Kirche“). Im dritten Teil der Untersuchung wird dann der „Neubeginn um 1500“ gewürdigt, eingeleitet von der Kirchenrenovierung 1493, begleitet von Veränderungen in der Chorverglasung, dem Auftreten neuer Stifter und neuen Formen der Repräsentation, schließlich und endlich: der Aufstellung des Sebaldusgrabes von Peter Vischer, dessen Bildprogramm neu gedeutet wird (zusammenfassend S. 415 f.). Dass das Buch reich an spannenden Einzelergebnissen ist, wird angesichts des enormen Arbeitsaufwandes des Verfassers nicht überraschen: Beispielsweise kann Weilandt erstmals eine Folge von vier Epitaphien der Familie Volckamer, die sich heute in Bamberg und Boston befinden, der Sebalduskirche zuweisen (S. 328 f. und S. 597 ff.). Bislang unbekannt waren auch die Umzeichnungen mehrerer verschwundener Pfarrergräber des 15. Jahrhunderts im Chor (S. 514 ff.). Ein umfangreiches Resümee (Teil IV), überschrieben als „Topografie der Bilder“, beschließt den darstellenden Teil, mit dem der Leser freilich erst gut die Hälfte des Buches durchmessen hat. Die Darstellung ist nämlich mit einem fast ebenso umfangreichen Katalog (Teil V) verknüpft, in welchem die historischen Nachrichten über alle Altäre einschließlich ihres Umfeldes (der Autor spricht hier von „Verehrungszone“) sowie über die Chorausstattung mitsamt dem Sebaldusgrab zusammengestellt wurden, vielfach in wörtlicher Wiedergabe (S. 483-720). Ein historisches Gesamtinventar zu allen Ausstattungsstücken wird freilich nicht geboten, hätte dieses doch den Umfang des Buches vollends gesprengt. Der Anhang (Teil VI) mit Zusammenstellungen über die liturgischen Farben nach dem Mesnerpflichtbuch von St. Sebald und über die dort verzeichneten Ornate runden den Band ab, der durch detaillierte Personen-, Sach- und Objektregister sorgfältig erschlossen wird. Orte finden sich übrigens im Sachregister. Während im Katalog und in den Anhängen die Nachweise als Fußnoten unter dem Text stehen, finden sich die zum Teil sehr umfangreichen Anmerkungen zum darstellenden Teil leider am Ende des Textes, wobei der Zugriff zwar dadurch erleichtert ist, dass am Kopf der Seite jeweils auf die Seiten der Darstellung verwiesen wird; gleichwohl ist das Hin-und-her-Blättern zwischen Darstellung, Anmerkungen und Katalogteil in diesem nicht gerade handlichen Buch auf die Dauer recht mühsam. Die Aufteilung in einen Darstellungsband und einen zweiten Band mit Nachweisen, Katalog und Register wäre wohl bequemer gewesen.

Gerhard Weilandt ist mit diesem Buch zweifellos ein großer Wurf gelungen, zeigt er doch, wie man Kunstdenkmäler in ihren funktionalen Kontext einordnen und damit als historische Quellen zum Sprechen bringen kann. Dabei ist sein Blick stets auf den Kirchenraum und seine Bildwerke gerichtet, eine fruchtbare, wenn auch keine zwingende Perspektive auf die spätmittelalterliche Pfarrkirche, wie einschlägige Untersuchungen über Gottesdienst und Frömmigkeit oder über das Wirken der Kirchenpfleger von St. Sebald zeigen.5 Aus historischer Sicht hätte es sich gewiss auch gelohnt, manche Aspekte systematischer zu beleuchten, beispielsweise die Frage, wie Stifterwille, Interessen des Rates und der Kirchenpfleger bei der Ausstattung der Kirche austariert wurden. Das Buch bietet dafür reichlichen Stoff. In Verbindung von gründlicher Empirie mit kluger Reflexion hebt sich Weilandts Untersuchung erfreulich ab von neueren Versuchen, Kirchenräume ohne mühsame Detailarbeit mit hochtrabenden Konzepten modisch zu deuten.6 Nur schließt man das Buch von Weilandt auch mit einer gewissen Wehmut, stellt sich doch die Frage, wo anders als in Nürnberg es gelingen könnte oder – anders formuliert – wo es überhaupt möglich sein dürfte, eine vergleichbar anspruchsvolle Untersuchung vorzulegen? Sein Appell an die Kunstgeschichte, sich auch der Ausstattungsgeschichte von Pfarrkirchen intensiver zuzuwenden, kann nur nachdrücklich unterstrichen werden, auch wenn man seiner Begründung, dass deren „künstlerischer Schmuck im Spätmittelalter an Umfang und auch an Qualität den Kathedralen in nichts nachsteht“ (S. 10), keineswegs uneingeschränkt folgen kann. Wo wird man vergleichbar aufwändig ausgestattete Pfarrkirchen wie in Nürnberg andernorts im deutschsprachigen Raum noch einmal finden? An das Ulmer Münster wäre vielleicht zu denken, wohl auch an die Marienkirche in Lübeck, aber insgesamt muss man in Rechnung stellen, dass Nürnberg nicht der Normalfall, sondern eher eine Ausnahmeerscheinung in der spätmittelalterlichen Stadtgeschichte ist, und dass sich die Pfarreiverhältnisse in anderen Großstädten wie Köln, Erfurt, Augsburg oder Frankfurt am Main aus verschiedenen Gründen ganz anders darstellen, zumeist eben differenzierter, und das heißt auch wesentlich kleinteiliger strukturiert. Insofern ist St. Sebald in Nürnberg (wie auch St. Lorenz) eben keine „typische“ spätmittelalterliche Stadtpfarrkirche. Aber das wird man nicht Gerhard Weilandt zum Vorwurf machen können, der sich in seiner Habilitationsschrift mit sicherem Blick einer außerordentlich lohnenden Thematik zugewandt hat. St. Sebald kann, wie Weilandt selbst bemerkt, „als Paradigma der zahlreichen mittelalterlichen Pfarrkirchen, deren Ausstattung durch die Zeitläufte ganz oder teilweise zerstört ist“, verstanden werden, doch plädiert der Verfasser dafür, „den hier exemplarisch beschriebenen Phänomenen auf sich stetig erweiternder Basis nachzugehen, um schließlich zu einer Gesamtschau zu gelangen“ (S. 12). So gesehen gibt es tatsächlich in den Stadt- wie in den Dorfpfarrkirchen7 noch unendlich viel zu tun.

Anmerkungen:
1 Erich Freiherr von Guttenberg / Alfred Wendehorst, Das Bistum Bamberg. Zweiter Teil: Die Pfarreiorganisation, Berlin 1966.
2 Martial Staub, Les paroisses et la cité. Nuremberg du XIIIe siècle à la Réforme, Paris 2003.
3 Karl Schlemmer, Gottesdienst und Frömmigkeit in der Reichsstadt Nürnberg am Vorabend der Reformation, Würzburg 1980.
4 Corine Schleif, Donatio et memoria. Stifter, Stiftungen und die Motivationen an Beispielen aus der Lorenzkirche in Nürnberg 1490 - 1520, München 1990; vgl. die Rezension von Heinrich Dormeier in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 47 (1991) S. 797 f.; Heinrich Dormeier, St. Rochus, die Pest und die Imhoffs in Nürnberg vor und während der Reformation. Ein spätgotischer Altar in seinem religiös-liturgischen, wirtschaftlich-rechtlichen und sozialen Umfeld, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1985, S. 7-72; Ders., Kirchenjahr, Heiligenverehrung und große Politik im Almosengefällbuch der Nürnberger Lorenzpfarrei (1454 - 1516), in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 84 (1997) S. 1-60; Ders., Der Rochusaltar in seinem religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Umfeld, in: Christian Schmidt / Georg Stolz (Hrsg.), Hundert Jahre Verein zur Erhaltung 1903 - 2003. Sammelband der Referate des Kolloquiums aus Anlass des Vereinsjubiläums, Nürnberg 2004, S. 27-34.
5 Zu den Gottesdiensten siehe Schlemmer (wie Anm. 3); zur Kirchenpflegschaft Arnd Reitemeier, Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters: Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Stuttgart 2005, mit vielen Belegen über St. Sebald.
6 Siehe beispielsweise Renate Dürr, Politische Kultur in der frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550 - 1750, Gütersloh 2006, und dazu die kenntnisreiche Besprechung von Thomas Klingebiel, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 79 (2007) S. 422-426, oder die Beiträge in: Susanne Wegmann / Gabriele Wimböck (Hrsg.), Konfessionen im Kirchenraum. Dimensionen des Sakralen in der Frühen Neuzeit, Korb 2007.
7 Trotz beträchtlicher Verluste ist beachtlich, was mancherorts erhalten geblieben ist, siehe z.B. Enno Bünz, Ein Dithmarscher Pfarrherr um 1500. Andreas Brus und die St. Clemens-Kirche in Büsum, in: Nordelbingen 74 (2005) S. 7-46.

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