W. Benz (Hg.): Deutschland unter alliierter Besatzung

Titel
Deutschland unter alliierter Besatzung 1945 – 1949/55. Ein Handbuch


Herausgeber
Benz, Wolfgang
Erschienen
Berlin 1999: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
494 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ilko-Sascha Kowalczuk

„Zu kaum einem Zeitabschnitt der jüngeren deutschen Geschichte ist der Zugang so durch Unkenntnis verwehrt, durch Legenden überwuchert wie zur Periode der Besatzungsherrschaft, die mit dem Zusammenbruch des NS-Staates im Frühjahr 1945 begann und mit der Gründung der Bundesrepublik im September und der Errichtung der DDR im Oktober 1949 nur ein be-dingtes Ende fand.“ (S.17) Mit diesem Satz beginnt der Herausgeber des gewichtigen Hand-buchs „Deutschland unter alliierter Besatzung 1945 – 1949/55“, Wolfgang Benz, seine knap-pe Einleitung. Das Handbuch soll eine Lücke schließen.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist eine Vielzahl Studien zu unterschiedlichsten Aspek-ten der unmittelbaren deutschen Nachkriegsgeschichte erschienen. Überblicksdarstellungen zur Geschichte der einzelnen Zonen stehen neben Spezialuntersuchungen zu Detailproblemen. Dominierte in der Forschung bis 1989 vor allem die Beschäftigung mit der Geschichte der französischen, englischen und amerikanischen Besatzungszone – nicht allein bedingt durch die viel günstigere Quellenlage -, so schien nach 1989/90 die Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone zum dominierenden Forschungsfeld zu werden. Mittlerweile kann die Erfor-schung der gesamten Nachkriegsgeschichte als relativ gut und fortgeschritten angesehen wer-den. Die Asymmetrie in der Forschung, bedingt durch die politischen Verhältnisse bis 1989, ist in den letzten zehn Jahren erheblich abgebaut worden. Die Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone erwies sich seit 1989/90 als vielversprechendes Forschungsgebiet, das von vielen Forscherinnen und Forschern untersucht worden ist. Nur der eingeschränkte Zugang zu russischen Archiven steht einer restlos befriedigenden Forschungssituation entgegen.
Für die Erforschung der Besatzungszeit erwies es sich seit längerem als hinderlich, dass kein Handbuch zur Verfügung stand, das alle Besatzungszonen gleichermaßen zum Gegenstand hatte. Zwar gab es unentbehrliche Handreichungen zu den einzelnen Zonen bzw. zu speziellen Aspekten, aber ein schneller und vergleichender Überblick über Grundprobleme in den vier Zonen war nicht ohne weiteres möglich.

Wolfgang Benz hat mit dem vorgelegten Handbuch diese Lücke geschlossen. 84 Autorinnen und Autoren, alle ausgewiesene Fachexperten, haben in 145 Beiträgen die wichtigsten Ent-wicklungen, Begriffe und Ereignisse der Besatzungszeit knapp und schlüssig dargestellt. Dem Herausgeber gebührt das Verdienst, dass sich alle Beiträge auf wesentliche Aspekte konzent-rieren und weitgehend im Stil von Lexika-Artikeln argumentieren. So erfährt die Leserin bzw. der Leser in übersichtlicher und gut lesbarer Form schnell die wesentlichen Eckdaten, be-kommt grundlegende Entwicklungen und Prozesse erläutert und erhält zumeist noch einen Hinweis auf die wichtigste weiterführende Literatur, wobei diese Angaben überwiegend jün-geren Datums sind und sich über diese so für Interessierte auch ältere Literatur erschließen lässt.

Das Buch ist in 7 Abschnitte gegliedert. Im ersten „Grundzüge der Besatzungspolitik in Deutschland bis 1955“ werden in 7 Überblicksartikeln Strukturen und Motive der alliierten Besatzungspolitik, die Politik der vier Besatzungsmächte sowie die Gründungsgeschichte der beiden deutschen Teilstaaten dargestellt. Im zweiten Abschnitt stehen „Probleme der Besat-zungspolitik im Vergleich der Zonen“ als Längsschnitte im Mittelpunkt. In den insgesamt 21 Beiträgen beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren u.a. mit „Bildung und Erziehung“, der „Bodenreform“, der „Entnazifizierung“, „Flüchtlingen und Vertriebenen“, der „Presse“, den „Parteien“, den „Reparationen“, der „Verfassungsdiskussion“, der „Währungsreform“, den „Wahlen“ oder der „Wiedergutmachung“. Gerade diese Beiträge vermitteln in ihrer kom-paratistischen Anlage schnell einen Überblick über alle vier Zonen. Neben den genannten Artikeln beschäftigen sich andere auch mit Alltags-, Sozial- und Kulturproblemen, so dass dieses Handbuch über den engeren Horizont der Politikgeschichte hinausweist. Im dritten Abschnitt werden die elf wichtigsten Konferenzen behandelt, auf denen es um die Zukunft Deutschlands ging. Dabei reicht der Bogen von Konferenzen in Teheran, Jalta und Potsdam bis hin zu den Außenministerkonferenzen in Paris (1949), Berlin (1954) sowie der Achtmäch-tekonferenz von Moskau/Warschau (1954). In den nächsten beiden Abschnitten „Institutionen und Organisationen“ (59 Artikel) sowie „Begriffe und Ereignisse“ (27 Einträge) werden in knappen lexikalischen Einträgen die wichtigsten Einrichtungen und Begriffe vorgestellt und historisch eingeordnet. Hier lässt sich kritisch fragen, warum etwa einige Organisationen aus der SBZ mit einem eigenen Beitrag bedacht worden sind (SED, FDJ, VdgB, DFD, Kultur-bund usw.), zugleich aber „vergleichbare“ Vereinigungen und Organisationen aus den West-zonen nahezu vollkommen fehlen. Im sechsten Kapitel stehen zwanzig deutsche Länder (von Baden und Baden-Würtemberg über Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen bis Würt-temberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern) mit je eigenen Einträgen im Mittelpunkt des Interesses. Es lässt sich darüber streiten, ob die Zuordnung der „Republik Schwarzenberg“ – einem größeren Lesepublikum durch Stefan Heyms Roman bekannt - in diesen Abschnitt rest-los überzeugt oder ob dieser Beitrag nicht in dem Kapitel „Begriffe und Ereignisse“ besser platziert wäre. Gleichwohl ist es überhaupt anzuerkennen, dass dieser Artikel in einem sol-chen Handbuch Aufnahme fand. Das Buch endet mit einer ausführlichen, synoptischen Chro-nologie (7. Kapitel), einem Verzeichnis aller Stichwörter sowie einem hilfreichen Personen-register. Hilfreich ist das Register deshalb, weil es zu allen aufgeführten Personen Lebensda-ten und wichtige biographische Eckdaten enthält.

Das Buch stellt eine außerordentlich nützliche und ergiebige Handreichung für Forscher, Stu-dierende, Lehrer und historisch Interessierte dar. Unklar bleibt, warum der eine oder andere Beitrag überhaupt aufgenommen wurde bzw. warum andere fehlen. So fehlen etwa Beiträge zu den Besatzungsarmeen, die im Nachkriegsdeutschland bis 1989 – wenn auch auf ganz un-terschiedliche Weise - eine so wichtige Rolle spielten. Doch bei der Auflistung eventueller Fehlstellen gerät man schnell in die Gefahr, kleinlich und von seinen eigenen Forschungsinte-ressen ausgehend zu argumentieren.

Bei diesem Handbuch kann kaum ein Zweifel entstehen, dass es in Zukunft unentbehrlich in der Forschung, Lehre und politischen Bildung sein wird. Allen Autorinnen und Autoren und insbesondere dem Herausgeber, Wolfgang Benz, gebührt dafür der Respekt und Dank zukünf-tiger Nutzer. Vielleicht gelingt es dem Verlag und dem Herausgeber ja sogar, diese
Edition als Taschenbuch in einem Publikumsverlag erneut zu publizieren. Dann nämlich könnte sich der Wunsch von Wolfgang Benz, dieses Buch möge dazu beitragen, Unkenntnis über die Nachkriegszeit abzubauen und Legenden zu überwinden, realisieren. Dieses Hand-buch jedenfalls erfüllt dafür alle Kriterien.

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