Titel
Raffaels Papageienzimmer. Ritual, Raumfunktion und Dekoration im Vatikanpalast der Renaissance


Autor(en)
Weddigen, Tristan
Erschienen
Anzahl Seiten
335 S., 200 Abb.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ursula Lehmann, Humboldt-Universität zu Berlin

Bereits als Raffael und seine Werkstatt im Auftrag Papst Leos X. (1513-1521) das Papageienzimmer im Vatikanpalast neu mit Wandmalerei ausstatteten, bestand über seine Bezeichnung als „Camera Papagalli“ Uneinigkeit. Von der Exotik des Namens wünschte sich der päpstliche Zeremonienmeister Agostino Patrizi Piccolomini offenbar zu distanzieren, denn er bezeichnete die „Secunda camera paramenti“ in seinem Zeremoniale immer wieder als „Camera paramenti, quam papagalli appellant“ oder auch „quae papagalli dicitur“ (vgl. S. 73).

Die Herkunft des Namens kann auch Tristan Weddigen nicht zweifelsfrei klären, der sich in seiner kunsthistorischen Dissertation mit Dekorum und Raumfunktion der Camera Papagalli im Vatikanpalast während der Renaissance befasst. Die im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit bei Fürsten, vor allem aber bei den Päpsten übliche Haltung von Papageien als „adeliges und höfisches Requisit“ erklärt laut Weddigen weder die Funktion noch den Namen des Papageienzimmers. „Bei der Einrichtung einer Camera Papagalli einerseits und bei der Papageienhaltung andererseits handelt es sich um zwei relativ konstante, allerdings bloß parallele Phänomene, die die kunsthistorische Forschung miteinander kausal zu verknüpfen pflegt.“ (S. 59) Nicht nur die kunsthistorische Forschung, möchte man einwenden, denn auch von Seiten der historischen Forschung wurde bereits 1967 in einem instruktiven Aufsatz von Hermann Diener eine kulturgeschichtliche Annäherung an das Phänomen des päpstlichen Papageienzimmers versucht. Dabei gelang es Diener auf fulminante Weise, die zentrale Rolle des Papageienzimmers innerhalb der wechselnden päpstlichen Residenzen zu bestimmen, über den Ursprung des Namens aber vermutete auch er nur etwas hilflos, eventuell seien dort tatsächlich Papageien gehalten worden.1

In seiner detailfreudigen, aber immer konzentrierten Arbeit geht es Weddigen um „eine kulturhistorische Kontextualisierung der ästhetischen Gegenstände“ (S. 13). Die Raumausstattung des Papageienzimmers kann dementsprechend nur durch die Funktion des Raumes innerhalb des päpstlichen Zeremoniells angemessen interpretiert wie auch – und das zeigt Weddigen – rekonstruiert werden. Zugleich wird durch die eingehende Betrachtung der künstlerischen Raumausstattung ein besseres Verständnis für das päpstliche Zeremoniell insgesamt möglich. Denn „zeremoniell eingebundene Kunst begnügt sich nicht mit der Darstellung und Duplizierung von Macht und Realität, sondern hilft, diese erst zu konstituieren, weswegen man nicht von einem mimetischen, sondern von einem performativen Bildbegriff sprechen müsste“ (S. 51).

Dieser Annahme folgt die Gesamtkonzeption der Arbeit: In seiner ausgreifenden methodischen Einleitung setzt der Autor sich eingehend mit dem mittlerweile etwas überstrapazierten Forschungsbegriff des Rituals auseinander. Das zweite umfangreiche Kapitel beschäftigt sich mit der Raumfunktion des sogenannten Papageienzimmers, wobei er sich nicht nur auf die Situation Anfang des 16. Jahrhunderts im Vatikanpalast beschränkt, sondern dankenswerter Weise einen umfassenden historischen Überblick über das Papageienzimmer und seine angrenzenden Räume innerhalb der verschiedenen Residenzen der Päpste bietet und die leoninische Anlage souverän in die päpstliche Palastforschung insgesamt einordnet.

Erst im dritten und letzten Kapitel widmet sich Weddigen den genuin kunsthistorischen Inhalten: Rekonstruktion, Beschreibung und kunsthistorische Würdigung der Raumausstattung sowie ihre Deutung. Diese Gliederung mag von kunsthistorischer Seite nicht ganz eingängig sein, schließlich erfolgt die Annäherung an das Objekt erst an letzter Stelle. Der Historiker hingegen profitiert von der kenntnisreichen Rezeption der historischen Forschung zur symbolischen Kommunikation und der Konzepte wie Ritual und Zeremoniell aus kunsthistorischer Perspektive. Weddigens Arbeit zeigt, wie fruchtbar der ritualtheoretisch-funktionsgeschichtliche Ansatz bei der Betrachtung der Kurienkunst sein kann. Er vermeidet nicht nur eine „ikonographisch-formalistische Totaldeutung“, vielmehr thematisiert er die Mehrschichtigkeit des Bezugssystems „Papsthof“ im Bereich der Visualisierung selbst. Damit enthüllt er die grundsätzliche Polyvalenz symbolischer Kommunikation, denn „gerade Uneindeutigkeit kann zu den identitätsstiftenden Funktionen eines Bildes gehören“ (vgl. S. 43).

Darüber hinaus ist es Weddigen zu verdanken, dass wir nunmehr eine genaue Vorstellung davon haben, was von Raffaels Ausstattung noch vorhanden ist und wie wir uns die Anlage von 1518 vorzustellen haben. Bislang ist die Forschung davon ausgegangen, dass Umbauten, Zerstörung und Renovierung in der Folgezeit – vor allem während der Pontifikate von Paul IV. bis Gregor XIII. – wenig von der raffaelschen Raumdekoration übrig gelassen haben. Diese Einschätzung kann nun zu nicht geringen Teilen korrigiert werden.

Im Auftrag Leos X. fingierten Raffael und seine Werkstatt in der Camera Papagalli eine peristylartige Architekturkulisse, über die sich eine hölzerne Lakunardecke spannte. In die fiktiven Rechtecknischen der Säulenhalle platzierte er gemalte Heiligenstatuen, deren ikonografisches und formales Programm die politisch-dynastischen Strategien des Medicipapstes formulierte. Über die Heiligendarstellungen in ihren antikisierenden Ädikulen malte Raffael exotische Flora und Fauna, wie Vasari eingehend beschrieben hat, wovon sich lediglich zwei Papageien erhalten haben. Neben der Wandbemalung gehörte zur umfassenden Erneuerung der Camera Papagalli am Ende des Pontifikats Leos X. auch ein Paramentenbett mit kostbar gewirkten Behängen.

Wozu diente nun aber der in dieser Weise dekorierte Raum? In allen während des 15. Jahrhunderts oft wechselnden Residenzen der Päpste befand sich eine Camera Papagalli. Diese bildete zusammen mit dem Schlafzimmer (cubiculum), der Privatkapelle (capella secreta), und dem Paramentenzimmer (prima camera paramenti) offenbar den Kern jeder Papstwohnung und wurde deshalb an jedem Aufenthaltsort des Papstes eingerichtet. Im Vatikanpalast der Renaissancezeit handelte es sich bei dem Papageienzimmer um den letzten öffentlichen Raum, an den sich zeremoniell sowie liturgisch nicht weiter definierte Zimmer anschlossen. Die Zuständigkeit des Zeremonienmeisters endete im Papageienzimmer. „Die bewachte Camera papagalli war die Schwelle, jenseits derer der explizit private Bereich des Pontifex begann.“ (S. 71) Sie bildete damit Drehscheibe und Angelpunkt zwischen dem öffentlichen-zeremoniellen und dem „privaten“ Raum, als eine „erste Bühne“ des Papstes vor einer ausgewählten Öffentlichkeit. Den Zeremonialschriften ist zu entnehmen, dass die Camera Papagalli vorrangig zwei zentrale Funktionen erfüllte, die einerseits dem sakral-liturgischen und andererseits dem profan-zeremoniellen Bereich zuzuordnen sind: In der Camera Papagalli wurde die Praeparatio ad missam pontificalem abgehalten, in welcher der päpstliche Ornat vor und nach einer Messe, die der Papst nicht selbst zelebrierte, der er aber anwohnte, an- und abgelegt wurde. Diese innere und äußerliche Vorbereitung des Papstes besaß einen explizit privaten Charakter: Zwar war der Ritus liturgisch motiviert, gehörte jedoch nicht zur eigentlichen Messfeier und stellt damit „einen Zwitter“ dar, der „zwischen privatem und öffentlichem Raum, zwischen Liturgie und Zeremoniell zu verorten ist“ (S. 79). Die Raumfunktion entspricht damit der Anordnung des Papageienzimmers im Raumgefüge innerhalb des Vatikanpalastes selbst.

Die Praeparatio ad missam pontificalem ist in einer 1520 für Leo X. reich illuminierten Handschrift beschrieben, deren Miniaturen Raffaels Ausstattung der Camera Papagalli wiedergeben; Transkription und Übersetzung dieser Praeparatio aus diesem Zeremonienbuch finden sich im Anhang.

Die zentrale profane Funktion der Camera Papagalli hingegen war es, das Consistorium secretum darin abzuhalten. Das Kardinalskollegium trat im Konsistorium nicht nur als beratender Senat in kirchenpolitischen Fragen auf, sondern entschied vor allem über die Verteilung von Benefizien. Weitere mögliche Raumfunktionen der Camera Papagalli werden von Weddigen geprüft; der Leser erhält auf diese Weise einen anschaulichen Einblick in den Mikrokosmos der Römischen Kurie.

Die umfassende Erneuerung der Camera Papagalli, in der sich der Papst zur Praeparatio ad missam pontificalem und mit dem Kardinalat zum Konsistorium einfand, muss laut Weddigen als Teil einer von Leo X. angestrebten Neustrukturierung des Kardinalats insgesamt angesehen werden. Nach einem Mordversuch auf seine Person, der offenbar auf einen Komplott innerhalb des Kardinalskollegiums zurückgeführt wurde, versuchte Leo das Kollegium geistig und geistlich zu reformieren und dabei zugleich zu entmachten. Er bescherte dem Kardinalat durch eine Massenkreation auf die bisher unerreichte Zahl von 31 Purpurträgern eine Art machtpolitische Inflation.

Mit der neuen Raumausstattung durch Raffael jedoch verfolgte er – doppelstrategisch – eine „monumentale[…] Überhöhung des Kardinalats durch das Apostolat“. Auf diese Weise versuchte er das Kollegium „ästhetisch und symbolisch von seiner neuen Würde zu überzeugen und damit seine reale politische Entmachtung propagandistisch zu überblenden“ (S. 245). Dies geschah in erster Linie durch das gemalte Skulpturenprogramm mit Aposteln, den Evangelisten und drei bis vier weiteren Heiligen. Ihre Versammlung entspricht dabei nicht nur den Anforderungen der Pontifikalliturgie sowie der spezifisch leoninischen Pietas gegenüber seiner Familie, den Medici, und Florenz. Auch das Kardinalskollegium wird bildlich auf die Analogie mit den 24 Ältesten, die dem Weltenrichter assistieren, aus der Offenbarung des Johannes eingeschworen, die ebenfalls in den genannten Zeremonialschriften als Bezugspunkt herangezogen wird (S. 215-245). Diese Bildstrategie traf offenbar bei den Nachfolgern nur teilweise auf Zustimmung, denn das Heiligen-Ensemble wurde zu einer vollzähligen Apostelrunde umgestaltet, die leoninische Kommemoration nahezu vollständig getilgt.

Das päpstliche Papageienzimmer ist durch die Arbeit Tristan Weddigens keine exotische Randerscheinung mehr, vielmehr gelangt man durch eine Analyse seiner Raumfunktion und seines Dekors mitten in das vielschichtige Bezugssystem des Renaissance-Papsthofes, in dem Kunst und Macht eine auch im Detail ungemein reiche und fruchtbare Liaison eingegangen sind.

Die Dissertation Weddigens ist in der bibliophilen Edition Imorde erschienen, die mit einem sorgfältigen Satz und typografischen Extravaganzen wie etwa st- und ch-Ligaturen aufwartet. Eine weitere Sonderheit stellt die Aufteilung von Fließtext und wissenschaftlichem Apparat dar: Im aufgeschlagenen großformatigen Buch ist der Fließtext zweispaltig auf der rechten Buchseite, die Anmerkungen sind wie auch sämtliche Abbildungen auf der linken Buchseite ebenfalls zweispaltig angeordnet. Das Deckblatt des Buches ist dem Frontispiz des Zeremoniale des Agostino Patrizi Piccolomini (Bild 1), einer der zentralen Quellen dieser Arbeit, nachempfunden. Hier konvergieren inhaltliche und formale Freude am Detail.

Anmerkung:
1 Diener, Hermann, Die „Camera Papagalli“ im Palast des Papstes. Papageien als Hausgenossen der Päpste, Könige und Fürsten des Mittelalters und der Renaissance, in: Archiv für Kulturgeschichte 49 (1967), S. 43-97, besonders S. 61-67.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension