K. Doehring u.a.: Jahrhundertschuld, Jahrhundertsühne

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Titel
Jahrhundertschuld, Jahrhundertsühne. Reparationen, Wiedergutmachung, Entschädigung für nationalsozialistisches Kriegs- und Verfolgungsunrecht


Autor(en)
Doehring, Karl; Fehn, Bernd Josef; Hockerts, Hans Günter
Erschienen
München 2001: OLZOG Verlag
Anzahl Seiten
142 S.
Preis
€ 12,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Danyel, Zentrum für Zeithistortische Forschung Potsdam

Die Diskussion um die Wiedergutmachung des vom NS-Regime begangenen Unrechts hat längst ihre eigene Geschichte. Mit der Auseinandersetzung um das im Jahr 2000 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Stiftungsgesetz zur Entschädigung von Sklaven- und Zwangsarbeitern in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft ist ein weiteres Kapitel hinzugekommen.

Das um sachliche Information bemühte Buch nimmt diese Debatte zum Anlass, um danach zu fragen, ob der deutsche Staat und das deutsche Volk sich angemessen bemüht haben, „Schäden zu kompensieren, die durch die nationalsozialistische Verfolgung entstanden sind“(S.7). Eine nüchterne Bilanz jener finanziellen Leistungen, mit denen Deutschland nach 1945 für die Folgen des von ihm begonnenen Zweiten Weltkriegs aufzukommen und die Opfer des NS-Regimes zu entschädigen hatte, kann einer Debatte, die wie keine andere moralisch aufgeladen ist, nur zuträglich sein. Die damit verbundenen Polarisierungen sind bekannt. Sie prägten auch die öffentliche Diskussion über die Entschädigung der Zwangsarbeiter: Den Argumenten, dass das Kapitel der materiellen Haftung der Deutschen für die NS-Vergangenheit angesichts der bereits erbrachten Leistungen, der zeitlichen Distanz und des Generationenwechsels abzuschließen sei, steht die These gegenüber, dass alle Versuche von Wiedergutmachung angesichts der Dimension der Verbrechen und Opfer notwendig fragwürdig und unzulänglich bleiben müssen.

Eine sachliche Bestandsaufnahme der seit 1945 von deutscher Seite erfolgten beachtlichen Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgeleistungen widerlegt ungerechtfertigte Kritik und überzogene Maßstäbe. Gleichzeitig bleibt zu konstatieren, dass die Wiedergutmachung nicht nur eine Geschichte völkerrechtlicher Verpflichtungen und vertraglicher Vereinbarungen sowie deren Erfüllung war, sondern auch von Konflikten, Kontroversen und Lernprozessen bestimmt wurde. Die öffentliche Diskussion und die historische Forschung haben neue Dimensionen der NS-Verbrechen aufgezeigt. Vergessene bzw. aus politischen Gründen benachteiligte Opfer- und Verfolgtengruppen mussten in beiden deutschen Staaten lange um ihre Rechte kämpfen und auch die Verständigung mit den europäischen Nachbarn erwies sich als ein konfliktreicher Weg. Es bedurfte oft des politischen und öffentlichen Drucks, damit bestimmte Wiedergutmachungsleistungen anerkannt und schließlich realisiert wurden.

Die Spannung zwischen dem weitgreifenden Titel des Buches, der „Jahrhundertschuld“ und „Jahrhundertsühne“ als Thema annonciert, und dem schmalen Taschenbuchformat weckt beim Leser Neugier und Skepsis zugleich. Der Heidelberger Völkerrechtsexperte, Karl Doehring, der in der Bundesfinanzverwaltung tätige Jurist Bernd Joseph Fehn und der Münchener Zeithistoriker Hans Günter Hockerts diskutieren die Reparationsproblematik, die konkreten materiellen Wiedergutmachungsleistungen nach 1945 und die Geschichte der Wiedergutmachung in Deutschland in übersichtlich strukturierten und gut lesbaren Beiträgen. Zu Beginn jedes Abschnitts erfolgt eine Klärung der entscheidenden Begriffe, Schlussbemerkungen fassen jeweils die wichtigsten Gesichtpunkte zusammen.

