G. Kelly: A History of Exile in the Roman Republic

Cover
Titel
A History of Exile in the Roman Republic.


Autor(en)
Kelly, Gordon P.
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 260 S.
Preis
₤ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Ronning, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Gordon P. Kelly unterzieht in seiner hier zu besprechenden Monographie das exilium in der Zeit der römischen Republik einer minutiösen Untersuchung, die mit einer breit angelegten Prosopographie abschließt. Dieser fast sechzigseitige personenkundliche Anhang mit 65 Einzeleinträgen, dies sei bereits eingangs konstatiert, ist der eigentliche Schatz des Buches – ein Schatz, der mit Kellys Analysen vielleicht noch nicht ganz gehoben ist. Gegenüber den angesichts des recht plakativen Themas erstaunlich wenigen Vorgängerarbeiten auf diesem Feld ist der Verfasser bestrebt, die Perspektive von rechtsgeschichtlichen oder literarhistorischen Aspekten auf eine ganzheitliche Analyse des Phänomens auszuweiten. Das ist ein legitimer, wenn nicht gar der einzig angemessene Zugriff auf ein Rechtsinstitut, das seiner Natur nach in der Lage war, das Leben der Betroffenen in seiner Totalität zu erfassen. Im Mittelpunkt der Studie steht das „voluntary exile“, wie Kelly in Anlehnung an Polybius’ (6,14) merkwürdig anmutenden Terminus der hekousios phygadeia das Ausweichen eines Angeklagten vor unmittelbar drohender Verurteilung im Kriminalprozess bezeichnet; die um die Mitte des 1. vorchristlichen Jahrhunderts eingeführte strafweise Verhängung der Verbannung spielt in seiner Arbeit demgegenüber nur eine marginale Rolle. Kriterium für die Erfassung einzelner Fälle ist eine entsprechende Reaktion der römischen Autoritäten auf das Entweichen, also im Regelfall die Verhängung der aquae et ignis interdictio durch die Volksversammlung. Die Untersuchung deckt den Zeitraum von 220 bis 44 v.Chr. ab, wobei das Anfangsdatum mit dem Beginn zuverlässigerer Quellenüberlieferung identifiziert (wiederum im Anschluss an Polybius) und das Enddatum mit dem Aufstieg Octavians sicher zu Recht als Epocheneinschnitt gewertet wird.

Nach einer im engeren Sinne rechtsgeschichtlichen Auslotung des Begriffes widmet sich der Verfasser in mehreren, chronologisch aufeinander aufbauenden Kapiteln der konkreten Ausgestaltung des exilium: Die Wahl des Exilortes und die Lebensbedingungen in der Verbannung kommen so zumindest ausschnitthaft in den Blick. Kelly macht die Wurzeln der „freiwilligen“ Verbannung in der Orientierung der Römer auf concordia aus. Gefährliche politische Konflikte hätten nämlich durch dieses Schlupfloch eingehegt werden können: „capital convictions resulting from political wrangling were final (the offender went into exile), but not fatal“ (S. 14). Als Scheidepunkte der Entwicklung erscheinen in seiner historischen Rekonstruktion sodann die Nachwehen der gracchischen Reformen sowie der Ausgang des Bundesgenossenkrieges: Die Schicksale der exules Popillius Laenas und Metellus Numidicus wiesen nämlich – seiner Ansicht nach erstmals – die Möglichkeit einer Rückrufung aus der Verbannung auf. Mit der Auseinandersetzung zwischen Marius und Sulla weitete sich dies gar zu Massenrestitutionen aus; zugleich ließ die zunehmende Verschärfung der inneren Konflikte Roms es nun geraten scheinen, aus Sicherheitsgründen einen außeritalischen Exilort zu wählen. Durch die Ausdehnung des römischen Bürgerverbandes auf ganz Italien nach dem bellum sociale sei schließlich auch rechtlich der Verbleib eines exul auf der Apenninhalbinsel nicht mehr statthaft gewesen. Kelly vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass durch die Einführung der Restitution das exilium seine ursprüngliche Funktion als „Sicherheitsventil“ großenteils einbüßte, ja dass die auf ultio sinnenden Rückkehrer vorhandene Konflikte perpetuierten und gegebenenfalls gar verschärften.

