A. Troche: "Berlin wird am Mekong verteidigt"

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Titel
"Berlin wird am Mekong verteidigt". Die Ostasienpolitik der Bundesrepublik in China, Taiwan und Süd-Vietnam 1954-1966


Autor(en)
Troche, Alexander
Reihe
Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 37
Erschienen
Düsseldorf 2001: Droste Verlag
Anzahl Seiten
518 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thoralf Klein, Lehrstuhl für Ostasiatische Geschichte, Universität Erfurt

Mit seiner Erlanger Dissertation legt Alexander Troche eine erste übergreifende Studie der bundesdeutschen Ostasienpolitik in den 1950er und 1960er Jahren vor. Wurden diese angeblichen “dark ages” der bundesdeutschen Fernostpolitik (S. 13) bislang lediglich im Rahmen von Untersuchungen der Beziehungen der Bundesrepublik zu einzelnen ostasiatischen Ländern und in der Regel eher kursorisch abgehandelt, so durchbricht Troche den hergebrachten bilateralen Untersuchungsrahmen. Seine Studie widmet sich dem Umgang der bundesdeutschen Außenpolitik mit zwei der “schweren... ostasiatischen Krisen der fünfziger und sechziger Jahre” (S. 12), nämlich der China-Taiwan-Problematik und dem Vietnamkrieg, und stellt das bundesdeutsche Engagement in Ostasien somit erstmals in einer breiteren Perspektive dar.

Gegenüber den bisherigen Untersuchungen bietet Troches Herangehensweise Vor- und Nachteile. In ihrem bewußten Verzicht auf die Auswertung chinesischer und vietnamesischer Quellen (die zweifellos auch sprachliche Gründe hat) liegt zweifellos eine beträchtliche Einschränkung, da der ostasiatische Raum damit als bloßes Objekt bundesdeutscher Politik erscheint. Andererseits liegt in dieser Einseitigkeit insofern ein Gewinn, als Troche die Auswirkungen der Bonner Ostasienpolitik auf andere Politikfelder auf breiterem Raum als bislang üblich diskutieren kann.

Die Troches Arbeit letztlich zugrundeliegende Prämisse, daß die bundesdeutsche Ostasienpolitik maßgeblich von den durch den Ost-West-Konflikt geschaffenen Rahmenbedingungen bestimmt wurde (S. 477 f.), geht über den gegenwärtigen Forschungsstand nicht hinaus und ist keineswegs überraschend. Dennoch ist seine Frage, inwieweit die Bundesrepublik trotz ihres eingeengten Handlungsspielraums eigene Zielsetzungen formulieren oder verfolgen konnte (S. 15), nur zu berechtigt und führt im Detail zu einem differenzierteren Bild. Dies gelingt vor allem durch den Einbezug der eng zusammenhängenden wirtschafts-, deutschland- und bündnispolitischen Implikationen der bundesdeutschen Ostasienpolitik.

Im Zentrum des bundesdeutschen wirtschaftspolitischen Interesses stand in erster Linie China. Troche zeigt, daß die deutsche Wirtschaft in China frühzeitig an die Tradition des deutschen Chinahandels aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg anknüpfen konnte. Er unterstreicht dabei die große Bedeutung der Berücksichtigung von Handelsinteressen für die westdeutsche Außenpolitik (S. 40 f. u.ö.). Wirtschaftliche Kontakte dienten der Bundesregierung und besonders dem Auswärtigen Amt als Mittel, um fehlende politische Kontaktmöglichkeiten zu China (und anderen Ostblockstaaten) zu kompensieren und auf diese Weise Beziehungen unterhalb der diplomatischen Ebene anzuknüpfen. Troche bezeichnet diese Politik etwas irreführend als “westdeutsche Variante einer Open-Door-Policy” (S. 41 u.ö.)1.

Umgekehrt bewog vor allem das wirtschaftliche Interesse an China die Bundesregierung, an ihrer Neutralität zwischen der VR China und Taiwan festzuhalten. Diese Neutralitätspolitik war laut Troche faktisch eine Entscheidung zugunsten Pekings (S. 41) und sollte dazu dienen, die Tür zum chinesischen Festland offen zuhalten. Die Bundesrepublik widerstand dabei der Versuchung, die durch die chinesische Kulturrevolution hervorgerufene Verschärfung des sino-sowjetischen Konflikts zu ihren Gunsten auszunutzen, und war zugleich imstande, den amerikanischen Kurswechsel gegenüber China Ende der 60er Jahre zur Anknüpfung formeller diplomatischer Beziehungen mit Peking zu nutzen (S. 208-214).