Erfreulich auch, dass insbesondere die Beiträge von Bernd Joseph Fehn und Hans Günter Hockerts versuchen, die traditionelle Fixierung auf die Bundesrepublik zu überwinden und die Geschichte der Wiedergutmachung in der SBZ/DDR einzubeziehen. Durch eine stärkere Berücksichtigung beziehungsgeschichtlicher Aspekte, die gerade auf dem Gebiet der Vergangenheitspolitik kaum überschätzt werden können, ließe sich eine solche deutsch-deutsche Betrachtung noch stärker synthetisieren, als dies im Buch geschehen ist.

Das vom Verlag beigesteuerte Vorwort formuliert die Erwartung, dass mit der Entschädigung der Zwangsarbeiter eine abschließende Regelung der finanziellen „Wiedergutmachung“ an den überlebenden Opfern, mit der Deutschland ein „vorbildloses Bemühen um tätige Sühne“ (S. 7) gezeigt habe, auf der Tagesordnung steht. Das Buch sei ein Appell „an Vernunft und Weisheit der vormaligen Kriegsgegner und nun jahrzehntelangen Friedenspartner Deutschlands, an Israel und an die Opfervertreter, die materielle Kollektivhaftung des deutschen Staatsvolkes durch neue Forderungskategorien nicht weiter auszudehnen“ (S. 8).

Welche Position vertreten nun die Autoren in ihren Beiträgen? Karl Doehring gibt im ersten Abschnitt des Buches ausgehend von einer einführenden Betrachtung zur Entstehung des Rechtsbegriffs der Reparation nach dem Ersten Weltkrieg einen Überblick über die Regelung der Reparationsfrage in bezug auf Deutschland nach 1945. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die verschiedenen, von den Siegermächten getroffenen Vereinbarungen und die zahlreichen von Deutschland mit ehemaligen Kriegsgegnern getroffenen bilateralen Verträge. Zu den darin festgelegten umfangreichen Reparationsleistungen gehörten u.a. die Demontagen und Entnahmen aus der laufenden Produktion, die Enteignung deutschen Auslandsvermögens, die Arbeit deutscher Kriegsgefangener oder Gebietsabtretungen wie im Falle der Oder-Neisse-Linie.

Doehring verknüpft diese Bilanz mit der Frage, ob „heute noch Reparationsleistungen gegenüber Deutschland erhoben werden können“ (S. 52). Er diskutiert dies unter Einbeziehung grundlegender rechtlicher Basisprinzipien (Verjährung, Verwirkung, Wegfall der Geschäftsgrundlage) und anhand der konkreten Rechtslage in den Fällen der Entschädigung der Zwangsarbeiter, der von Russland konfiszierten deutschen Kulturgüter sowie einer vor griechischen Gerichten verhandelten Entschädigungsklage. Aus dieser Perspektive sieht Doehring keine Anspruchgrundlage für weitere Reparationen, „weil die Ansprüche erfüllt wurden, oder weil sie aus anderen Gründen heute nicht mehr erhoben werden können“ (S. 52).

Bernd Josef Fehn versucht in seinem Beitrag, die von Deutschland nach 1945 erbrachten finanziellen Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgeleistungen genauer zu beziffern, nicht ohne die Schwierigkeiten eines solchen Versuchs außer acht zu lassen. Auch er geht dabei von der Prämisse aus, das unsagbares Leid, Millionen Tote auch durch noch so hohe finanzielle Zahlungen nicht „wieder gutgemacht“ werden können (S. 88). Gleichzeitig könne man jedoch angesichts der enormen finanziellen Anstrengungen der deutschen Seite die Frage aufwerfen, ob es berechtigt sei, die Reparationsfrage über fünfzig Jahre nach Kriegsende neu aufzuwerfen, wie dies z.B. von griechischer und amerikanischer Seite geschehen sei. Fehn sieht ebenfalls keine Grundlage für neue Reparationsforderungen, da die mit der Reparation verbundenen Ziele der Sühne und der Friedensstiftung erfüllt seien. Deutschland habe die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts als „vorrangige Aufgabe von größter moralischer und menschlicher Tragweite“(S. 89) u.a. gegenüber der Jewish Claims Conference akzeptiert und sei „spätestens mit Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages voll in die Staatengemeinschaft reintegriert worden“ (ebd.). Die Reparationsfrage habe sich somit erledigt.

Hans Günter Hockerts zieht in seinem Beitrag eine historische Bilanz der Wiedergutmachung von 1945 bis in die Gegenwart und sucht dabei nach den Spuren, die die „jeweilige Zeitkonstellation in das Gesicht der Wiedergutmachung geschrieben“ hat (S. 95). Ferner geht er den Fragen nach, warum die Entschädigung in den neunziger Jahren erneut zu einem beherrschenden Thema wurde und wie die SBZ/DDR mit dem Thema umgegangen ist. Der Beitrag verdeutlicht, wie wichtig der historische Blick als Ergänzung rechtlicher und finanztechnischer Gesichtspunkte ist.

Hockerts verweist auf solch entscheidende und inzwischen gut erforschte Etappen der Wiedergutmachung wie das Zustandekommen des Luxemburger Abkommens oder die Verabschiedung des Bundesentschädigungsgesetzes im Jahre 1953. Gleichzeitig kommen die „schweren Disharmonien“ (S. 102) zur Sprache, die die Geschichte der Wiedergutmachung ebenso geprägt haben wie die unstrittigen Erfolgskapitel. Einer dieser Skandale war nach Hockerts die Wiedereingliederung und Entschädigung der nach 1945 wegen NS-Belastungen entlassenen Berufsbeamten, die „unvergleichlich besser entschädigt“ worden seien, als der „verfolgte Nichtbeamte“ (S. 102). Auch auf der Ebene der vertraglichen Vereinbarungen mit den Nachbarländern ging dem Erfolg häufig ein längeres politisches Tauziehen voraus oder kam es zu zeitweiligen Rückschlägen.

In gewisser Weise argumentiert Hockerts vorsichtiger als seine Ko-Autoren, was die Frage eines möglichen Abschlusses der Frage der materiellen Wiedergutmachung betrifft. Schon einmal, Mitte der achtziger Jahre, seien die Experten der Meinung gewesen, die Wiedergutmachung würde zum Abschluss kommen. Was folgte war indes eine breite und äußerst kritische öffentliche Diskussion über die bisherige bundesdeutsche Entschädigungspraxis, in der die Kritiker eher einen „Kleinkrieg gegen die Opfer“(Christian Pross) sahen. Hinzu kam die Entdeckung der „vergessenen“ Opfer, wie der Zwangssterilisierten, der Homosexuellen, der von den Nazis als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ Verfolgten sowie die Deserteure. Sie waren bislang von Entschädigungsleistungen ausgeklammert und wurden nunmehr in einem erweiterten Opferbegriff integriert.

Die deutsche Vereinigung brachte nach Hockerts zusätzliche Bewegung in die Entschädigungsdebatte, u.a. mit der Tilgung von DDR-Hypotheken oder durch das „Hereinholen der Industrie“(S. 139) bei der Entschädigung der Zwangsarbeiter. Gerade die von Hockerts geschilderten Gesichtspunkte mahnen zur Vorsicht, was die Wünsche betrifft, die Frage der Wiedergutmachung sei abzuschließen. Dies tut dem Buch gut. In der Tat mag die Frage der materiellen Entschädigungsleistungen allmählich „die Sphäre des politischen Handelns und Entscheidens“ verlassen und in die „Sphäre der Geschichte“ (S. 141) übergehen. Die gesellschaftliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit wird und muss weitergehen und insofern kann auch immer noch neue Bewegung in die Frage der materiellen Wiedergutmachung kommen. Auch wenn dies nicht im Sinne des zitierten Vorworts wäre, könnte man das schmale Bändchen auch für einen solchen Fall als eine informative, sachliche und vor allem gut lesbare Informationsquelle heranziehen.

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