Konsultiert man nun aber seinen Katalog der Verbannten, so sind hier lediglich neun Fälle vor dem als Wendepunkt angesprochenen Exil des Popillius Laenas (123 v.Chr., Restitution 120) auszumachen. Von diesen neun Einträgen betreffen gut die Hälfte sehr spezifisch gelagerte bzw. problematische Sachverhalte (nicht näher bestimmte matronae 212; den Ritter M. Postumius aus Pyrgi im selben Jahr; nobiles Etrusci 204; die Fälle des Q. Pleminius und des L. Hostilius Tubulus 204 bzw. 141, eher gescheiterte Fluchten als rechtsförmiges exilium), der Rest beruht auf einer Quellenbasis, die uns kaum Auskünfte über das Faktum und allenfalls den Anlass der Verbannung hinaus vermitteln. Demgegenüber verweist Kelly die bereits für Camillus und andere Personen der frühen Republik von antiken Autoren behauptete Rückberufung aus dem Exil ins Reich der Legende (Appendix II). Nun ist ein Argumentum ex silentio nie eine besonders sichere Basis für eine Theorie (zumal wenn, wie hier, einige Quellen erst zum Schweigen gebracht werden müssen!) – insofern bleibt es fragwürdig, ob die Restitution tatsächlich erst eine Entwicklung der späten Republik gewesen ist. Der Sache nach scheint sie mir jedenfalls bereits für die frühere Zeit erforderlich; dies gebietet ja gerade die zu Recht angenommene Funktion des Exils als Sicherheitsventil in der politischen Konkurrenz. Nur wenn die Verbannung reversibel war und der frühere Status nicht endgültig verloren erschien, ließ sich wirklich Druck aus dem Konflikt nehmen; denn für einen römischen Senator republikanischer Zeit wäre die Aussicht auf eine lebenslange Bannung aus Rom kaum anders als „fatal“, und es wäre dann mit entsprechend kompromisslosem Widerstand zu rechnen gewesen.

Anderen Schlussfolgerungen der Studie wird man sich bereitwilliger anschließen: So arbeitet der Verfasser klar heraus, dass dem Verbannten zunächst freistand, an welchem Ort er Quartier beziehen wollte. Lange Zeit erwiesen sich Städte in der Nähe Roms als besonders attraktiv, verfügten die Nobiles dort oftmals doch ohnehin bereits über Beziehungen oder gar Besitztümer, zudem erlaubte die geringe Entfernung einen engen Kontakt zu den Freunden und Verwandten in Rom. Das in den Quellen vereinzelt genannte ius exulare deutet er überzeugend als Bestimmung in den zwischenstaatlichen Verträgen, mit denen Rom sein Bündnissystem aufspannte. Die Klausel habe die Aufnahme von Verbannten in den jeweiligen Gemeinden geregelt und vereinfacht, jedoch mitnichten präjudiziert, wo der Betroffene Zuflucht suchen konnte. Auch habe die Verbannung nicht automatisch den Verlust des Bürgerrechts bewirkt, dieser sei vielmehr erst mit der Annahme einer neuen civitas eingetreten. Regelmäßiger Bestandteil des Bannbeschlusses der Volksversammlung war hingegen die Konfiskation des Vermögens, sofern dies nicht bereits zuvor aus dem römischen Staatsgebiet herausgebracht worden war. Entgegen der Ansicht Crifòs bezüglich der Existenz eines ius exilii negiert Kelly zutreffend einen solchen (kodifizierten) Rechtsanspruch römischer Bürger auf die Gewährung des exilium; wie so oft in Rom wurde auch dieses auf der Basis des Herkommens geregelt.

Der spannendste und innovativste Teil des Buches ist sicher der Versuch, die ökonomischen und sozialen Bedingungen der Verbannung zu ermitteln. Leider zeigt sich hier aber auch die Begrenztheit der Quellenlage am schmerzlichsten. Über einzelne Impressionen kommt man kaum hinaus – immerhin zeichnet sich ab, dass Besuche von Frau und Kindern am Verbannungsort nicht unüblich waren, wohl aber deren permanente Begleitung. Und mit den Rabirii scheint sich in der späten Republik so etwas wie der Typus eines professionellen Finanziers von Verbannten herauszuschälen, der Überbrückungskredite gewährte, bis die ersehnte Restitution erreicht war. Als alternatives Mittel der Daseinssicherung wurden offenbar auch Fideikommisse eingesetzt, mit denen sich die Folgen der Vermögenskonfiskation abfedern ließen (sofern die Fiduziare denn auch wie vorgesehen leisteten). Zudem werden zu bestimmten Zeitpunkten an einzelnen Orten ganze „Kolonien“ (Nuceria, Lesbos, Epiros, Korkyra) von Exilierten sichtbar, die ihre verbliebenen Ressourcen zum Teil poolten – etwa um die Kommunikation mit Freunden in Rom aufrecht zu erhalten.

Kellys Monographie wird künftig ohne Zweifel ein unverzichtbarer Ausgangspunkt für eine vertiefte Beschäftigung mit dem Thema sein, auch wenn vieles aufgrund der Quellenlage hypothetisch, manche Deutung angreifbar ist. Die klare Diktion und das sorgfältig hergeleitete Urteil des Verfassers bringt dringend erwünschtes Licht in die komplexe rechtshistorische Thematik. Und der prosopographische Teil lädt zu manchen Tiefenbohrungen ein, zumal wenn die einzelnen Fälle noch sehr viel stärker, als es notgedrungen in einer übergreifenden Studie der Fall sein kann, in ihrem unmittelbaren historischen Umfeld betrachtet werden.

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