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Titel
Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945-1969


Autor(en)
Bösch, Frank
Erschienen
Anzahl Seiten
575 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Kruke

Die in Göttingen erstellte Dissertation beschäftigt sich mit der Organisation und dem Machtgefüge der CDU von ihren Anfangsjahren bis zu ihrer Ablösung als Regierungspartei 1969. Dabei werden die drei auszumachenden Phasen in klassischer Abfolge von ihrem Beginn (1945-1949), über ihren Aufstieg (1949-1959) bis zu ihrer Krise, dem langsamen ‚Abstieg‘ (1959-1969), vorgestellt. Die Studie basiert auf einer breiten Aktenlage, die von den Akten der Bundespartei über die Unterlagen der Landes- wie sogar teilweise kommunalen Verbände bis hin zu den Hinterlassenschaften der von der CDU absorbierten kleinen Parteien reicht und sich auch auf die Nachlässe einzelner politischer Akteure erstreckt. Somit liegt die erste quellengestützte Studie zur Geschichte der Gesamtpartei in den ersten 25 Jahren ihrer Existenz vor. Bislang existierten lediglich zur Gründungsphase sich eng an den Quellen orientierende Arbeiten über einzelne Gebiete 1, weitere Untersuchungen befassen sich nur am Rande mit Fragen der Organisation.2 Für das konservative Spektrum stellt deswegen die organisationshistorische Analyse von Alf Mintzel über die CSU bisher die einzige Arbeit dar; hingegen existiert für die SPD schon seit 20 Jahren ein Standardwerk zur Organisationsgeschichte.3

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Betrachtung der Partei als Organisation und ihren inhärenten Machtmechanismen. Darin zeigt sich auch die Stärke der Untersuchung: Die Quellen werden auf die zentrale Fragestellung hin durchleuchtet, wie die CDU sich von einer katholisch geprägten Partei zu einer interkonfessionellen Volkspartei wandelte. Dazu gibt Frank Bösch eine komplexe Antwort auf mehreren Handlungsebenen, die die Zusammenarbeit zwischen der Bundespartei und den Ländern, die strikte Verfolgung der Sammlungspolitik, die Finanzierung und nicht zuletzt Adenauers Rolle umfassen. Die CDU wird in ihrem Versuch, möglichst breite Wählerschichten anzusprechen, im Parteiaufbau flexibel zu sein und Koexistenz unterschiedlicher Gesellschaftsteile zu ermöglichen, in Anlehnung an Kirchheimers Begriff der catch-all-party als „antisozialistische Sammlungspartei“ (S. 14) charakterisiert. Bösch interessiert dabei vor allem die interne wie externe Integrationspolitik, die das katholische Milieu mit dem „bürgerlich-protestantischen Lager“ (S. 13) verbinden konnte.

Das zentrale Ergebnis der Arbeit ergibt sich aus der Zusammenschau der verschiedenen Kapitel der Arbeit. Sie beschäftigen sich mit der Gründung, dem Aufbau und der Funktion der Bundesebene, den Integrationsmechanismen in bezug auf Mitglieder und andere kleine Parteien und widmen sich im weiteren der daraus erwachsenden politischen Praxis und dem darauf aufbauendem Selbstverständnis, der Zusammenarbeit mit den Untergliederungen sowie dem umfassenden Finanzierungssystem. Unter maßgeblicher Beteiligung Adenauers wurden in den ersten Jahren der CDU organisatorische Integrationsmechanismen entwickelt, von denen noch sein ‚Enkel‘ Helmut Kohl zehren konnte. Damit erfährt das bislang von der zeitgenössischen Wahrnehmung geprägte Urteil über die CDU als ein ‚Kanzlerwahlverein‘ durch Böschs Darstellung eine wichtige Revision.

Die Studie beginnt mit der Schilderung der offenen Gründungssituation nach 1945, in der eine Verschmelzung beider konfessioneller Lager in einer gemeinsamen Partei (Differenz in Tradition, Selbstverständnis, Zusammensetzung, Programm und konkreten Bezugspunkten) nicht vorstellbar schien. Von Beginn an wird in der Darstellung der unterschiedlichen Gründungsinitiativen die starke Rolle Adenauers und der von ihm mitbestimmte Aushandlungscharakter der Einigung deutlich. Aufgrund dieser Konstellation, so führt Bösch aus, hätte Adenauer (auch im eigenen Interesse) den bundesweiten Zusammenschluss hinauszögern können und damit zu einer regional strukturierten Partei beigetragen, deren Grenzen nicht entlang der Länder, sondern entlang der konfessionellen Grenzen verliefen. So wird auch die These verständlich, dass erst diese regionale Eigenständigkeit die CDU stabilisierte, unmögliche Kompromisse und damit ein Auseinanderbrechen vermieden werden konnten und statt dessen sich die einzelnen regionalen Teile der CDU zu konsolidieren und nebeneinander zu existieren vermochten, ohne Reibungsverluste zu erleiden.

