Titel
Heimkehr in ein fremdes Land. Geschichte der Remigration nach 1945


Autor(en)
Krauss, Marita
Erschienen
München 2001: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
196 S.
Preis
€ 12,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Donate Strathmann, Universität Paderborn

Mit 'Heimkehr in ein fremdes Land' legt die Bremer Historikerin Marita Krauss eine kenntnisreiche, detaillierte Zusammenfassung des disparaten Forschungsstandes zur Remigration nach 1945 vor. Das Thema wurde erstmals Anfang der achtziger Jahre als 'Anhängsel' der Exilforschung entdeckt 1, bevor es sich in den neunziger Jahren als eigenständiger Forschungsgegenstand etablierte.2 Krauss selbst hat sich mit zahlreichen Aufsätzen als eine der führenden Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet der deutschen Remigrationsforschung ausgewiesen.

Als Prämisse, in Anlehnung an den remigrierten jüdischen Soziologen René König, stellt Krauss ihrer Studie voran, daß die Remigration die Traumata der Flucht in keinem Fall habe rückgängig machen können und es sich somit bei den Remigranten stets um veränderte, "andere" Menschen gehandelt habe, so daß man nicht eigentlich von Rückkehr, sondern eher von erneuter Migration sprechen müsse. Fast alle hätten zeitlebens den distanzierten Blick des Fremden auf Deutschland beibehalten. Schon zu Beginn fordert Krauss die konsequente Zusammenarbeit der historischen Remigrationsforschung mit Soziologie und vor allem Psychologie, Psychoanalsye und Traumaforschung, da es darum gehe, wie die Exilzeit in die Lebensgeschichten integriert wurde, ob sie als bereichernde Erfahrung, Erfolg, verlorene Zeit oder gar als Scheitern gedeutet wurde. Daß Krauss selbst diese Forderung konsequent befolgt, indem sie immer wieder die Erkenntnisse dieser Disziplinen heranzieht 3, verleiht ihrer Studie die psychologische Tiefenschärfe, die sie zu einer überaus spannenden Lektüre macht.

Krauss entfaltet das ganze Panorama der Geschichte der Remigration, d.h. der Rückkehr von etwa 6% einer halben Million aus verschiedensten Gründen vor den Nationalsozialisten ins Exil geflohenen oder von diesen vertriebenen Menschen in das Deutschland der Nachkriegsära: Von der psychologischen Bedeutung des Abschieds, der Grenze und ihrer Überschreitung über die Emigration als Familienschicksal, das erstmals ganze Bevölkerungsgruppen betraf und über Generationen fortwirken sollte, den gebrochenen Blick der Exilanten auf Deutschland und die oft mißtrauische Ablehnung der Dagebliebenen gegenüber den Remigranten, die Besatzungspolitik bis hin zu den erfolgten oder nur erhofften Rückrufen deutscher Politiker an noch im Exil befindliche Migranten. Krauss spannt so einen ersten weiten Bogen und beleuchtet die Hintergründe und Bedingungen der Remigration auf einer überpersönlichen Ebene.

Krauss greift dann einzelne Gruppen heraus und beschreibt die Situation zurückkehrender, teils prominenter Wissenschaftler, Künstler, Unternehmer und Politiker und ihren Einflluß auf die deutsche Nachkriegsgeschichte sowie 'kleiner Leute' an ausgewählten Beispielen. Gesondert betrachtet sie die Problematik der Remigrantinnen und der jüdischen Rückkehrer. Den Abschluß bildet ein kritischer Blick auf den über weite Strecken skandalösen Umgang deutscher Behörden mit den Rückkehrern und ihren berechtigten Ansprüchen.

Die in der Einleitung entworfene Periodisierung der Remigration in drei Phasen, jeweils aufgegliedert nach Westzonen bzw. Bundesrepublik einerseits und SBZ bzw. DDR andererseits, erleichtert die zeitliche Orientierung und Einordnung der in der Folge analysierten Phänomene. Zuerst so Krauss, seien in West und Ost bis etwa 1949/50 die politischen Emigranten zurückgekehrt, insbesondere Sozialdemokraten und Kommunisten mit dem Wunsch, am politischen Wiederaufbau Deutschlands mitzuwirken. Vor allem in den fünfziger, in geringem Umfang auch noch in den sechziger Jahren seien es dann vor allem Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler und jüdische Emigranten gewesen, die zurückkehrten, während die Rückkehrer nach 1970 vor allem ihren Lebensabend in Deutschland hätten verbringen wollen.