In deutschlandpolitischer Hinsicht stellte Ostasien die Bonner Politik vor größere Schwierigkeiten als irgendeine andere Region, da mit Ausnahme Japans alle Staaten der Region (neben China und Vietnam auch das von Troche nur am Rande berücksichtigte Korea) geteilt waren. Ob und zu welchem jeweiligen Teilstaat die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen aufnehmen sollte, stellte ein heikles Problem dar, da die damit verbundene Anerkennung den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik untergraben konnte. Da die “Teilungsanalogien” (S. 464) in Bonn somit als Gefahr für die deutsche Frage galten, zögerte die Bundesregierung bei der Anerkennung der antikommunistischen Regime in Südvietnam und Südkorea. Wie Troche deutlich macht, erfolgte die endgültige diplomatische Anerkennung Südvietnams durch die Bundesrepublik im Jahre 1957 vor allem mit dem Ziel, ein Fußfassen der DDR in den südostasiatischen Nachbarstaaten zu verhindern.

Auch das Scheitern der deutsch-chinesischen Geheimverhandlungen in Bern 1964 hing mit deutschlandpolitischen Motiven zusammen: die bundesdeutsche Seite wollte keinesfalls einem Handelsabkommen zustimmen, das eine faktische Anerkennung der Volksrepublik bedeutet hätte, während sich die VR China der von Bonn gewünschten ausdrücklichen Einbeziehung Berlins in ein Warenabkommen widersetzte. Allerdings ist Troches Interpretation, die im Gegensatz zur bisherigen Forschung die “Ereignisse im bilateralen Verhältnis” (S. 184) in den Vordergrund rückt, nicht völlig überzeugend. Denn wie er selbst an anderer Stelle detailliert ausführt (S. 164-170), bestimmte die “Rücksicht auf die USA” (S. 189) zu diesem Zeitpunkt ganz wesentlich die Bonner Chinapolitik. Aufgrund dieser Kombination aus deutschland- und bündnispolitischen Faktoren erscheint es auch nicht plausibel, daß die Bundesrepublik die Chance verschenkt habe, “ihrer Ostpolitik den entscheidenden Freiraum zu gewähren, um die VR China mit den osteuropäischen Staaten auf eine Stufe zu stellen” (ebd.).

Troches Beurteilung der Berner Gespräche ist umso überraschender, als er den bündnispolitischen Aspekten der bundesdeutschen Ostasienpolitik im allgemeinen große Bedeutung beimißt. Sein Befund macht deutlich, wie stark besonders in den frühen 60er Jahren die Ostasienpolitik mit den grundlegenden außenpolitischen Optionen der Bundesrepublik verflochten war. Auch im Hinblick auf den Fernen Osten stand man in Bonn vor der Alternative, sich entweder an das Frankreich de Gaulles oder an die USA anzulehnen. Indem Frankreich 1964 die Volksrepublik China anerkannte (ohne, wie im Elyséevertrag vereinbart, die Bundesrepublik zu konsultieren) und eine Neutralisierung Indochinas auf dem Verhandlungswege anstrebte, verfolgte es eine den Interessen der USA diametral entgegengesetzte Politik.

Die Amerikaner betrachteten den Vietnamkrieg als integralen Teil des Ost-West-Konflikts und erblickten in der VR China die treibende Kraft hinter Nordvietnam. Daß sich die Bundesregierung unter dem Einfluß Erhards und Schröders auch in der Ostasienpolitik an den USA orientierte, sorgte in Paris für beträchtliche Verstimmung. Andererseits stellten sie die amerikanischen Forderungen nach Bundeswehrsanitätern und -pionieren in Vietnam vor beträchtliche Probleme, an denen der in Bonner Regierungskreisen gern gebrauchte Vergleich zwischen Berlin und Saigon nicht ganz schuldlos war. Die Bundesregierung begegnete den amerikanischen Unterstützungsersuchen mit der Formulierung der bis Mitte der 90er Jahre gültigen “out of area”-Doktrin, wonach der internationale Einsatz der Bundeswehr verfassungsrechtlich unzulässig sei. Wie Troche eindrucksvoll demonstriert, waren die verfassungsrechtlichen Bedenken lediglich ein vorgeschobenes Argument, um den für politisch inopportun gehaltenen Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Vietnam abzuwenden. Erst später gewannen sie eine Eigendynamik, die dazu führte, daß die Doktrin auch auf Einsätze im Rahmen von NATO und UNO ausgedehnt wurde (S. 411 f.). Als Kompensation leistete die Bundesrepublik einen großen Beitrag zu den internationalen Finanzhilfen für Vietnam und nahm bereits 1966 Platz zwei unter den Geberländern ein (S. 16). Daß Präsident Johnson Erhard dennoch in finanziellen Fragen nicht entgegenkommen wollte, trug maßgeblich zum Sturz des Bundeskanzlers bei und führte zu einem Tiefpunkt im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Mit dem Amtsantritt der Großen Koalition setzte eine zunehmende Distanzierung der Bundesrepublik von der amerikanischen Vietnam-Politik ein.

Ohne Zweifel gebührt Troche das Verdienst, anhand zweier Fallbeispiele die bundesdeutsche Ostasienpolitik in ihrem Zusammenhang mit wirtschafts-, deutschland- und bündnispolitischen Faktoren dargestellt und unser Wissen um aufschlußreiche und bedeutungsvolle Details erweitert zu haben. In ihrem Gesamtergebnis bestätigen seine Schlußfolgerungen freilich das bereits bekannte Bild. Zwar zeigen seine Ausführungen, daß von einer deutschen “Fixiertheit” auf die US-Politik keine Rede sein kann, wenn man sie im Sinne eines blinden Automatismus versteht2. Im Endergebnis aber war auch für Troche der von den USA diktierte Spielraum der bundesdeutschen Ostasienpolitik sehr begrenzt: “Schließlich wurde die Bundesregierung einerseits in Süd-Vietnam zu einem Engagement gedrängt, das sie in diesem Ausmaß nicht wollte; andererseits stellte Bonn seine Ambitionen in China zurück, weil es nicht durfte” (S. 478).

Leider muß sich der Leser durch Troches Buch trotz der flüssigen und eleganten Sprache des Verfassers eher mühsam hindurchkämpfen. Das liegt zum einen an seinem Aktenpositivismus (vgl. S. 17-21), der ihn zur Detailbesessenheit und zu einer faktenübersättigten Darstellung verleitet. Zum anderen hängt es mit der Präsentation der Stoffülle zusammen, bei der verschiedene Ebenen (Hintergrundinformationen, Aktionen, Einschätzungen einzelner Akteure) ohne erkennbares System in einen chronologischen Ablauf eingeordnet werden. Diese etwas abschreckende Form der Darstellung beeinträchtigt eine Studie, die unterm Strich unseren Wissensstand zur Diplomatiegeschichte der Bundesrepublik durchaus bereichert.

Anmerkungen:
1 Der Begriff der “open door” geht auf eine Note zurück, die US-Außenminister John Hay 1899 an die verschiedenen in China engagierten Großmächte richtete. Er bezeichnet in diesem Zusammenhang den angesichts der drohenden Aufteilung Chinas in Einflußsphären der westlichen Großmächte ausgesprochenen Grundsatz, daß alle interessierten Staaten gleichermaßen Zugang zum chinesischen Markt haben sollten. Daher ist er m.E. auf die Politik eines einzelnen Staates gegenüber China nicht anwendbar.
2 Den Begriff der “Fixiertheit” verwendet Tim Trampedach, Bonn und Peking: Die wechselseitige Einbindung in außenpolitische Strategien, Hamburg: Institut für Asienkunde 1997, S. 75, mit Blick auf das Verhältnis Bundesrepublik-USA und China-Sowjetunion. Diese Studie wird von Troche mehrfach heftig und m.E. teilweise zu Unrecht kritisiert (zum vorliegenden Zusammenhang vgl. S. 188). Doch ist gar nicht sicher, ob der zweifellos verkürzende Begriff der “Fixiertheit” im Endergebnis etwas qualitativ anderes aussagt als die Schlußfolgerungen Troches.

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