Von dieser Weichenstellung ausgehend, wird die Sammlungspolitik Adenauers, die sich zum einen auf die konfessionelle Komponente (einem exakten personalen Ausgleich und keiner ‚inhaltlichen‘ Bevorzugung einer Konfession) und zum anderen auf die wahltaktische Bündnis- bzw. Absorptionspolitik der CDU erstreckt, durchleuchtet. Der Blick wird abwechselnd auf die Organisationsfragen und die Finanzierungspraxis im Hinblick auf interne wie externe Beziehungen gerichtet. Zu den externen Aspekten zählt hier auch die Parteienfinanzierung, die eine nicht unwichtige Rolle bei den Integrationsprozessen der verschiedenen Interessengruppen sowie bei der Einbindung der kleinen Parteien spielte. Bösch führt v.a. an norddeutschen Beispielen vor, wie sehr der Adenauersche Sammlungskurs bei der Integration der kleineren konservativen Parteien durch das Finanzierungssystem gestützt wurde. Ein frühzeitig etabliertes System von sogenannten Fördergesellschaften, deren Mitglieder Wirtschaftsunternehmen waren, kümmerte sich im Sinne eines antikommunistischen Sammlungskurses um den Zusammenhalt der konservativen Parteien. Sie zahlten die Gelder zentral ein und gaben sie nach einem festen Verteilungsschlüssel nur an diejenigen Parteien weiter, die sich dem Sammlungskurs verpflichtet hatten.

In diesem Zusammenhang wird die Rolle Hans Globkes und Robert Pferdmenges‘ näher beleuchtet, deren zentrale Stellung der CDU innerhalb des Finanzierungssystem im gesamten konservativen Spektrum nochmals größeres Gewicht verliehen. Neben der finanziellen Abhängigkeit stellte die Personalpolitik ein wichtiges Instrument dar, kleinere Parteien einzubinden. Die Beteiligung ihrer Führungspersonen in den Kabinetten Adenauers koppelte sie inhaltlich an die CDU. Allmählich wurden die kleinen Parteien durch finanzielle Abhängigkeit gefügig, durch mangelnde Profilierungsmöglichkeiten inhaltlich überflüssig oder durch Parteiübertritte der Eliten führungslos gemacht. Am Beispiel der Marginalisierung von BHE und DP sowie der GVP wird deutlich, wie die CDU in Norddeutschland ein protestantisch geprägtes Profil mit fester gesellschaftlicher Verankerung ausbildete. Der Zusammenschluss des bürgerlichen Lagers unter konservativ-antisozialistischen Vorzeichen beruhte somit eher auf einer erfolgreichen Finanz- und Personalpolitik Adenauers als auf inhaltlichen Gemeinsamkeiten.

Doch die Finanzierungspraxis der CDU diente auch der internen Integration. Auch hier legt Bösch den territorialen Schwerpunkt der Betrachtung auf den Norden der Bundesrepublik. An regionalen Beispielen aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein wird immer wieder die besondere Problematik der Interkonfessionalität und der unterschiedlichen Milieus und Mentalitäten im bürgerlich-protestantischen Lager verdeutlicht. Aber auch die Grenzen des finanziellen Drucks werden hervorgehoben, wenn z.B. die Landesverbände in katholischen Gebieten eben nicht so sehr auf die finanzielle Unterstützung aus der Bundeskasse der Partei angewiesen waren. Durch eine akribische Beschreibung der Finanzierungspraxis über Fördergesellschaften und eines Spendenwesens, das über das Magazin „Wirtschaftsbild“ und von bestimmten Firmen gelenkt wurde, wird klar, wie sehr trotz verschiedener Abwehrmechanismen der Untergliederungen diese Finanzierung den Sammlungskurs Adenauers in zentraler Weise stützte und damit gleichzeitig Lenkungsmechanismen und Einflussmöglichkeiten für bestimmte Interessengruppen sicherte.

Insbesondere wird nicht nur der teilweise undemokratische Charakter der Finanzierung deutlich, sondern auch die Auswirkungen auf die Organisationsstruktur der CDU. Deren innerparteiliche Demokratie wurde untergraben – man musste z.B. nicht in der CDU sein, um durch sie einen Posten zu bekommen. Die satzungsgemäßen Gremien wie Bundesparteitag, der Bundesparteiausschuss und der Bundesvorstand besaßen keine tatsächliche Entscheidungsmacht. Sie erfüllten aber trotzdem bestimmte Funktionen, wie Bösch zeigt. So stellten sie einen Harmonieproporz her, der als Integrationsmechanismus für die ‚Minderheiten‘ der CDU (Evangelischer Arbeitskreis, Interessengruppen, Junge Union u.a.) sorgte. Demokratisch war das zwar nicht, sei aber durch die dort entstehenden Kommunikationszusammenhänge - so lautet Böschs These - integrationsfördernd gewesen. Adenauer lenkte die Partei über die von ihm gegründeten Gruppen, die wie legale Gremien behandelt wurden. Hierzu gehörten bspw. die Konferenz der Landesvorstände oder die informellen Treffen bei Adenauer, die sich unter Pseudonymen wie „Mittwochsgesellschaft“ als Wahlkampfgremien konstituierten. Diese lose Struktur setzte sich auf der Landesebene fort. Da sich die Organisationseinheiten in den Regionen an konfessionellen Grenzen orientierten, wurde eine Koordination auf der Ebene der Bundesländer erschwert. Ein näherer Blick ergibt dabei ein differenziertes Bild der Landesverbände, die bislang eher als starke und autonome Gebilde apostrophiert wurden.4

Abschließend beschreibt Bösch das Aufbrechen der Adenauerschen Dominanz. In einem kurzen „Parforceritt“ durchquert er alle Themen der vorherigen Kapitel nochmals und verdeutlicht an einem Vergleich mit den sechziger Jahren das Spezifische der Adenauer-Jahre. Es wird ein schleichender Autoritätsverlust attestiert, der mit weiteren gesellschaftlichen wie innerparteilichen Veränderungen einherging. Doch rücken im Gegensatz zu anderen Arbeiten Begründungen wie die Erosion der Milieus, die Entkirchlichung, der gesellschaftspolitische Wandel sowie die Veränderungen innerhalb der CDU in den Hintergrund. Der Generationswechsel wird so zum zentralen Angelpunkt, bei dem sich ein Politikerwechsel von bürgerlichen Honoratioren zu akademischen Vollblutpolitikern und mit ihnen der Wandel von der Sammlungs- zur Mitgliederpartei vollzog.

Die Arbeit bestätigt auf der Generalisierungsebene bereits bekannte Aussagen, gewichtet aber die Rolle der Organisation viel stärker als dies andere Arbeiten bislang getan haben. Sie überzeugt mit ihrer Quellenfülle und -genauigkeit sowie der pointierten Darstellung. Sie ist eine empirisch gesättigte Studie, die die Organisation der CDU zurecht in den Mittelpunkt rückt, um mittels dieser strukturellen Perspektive die Figur Adenauer zu entmythologisieren. Ebenso stellt sich jedoch heraus, wie bedeutend er doch für die CDU und eben auch für die (Schaffung ihrer) Struktur war.

1 Horstwaltzer Heitzer, Die CDU in der britischen Zone 1945-1949. Gründung, Organisation, Programm und Politik, Düsseldorf 1988; Winfried Becker, CDU und CSU 1945-1950. Vorläufer, Gründung und regionale Entwicklung der CDU-Bundespartei, Mainz 1987.
2 Die bislang ausführlichste Studie: Geoffrey Pridham, Christian Democracy in Western Germany. The CDU/CSU in Government and Opposition, 1945-1976, London 1977; vgl. auch Wulf Schönbohm, Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950-1980, Stuttgart 1985.
3 Alf Mintzel, Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei 1945-1972, Opladen 1978; Kurt Klotzbach, Der Weg zur Staatspartei. Programmatik, praktische Politik und Organisation der deutschen Sozialdemokratie, Bonn 1996 (zuerst 1982).
4 Josef Schmid, Die CDU. Organisationsstrukturen, Politiken und Funktionsweisen einer Partei im Föderalismus, Opladen 1990.

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