Besonders eindrucksvoll lesen sich die beiden Kapitel "Der Blick von außen" und "Blick von Innen". Ersteres leuchtet die Ambivalenz der Emotionen und Erwartungen der Emigranten aus, die um die Entscheidung für oder gegen eine Rückkehr in die alte Heimat rangen. "Die Gefühle schwankten zwischen Ablehnung alles Deutschen und Sehnsucht nach der Zeit vor der Emigration, zwischen Abscheu und Liebe, zwischen Haß und Heimweh." (S.42) Dennoch: Die Mehrheit - vor allem der jüdischen - Emigranten hatte sich physisch und psychisch auf immer von Deutschland abgewandt, auch wenn viele prominente Emigranten immer wieder auf Zeit zurückkehrten. "Für eine Rückkehr nach Deutschland mußte man gute Gründe haben, nicht jedoch für das Verbleiben im Exil." (S.46) Krauss umreißt das Spektrum möglicher Einstellungen zu Deutschland: "Der jüdische Rechtsanwalt Sigbert Feuchtwanger weinte in seinem Exil in Israel, als er von der Bombardierung Münchens erfuhr. Thomas Mann notierte (...) in sein Tagebuch: 'Der alberne Platz hat es geschichtlich verdient.'" Der nach England emigrierte sozialdemokratische Rechtsanwalt und ehemalige preußische Landtagsabgeordnete Siegbert Rosenfeld, Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg, schrieb 1943 angesichts der britischen Luftangriffe auf Hamburg: "(...) auch heute bringen sie Tod und Verderben nach Deutschland, und dennoch bleibe ich kalt, fast fühllos gegen das Leiden dieses entsetzlichen Deutschland, sein Regime." (S.45) Thomas Mann verweigerte wie seine Kinder die Rückkehr und warf den Deutschen vor, Umkehr zu heucheln und nach Care-Paketen zu gieren, womit er sich viele Feinde machte. Wie andere verlangte er von den Deutschen, die Schuld für den Beginn des Krieges auf sich zu nehmen, nicht für die Niederlage. Krauss führt aus, daß auch die Auswanderung nach Palästina für die jüdischen Emigranten oder der Eintritt in eine der alliierten Armeen den "aufgezwungenen Nationalitätskonflikt" (S.45) oft nicht auf Dauer lösen und das Gefühl der Isolation und des Ausgestoßenseins nicht beseitigen konnten. Nach der Rettung des eigenen Lebens und der moralischen Integrität stellte sich vielen nach 1945 die Frage nach der Einstellung zu Deutschland erneut, zumal, wenn sie im Exilland nicht hatten Fuß fassen können.

Marita Krauss faßt den Forschungsstand prägnant zusammen. An keiner Stelle gibt sie vorschnelle Antworten, sondern benennt eine Vielzahl noch offener Fragen sowie die Grenzen möglicher Antworten. Sie schöpft aus einer Fülle autobiographischer Quellen sowie unveröffentlichtem Archivmaterial. Beides erschließt sie dem Leser durch umfangreiche Anmerkungen, die ausführliche Bibliographie sowie ein Personenregister. Daß bekannte Namen die Fallbeispiele zu dominieren scheinen, ist der Tatsache geschuldet, daß auch betreffend Exil und Remigration die Prominenz mehr schriftliche Zeugnisse hinterlassen hat und diese eher erhalten blieben als die der 'kleinen Leute'.

Von der ersten bis zur letzten Seite zeichnet sich Krauss' Buch durch sprachliche und analytische Klarheit und psychologische Feinfühligkeit aus. Besonders deutlich wird das im Kapitel "Der Blick von innen", das die Haltung der deutschen Bevölkerung zu den (R-)Emigranten und die verschiedenen Strategien und psychologischen Mechanismen behandelt, mit denen die Dagebliebenen versuchten, diese nachträglich ins Unrecht zu setzen und sich selbst zu entlasten. Am Beispiel Thomas Manns und anderer Literaten und der Haltung zu ihnen, wie sie in einer Umfrage der amerikanischen Militärregierung 1947 zutage trat, illustriert und belegt Krauss vier Thesen zur Begründung der Ablehnung der Remigranten:
1. Aus Sicht der Dagebliebenen hatten sich die Emigranten durch ihre Flucht außerhalb der deutschen 'Volksgemeinschaft' gestellt.
2. Die Tatsache, daß die vormals Ausgestoßenen nun auf der Seite der Sieger standen, weckte bei vielen Deutschen unbewußte Rachephantasien. Die Remigranten wurden gefürchtet und beneidet. Das Ende der Allmachtsphantasien erzeugte vielfach "eine tiefe Wut gegen geheime und hinterhältige Feinde, die für all dies verantwortlich zu machen waren." (S.52)
3. Die Opfersituation wurde umgekehrt. Es wurde aufgerechnet, um mögliche Schuldgefühle zu verkleinern.
4. In Emigrationssituationen entwickeln häufig die Zurückgebliebenen eine Abneigung gegen die Ausgewanderten, die sie verlassen und ihnen Schmerz zugefügt haben. Es entsteht eine Abwehrreaktion gegen den Emigranten, von dem man sich 'verraten' fühlt.

Noch in den sechziger Jahren traten, wie Krauss belegt, diese Reaktionsmuster von Selbstaufwertung der Dagebliebenen und Abwertung der Emigranten in politischen Debatten in der Bundesrepublik wiederholt zutage.

Abschließend wirft Krauss einen kritischen Blick auf den aktuellen Forschungsstand und die widerstreitenden Thesen zur Bewertung der Remigration: Eine Seite betone den Beitrag der Remigranten zur Modernisierung und 'Verwestlichung' der Bundesrepublik durch Wissenstransfer aus den Exilländern während die andere führende politische Vertreter der Remigranten in historischer Kontinuität zur Weimarer Republik sehe und als konservativ einstufe. Zuletzt formuliert Krauss zwei zentrale Postulate für die weitere Remigrationsforschung. Einerseits gelte es die Stellung der Remigranten im Geschichtsbewußtsein der Bevölkerung weiter zu untersuchen , beispielsweise anhand von Straßen(-um-)benennungen und teils posthumen Ehrungen, andererseits bedürfe die Rolle nicht zurückgekehrter Emigranten als Vermittler deutscher Auslandskontakte in Kultur, Wissenschaft, Forschung, Politik und Wirtschaft, die zu einer "Remigration der Ideen" geführt habe, weiterer Erforschung.

Anmerkungen:
1 Mehringer, Hartmut / Röder, Werner / Schneider, Marc Dieter, Zum Anteil ehemaliger Emigranten am politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und der Republik Österreich, in: Frühwald, Wolfgang / Schneider / Wolfgang (Hgg.), Leben im Exil. Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland 1933 - 1945, Hamburg 1981, S.207-233.
2 Vgl. u.a.: Koebner, Thomas / Rotermund, Erwin (Hgg.), Rückkehr aus dem Exil. Emigranten aus dem Dritten Reich in Deutschland nach 1945, Essays zu Ehren von Ernst Loewy, Marburg 1990.
Exil und Remigration. Jahrbuch Exilforschung 9, München 1991.
Krohn, Claus-Dieter / Von zur Mühlen, Patrick (Hgg.), Rückkehr und Aufbau, Marburg 1997.
Unter Vorbehalt. Rückkehr aus der Emigration nach 1945, hg. vom Verein El-De-Haus, bearb. von Wolfgang Blaschke u.a., Köln 1997.
3 Vgl. u.a. Mitscherlich, Alexander und Margarete, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1977.
Grinberg, Leon / Grinberg, Rebecca, Zur Psychoanalyse der Migration und des Exils, München 1991.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Thema
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension