L. Schorn-Schuette: Karl V., Kaiser zwischen Mittelalter

Titel
Karl V.. Kaiser zwischen Mittelalter und Neuzeit


Autor(en)
Schorn-Schütte, Luise
Reihe
C.H. Beck Wissen in der Beck´schen Reihe 2130
Erschienen
München 2000: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
110 S. mit 4 Abb. und 2 Karten
Preis
€ 7,50
Gabriele Haug-Moritz, Historisches Seminar, Universität Tübingen

Schorn-Schütte stand vor einer schwierigen Aufgabe, als sie es unternahm, für die Reihe C.H. Beck Wissen eine Biographie Karls V. vorzulegen. Da die Reihe darauf angelegt ist, auf wenig Raum und in allgemeinverständlicher Form einem größeren Publikum die aktuelle Forschung aus den verschiedensten Wissenschaftsbereichen zu unterbreiten, sah sie sich genötigt, auf ca. 100 Seiten die Biographie einer Herrscherpersönlichkeit zu schreiben, mit deren Leben und Wirken die Geschichte Europas und der europäischen Expansion in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts unauflöslich verknüpft ist. Dementsprechend umfangreich, vielfältig und partiell widersprüchlich sind die Spuren vergangenen Forscherfleißes, die in die Darstellung eingearbeitet werden mußten - sei es zur Person Karls V. selbst oder zu Einzelaspekten seines Herrschaftssystems und seiner Zeit.

Schorn-Schütte hat die daraus resultierenden Schwierigkeiten souverän gemeistert und eine prägnante Annäherung an einen Herrscher geliefert, der im vergangenen Jahr, im Jahr seines 500. Geburtstages, durch eine große, europaweit gezeigte Ausstellung und eine Fülle von Publikationen wieder verstärkt zum Bestandteil der historischen Erinnerungskultur gemacht werden sollte (übrigens nicht nur in den deutschsprachigen Ländern seines ehemaligen Herrschaftsgebietes). Zu Recht warnt sie unter anderem in ihren einleitenden Bemerkungen vor anachronistischen Deutungsperspektiven der Person und Zeit Karls V., die sich aus dem Bestreben ergeben könnten, ihn für aktuelle europapolitische Problemstellungen zu vereinnahmen.

Sie selbst versucht, Bestrebungen aktualisierender Vereinnahmung entgegenzuwirken, indem sie ihren biographischen Abriss mit einer ganz eigenen Akzentsetzung versieht, der freilich unvermeidlich dazu führt, dass im vorgegebenen Rahmen manche Interpretationslinien nicht nachgezeichnet werden können. So findet zum Beispiel das Bild, das die nicht-deutschsprachige Forschung von Karl V. zeichnete, keinen Eingang in die Darstellung. Dies ist um so bedauerlicher, als Schorn-Schütte gerade die widersprüchlichen "Bilder" vom Kaiser in den Mittelpunkt rückt, die, wie sie verdeutlicht, bereits auf die kaiserliche Selbststilisierung und die zeitgenössische pro- wie anti-kaiserliche Publizistik zurückgehen und von einer stark konfessionell geprägten deutschen Forschung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein im Kern tradiert wurden. Steht sie mit diesem methodischen Herangehen nicht allein - auch Alfred Kohler macht zum Beispiel in seiner Karl V.-Biographie auf diese Problematik aufmerksam, indem er vom "Phänomen" Karl V. spricht, hinter dem die Person zu verschwinden drohe - so resultiert die zweite Schwerpunktsetzung aus dem eigenen politiktheoretischen Interesse, das schon in anderen ihrer jüngeren Arbeiten entgegentrat.

Die Verfasserin knüpft dabei an die ursprünglich von Rassow und Brandi ausgefochtene Kontroverse um die "Kaiseridee" Karls V. an. Galt Karl V. Peter Rassow als der letzte mittelalterliche, da einer universalistischen Herrschaftskonzeption anhängende Herrscher, so betrachtete ihn Karl Brandi als ersten neuzeitlichen, da dynastisch-machtpolitisch agierenden Monarchen. Diese antithetische Sicht zu differenzieren ist, worauf schon im programmatischen Untertitel anklingt, das wichtigste Anliegen ihres Essays. Er führt in den beiden zentralen Kapiteln, in denen sie Karl V. als Herrscher in seiner europäischen wie reichischen Dimension thematisiert, zu einer ganz eigenen Gewichtung des Stoffes. Um Karl V. als Herrscher zwischen den Zeiten zu zeichnen, werden in diesen beiden Kapiteln die zahllosen strukturellen Probleme, die seine Herrschaftsausübung belasteten, geschildert und zudem das besondere Augenmerk auf die "zeitgenössischen Traditionen der Herrschaftslegitimation" (74) gerichtet. Deutlich wird, betrachtet man beispielsweise Karls V. Agieren gegenüber seinen Genter Untertanen 1540 oder gegenüber den - in den Augen des Kaisers - "ungehorsamen" deutschen Protestanten, dass Karl V. den Grundkonsens ständischer Herrschaftsausübung, die Norm der "wechselseitige Treueverpflichtung" (73) teilte und nicht die Norm von Befehl und Gehorsam postulierte. Die Etikettierung Karls als eines "frühabsolutistischen-neuzeitlichen" Herrschers führt also, zumindest wenn man von seinem politiktheoretischen Selbstverständnis her argumentiert, in die Irre. Ebensowenig wie er in den seinem politischen Handeln zugrunde liegenden Normen Vorstellungen verpflichtet war, die in die frühneuzeitliche Zukunft verweisen, stand er mit seinem sakralen Herrschaftsverständnis allein, das von der Forschung herangezogen wurde, um ihn als letzten mittelalterlichen Kaiser zu apostrophieren. Er teilte es, wie Schorn-Schütte ausführt, mit seinen politisch handelnden und/oder reflektierenden Zeitgenossen.

Und doch war es der sakrale Inhalt seiner Kaiseridee, der ihn, wie jüngst auch Horst Rabe in Hinblick auf Karls Verhalten gegenüber den deutschen Protestanten argumentierte, zu einem politischen Handeln veranlasste, das die Problemstellungen evozierte, die seine Herrschaftsausübung prägten und ihn zu einem Herrscher zwischen den Zeiten werden ließ. Die Biographie Karls V. zeigt, in eine solche Perspektive gerückt, zugleich, was das Signum seiner Zeit ausmachte - ihr Oszillieren zwischen Mittelalter und Neuzeit. Den komplexen Verschränkungen des Mittelalterlichen und Neuzeitlichen im Zeitalter Karls V. eine differenziertere Beschreibung angedeihen zu lassen als dies insbesondere in der deutschen Forschung lange Zeit der Fall war, stellt eine der wichtigsten Aufgaben künftiger historiographischer Bemühungen zur Geschichte Karls V. und seiner Zeit dar. Einen anregenden Baustein liefert Schorn-Schütte in ihrer Annäherung an die Person Karls V.

Eine Zeittafel, ein Glossar und ein differenziertes Register runden den Band ab.

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