Titel
Siegertypen. Zur fotografischen Vermittlung eines gesellschaftlichen Selbstbildes um 1900


Autor(en)
Walther, Christine
Reihe
Kulturtransfer 4
Erschienen
Anzahl Seiten
324 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angela Schwarz, Fach Geschichte, Universität Siegen

Selbstbewusst steht er da, dem Betrachter zugewandt, der Blick geht leicht am Betrachter vorbei, die linke Hand lässig in der Hosentasche, die rechte umgreift einen Tennisschläger, der auf einem halbhohen Sockel mit der antiken Architektur nachempfundenen Ornamenten ruht, mit dunklem Cut, gestreifter Hose und Hut bekleidet, ein Monokel um den Hals: Lieutenant Stavenhagen vom 96. Infanterieregiment. Verriete der Titel des Buches, der über der Abbildung des Lieutenants zu lesen steht, nicht schon einiges, wer würde aus dieser Fotografie ableiten, dass sie einen Sieger darstellt? Wer sieht nicht eher den Herrn oder Gentleman, der sich im Atelier in lässiger Pose und doch formvollendet gekleidet, vielleicht mit Insignien seiner liebsten Freizeitbeschäftigung, porträtieren lässt, etwa fürs Familienalbum oder für die Liebste? Einen Sieger assoziiert man mit diesem Porträt wohl eher nicht. Denn der schaut, das weiß man doch, freudestrahlend in die Kamera, zumeist unmittelbar im Moment des Erfolges oder kurz darauf, und zieht mit triumphierender Mimik und Gestik den Betrachter in die Emotionalität des Augenblicks hinein. Fast möchte man in dieser vertrauten Emotionalisierung eine Darstellungsweise vermuten, der Maler, Zeichner und Fotografen schon immer gefolgt sind. Und wenn vielleicht nicht die Maler und Zeichner, dann doch wenigstens die Fotografen mit ihrer Technik der – vergleichsweise – raschen visuellen Fixierung eines Augenblicks von Beginn des Mediums an. Dass dem nicht so ist und dass die uns heute so selbstverständliche Ikonographie des Siegers noch gar keine so lange Tradition aufweist, ist Gegenstand dieser anschaulichen und überzeugend argumentierenden Münchener Dissertation. Sie analysiert die Entwicklung, die die fotografische Darstellung von Gewinnern von Sportwettbewerben in Deutschland im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert genommen hat.

Erklärten Pressetexte und andere Darstellungen die erfolgreichen Sportler bereits im 19. Jahrhundert zu Helden, sind sie auf den beigefügten Bilder in ateliertypischer Manier als Personen abgelichtet, die für den Betrachter sowohl Sieger als auch Verlierer darstellen konnten. Es gab also zunächst keine siegertypische Ikonographie und kein Bestreben, die gedruckte Berichterstattung mit emotionsgeladenen Visualisierungen zu verstärken. Das änderte sich grundlegend erst nach der Jahrhundertwende. Klaus Sachs-Hombach 1 folgend belegt Christine Walther, wie sich vom Ende des 19. Jahrhunderts an in der fotografischen Veranschaulichung eine eigene Bildsprache des Siegers herausbildete. In Anlehnung an Susanne Regener 2 verfolgt sie dabei die These, dass diese Art der Siegerbilder, die den (Volks-)Helden oder Star aufbauten, auf gesellschaftliche Akzeptanz zielte. Die Gesellschaft entwarf sich hier, so die Annahme, eine neue Bedeutungsebene des Guten, Erwünschten. Damit sind die beiden Hauptbereiche angesprochen, um die es in der Studie geht: um die Entstehung einer Siegerikonographie, ihre Elemente und Bedeutungen sowie um die kulturelle Bedeutung der Fotos, ihre Wirkung. Die Untersuchung greift damit eine Thematik auf, der sich bislang weder die Medienwissenschaft, noch die Volkskunde oder die Kulturgeschichte intensiv zugewandt haben.

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Fotografien der deutschen Sportpresse oder genauer der populären Zeitschrift Sport im Bild (Erscheinungszeitraum 1895-1934). Zwischen 1895 und 1920, als sich der Darstellungsstil deutlich zu wandeln begann, wurden auf ihren Seiten rund 2.000 Siegerabbildungen aus 59 verschiedenen Sportarten abgedruckt. Auf den ersten Blick könnte eine solche Materialgrundlage als relativ schmal erachtet werden. Die Zahl der Fotos für den relativ langen Zeitraum von dreißig Jahren und vor allem die Beschränkung auf nur ein einziges Presseorgan geben dazu Anlass. Dennoch lässt sich hierbei von einem repräsentativen Quellenbestand ausgehen: Sport im Bild war die auflagenstärkste Sportzeitschrift in Deutschland, sie bestand über diesen recht langen Zeitraum fort, druckte mehr Fotos pro Ausgabe als jedes andere Magazin und übernahm später immer mehr Fotos von Agenturen, so dass Bilder längst nicht nur von Profis oder von deutschen Fotografen aufgenommen wurden. Eine Einschränkung ist jedoch zu machen, die allerdings auf die Quelle selbst zurückgeht: Die Personen, die hier als Helden aufgebaut werden, sind überwiegend männlich. Nur 10% der Fotos des Untersuchungszeitraums zeigen Gewinnerinnen von Sportwettbewerben.

Im ersten Teil werden drei Phasen unterschieden, in denen die verschiedenen Akteure das Erfolgsmuster ausprägten, Phasen, die weniger eine starre Abfolge als ein Ineinanderübergehen und schließlich Dominieren von Darstellungsformen beschreiben. Im letzten Jahrfünft des 19. Jahrhunderts, in dem sowohl Amateure als auch Berufsfotografen die Bilder lieferten, überwog das Foto in zeitgenössischer Porträtmanier, der Mann im Cut oder vielleicht noch in Sportbekleidung, aufgenommen im Atelier. Im Übergang zur zweiten Phase bis 1910 kamen Attribute wie Medaillen oder Pokale hinzu. Groß- und Nahaufnahmen, die Untersicht und die Bewegungsfotografie waren Stilmittel eines Wandels, in dem nicht mehr der Sport und alle Sportler eines Wettkampfs auf ähnliche Weise, sondern einzelne klar als Gewinner herausgestellt wurden. Gewinner oder Sieger stiegen durch solche Mittel zu Helden auf, in Bild und Text gleichermaßen als solche aufgebaut – der Anfang eines Starkults und einer Fankultur auch im Sport. In der dritten Phase bis 1920 wurde die Inszenierung von „Helden“ des Sports zunehmend erweitert. Die Darstellung erhielt einen betont emotionalen Charakter.

Die Art, wie die Autorin die Fotografien dekodiert, rückgebunden an die jeweils relevante Forschung, lässt sich zumeist gut nachvollziehen. So entsteht eine schlüssige Argumentationskette, die Antworten auf die eingangs formulierten Fragen liefert. Mitunter wünschte man sich allerdings eine etwas intensivere Auseinandersetzung mit einzelnen Beispielen, insbesondere bei den Bildern, die eher untypisch erscheinen. So lässt das Foto der amerikanischen Siegerin eines Schwimmwettbewerbs (Abb. 31), das eher an kindliche Gestalten von Bodenturnwettbewerben aus unserer Zeit erinnert, jeden Anklang an Siegerikonographie vermissen. Auf diesen Sachverhalt kommt Christine Walther auch zu sprechen, doch scheint in Fotos wie diesem weit mehr enthalten. Assoziationen wie Unsicherheit, Hilflosigkeit, Schwäche drängen sich auf. Heutige Betrachter vermuten eher ein Kind auf einem Spielplatz, das die Eltern aus dem Blick verloren hat. Warum blickt diese Frau auf dem Foto nicht stolz in die Kamera? Warum lichtete der Fotograf sie in dieser Pose ab?

Im zweiten Teil der Arbeit geht es um die Normen, denen die Entstehung wie die Rezeption der Fotografien unterlag. Nicht zufällig werden zunächst Kategorien wie Geschlecht, Nationalität und Rasse thematisiert. Hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Formen der Visualisierung werden systematisch die visuellen Ausschlussverfahren von Frauen herausgearbeitet, die sowohl im Bild als auch im Text Anwendung fanden. Der Blick auf außereuropäische bzw. nicht-weiße Sportler, wie er in der Kolonialfotografie oder der Anthropologie der Zeit eingeschrieben war, zeigte sich auch in der Sportlerfotografie. Sieger waren weiß, männlich, zivilisiert. Das Muster galt in der westlichen Welt nationsübergreifend, so dass die Kategorie des Nationalen in dem Fall wenig Bedeutung besaß. Eine dritte Norm fand sich abgelichtet in Gestalt eines fairen, fleißigen Siegers, Inbegriff des Herren gegenüber den untergeordneten Rassen ebenso wie des tugendhaften Bürgers gegenüber dem vermeintlich vergnügungssüchtigen Adligen oder dem angeblich wilden und unzivilisierten Proletarier. Als letztes wird populären Vorstellungen in der Siegerfotografie nachgespürt, die letztlich einem neuen Körperkult zum Durchbruch verhalf, indem sie den Körper bzw. das Bild vom Körper als Merkmal von Identitäten etablierte, in denen sich ein heterogener Adressatenkreis wiederentdecken konnte.

Was oft mit den Filmen Leni Riefenstahls aus den 1930er-Jahren verbunden wird, so ein Ergebnis der Studie, existierte längst vor der ersten Kameraanweisung der umstrittenen Regisseurin: eine Siegerikonographie, die mit heroentypischen Attribuierungen, hierarchischen Blickachsen, Bildmotiven der Heldendarstellung aus anderen Kontexten und der Verklärungen von gesellschaftlichen Mythen wie dem des raschen sozialen Aufstiegs arbeitete. Das strahlte aus auf andere Bereiche der Fotografie und auf andere Bereiche von Visualisierung. Das Schlusskapitel fällt in der Zusammenfassung der Ergebnisse erstaunlich knapp aus. Hingegen weist die Arbeit selbst zweifelsfrei nach, dass und wie Siegerfotos Visionen vom Guten, Schönen, Tugendhaften spiegelten und dabei zeitgenössische Sehweisen, Normen und Mentalitäten visualisierten. Die sich aufdrängende Frage, inwieweit die Fotos diese schufen oder nur wiedergaben, was in der Gesellschaft bereits existierte, lässt sich angesichts der Schwierigkeiten einer fundierten Rezeptionsforschung nicht beantworten. So etwas ließe sich für unsere Gegenwart, in der die Siegerdarstellung trotz einer Kette von Dopingskandalen und Entmythisierung des Heldenmotivs noch immer in der gleichen Weise erfolgt, vermutlich leichter überprüfen.

Anmerkungen:
1 Klaus Sachs-Hombach, Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft, Köln 2003.
2 Susanne Regener, Fotografische Erfassung. Zur Geschichte medialer Konstruktionen des Kriminellen, München 1999.